• Keine Ergebnisse gefunden

Fachbereich Sozialpsychiatrie

Im Dokument Zur Diakonie (Seite 70-73)

Am zweiten Tag der Exkursion teilten wir uns auf die verschiedenen Fachbereiche der Gustav-Werner-Stiftung auf. Unsere Gruppe entschied sich für das Kennenlernen des Fachbereiches Sozialpsychiatrie.

Menschen mit seelischen Erkrankungen fin-den im Bereich Sozialpsychiatrie ein gestuf-tes Hilfeangebot vom Ambulanten Dienst über differenzierte Wohn- und Betreuungs-angebote. Arbeitstrainingsmaßnahmen und beschützten Arbeitsplätzen bis hin zur statio-nären Behandlung in der Fachklinik.

Der Fachbereich Sozialpsychiatrie umfaßt folgende Einrichtungen:

- Sozialpsychiatrischer Dienst - Heinrich-Landerer-Krankenhaus

(sozialpsychiatrische Klinik)

- Wohngemeinschaften mit ambulanter Be treuung

- Sozialpsychiatrischer Wohnverbund - Bruderhaus Werkstätten (Werkstatt für psy

chisch Kranke) - Grafische Werkstätte

Im Folgenden greifen wir zwei dieser Ein-richtungen heraus, die wir näher darstellen wollen: den sozial psychiatrischen Dienst und das Heinrich-Landerer-Krankenhaus.

Der sozialpsychiatrische Dienst im Landkreis Reutlingen ist ein ambulantes Beratungs und Betreuungsangebot für psychisch kran-ke Einwohner des Landkreises Reutlingen und für deren Angehörige. Menschen, die auf Grund ihrer Erkrankung unter psychischen Störungen und sozialen Beeinträchtigungen leiden, sollen bei ihrem Leben in der Gemeinde unterstützt und begleitet werden, Krankheitsrückfälle und erneute Klinikeinweisungen soweit wie möglich verhindert werden.

In einem eineinhalbstündigen Gespräch mit dem Einrichtungsleiter Rainer Kluza wurden wir über die Arbeit des sozialpsychiatrischen Dienstes informiert:

- Entstehung

Zu Beginn der 80er Jahre wurden in Baden-Württemberg sozial psychiatrische Dienste in einigen Regionen im Rahmen eines Modell-projektes eingerichtet. Ausschlaggebend hierfür waren die Ergebnisse einer Psycha-trie-Enquete. Mitte der 70er Jahre hatte eine große Untersuchung über die deutsche Psychiatrie aufgezeigt, daß die Versorgung im psychiatrischen Bereich durch große In-stitutionen (ca. 2000 Betten) und eine über-wiegend stationäre, gemeindeferne Betreu-ung gekennzeichnet sei und das es massive Versorgungslücken in den Bereichen von psychischen Alterskranken, Suchtkranken, Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen und chronisch psychisch-kranken Menschen gebe.

So sollten die neu eingerichteten Dienste vor allem chronisch psychischkranken Men-schen Hilfsangebote geben oder vermitteln und ein Leben im Lebensbereich ermögli-chen, indem der Aufenthalt in Institutionen ganz vermieden oder minimiert würde.

Die Aufgaben sollten Prävention, Kriseninter-vention, Nachsorge und Koordination ver-schiedener Dienste umfassen. Diese Arbeit sollte durch ein multiprofessionelles Team (Psychologe, Pädagoge, Mediziner, Pfleger) mit einem Verhältnis von 1:10.000 (eine Fachkraft auf 10.000 Einwohner) geleistet werden.

- die Arbeit des sozialpsychiatrischen Dienstes

Gegenüber den ursprünglichen Vorstellun-gen liegt der Betreuungsschlüssel heute bei

1:50.000! So liegt der Aufgabenschwerpunkt auf der Nachsorge: bereits psychisch erkrankte Menschen werden in und nach ei-nem Aufenthalt in Institutionen und in akuten Krisen betreut. Für ersterkrankte Menschen kann der sozialpsychiatrische Dienst kein Angebot machen, sie werden an die nieder-gelassenen Ärzte verwiesen.

Der sozialpsychiatrische Dienst arbeitet in erster Linie mit der 'Geh-Struktur', nicht nur mit der 'Komm-Struktur'. Dies ist sehr wich-tig, um die Zugangsschwelle herabzusetzen.

Ziel der Arbeit ist es, den Betroffenen zum Experten seiner Erkrankung zu machen, ihn zu befähigen Frühwarnzeichen zu erkennen.

Der psychiatrische Dienst versucht, mög-lichst flexibel auf individuelle Problemlagen einzugehen.

- das Team

Das Team des sozialpsychiatrischen Dien-stes setzt sich aus einem Sozialpädagogen, einem Psychologen, einem Sozialarbeiter, einem Psychiatriepfleger und einer Sozial-pädagogin, die zugleich Krankenschwester ist, zusammen. Alle Fachkräfte verfügen über eine langjährige Berufserfahrungen.

Notwendig wäre auch die ständige Mitarbeit eines Psychiaters/Psychiaterin, der/die zu den Gesprächen mitkommt und Medika-mente verschreiben kann. Der sozial-psychiatrische Dienst darf aber keine Ärzte mit Behandlungskompetenz anstellen und ist so auf die Zusammenarbeit mit den nieder-gelassenen Ärzten und Ärztinnen angewie-sen. Dies ist insofern problematisch, da zum einen vor allem psychotisch erkrankte Men-schen von sich aus nicht zum Arzt gehen, zum anderen sich aber aufwendige Hausbe-suche (häufig sind mehrere VerHausbe-suche not-wendig, bis ein persönlicher Kontakt mit dem Betroffenen aufgenommen werden kann) für den niedergelassenen Arzt finanziell nicht lohnen. Trotzdem kooperieren in Reutlingen der sozialpsychiatrische Dienst und die nie-dergelassenen Ärzte recht gut miteinander.

Alle 14 Tage findet eine Supervision mit ei-nem externen Supervisor statt.

- Finanzierung

Der sozialpsychiatrische Dienst in Baden-Württemberg wird durch eine Pauschalfinan-zierung, an der das Bundesland mit 36%, der Landkreis mit 36%, die Krankenkassen mit

20% und die Gustav-Werner-Stiftung als Trä-ger mit 8% beteiligt sind, finanziert.

In anderen Bundesländern sind die sozial-psychiatrischen Dienste den Gesundheitsäm-tern angegliedert.

Die Fachklinik für Sozialpsychiatrie (Heinrich-Landerer-Krankenhaus), die seit 1964 exi-stiert, kann auf zwei offenen Abteilungen je-den Erwachsenen, der in eine psychische Krise geraten ist, bei der ambulante Hilfe nicht ausreicht, aufgenommen werden, vor-ausgesetzt, es liegt keine Suchterkrankung vor (auch keine Neurosen, keine psychoso-matischen Erkrankungen).

Ziel dieses Rehabilitationsangebots ist die Verwirklichung des individuell höchst mögli-chen Maßes an persönlicher Autonomie und psychischer Stabilität.

Die Patienten bestehen aus einem sehr un-terschiedlichen Klientel. Es gibt drei Haupt-gruppen:

a) Schizophrenie, schizophrene Psychose Bei den schizophrenen Patienten unterschei-det man zwischen drei Gruppen:

1. Menschen, die nur einmal im Leben er kranken (einmaliger Schub)

2. Menschen, die mehrere Schübe in ihrem Leben haben

3. chronisch Kranke, die sich mit ihren Schüben einrichten

b) endogene Depressionen

Die Menschen erkranken meist zwischen 50 und 60 Jahren ohne nach außen hin erkenn-baren Grund. Die Genese der Erkrankung ist relativ unklar, es existieren biochemische Befunde (Stoffwechselerkrankung im Gehirn;

Störungen der Neurotransmitter), wobei nicht erwiesen ist, ob diese Ursache oder Folge des Krankheitsbildes sind.

c) geistig behinderte Menschen mit zusätzli cher psychotischer Erkrankung

Der Tagesablauf läßt sich wie folgt darstellen:

nach gemeinsamen Frühstück gibt es Be-schäftigungstherapie, Bewegungstherapie und verschiedene andere Therapiegruppen.

Nachmittags werden Beschäftigungsange-bote außerhalb des Hauses gemacht. Ziel hierbei ist es unter anderem, die Rückfüh-rung in die Umwelt zu üben.

Auch Gespräche mit Angehörigen werden zunehmend für wichtig gehalten, da das häusliche Umfeld bei der Entstehung der Krankheiten immer mehr in Betracht gezo-gen wird.

Die Nachsorge erfolgt oft durch den sozial-psychiatrischen Dienst, oder die Menschen finden Rat und Hilfe in den ambulant betreu-ten Wohngruppen, wenn sie noch nicht al-leine leben können.

Insgesamt gibt es viele Stufen der Wieder-eingliederung in der Gustav-Werner-Stiftung (z.B. ist es möglich, auswärts zu arbeiten und in der Klinik zu schlafen).

Insgesamt hat der Fachbereich Sozial-psychiatrie einen guten Eindruck bei uns hinterlassen. Da uns sowohl die Fachkennt-nis als auch Vergleichsmöglichkeiten fehlen, können und wollen wir die Arbeit des Fach-bereiches nicht beurteilen.

Positiv aufgefallen ist uns jedoch, daß die Einrichtungen von ihrer Größe her über-schaubar und gut vernetzt sind. So scheint der Rahmen für einen guten persönlichen Kontakt zwischen Betreuerinnen/Betreuern und Betreuten, der die Autonomie und Per-sönlichkeit des einzelnen so weit wie möglich bewahrt, gewährleistet zu sein. Überall sind Bemühungen deutlich spürbar, die psychisch erkrankten Menschen bei ihrem Leben in ih-rem Umfeld zu unterstützen und nur bei Be-darf auf stationäre Hilfeangebote zurückzu-greifen. Diese hohe Flexibilität in der Arbeit bezüglich der individuellen Bedürfnisse des Einzelnen ist unseres Erachtens nur möglich durch die gute Vernetzung in der Gustav-Werner-Stiftung.

Wir sind überall sehr gastfreundlich empfan-gen worden und fanden für unsere Fraempfan-gen jederzeit ein offenes Ohr. Hierfür möchten wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Fachbereiches Sozialpsychiatrie herzlich danken.

V. Exkursion nach Bad Kreuznach

Ursula Schoen-Gieseke/Renate Zitt

Exkursion zu den Diakonie-Anstalten Bad Kreuznach vom 17.-19. Juni 1993

Die Diakonie-Anstalten Bad Kreuznach, die 1989 ihr 100jähriges Bestehen feierten, stel-len mit ihren zahlreichen Außenstelstel-len die größte diakonische Einrichtung im Süden der Rheinischen Landeskirche dar. Zunächst gegründet zur Betreuung geistig und körperlich behinderter Menschen, ent-wickelte sich bald - unter dem Einfluß und in Zusammenarbeit mit Kaiserswerth - eine Ausbildungsstätte für Diakonissen. Das evangelische Krankenhaus und zahlreiche pädagogische Einrichtungen der Diakonie-Anstalten haben hier ihren Ursprung.

Anfang der 30er Jahre kam die Dia-konenschule Paulinum hinzu.

Heute leben in den Diakonie-Anstalten über 2000 Menschen. Die Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist etwa genauso hoch. Ob-wohl die betriebswirtschaftliche und geistli-che Leitung der Einrichtung in den Händen eines Direktoriums liegt, sind die einzelnen Arbeitsgebiete organisatorisch voneinander getrennt und bilden eigene Einheiten.

Ziel der Exkursion war es, Struktur und Ar-beitsweisen einer diakonischen Großeinrich-tung kennenzulernen und ihre Chancen und Probleme im Spannungsfeld von Kirche und Sozialstaat zu reflektieren. Dies erfolgte über

das Kennenlernen einzelner Praxisfelder so-wie durch die Begegnung mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus den einzelnen Ar-beitsgebieten.

Insgesamt war die Resonanz auf die Erfah-rungen in Bad Kreuznach sehr positiv. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen waren von der Verschiedenartigkeit der Arbeitsbereiche und der Intensität, mit der die Arbeit reflek-tiert und begleitet wird, beeindruckt. Leider war die Zeit zu kurz, um alle Bereiche der Ar-beit kennenzulernen. Bei den vielen intensi-ven Einzelbegegnungen der Tage war es schön, zu hören und zu erleben, daß auch eine diakonische Großeinrichtung nicht ein introvertierter Koloß ist, sondern in vielfältiger

Weise den Dialog mit anderen diakonisch und sozial engagierten Menschen und Grup-pen der Gesellschaft sucht und auf diese Weise dem diakonischen Handeln der Chri-sten viele Gesichter gibt.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ex-kursion haben sich freundlicherweise in großer Zahl bereiterklärt über einen Bereich, der ihnen besonders eindrucksvoll war, einen Bericht zu verfassen. Doppelungen waren -angesichts der Kürze der Exkursion - nicht zu vermeiden. Es werden hier jedoch alle Artikel abgedruckt, da so gerade die unterschiedli-chen Perspektiven und die Vielfalt der Ein-drücke deutlich werden.

Pamela Barke

Im Dokument Zur Diakonie (Seite 70-73)