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F ORSCHUNGSGEGENSTAND

Im Dokument DIPLOMARBEIT,/,DIPLOMA,THESIS, (Seite 5-8)

1. EINFÜHRUNG

1.1. F ORSCHUNGSGEGENSTAND

Der Tod und das Wissen über die eigene Sterblichkeit bestimmen das menschliche Bewusstsein.1 Der Gedanke an den Tod ist ein emotionaler, denn jeder fühlt sich davon betroffen und ist sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst. Dennoch weiß niemand, was auf einen im Moment des Sterbens zukommt und was danach sein wird. Niemand kann uns davon berichten, und auch die Wissenschaft kann diese Erfahrung nur am Rande erklären. Diese Ungewissheit beschäftigt die Menschen in allen Kulturen und Zeiten. Das Todesbewusstsein ist eine anthropologische Konstante. Der Umgang damit, die Rituale, die mit dem Tod verbunden sind, die Vorstellung vom Tod und dem Danach variieren historisch, kulturell und religionsspezifisch. So sind Christen von einem Leben nach dem Tod im Jenseits überzeugt, Hindus glauben an eine Wiedergeburt. Sie alle eint die Frage nach dem Sinn des Lebens und dem idealen Tod. Heute wünschen sich viele einen schnellen, schmerzfreien Tod, früher war das Ideal ein vorbereiteter Tod, sodass man in Ruhe mit sich, den anderen und Gott Frieden schließen kann. Starb man früher zumeist im Kreis der Familie, scheiden heute die meisten isoliert in Krankenhäusern aus dem Leben. Der Tod wird in die Unsichtbarkeit gedrängt. Er hat die Sexualität als größtes gesellschaftliches Tabu abgelöst.2 Der Umgang mit dem Tod, die Vorstellung vom Tod und die Bilder, die wir uns in Literatur und Kunst von ihm machen, beeinflussen unser Menschenbild.

Das Wissen um die eigene Sterblichkeit beunruhigt. Das drückt sich sprachlich durch eine Vielzahl an Euphemismen aus, durch die man versucht, das Sterben nicht aussprechen zu müssen. Die Metapher des Schlafes, des ewigen Schlafes ist dabei eine geläufige. Ebenso finden wir im Deutschen ‚entschlafen’, ‚den Geist aufgeben’ und andere Formulierungen, die den Tod karikieren und versuchen, ihn auf diese Weise fassbar zu machen. Im Französischen ist der Tote der ‚défunt’, derjenige, ‚qui a accompli, achevé sa vie’ (lat. defunctus). Der Tod symbolisiert ein absolutes Ende von etwas Positivem: vom Leben eines Menschen, einer Pflanze, einer Freundschaft oder einer Epoche. Die Existenz ist vergänglich und zerstörbar. Die Symbolik des Todes ist im Irdischen verankert, nimmt doch das Positive auf der Erde sein Ende, und ist gleichzeitig mit dem Überirdischen, Himmlischen, Transzendenten verbunden. Der Tod

1 cf. Bataille 2011: 34-35

2 cf. Hutter 2005: 380

symbolisiert den Eingang in eine andere Welt: Paradies oder Hölle, Wiedergeburt in einem neuen Leben. Er ist ein Tor, eine Passage und nur durch ihn wird der Durchtritt in diese neue Sphäre ermöglicht.3

Obwohl sich Menschen ihrer Sterblichkeit bewusst sind, fragen sie nach Erklärungen für einen Todesfall bzw. fragen sie danach, wo der Tod seinen Ursprung nimmt. Viele Mythen sehen einen Zusammenhang zwischen dem Tod und dem Bösen und zwischen Tod und Sexualität, wobei die Verbindung von Tod und Leben, das durch Sexualität entsteht, hergestellt wird.4 Die christliche Erzählung vom Sündenfall vereint beide Zusammenhänge. Durch die Verführung Evas beißt Adam in den verbotenen Apfel, der vom Bösen, verkörpert durch die Schlange, angeboten wird. Die beiden werden aus dem ewigen Paradies vertrieben und bringen so die Erbsünde und die Sterblichkeit ins Leben der Menschen. Der Ursprung des Todes wird in allen Kulturen zu erklären versucht. Dabei reichen die Erklärungen von einer gottgewollten oder natürlichen Bestimmung des Menschen zu sterben, dem Ergebnis eines Streits zwischen Göttern oder der Unvollkommenheit des Menschen über eine falsche Entscheidung, die die Menschen getroffen haben oder ihrem Ungehorsam gegenüber Gott bis hin zu der Annahme, dass der Mensch selbst nach dem Tod verlangt.5

Im Mittelalter wird der Tod in der Literatur auf vielfältige Weise thematisiert. Dies ist nicht verwunderlich, umfasst doch die mittelalterliche Literatur einen Zeitraum von fast tausend Jahren. In den Chroniken wird vom Tod von Herrschern berichtet, in den Hagiografien das Leiden und Sterben der Märtyrer beschrieben, in den Heldenepen sterben die Protagonisten einen heroischen Tod, in der höfischen Literatur werden Feinde ermordet und sind die Liebenden zum Liebestod bereit und in der Lyrik wird melancholisch das Sterben besungen.

Dies sind nur einige Beispiele, um die Präsenz dieses Themas in der mittelalterlichen Literatur ansatzweise zu verdeutlichen.

Anhand von literarischen Texten aus dem Mittelalter untersucht diese Arbeit die Darstellung und Wahrnehmung des Todes in der mittelalterlichen Gesellschaft. Im Zusammenhang mit der Dichtung Villons erläutert Stierle den Wert der Literatur als historisches Zeugnis. Gedichte entstehen in historischer Situation, sind also geschichtlich und transzendieren gleichzeitig die Historie. „Das Gedicht ist eine geschichtliche, das heißt in der Geschichte sich gegen die Geschichte behauptende Tatsache eigenen Rechts.“6 Die poetische Realität ist in Abgrenzung von der Realität „ (...) ein geschichtliches Faktum zweiten Grades:

3 cf. Chevalier/Gheerbrant 1982: 650-651

4 cf. Hutter 2005: 375

5 cf. Hutter 2005: 375

6 Stierle 1993: 191

(sie) lenkt den Blick auf die geschichtliche Situation zurück und gibt ihr eine deutende Gestalt, und (...) lenkt den Blick über die Situation hinaus ins Offene menschlicher Erfahrung.“7 Literatur kann uns eine historische Welterfahrung vermitteln; in der vorliegenden Arbeit im Speziellen die Todeserfahrung. Die Art, wie der Tod dargestellt wird und welche Gebräuche rund um ihn gestaltet werden, geben sehr viel Aufschluss über eine Gesellschaft. Der mittelalterliche Mensch ist in seinem Leben und Denken stark vom Christentum geprägt. Ziel ist die Sicherung des Seelenheils durch Taten und Tugenden, um das ewige Leben zu erlangen.

Die primäre Sorge gilt nicht dem Tod an sich, sondern der Zeit danach: dem Jüngsten Gericht.

Der Mensch hoffte, ins Paradies zu gelangen, und fürchtete, das ewige Leben in der Hölle zubringen zu müssen. Im Laufe des Mittelalters wurde der Tod an sich immer wichtiger.8 Die Lebenserwartung war im Mittelalter relativ niedrig und alte Menschen stellten eine Ausnahme dar. Somit ist es nicht verwunderlich, dass sie besonders hohes Ansehen genossen. Es ist das Bild eines alten, weisen Mönches, da ältere Menschen das Wissen und die Erfahrung der Vergangenheit in ihrem Gedächtnis trugen. Ältere Frauen hingegen hatten einen schlechten Ruf, sie galten als Hexen. Ab dem 11. und 12. Jahrhundert lässt sich ein Wandel in der Wahrnehmung des Todes feststellen: Der Tod wird individualisiert und man stellt sich die Frage, was der Körper und das Leben auf der Erde angesichts des Todes wert sind. Der Tod wird zu einer zerstörerischen, bedrohlichen Kraft, als ab dem 14. Jahrhundert der Pest ein Drittel der Bevölkerung Europas zum Opfer fiel. Diese Krankheit brachte den Tod mit sich und erschütterte das Verhältnis von Verstorbenen und Lebenden. Die Pest streute Panik und Schmerzen.9 Das Bild des Todes wird bis zum 15. Jahrhundert immer dramatischer. Die Angst vor der Pest zeigt sich deutlich in den Texten und Bildern des 14. Jahrhunderts. Der Tod ist weiterhin im Leben der Menschen präsent, in den Texten als auch in den Bildern der Zeit. Eine neue Kunst wurde geschaffen: l´art macabre.10 Diese Ausdrucksform ist das Ergebnis der Reflexion über das Leben und den unausweichlichen Tod, in einer Epoche, in der Kriege, Hungersnot und die Pest die Bevölkerung dezimierten. Diese Kunst bringt die Vergänglichkeit sozialer Unterschiede und den Tod mit seinen Schrecken zum Ausdruck.

Die mittelalterliche Literatur wurde im Rahmen meines Französischstudiums meist nur am Rande behandelt. Durch mein Germanistikstudium und meinen Studienaufenthalt an der Sorbonne Nouvelle, wo ich zwei Semester lang einen Altfranzösischkurs belegte, wurde meine

7 Stierle 1993: 191

8 cf. Le Goff 2007: 161-162

9 cf. Le Goff 2007: 120-124

10 cf. Le Goff 2007: 143-149

Begeisterung für diese Literatur geweckt. Vieles in den mittelalterlichen Texten mutet heutigen LeserInnen fremd an und ist gleichzeitig doch vertraut. Es weckt die Neugierde, eröffnet andere Vorstellungs- und Erfahrungswelten und erzählt viel über das Leben und die Erfahrungswelt in einer mittelalterlichen Gesellschaft. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Mittelalter einen Zeitraum von über tausend Jahren umfasst und keineswegs einförmig war. Diese lange Epoche stellt neben der Antike die ideengeschichtliche Basis für das heutige Europa dar. Erst um 1800 vollzog sich ein markanter Bruch: In der so genannten „Sattelzeit“11 von 1750 bis 1850 setzten sich die Episteme der Aufklärung durch und verdrängten mittelalterliche Ordnungsschemata in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft nach und nach. Es ist auch im Zuge dieses Zeitperiode, dass sich der Umgang mit Toten radikal ändert. Gerade im Mittelalter ist der Tod im Leben und somit auch in der Literatur und der bildenden Kunst äußerst präsent und wird detailliert geschildert. Dieser schonungslose Umgang mit diesem Thema in der Literatur ist, was mein Interesse erweckte.

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