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Farben des Auges (Biologie 9. Klasse)

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Während die Biologie-Epoche der 12. Klasse einen Überblick über die Stellung des Menschen in der Naturgeschichte verschafft und dadurch doch eine eher theoretische Ausrichtung hat, ist der Schwerpunkt der Biologie-Epoche der 9. Klasse der menschliche Organismus, so wie er sich konkret in die Welt stellt, und eröffnet damit eine Fülle von Möglichkeiten, sich beobachtend und experimentell gerade den Sinnen des Menschen zu nähern. Und auch hier bietet unsere Farbwahrnehmung einen phänomenologisch ergiebi-gen und pädagogisch ebenso eindrucks- wie wirkungsvollen Zugang.2

Nachdem die Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage einfacher psychophysischer Experimente3 den Aufbau des Auges kennen gelernt haben, kann man sich dem Aufbau und der Funktionsweise der Netzhaut zuwenden. Man wird hier die Eintrittsstelle des Sehnervs, den blinden Fleck, mit den üblichen Experimenten identifizieren können. Und man wird auch die Sehgrube als Ort des schärfsten Sehens entdecken, wenn man ein Muster sehr kleiner Punkte anbietet, in dem in einem bestimmten Abstand nur noch die Punkte getrennt voneinander wahrgenommen werden können, deren Licht auf eben diese Sehgrube fällt – während der Hintergrund im Grau verschwimmt (Abb. 1). Hat man die

Sehgrube identifiziert, sollte man die Unterscheidung von zwei Klassen von Sinnesele-menten oder Sinneszellen einführen: Es gibt einmal die Zapfen, die wenig lichtempfind-lich, farbspezifisch und besonders dicht in der Sehgrube angeordnet sind, während sie außerhalb der Sehgrube weniger dicht verteilt sind. Außerdem findet man in der Netzhaut die Stäbchen, die stark lichtempfindlich, nicht farbspezifisch und nicht in der Sehgrube vorhanden sind.

Sinneszellen der Netzhaut

Jede dieser Sinneszellen ist mit einem lichtempfindlichen Pigment (Sehfarbstoff) gefüllt, das bei Belichtung zerfällt und dabei eine elektrochemische Potenzialänderung hervor-ruft, die in ein elektrisches Signal verwandelt wird (Aktionspotenzial). Dieses Signal wird zu den Ganglienzellen der Netzhaut geleitet, wo eine erste Verarbeitung erfolgt, deren »Ergebnis« in Form weiterer Aktionspotenziale über den Sehnerv zum Gehirn geleitet wird. Werden die Sinneszellen nicht mehr belichtet, dann wird der Sehfarb-stoff regeneriert. Dies geschieht in der Dunkelheit, aber auch schon dann, wenn wir im Hellen dunkle Oberflächen betrachten. Wie in diesem Prozess Farben entstehen, sollte man im Unterricht über die Young-Helmholtzsche Theorie erklären.4 Diese Theorie geht davon aus, dass es in unserer Netzhaut drei Typen von Zapfen gibt, die verschiedene Sehfarbstoffe enthalten: Erythrolabe, Chlorolabe und Cyanolabe. Erythrolabe hat ein Empfindlichkeitsmaximum bei langwelligem Licht, also bei Licht, das der Mensch

un-Abb. 1: Verändern Sie den Abstand der grauen Fläche von Ihren Augen so weit, bis Sie an der Stelle, auf die Sie schauen, gerade noch die kleinen Punkte unterscheiden können. Ein mandelför-miger Teil des Bildes wird dann ein Punktmuster vor einem grauen Hintergrund ergeben. Diese Fläche entspricht dem Teil des Bildes, der auf die Sehgrube (den Ort des schärfsten Sehens auf der Netzhaut) projiziert wird.

ter normalen Bedingungen rot wahrnimmt. Chlorolabe ist am empfindlichsten für Licht mittlerer Wellenlänge, also für Licht, das der Mensch unter normalen Bedingungen grün wahrnimmt. Cyanolabe hat ein Empfindlichkeitsmaximum bei kurzwelligem Licht, also bei Licht, das der Mensch unter normalen Bedingungen als blau(violett) empfindet. Man nennt diese drei Zapfentypen nach den entsprechenden Farbempfindungen R-, G- und B-Zapfen (für rot, grün und blau). Diese B-Zapfen sind durch die Ganglienzellen der Netzhaut so verschaltet, dass zwei »Farbkanäle« entstehen: ein Rot-Grün-Kanal und ein Blau-Gelb-Kanal. Über den Rot-Grün-Kanal wird die Aktivität der R- und G-Zapfen miteinan-der verglichen, so dass bei Überwiegen miteinan-der Aktivität miteinan-der R-Zapfen eine Rotempfindung auftritt, bei Überwiegen der Aktivität der G-Zapfen eine Grünempfindung. Komplizierter aufgebaut ist der Blau-Gelb-Kanal. Hier wird die Aktivität der R- und G-Zapfen mit der Aktivität der Blauzapfen verglichen. Es entsteht eine Blauempfindung, wenn die letztere überwiegt und ein Gelbempfindung, wenn die erstere stärker ist (bzw. eine Grün- oder Rotempfindung, wenn R- und G-Zapfen unterschiedlich aktiv sind). Keine Farbemp-findung tritt jeweils bei gleicher Erregung aller Zapfen auf. Wir nehmen dann, je nach Lichtintensität, weißes oder graues Licht wahr.

Wahrnehmen von Farbmischungen

Diese zunächst sehr abstrakt anmutende Theorie kann nun viele Experimente und Be-obachtungen erklären, die man die Schüler durchführen lassen kann. Hierzu gehören zunächst positive Farbmischungen, die man, anders als die negativen Farbmischungen, beim Mischen von Farbpigmenten in der Palette, durch das Mischen von Licht erhält.

Man kann dafür zwei bis drei Diaprojektoren verwenden, die man auf eine weiße Wand richtet und mit Folien verschiedener Farben versieht. Man kann sich die gleichen Effekte aber auch an einer Bühnenbeleuchtung deutlich machen. Mischt man grünes Licht, das die G-Zapfen erregt, mit rotem Licht, für das die R-Zapfen empfindlich sind, dann ergibt sich, ganz wie die Theorie es vorhersagt, gelbes Licht. Mischt man rotes mit blauem Licht ergibt sich Purpur, mischt man grünes mit blauem Licht, erhält man türkis. Mischt man rotes, blaues und grünes Licht so, dass alle drei Zapfentypen gleichmäßig erregt werden, erhält man weißes Licht. Gerade wenn die Schüler mit positiven Farbmischun-gen aus dem Unterricht der Klassenlehrerzeit noch nicht vertraut sind, wird man einiges Erstaunen erwarten können, wenn die Beobachtungen nicht etwa die Erinnerungen an die eigenen Farbkästen, sondern die Young-Helmholtzsche Theorie bestätigen.

Die Nachbilder

Noch tiefer eindringen in ein Verständnis der Funktion der Netzhaut kann man über Experimente mit Nachbildern. Man kann diese wieder studieren, indem man mit einem Diaprojektor eine farbige Folie projiziert und danach das Dia entfernt, so dass die weiße Wand beleuchtet wird. Man kann diese Beobachtungen aber auch in Einzel- oder Part-nerarbeit durchführen, indem man die Schüler auf einem Bogen weißen Papiers einen Punkt festlegen und darauf ein farbiges Transparentpapier legen lässt. Nachdem sie etwa 20 Sekunden lang auf den Punkt gestarrt haben, sollen sie das Transparentpapier wegneh-men und den Punkt weiter fixieren. In beiden Fällen wird auf dem weißen Hintergrund ein farbiges Nachbild in der Komplementärfarbe sichtbar: Eine blauviolette Folie bzw. das

entsprechende Transparentpapier ergibt ein gelbes Nachbild und umgekehrt; eine grü-ne Folie gibt ein purpurgrü-nes Nachbild und umgekehrt; eine rote Folie ergibt ein türki-ses Nachbild und umgekehrt. Das gleiche Phänomen kann man sich in Abbildung 2 anschauen. Erklären kann man sich diese Nachbilder mit der Theorie von Young und Helmholtz im erstgenannten Fall so: Dort, wo das Licht der blauvioletten Folie auf die Netzhaut fällt, werden die B-Zapfen er-regt, die R- und G-Zapfen hingegen nicht.

Das heißt, dass in den B-Zapfen ein Abbau von Cyanolabe erfolgt, der die elektroche-mischen Potenziale erzeugt, die im Gehirn zu der Blauempfindung führen. Hingegen erfolgt in den R- und G-Zapfen kein Abbau von Erythrolabe und Chlorolabe. Fällt nun das weiße Licht der Wand oder des Papiers auf dieselbe Stelle der Netzhaut, dann wer-den die R- und G-Zapfen, die noch sehr viel Sehfarbstoff enthalten, stark erregt. Die B-Zapfen hingegen, deren Sehfarbstoff zu einem Teil verbraucht ist, werden nicht so stark erregt. Durch das Überwiegen der Er-regung der R- und G-Zapfen über die der B-Zapfen entsteht eine Gelbempfindung.

Analoge Erklärungen sind für die Umkeh-rung und die anderen Beispiele möglich.

Wir begegnen hier einem Phänomen der

»Farbadaptation«, auf das wir nochmals zurückkommen werden.

Die Zapfentypen – drei Grundfarben Eine Konsequenz aus dieser Theorie, die den Erfahrungen der Schüler mit der Farb-palette wieder entgegenkommt, ist die folgende: Da alle Farbempfindungen des Abb. 2: Schauen Sie etwa 30 Sekunden auf den Punkt in der Mitte eines farbigen Quadrates – ohne die Augen zu bewegen. Blicken Sie danach auf die weiße Fläche neben dem Quadrat, und Sie werden eines der im Aufsatz angesproche-nen Nachbilder sehen.

Menschen durch die Aktivität der genannten drei Zapfentypen zustande kommen, können wir alle Farben aus drei Grundfarben mischen: Blauviolett, Grün und Rot im Falle der positiven Farbmischung, Purpur, Blau und Gelb im Falle der negativen Farbmischung.

Beeindruckend an der Begründung dieser Erkenntnis ist für die Schüler nun gemeinhin, dass die Ursache hierfür nicht etwa in der Physik der Farbe liegt, sondern in der Biologie der Farbe. Hätten wir vier statt drei Zapfentypen in unserer Netzhaut, dann bräuchten wir auch vier Grundfarben, um alle Farben mischen zu können; hätten wir nur zwei Zapfen-typen, dann wären es auch nur zwei Grundfarben. Mit dem ersten Fall wäre allerdings ein wesentlich reicheres Farberleben verbunden, mit dem letzteren ein ärmeres.

Der Vergleich mit dem Farbensehen verschiedener Tierarten illustriert dies nun recht eindrucksvoll. Bekannt ist zumeist das ins Ultraviolett verschobene Farbspektrum der Bienen. Allerdings sind uns diese Insekten immerhin in der Hinsicht ähnlich, dass auch sie über drei Grundfarben verfügen. Bereits erwähnt wurde auch, dass die meisten Säu-getiere keine Farben unterscheiden können, da sie eben keine verschiedenen Zapfentypen ausbilden. Viele weitere Säugetiere weisen zwei Zapfentypen auf, sollten also in einer Farbwelt leben, die sich aus zwei Grundfarben ableiten lässt. Hierzu gehören Eichhörn-chen, KaninEichhörn-chen, Spitzmäuse, Katzen und einige Affenarten. Goldfische und Süßwasser-Schildkröten weisen hingegen vier Zapfentypen, Tauben wahrscheinlich sogar fünf auf.5 Wäre van Gogh also eine Taube gewesen, dann müsste er fünf Grundfarben verwenden, um alle Farben mischen zu können, die er zu sehen in der Lage wäre. Sein Farbempfinden wäre dann so unglaublich reich, wie es für uns schlichtweg nicht vorstellbar ist.

Im Dokument PISA liegt schief (Seite 29-33)