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Filmmusik und das Musiktheater

Im Dokument Der Filmkomponist Max Steiner (Seite 66-70)

Der Autor Roy Prendergast führt in seinem Buch Film Music – a neglected art aus, dass explizit die drei Komponisten Steiner, Korngold und Newman die Protagonisten waren, die den sinfonischen Orchesterstil in Hollywoods Filmmusik etabliert haben. Er geht ferner der Frage nach, warum diese Komponisten gerade den Orchesterstil des ausge-henden 19. Jahrhunderts, manifestiert in den Bühnenwerken von Wagner, Puccini, Verdi und Strauss, zu ihrem musikalischen Idiom gewählt haben.102

Prendergast erklärt, dass diese Komponisten in ihrer Bühnenmusik ähnliche dra-maturgische Probleme gelöst hätten, vor denen auch sie als Filmkomponisten gestan-den seien. Die funktionalen Gemeinsamkeiten von Oper und Film funktionieren nach Meinung Prendergasts als direkte Verbindung von beiden. Er zitiert hierbei den Autor Donald Jay Grout, der schreibt, dass für Wagner die Aufgabe der Musik sei, dem dra-matischen Ausdruck zu dienen. Prendergast vergleicht den Dialog im Film, welcher die Funktion habe, die Handlung weiterzubringen, mit dem Rezitativ in der Oper, welches die gleiche Funktion habe.

„Opera, like film, tends to emphasize the separation of the drama and the music in times.

In opera this separation is almost literal: the orchestra is hidden in the pit: in the sound film the orchestra is ‚hidden‘ on the sound track. In opera the stage is the most visible element and, like the screen in a film, it draws most of our attention. In opera when the stage becomes musical (as when an aria begins) then the two forces of drama and music come together to form a unified force. The same sort of thing happens to the film at those points where the music is allowed to speak in a forceful and contributive way. In opera, like film when the action on stage is the most important element, the orchestra dissociates itself from the action and becomes commentary on it.“103

Nun stellt Prendergast die Frage, warum die Filmkomponisten auf die bühnenimmanen-ten Anforderungen nicht mit neuen Lösungen reagiert, sondern sich eben, wie bereits erwähnt, die Tonsprache von Wagner, Puccini, Verdi oder Strauss angeeignet hätten. Die Antwort darauf ist nach Prendergasts Einschätzung sehr einfach:

„The answer is quite simple. Film is an extremely commercial form of art and, as such, must always pay its own way. While directors of films have had the chance to experiment 102 Prendergast. S. 39 ff.

103 Prendergast. S. 40.

and make serious but instructive errors, composers, because they are usually the last con-tributors to the corporate art of film, have had little opportunity to experiment with their art form and, through experimentation, thus devise new solutions to the old problems.

The film composer has always been at the mercy of economics. A composer can always write an opera with nothing more than pen, paper, and his creative imagination. A film composer, on the other hand, cannot write a score without a film, whose production is a costly endeavour …“104

Warum sich Komponisten wie Steiner oder Korngold einer spezifischen Musiksprache be-dienten, nämlich der von Wagner, Mahler oder der von Richard Strauss, hat noch eine an-dere Ursache, nämlich die der Herkunft dieser beiden Protagonisten der amerikanischen Filmmusik. Von Steiner gibt es darüber wenige Äußerungen, ob und inwieweit seine Her-kunft seine Filmmusik beeinflusst habe. Korngold hat seiner eigenen Einschätzung nach sein Opernschreiben einfach auf den Film übertragen. Eine mögliche Antwort auf diese Frage kommt von ganz anderer Seite. Sie wird gegeben von dem Komponisten Hans Jürgen Salter. Salter (1896–1994) wurde wie Steiner und Korngold im Wien des ausgehenden 19.

Jahrhunderts geboren. Er kam 1937 nach Hollywood und arbeitete dort meist für Universal Pictures. Salter äußerte sich einmal in einem Interview dahingehend, wie groß der Einfluss der Komponisten seiner Zeit auf ihn und alle Musiker in seiner Umgebung gewesen sei:

„In my early days in Vienna, Richard Strauss and Gustav Mahler had enormous influence on all budding composers, and theirs were the styles everyone tried to emulate. Later we became aware of the French school, of men like Debussy and Ravel, followed by the great impact of Stravinsky. And of course Beethoven, Mozart and Brahms were all basic to us.

We sort of inhaled them when we grew up. Every composer is the product of a certain time and place, I was lucky to have my roots in Vienna in the early part of this century and it naturally affected my work in writing for films.“105

Steiner und Korngold haben mit Sicherheit ebenso wie Salter die Musik ihrer Zeit und Umgebung, in der sie aufwuchsen, aufgesogen, sie wurde ein Teil auch ihrer musikali-schen Identität. Diese Identität haben sie später auch in ihrer Filmmusik verarbeitet und als herausragende Protagonisten ihrer Zeit haben sie mit ihrer Tonsprache ebendiese Sti-listik in Hollywood geprägt.

104 Prendergast. S. 41.

105 Hans J. Salter, zit. in: Tony Thomas: The View from the Podium. A.S. Barnes and Co. New Jersey, 1979. S. 106.

Hinzu kommt natürlich der Einfluss Wagners, der mit seinem Musiktheater die mu-sikalischen Formeln der Leitmotivik und der suggestiven Harmonik geprägt hat. Schön-berg schreibt in seiner Harmonielehre, dass das Fehlen von funktionsharmonischen Strukturen ein Erkennungsmerkmal der romantischen Oper sei:

„Denn die einzige musikalische Kunstform, die ein solches [tonales; d.  A.] Zentrum nicht hat, die Oper, ist bloß ein Beweis für die andere Möglichkeit: für die aufgehobene Tonalität.“106

Diese Verwendung von musikdramatischen Gestaltungsmitteln, wie die einerseits vielge-staltige motivische Arbeit mit mehreren klar zugeordneten musikalischen Leitmotiven, die Kunst der Verschmelzung und Überleitungen der Motive sowie der suggestive Ge-brauch der Harmonien rücken Richard Wagner in die Nähe der Rolle des Wegbereiters der modernen Filmmusik, eines Mediums, von dem er zu Lebzeiten selbstverständlich nicht einmal im Entferntesten annehmen konnte, dass dies jemals existieren würde. Die Bedeutung der Arbeit Richard Wagners für die Filmmusik hat Max Steiner selber einmal in einem Interview mit Tony Thomas recht eindeutig definiert.

„Listen to the incidental scoring behind the recitatives in his operas. If Wagner had lived in this century, he would be the Number One film composer.“107

Es gibt natürlich strukturell bedingte Unterschiede. Als Filmkomponist hatte Steiner, anders als sein Vorbild Wagner, nicht mehrere Stunden Zeit, Handlung und Musik in epischer Breite oder undurchsichtiger Raffinesse voranzubringen, sondern hatte in kur-zen Takes von manchmal nur 10 bis 30 Sekunden diese dramaturgischen Aufgaben zu erfüllen. Um so mehr ist denn auch das musikalische Schaffen Steiners wie ein Destillat seiner europäischen Vorläufer zu sehen. Einerseits weist uns das Studium der Partitu-ren Wagners, aber auch Mahlers, Debussys oder Strawinskys den Weg zum Verständnis von Komponisten wie Steiner, Korngold oder Newman, die diese Kompositions- und Orchestrierungstechniken in einen neuen Kontext eingebunden haben. Andererseits ist die sinfonische Filmmusik, wie sie im Übrigen heutzutage wieder von Protagonisten wie John Williams komponiert wird, eine legitime Form der Weiterführung der modernen sinfonischen Musik, wenn auch, im Hinblick auf den auf rein kommerziellen Erfolg hin ausgerichteten Studiobetrieb in Hollywood, eine äußeren Zwängen unterworfene.

106 Arnold Schönberg: Harmonielehre. Universaledition, 1986. S. 445.

107 Zit. in: Tony Thomas: Max Steiner: Vienna, London; New York and Finally Hollywood. S. 19.

In der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre hat man in Hollywood übrigens mehrere halb-herzige Versuche unternommen, berühmte zeitgenössische Komponisten unter Vertrag zu nehmen. 1936 kamen Gerüchte auf, dass sich Paramount bei der sowjetischen Regie-rung um eine Freistellung von Dmitri Schostakowitsch bemüht hätte. Im April 1937 gab es Spekulationen in der New York Times, dass Igor Strawinsky das Angebot angenom-men hätte, die Music für Snow White and Rose Red zu schreiben. Und Arnold Schönberg wollte angeblich die Musik zu Souls at Sea komponieren. Allerdings, so hieß es weiter, sollte Ralph Rainger eine zweite Musik schreiben, nur als Notfall … Alle diese Versuche, durch die Verpflichtung bedeutender europäischer Komponisten ein stärkeres musikali-sches Profil zu erlangen (abgesehen von der Publicity), sind relativ schnell gescheitert. So hat zum Beispiel Schönberg, so sagt man, $ 100.000 gefordert, dazu ein Jahr Zeit, totale künstlerische Freiheit und Mitspracherecht bei der Story. Er hat keine einzige Filmmusik geschrieben, hat aber während seiner Zeit in Hollywood einigen Filmkomponisten, wie David Raksin oder Ralph Rainger, Unterricht gegeben. Schnell kehrte man diesen halb-herzigen Versuchen den Rücken und kehrte zur vertrauten und erfolgreichen Tonsprache zurück.108

108 Siehe Prendergast. S. 45 ff.

Abb. 2. Max Steiner bei der Arbeit. Man sieht links eine Skizze und rechts ein Click-sheet.

Im Dokument Der Filmkomponist Max Steiner (Seite 66-70)