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4.1. Stand der Forschung

Es gehört zu den zentralen Annahmen der Control-Mastery-Theorie, dass pathogene Überzeugungen psychische Störungen verursachen (Weiss 1993a). Die Vertreter der CMT postulieren, dass der Verlauf des therapeutischen Prozesses trotz aller Subjektivität Gesetzmäßigkeiten folge und weisen den aus ihrem Konzept pathogener Überzeugungen resultierenden Empfehlungen für den Therapieprozess Allgemeingültigkeit zu (Silberschatz 2005b).

Die SFPRG hat bisher in zahlreichen Einzelfalluntersuchungen bestätigt, dass die Widerlegung von anhand der Planformulierungs-Methode identifizierten pathogenen Überzeugungen im therapeutischen Prozess hilfreich für den Patienten ist (Gassner et al. 1982, Silberschatz et al.

1986, O'Connor and Weiss 1993, Weiss 1993b, Fretter 1995, Norville et al. 1996, Foreman et al.

2000, Pole et al. 2002, Shilkret 2002, Pole and Bloomberg-Fretter 2006, siehe auch Kapitel 2.5.2., Seite 26-30). Es konnte anhand verschiedener Parameter wie der referential activity oder dem experiencing-, dem boldness- und dem relaxation-Wert gezeigt werden, dass die Widerlegung individueller pathogener Überzeugungen mit positiven Effekten für den Patienten einhergeht. Auch eine Zunahme an Einsicht des Patienten am Ende der Therapie fand sich in Zusammenhang mit der Widerlegung seiner pathogener Überzeugungen (O´Connor et al. 1994).

In der Einzelfalluntersuchung von Sammet et al. (2006), in der die Ausprägung der pathogenen Überzeugungen eines Patienten über den Therapieverlauf (24 Sitzungen) bestimmt und deren Korrelation mit Einsicht überprüft wurde, hat sich die theoretisch erwartete negative Korrelation der Ausprägung pathogener Überzeugungen mit Einsicht nicht bestätigt.

In einer gruppenstatistischen Pilotstudie haben Sammet et al. (2007b) mittels eines eigens entwickelten Erhebungsinstruments, der 23 Items umfassenden Liste innerer Überzeugungen (LiÜ), die Zusammenhänge von thematisch unterschiedlichen belastenden inneren Überzeugungen mit psychischen Symptomen sowie mit interpersonalen Problemen untersucht.

Auf der Basis faktorenanalytischer Ergebnisse enthielt die LiÜ sechs Skalen folgenden Inhalts:

1. Selbstzweifel, 2. Zweifel an anderen, 3. Ärgerexpression, 4. Angst vor engen Beziehungen, 5.

Schuld bei Erfolg, 6. Verantwortung gegenüber anderen. Sammet et al. (2007b) fanden durchgängig signifikant positive Korrelationen, was die Relevanz belastender innerer

Überzeugungen für psychische Symptome sowie für interpersonale Probleme unterstützt.

Zudem zeigten im Vergleich stationäre Psychotherapiepatienten signifikant höhere Ausprägungen dysfunktionaler Überzeugungen als Probanden der Normalbevölkerung.

Entgegen der theoretischen Annahme sank der Gesamtwert der erhobenen Überzeugungen bei den stationären Psychotherapiepatienten zum Ende der Therapie trotz signifikanter Symptomreduktion nicht. Bei den drei LiÜ-Skalen Ärgerexpression, Angst vor engen Beziehungen und Schuld bei Erfolg fand sich ebenfalls keine Abnahme der Ausprägung am Ende der Behandlung. Dagegen zeigten die drei LiÜ-Skalen Selbstzweifel, Zweifel an anderen und Verantwortung gegenüber anderen eine signifikante Abnahme der Ausprägung zum Ende der Behandlung, allerdings mit nur geringer Effektstärke.

Ansonsten sind gruppenstatistische Untersuchungen zu den Zusammenhängen von belastenden Überzeugungen bisher deutlich seltener als Einzelfalluntersuchungen und nur anhand des Interpersonal Guilt Questionnaire (IGQ, O'Connor et al. 1997) durchgeführt worden. Sie blieben damit begrenzt auf belastende innere Einstellungen des von der CMT besonders hervorgehobenen Inhalts „Schuld“. In mehreren gruppenstatistischen Untersuchungen konnten signifikante Korrelationen zwischen den IGQ-Skalen und psychopathologischen Befunden wie depressiver Verstimmung, pessimistischer Ausdrucksweise, automatischen negativen Gedanken, mangelndem Selbstwertgefühl (O'Connor et al. 1997, O'Connor et al. 1999) und unterwürfigem Verhalten (O'Connor et al. 2000) nachgewiesen werden. Albani et al. (2002) haben eine deutsche Kurzform des IGQ, den Fragebogen zu interpersonellen Schuldgefühlen (FIS), entwickelt und fanden in einer vergleichenden Studie mit Gesunden und Psycho-therapiepatienten signifikant positive Korrelationen zwischen interpersoneller Schuld und sozialer Unsicherheit sowie signifikant negative Korrelationen zwischen interpersoneller Schuld und der Fähigkeit, Forderungen zu stellen.

Zusammenfassend: In zahlreichen CMT-Einzelfallstudien konnte nachgewiesen werden, dass die Widerlegung von anhand der PFM individuell identifizierten pathogenen Überzeugungen mit positiven Effekten für den Patienten einhergeht. Die wenigen bisher durchgeführten gruppenstatistischen Untersuchungen zeigten, dass bestimmte dysfunktionale innere Einstellungen bei Patienten mit psychischen Störungen signifikant stärker ausgeprägt sind als bei gesunden Probanden und dass die Ausprägung dieser inneren Einstellungen in einem signifikant positiven Zusammenhang zu psychopathologischen Befunden steht. Dies kann als

Hinweis für die Pathogenität bestimmter belastender innerer Einstellungen angesehen werden.

Es liegen gegenwärtig keine umfassenden Kenntnisse darüber vor, welche Inhalte belastender innerer Einstellungen in besonderem Maße in Zusammenhang mit der psychischen Befindlichkeit stehen. Zudem ist die Frage offen, ob bestimmte belastende innere Einstellungen, falls sie mit der Symptombelastung positiv korrelieren, therapeutischer Behandlung zugänglich sind, d.h. sich in ihrer Ausprägung in ähnlicher Weise ändern wie die Symptombelastung.

4.2. Ableitung der Fragestellung

Da auf gruppenstatistischer Ebene kein sicherer Beweis dafür vorliegt, dass bestimmte belastende innere Einstellungen tatsächlich pathogen sind, d.h. psychische Störungen verursachen, wird in vorliegender gruppenstatistischer Studie zunächst nur von belastenden inneren Einstellungen gesprochen. Anhand einer Stichprobe von 70 stationären Psychotherapiepatienten soll überprüft werden, ob und falls ja, in welcher Weise belastende innere Einstellungen mit der psychischen Befindlichkeit zusammenhängen. Die psychische Befindlichkeit wird mittels der psychischen Symptombelastung sowie der interpersonalen Probleme erfragt. Weiter soll untersucht werden, ob sich bei vorhandener Symptomreduktion belastende innere Einstellungen im Verlauf der Behandlung in ihrer Ausprägung ebenfalls ändern. Die Untersuchung dieser Frage soll beitragen zur Klärung, ob belastende innere Einstellungen psychotherapeutischer Behandlung zugänglich sind. Zur Untersuchung des dargestellten Fragenkomplexes ist ein Instrument zur Einschätzung der Ausprägung belastender innerer Einstellungen entwickelt worden (Sammet und Andreas, Fragebogen zu inneren Einstellungen, unveröffentlicht). Dieses Erhebungsinstrument wurde den Patienten der untersuchten Stichprobe unter dem Namen „Fragebogen zu inneren Einstellungen“ zur Selbsteinschätzung vorgelegt (siehe Anhang), in vorliegender Untersuchung wird es dagegen als

„Liste innerer Einstellungen“ (LiE_Vers.0) bezeichnet.

Der Zusammenhang der erhobenen inneren Einstellungen mit der psychischen Symptom-belastung ist anhand der Symptom Check List (SCL-90-R, dt. Version Franke 1995) untersucht worden. Die SCL-90-R ist ein Standardinstrument zur Erfassung der psychischen Symptom-belastung, das sich zur symptomorientierten Beurteilung des Therapieverlaufs etabliert hat (Fydrich et al. 1996, Schauenburg und Strack 1998, siehe auch Kapitel 5.3.1., Seite 53f). Die SCL-90-R gibt mit ihrem globalen Kennwert GSI (Global Severity Index) Auskunft über die

grundsätzliche psychische Belastung eines Patienten. In den GSI-Wert gehen die Antworten aus allen erfragten Items zu neun verschiedenen Skalen psychischer Symptome, auch der Ängstlichkeit und Depressivität, ein. Da Ängstlichkeit und Depressivität bei der Klientel nicht-spezialisierter Psychotherapiestationen nach klinischer Erfahrung häufig auftreten, sind die Zusammenhänge belastender innerer Einstellungen zusätzlich zum globalen Kennwert GSI auch zu den SCL-90-R-Skalen „Ängstlichkeit“ und „Depressivität“ untersucht worden.

Schwierige interpersonale Verhaltensmuster können zu psychischen Störungen führen (Horowitz 1979). Es ist daher entschieden worden, die erhobenen inneren Einstellungen zusätzlich zu der Symptombelastung auch auf ihren Zusammenhang zu interpersonalen Problemen hin zu untersuchen (Schauenburg et al. 2000, siehe auch Kapitel 5.3.2., Seite 54-56).

Als Erhebungsinstrument hierzu ist das Inventar Interpersonaler Probleme (IIP-C, Horowitz et al. 1994) gewählt worden, das Probleme im Umgang mit anderen Menschen mittels Selbsteinschätzung erhebt. Dem IIP-C liegt das Circumplex-Modell zu Grunde, in dem Persönlichkeitseigenschaften, die die Interaktion bestimmen, kreisförmig angeordnet sind.

Interpersonales Verhalten lässt sich in diesem Circumplex-Modell entlang der zwei senkrecht zueinander stehenden Achsen mit den Achsenwerten DOM (Dominanz versus Unterwürfigkeit) und LOV (Feindseligkeit versus Freundlichkeit) beschreiben. Da die Ausprägung in den beiden Achsenwerten DOM und LOV charakteristisch ist für das interpersonale Verhalten einer Person, ist entschieden worden, die Zusammenhänge der erhobenen inneren Einstellungen zusätzlich zu dem Gesamtwert interpersonaler Probleme (IIP-C_ges) auch zu den beiden Achsenwerten DOM und LOV zu untersuchen.

Die vorliegende Untersuchung ist konzeptuell eng an die gruppenstatistische Pilotstudie von Sammet et al. (2007b) angelehnt (siehe Kapitel 2.5.3., Seite 31f und Kapitel 4.1., Seite 43f). Wie in der Studie von Sammet et al. (2007b) haben auch die hier erhobenen inneren Einstellungen nicht nur interpersonelle Schuld, sondern zusätzlich auch beziehungsgestaltende Aspekte zum Inhalt. Allerdings wurden die Items belastender innerer Einstellungen für vorliegende Untersuchung überwiegend nicht in gleicher Weise formuliert (Sammet und Andreas, Fragebogen zu inneren Einstellungen, unveröffentlicht, siehe Anhang) wie bei Sammet et al.

(2007b). Bei Sammet et al. (2007b) erheben alle Items eine Befürchtung mit der zugehörigen Bedingung („Ich befürchte, dass meine Gefühle verletzt werden, wenn ich eine enge Beziehung eingehe.“). In vorliegender Untersuchung dagegen sind innerhalb aller 28 Items, die innere

Einstellungen zur Beziehungsgestaltung erheben, ein verhaltenssteuernder Gedanke mit einer zugehörigen subjektiven Kausalattribution über eine „Weil-Verknüpfung“ verbunden („Ich vermeide enge Beziehungen, weil ich damit rechne, zurückgewiesen zu werden“.). Der subjektiven Kausalattribution liegen Befürchtungen zwar implizit zu Grunde, diese werden aber nicht in jedem Item explizit als solche benannt. Anders als in der Pilotstudie von Sammet et al.

(2007b) ist ein Vergleich der Ausprägung dysfunktionaler innerer Einstellungen bei Gesunden und bei Psychiatrie- bzw. Psychotherapiepatienten hier nicht durchgeführt worden, da vorliegende Untersuchung auf nur eine Stichprobe stationärer Psychotherapiepatienten begrenzt ist.

4.3. Hypothesen

Vor dem Hintergrund der in Kapitel 4.2. dargelegten Fragestellung sind in vorliegender Studie folgende Hypothesen formuliert und anhand der erhobenen Daten überprüft worden:

4.3.1. Hypothese 1: Zusammenhang zwischen inneren Einstellungen und der Symptom-belastung

Das Ausmaß belastender innerer Einstellungen steht in Zusammenhang mit der psychischen Symptombelastung. Je ausgeprägter die belastenden inneren Einstellungen, desto stärker ausgeprägt ist die psychische Symptombelastung. Dieser Zusammenhang zeigt sich sowohl für die Gesamt-Symptombelastung als auch für die Symptome Ängstlichkeit und Depressivität.

4.3.2. Hypothese 2: Zusammenhang zwischen inneren Einstellungen und interpersonalen Problemen

Das Ausmaß belastender innerer Einstellungen steht in Zusammenhang mit interpersonalen Problemen. Je ausgeprägter die belastenden inneren Einstellungen, desto stärker ausgeprägt sind die interpersonalen Probleme. Dieser Zusammenhang zeigt sich sowohl für die Gesamtheit interpersonaler Probleme als auch für die beiden Achsenwerte DOM (Dominanz versus Unterwürfigkeit) und LOV (Freundlichkeit versus Feindseligkeit).

4.3.3. Hypothese 3: Abnahme innerer Einstellungen im Behandlungsverlauf

Belastende innere Einstellungen sind therapeutischer Behandlung zugänglich und nehmen bei Abnahme der psychischen Gesamt-Symptombelastung zum Ende der Behandlung in ihrer Ausprägung ebenfalls ab.