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Die Folgeentscheidung des BGH

Im Dokument A I Jura Studium & Examen J§E (Seite 63-67)

des Bundesverfassungsgerichts bei „informellen Absprachen“

D) Die Folgeentscheidung des BGH

56 Sebastian, NJ 2014, 508 mwN.

57 BVerfGE 57, 250 (275); BVerfG NStZ, 1987, 419; Kühne, in Lö-we/Rosenberg, 26. Auflage (2013), Einl. H, Rn. 26; Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310.

58 BVerfG, Beschl. v. 21.04.2016, Az.: 2 BvR 1422/15, Rn. 28.

59 Vgl. BGH NJW 2016, S. 513 (517); Ignor, in: S/S/W, StPO, 2. Aufl. (2016), § 257c Rn. 58

60 BVerfG, Beschl. v. 21.04.2016, Az.: 2 BvR 1422/15, Rn. 29.

61 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 58. Aufl. (2015), § 154a Rn. 5 mwN.

62 vgl. Diemer, in: KK- StPO, 7. Aufl. (2013), § 154a Rn. 4.

63 Zur Notwendigkeit, den ausgeschiedenen Verfahrensstoff genau zu bezeichnen, siehe BGH, Beschl. v. 3.12.2013, Az.: 4 StR 461/13 Rn. 6 mwN.

Ferner spricht für eine Verständigung über den Schuldspruch die Tatsache, dass „der Verfahrensbeschränkung umfassende Verhandlungen über die „zu gestehende“ Höhe des Vermögens-nachteils vorausgingen und sie dem Betrag nach dem letzten Verständigungsvorschlag der Verteidigung entsprach. Ihr folgte eine Einlassung des Beschwerdeführers, die die vereinbarte Höhe ersichtlich abdecken sollte. Dies alles lässt besorgen, dass die Höhe des Vermögensnachteils unter Missachtung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) im Wege des Kon-senses festgelegt wurde.“

III. Beruhen der Entscheidung auf dem Verstoß

Abschließend war von der Kammer die Frage zu klären, ob die Revisionsentscheidung auf dem Verstoß gegen das Grundrecht des T auf ein faires Verfahren beruht. Das begründet sie damit, dass der BGH bei Beachtung des Grundrechts zu einem für den T günstigeren Ergebnis, nämlich der Aufhebung und Zurück-verweisung, gekommen wäre. Daran ändere insbesondere die Behauptung nichts, dass T durch die Annahme eines – im Ver-gleich zur Anklage – geringeren Schaden nicht beschwert sei.

Denn es könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ein geringerer Vermögensnachteil festgestellt worden wäre.64

D) Die Folgeentscheidung des BGH

Der nach Zurückverweisung erneut mit der Sache befasste 1.

Strafsenat des BGH65 folgte dem Kammerbeschluss und gab der Verfahrensrüge des T statt. Zum Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf dem festgestellten Verstoß gegen § 257c Abs. 4 und 5 StPO führte der Senat aus66:

„Diese Rechtsfehler haben sich […] lediglich auf die Bestimmung der Höhe des Untreueschadens ausgewirkt; nur insoweit beruht das Urteil auf dem Verfahrensverstoß. Eine Überhöhung von Rechnungen zur Finanzierung von Schmiergeldern hat der Ange-klagte nach den getroffenen Feststellungen in einem Umfang von 350.000 Euro in der Hauptverhandlung bereits vor dem gerügten Verfahrensgeschehen glaubhaft eingeräumt. Erst nach der Ver-fahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO aufgrund der fehlerbehafteten Verständigung hat der Angeklagte angegeben, es könne sich auch um einen Betrag zwischen 350.000 und 800.000 Euro handeln […]. Dies hat die Strafkammer bei der Beweiswürdigung, in der sie auf einen Untreueschaden in Höhe von 800.000 Euro schließt, jedenfalls mitberücksichtigt […]. Die aufgrund der Verständigung zurückgenommenen Beweisanträge betrafen überwiegend ebenfalls diese Differenz. Da sich das auf den genannten Punkt beschränkte Verständigungsgeschehen nicht in weiterem Umfang ausgewirkt hat, mithin rechtsfehler-frei festgestellt ein Untreueschaden vorliegt, hat der (tateinheit-liche) Schuldspruch der Beihilfe zur Untreue Bestand.“

Das Urteil des Landgerichtes wurde daher nur hinsichtlich der Feststellungen zur Höhe des Vermögensschadens und hinsicht-lich des Strafausspruches aufgehoben. Ferner erklärt der Senat die Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO für un-wirksam, da die ausgeschiedenen Tatteile nicht hinreichend

64 BVerfG, Beschl. v. 21.04.2016, Az.: 2 BvR 1422/15, Rn. 31.

65 BGH, Beschl. v. 25.10.2016, Az.: 1 StR 120/15.

66 BGH, Beschl. v. 25.10.2016, Az.: 1 StR 120/15, Rn. 4.

Rechtsprechung Öffentliches Recht • BVerfG • Prüfungskompetenz und Prüfungsdichte bei „informellen Absprachen“ 61 konkret bezeichnet worden sind.67 Auch die ausgeschiedenen

Teile des Verfahrens sind mithin bei der neuen Verhandlung vor dem LG zu beachten.

Schließlich nimmt der Senat auch zur Möglichkeit einer infor-mellen Absprache Stellung, indem er ausführt68:

„Ein weitergehender Rechtsfehler liegt nicht vor. Jenseits des geschilderten, in öffentlicher Hauptverhandlung völlig transpa-rent vollzogenen Geschehens gab es – wie die dienstliche Erklä-rung des Vorsitzenden und der Vortrag der Revision belegen – keine ‚informellen Absprachen‘.“

E) Schlussbetrachtung

Die vorliegende Entscheidung fügt sich in eine ganze Reihe stattgebender Kammerbeschlüsse im Hinblick auf Verstöße gegen das Verständigungsgesetz ein,69 welche zum einen die

„präzisierende Auslegung“ des 2. Senates fortführen und kon-kretisieren und zum anderen eine neuerliche Mahnung an alle Instanzgerichte – zu denen auch der BGH gehört – sind, die aufgestellten Grundsätze zu beachten bzw. ihre Beachtung zu überwachen.70 Auch wenn die Entscheidung daher in einzelnen Punkten zweifellos kritikwürdig ist, zeigt sie doch einmal mehr auf, was der eigentliche Kern des Verständigungsgesetzes ist:

die – insbesondere – revisionsgerichtliche Kontrolle der unter-gerichtlichen Verständigungspraxis.71 Und in dieser Hinsicht liefert die Entscheidung einige wichtige Erkenntnisse:

1. Die Frage, ob eine Verständigung zustande kommt, rich-tet sich allein danach, ob von den Parteien ein Austausch-verhältnis bezweckt wird. Es spielt keine Rolle, ob sie eine rechtliche Bindung beabsichtigen oder gar explizit eine Ver-ständigung ausschließen. Das liegt daran, dass § 257c Abs. 1 StPO explizit auch jene Absprachen erfassen soll, die dem Anwendungsbereich der Abs. 2-5 gerade nicht unterfallen, indem er sie verbietet.72 Derartige „informelle Absprachen“

führen zur Rechtswidrigkeit des „strafprozessualen Tausch-geschäfts“ und verletzen stets das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren.73

2. Die Verständigung über eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO ist grundsätzlich möglich, solange sie nicht zur Absprache über den Schuldspruch missbraucht wird.74 Letzteres ist insbesondere bei willkürlichen Festle-gungen der Schadenshöhe der Fall, welche sich den

67 Mit Verweis auf BGH NStZ-RR 2012, 50.

68 BGH, Beschl. v. 25.10.2016, Az.: 1 StR 120/15, Rn. 7.

69 BVerfG, Beschl. v. 30.06.2013, Az.: 2 BvR 85/13; BVerfG, Beschl. v.

25.08.2014, Az.: 2 BvR 2048/13; BVerfG, Beschl. v. 26.08.2014, Az.: 2 BvR 2172/13; BVerfG, Beschl. v. 15.01.2015, Az.: 2 BvR 2055/14.

70 So völlig zutreffend Reckmann, jurisPR-StrafR 12/2016 Anm. 1 (D.).

71 Hierin wird man auch den Grund zu suchen haben, warum sich der Gesetzgeber bei der Regelung an bestehendem und auf eine weiterreichen-de Reform verzichtete. Vgl. auch Pfister, StraFo 2016, 187 ff.; Graf, DRiZ 2016, 308 ff. und Sebastian, NJ 2014, 508 (509)

72 Reckmann, jurisPR-StrafR 12/2016 Anm. 1 (C.); aA.: Bittmann, NStZ 2016, 425 (427), der in dem Geschehen des konkreten Falles eine Erörterung des Verfahrensstandes ansieht, auf die zwei unabhängig voneinander beste-hende Prozesshandlungen folgen.

73 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.01.2015, Az.: 2 BvR 2055/14, Rn. 13.

74 Hierin sieht Bittmann, NStZ 2016, 425 (427) den eigentlichen Fehler des Landgerichts, welches seiner Meinung nach aufgrund des Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 244 Abs. 2 StPO) hätte aufgehoben wer-den müssen.

setzungen der Norm nicht subsumieren lassen. Leider lässt es die Kammer offen, ob die Richter in seinem solchen Falle – wie in der Ausgangsentscheidung des 2. Senats ange-mahnt – mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten.

3. Die Einhaltung der Regelungen des Verständigungsgeset-zes wird (auch) durch das BVerfG überwacht. Wie die zahl-reichen (stattgebenden) Kammerbeschlüsse verdeutlicht haben sollten, hat die auf eine erfolglose Revision folgende Verfassungsbeschwere überaus gute Erfolgsaussichten.75 Da die wesentlichen Rechtsfragen im Hinblick auf die Verstän-digung durch die „präzisierende Auslegung“ des 2. Senates geklärt wurden, kann der Beschwerde dabei stets im Wege des Kammerbschlusses stattgegeben werden. Aufgrund der unmittelbaren verfassungsrechtlichen Relevanz des Ver-ständigungsgesetzes stehen dem – wie oben gezeigt wurde – keine kompetenziellen Bedenken entgegen.76 Das macht das BVerfG – genau genommen die 2. Kammer des 2. Sena-tes – in Verständigungsfragen freilich zur „Superrevisions-instanz“, allerdings hat es diese Rolle ganz bewusst an sich gezogen, indem es das Verständigungsgesetz nur mit der Maßgabe der strengen Beobachtung für verfassungsgemäß erklärte.77

Abschließende Hinweise für Studierende

Gleich wie man zur grundsätzlichen Zulässigkeit straf-prozessualer Absprachen steht, so wird man doch nicht leugnen können, dass ihre gesetzliche Regelung als

„Verständigung im Strafverfahren“ eine bereits jetzt kaum noch zu überblickende Fülle an revisionsgerichtli-cher Rechtsprechung hervorgebracht hat. Das macht die Anwendung der Regelung zum einen natürlich an-spruchsvoll,78 zum anderen macht es sie aber auch rele-vant für Prüfungsarbeiten in Staatsexamina.

Verfahrensabsprachen sind wie kaum ein anderes Insti-tut geeignet, das strafprozessuale Grundverständnis zu prüfen. Sei es ganz allgemein zu den Strukturprinzipien des reformierten Inquisitionsprozesses oder zur Rollen-verteilung der Verfahrensbeteiligten in diesem System und warum diese so ausgestaltet sein muss, wie sie es ist.79 Wie der vorliegende Fall eindrucksvoll zeigt, hat der „Deal“ aber auch eine verfassungsrechtliche Dimen-sion, die keineswegs unterschätzt werden sollte und die in Zukunft – sollte die 2. Kammer des 2. Senates ihrer (harten) Linie treu bleiben – nur noch mehr an Bedeu-tung gewinnen wird.80

75Reckmann, jurisPR-StrafR 12/2016 Anm. 1 (D.) weist drauf hin, dass sich hier neue Möglichkeiten für Strafverteidiger auftun.

76 AA. wohl Bittmann, NStZ 2016, 425 (427).

77 Vgl. hierzu die von Fezer, HRRS 2013, 117 (119) geäußerte Vermutung.

78Bittmann, NStZ 2016, 425 (426) spricht vom „Gestrüpp des Verständi-gungsgesetzes“, das scheinbar nur noch durch das Rechtsgefühl zu navigie-ren sei.

79 Vgl. hierzu Sebastian, Die Strafprozessordnung im Lichte verfahrensbe-endender Verständigung (2014), S. 10.

80 Weiterführend zur verfassungsrechtlichen Dimension und den mögli-chen Folgen für weitere Reformen: Sebastian, NJ 2014, 508.

Rechtsprechung Öffentliches Recht • BVerfG • Prüfungskompetenz und Prüfungsdichte bei „informellen Absprachen“ 62 Weiterführende Literatur:

Rechtsprechungsübersichten: Schneider, NStZ 2014, 192; Schneider, NStZ 2014, 252; Bittmann, ZWH 2016, 261.

Strukturprinzipielle Überlegungen: Greco, GA 2016, 1; Sebastian, NJ 2014, 508.

Didaktische Ansätze: Schreiber-Klein, JA 2015, 888; Se-bastian, Die Strafprozessordnung im Lichte verfahrens-beendender Verständigung (2014), passim.

Dipl.-Jur. Sascha Sebastian, M.mel

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht

(Prof. Dr. Christian Schröder) Lehrbeauftragter

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Stephanie Walz 7. Jahrgang (2017)

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