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Exkurs: Zentrismen und Zentrismuskritik

Im Dokument DIPLOMARBEIT. Titel der Diplomarbeit: (Seite 36-41)

2. Interkulturelle Philosophie

2.3 Aufgaben der interkulturellen Philosophie

2.3.1 Exkurs: Zentrismen und Zentrismuskritik

Franz Martin Wimmer unterscheidet drei Arten von Zentrismus: den expansiven, den integrativen, den separativen und noch einen vierten, der m.E. eigentlich kein Zentrismus ist, nämlich den tentativen. Jeder von ihnen bezeichnet das Verhältnis

90 Vgl. Mall 1995, S. 11; Vgl. auch: Mall: „Interkulturelles Philosophieren ist eine Kritik aller Zentrismen – ob europäisch oder außereuropäisch.“, in: „Viertelhundert Polylog. Gespräche. Fünf Fragen zu interkultureller Philosophie, zu Polylog und zu POLYLOG an sechs PhilosophInnen.“, in:

polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, Nr. 25, 2011, S. 10.

91 Bertold Bernreuter, „Zentrik und Zentrismen interkultureller Philosophie. Praxis und Fiktion eines Ideals“, in: polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, Nr. 25, 2011, S. 102.

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eines Zentrums zu den anderen. Wichtig ist noch anzumerken, dass die drei Arten des Zentrismus nur idealtypisch zu unterscheiden sind. In Wirklichkeit finden sich so klar voneinander abgegrenzte Zentrismen nicht.92

Der expansive Zentrismus geht von einem Zentrum aus, das überzeugt davon ist, im Besitz einer einzigen Wahrheit zu sein. Als solches, sieht es als durchaus gerechtfertigt, mit allen nötigen Mitteln die anderen Zentren zu beeinflussen, um diese Wahrheit in ihrer Allgemeingültigkeit anzuerkennen. Es hört nicht auf sich zu expandieren bis alle Zentren diese Wahrheit als ihre eigene angenommen haben.

Diese Art von Zentrismus lehnt von Grund auf jede alternative oder konkurrierende Sichtweise ab. Die Andersheit gehört beseitigt. Die Idee, dass die übernommenen Sichtweisen sich mit jenen der anderen Zentren vermischen und sich dadurch verändern oder sogar verbessern können, findet hier keinen Platz. Kolonialisierung und religiöse Missionierung sind nur einige Beispiele für den expansiven Zentrismus.93

Der integrative Zentrismus zeichnet sich dadurch aus, dass er, ähnlich wie der expansive, nicht an der eigenen Universalität und Richtigkeit zweifelt und diese gar nicht in Frage stellt. Aber statt sich aggressiv durchzusetzen, wie das beim expansiven Zentrismus oft der Fall ist, versucht hier das eine Zentrum sich im guten Lichte darzustellen, um auf diese Weise andere Zentren anzuziehen. Das Motto des integrativen Zentrismus kann mit folgenden Worten beschrieben werden: Wenn die Anderen einmal einsehen, dass unsere Sichtweise (Lebensform, Wahrheit, Staatsordnung, etc.) die einzig richtige ist, werden sie sich diese selbst aneignen. Das Ziel bleibt jedoch gleich wie beim expansiven Zentrismus: eigene Sichtweise(n) verbreiten, andere abweisen und/ oder beseitigen, keine Kompromisse zulassen.94 Beispiele für diese Art von Zentrismus lassen sich in der chinesischen Philosophie, insbesondere im Konfuzianismus auffinden.95 Beide, der expansive und der integrative Zentrismus, sind Beispiele für den (philosophischen oder kulturellen) Universalismus.96

92 Vgl. Wimmer 2004, S. 15f.; Zu Zentrismen generell vlg. auch: Franz Martin Wimmer, „Polylogische Forschung“, in: Theo Hug (Hg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen?. Einführung in die Methodologie der Sozial- und Kulturwissenschaften, Bd. 3, Baltmannsweiler 2001, S. 389ff.

93 Vgl. Wimmer 2004, S. 15, S. 54.

94 Vgl. ebd., S. 15.

95 Vgl. ebd., S. 56.

96 Vgl. ebd., S. 16.

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Dagegen ist der separative oder multiple Zentrismus ein Beispiel für den (philosophischen oder kulturellen) Relativismus. Er zeichnet sich dadurch aus, dass mehrere Zentren nebeneinander, aber nicht miteinander existieren. Die Pluralität statt der Universalität ist hier angestrebt. Jedes Zentrum lässt sozusagen andere Zentren in Ruhe und wird von ihnen in Ruhe gelassen. Es besteht für sich alleine, unabhängig von den anderen. Innerhalb eines Zentrums herrscht die Toleranz gegenüber der Andersheit, die aber aufhört, sobald man sich außerhalb des Zentrums befindet. Die anderen Zentren werden nicht anerkannt oder akzeptiert, sie werden höchstens toleriert, aber meistens werden sie – schlicht und einfach – ignoriert. Irgendeine Art von Austausch ist unter solchen Umständen unmöglich. Diesem Zentrismus begegnen wir immer dort, wo von „unüberbrückbaren Unterschieden“ zwischen zwei (kulturell differenten) Denkweisen geredet wird. Jeder Versuch einer Kommunikation oder Argumentation wird als vergeblich gesehen. Die Ethnophilosophie ist an dieser Stelle ein sehr gutes Beispiel.97

Nach der Beschreibung der drei Arten von Zentrismen dürfte schon einleuchtend, warum sich keine von ihnen für das interkulturelle Philosophieren eignet. In den ersten zwei Beispielen haben wir es mit dem Universalitätsanspruch zu tun, der von einem Zentrum aus erhoben genau das Gegenteil von einer interkulturell orientierten Philosophie darstellt. Das dritte Beispiel sucht nicht nach einer Allgemeingültigkeit, ist jedoch für das Anliegen der interkulturellen Philosophie nicht geeignet, weil es jede Möglichkeit des Austauschs durch interkulturelle Dialoge ablehnt, statt sie zu fördern.

Deswegen schlägt Wimmer eine vierte Art von Zentrismus vor, einen tentativen Zentrismus. Hier wird davon ausgegangen, dass die Universalität erst durch ein gemeinsames Gespräch aller Zentren miteinander zu erreichen ist. Dieses Gespräch ist als ein „polylogisches Verfahren“ zu sehen, in dem alle Zentren als gleichrangig anerkannt werden, obwohl ihre Sichtweisen und Standorte different sein mögen.98 Demnach, ist der tentative Zentrismus, meiner Ansicht nach, eigentlich kein Zentrismus, weil er sich von den oben beschriebenen Zentrismen grundlegend unterscheidet. Im Unterschied zu den expansiven, integrativen und separativen Zentrismen, gibt es hier zwar kulturell eingebettete, aber dennoch einander

97 Vgl. ebd., S. 16, S. 56f.

98 Vgl. ebd., S. 16f.

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respektierende, gleichrangige Zentren und nicht Zentrismen. Wobei an dieser Stelle angemerkt werden muss, dass die intrakulturelle Differenzen, d.h. Differenzen innerhalb eines Zentrums genauso zu berücksichtigen sind, wie die interkulturellen Differenzen, d.h. die Differenzen zwischen den Zentren. Eine Fähigkeit zum

„Perspektivenwechsel“ ist in diesem Zusammenhang wesentlich.99 Denn für ein

„polylogisches Verfahren“ ist charakteristisch, jederzeit von mehreren Perspektiven ausgehen zu können.100

Wo und wann immer einer von den oben beschriebenen Zentrismen auftritt, gilt es ihn zu kritisieren und letztendlich zu überwinden. Eine interkulturell orientierte Philosophie kann und soll Zentren zulassen aber keine Zentrismen und sie muss sich selbst davor hüten, einem Zentrismus zu verfallen. Das mag auf dem ersten Blick als einfach erscheinen, ist es aber nicht. Einmal entstanden, lassen sich solche Zentrismen nur mit sehr viel Mühe beseitigen und das nicht ein für alle Mal, denn sie haben die Tendenz sich zu verbreiten und leider auch, immer wieder aufzutauchen. Wimmer schreibt dazu: „Es ist keineswegs einfach, über eine eurozentrische Sicht der Menschheitsgeschichte und der Philosophie hinauszukommen, wogegen es einfach ist, dem Eurozentrismus verbal abzuschwören.“101 Wie schon gesagt, ist der Übergang zu einem Zentrismus fließend und lässt sich nicht so einfach konstatieren.

Deswegen soll sich jedes Philosophieren in gegenseitiger Überprüfung und Ergänzung möglichst vielen kulturell unterschiedlichen philosophischen Traditionen, wie von der Minimalregel vorgeschrieben, vollziehen. Aber könnte es sein, dass sich selbst beim interkulturell betriebenen Philosophieren, mancher Zentrismus doch einschleicht? Bertold Bernreuter unterscheidet sieben Zentrismen, in welche sich interkulturelle Philosophie verstrickt hat.102 Nämlich: Euro-, Logo- und Kulturzentrismus, Exotismus, Anthropo-, Andro- und Monozentrimus. Obwohl seine Kritik für das interkulturelle Philosophieren höchst relevant ist, es werden hier nicht alle sieben Zentrismen thematisiert, u.a. auch deswegen, weil z.B. Anthropo- oder

99 Vgl. ebd., S. 57. Wimmer bezieht sich hier auf Elmar Holensteins Kapitel „Intra- und interkulturelle Hermeneutik“, in: ders.: Kulturphilosophische Perspektiven. Frankfurt a.M. 1998, S. 257-287, hier S.

257.

100 Vgl. Wimmer 2004, S. 57.; Siehe dazu auch: Kapitel 5.1 „Polylog (Franz Martin Wimmer)“.

101 Vgl. Wimmer 1993, S. 33.

102 Vgl. Bernreuter 2011, S. 103ff.; An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass Bernreuter m.E. die interkulturelle Philosophie mehr als eine Disziplin statt Orientierung, als Praxis des Philosophierens betrachtet.

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Androzentrismus jedem wissenschaftlichen Diskurs vorgeworfen werden können. Das heißt aber nicht, dass wir sie auf Grund dessen ignorieren sollten.

Für Zwecke der vorliegenden Arbeit ist der Eurozentrismus, dem, laut Bernreuter, jeder interkulturell intendierter Dialog unterliegt, von größter Wichtigkeit. Nicht nur, dass Europa die Themen, Methoden und Begriffe des Dialogs bestimmt und dabei die Hintergründe des Dialogs gar nicht reflektiert, sondern es wird im Dialog selbst immer wieder auf Europa, bzw. auf die europäische Philosophie rekurriert. „[E]ine philosophische Auseinandersetzung ohne gewichtigen Bezug zur europäischen Tradition erscheint offenbar schwerlich vorstellbar“, schreibt Bernreuter.103 Wenn dieser Vorwurf die Realität wiedergibt, dann widerspricht die interkulturelle Philosophie sich selbst und der Dialog oder Polylog vieler kulturell unterschiedlicher Philosophien in allen philosophisch und gesellschaftlich relevanten Fragen bleibt ein bloßes Ideal. Es stimmt zwar, dass das Projekt des interkulturellen Philosophierens, so wie wir es heute kennen, im deutschsprachigen Raum gegründet wurde und dort am meisten verbreitet ist. Es stimmt aber auch, dass es sich seitdem, besonders in Bezug auf das Verständnis von Philosophiegeschichte, einiges im Bewusstsein der PhilosophInnen geändert hat. Wenn die Dialoge (zum Teil) noch immer von Europa initiiert und auf Europa bezogen werden, so geschieht das immer im Bewusstsein der kulturellen Prägung dieser Dialoge. Keine Veränderung geschieht über Nacht und es wird noch eine Weile dauern, bis die interkulturelle Bewegung im Philosophieren weltweit anerkannt und praktiziert wird.

Zusammenfassend kann man die Aufgaben der interkulturellen Philosophie mit folgendem Zitat ausdrücken:

Interkulturelle Philosophie ist das Erarbeiten und das Verbreiten der philosophischen Ansicht und Einsicht, daß, wenn es eine universelle philosophische Wahrheit gibt, sie dann erstens einen gattungsmäßigen, analogischen Charakter trägt, zweitens keine bestimmte Tradition, Sprache, Kultur, Philosophie privilegiert und drittens bei ihrer orthaften Ortlosigkeit in unterschiedliche philosophische Gewänder gehüllt ist.104

103 Vgl. ebd., S. 103.

104 Mall 1995, S. 16.

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Im Dokument DIPLOMARBEIT. Titel der Diplomarbeit: (Seite 36-41)