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Exemplarische Darstellung der Befunde in vier Kasuistiken

Time (months post islet transplantation)

Typ 1 Allergie Insulin

3.5.2 Exemplarische Darstellung der Befunde in vier Kasuistiken

Im Rahmen des hier vorgestellten Algorithmus zu Diagnose und Management immunologischer Komplikationen unter Insulintherapie ist im Hinblick auf die Differenzierung der klinischen Relevanz nachgewiesener Insulinspezifischer Antikörper (Schritt 2) die Analyse des Bindungsverhaltens (Schritt 3) von besonderer Bedeutung.

Abbildung 21 zeigt die individuellen Verläufe der nachfolgend vorgestellten Patienten, die Interpretation der Befunde erfolgt im Zusammenhang mit der jeweiligen Kasuistik. Ergänzend wurden 10 Typ 1 Diabetiker und 10 Typ 2 Diabetiker unter Insulintherapie ohne Therapie-assoziierte Komplikationen oder allergischer Diathese in der Anamnese und mit gut

eingestelltem Diabetes (HbA1c <7%) sowie einem Insulin-Tagesbedarf von weniger als 0.6 IU/kg als Kontrollen eingeschlossen.

Abb.21: Insulinbindung in Prozent (%) durch Insulin spezifische IgG-Antikörper und zeitlicher Verlauf der Dissoziation in Seren von 4 Patienten mit immunologisch vermittelten Komplikationen unter Insulintherapie. Patient #1 und #4 zeigen eine hohe initale Bindung mit verzögerter Freisetzung (normal: <3%, n=20 Kontrollen).

Patient #2 weist nur eine geringe Bindung mit schneller Freisetzung auf, Patient #3 zeigt keine signifikante Insulinbindung.

Kasuistik 1:

Es handelt sich um eine 24-jährige Patientin mit einem Typ 1 Diabetes seit 7 Jahren, beginnender Nephropathie, keine Neuropathie oder Retinopathie, schlanker Habitus (169 cm, 60 kg, BMI: 21). Die bisherige Therapie umfaßte eine intensivierte Insulintherapie mit Protaphane, Actrapid und Semilente (Basis/Bolus) seit Diagnosestellung. An relevanten Begleiterkrankungen besteht eine art. Hypertonie. Die Vorstellung in unserer Diabetes-Ambulanz erfolgte wegen extrem schwankender BZ-Werte, häufigen Hyperglykämien und insbesondere nächtlichen Hypoglykämien. Das HbA1c lag bei 8.9%, die Patientin war seit Jahren als noncompliant eingeschätzt worden, der Insulinbedarf lag zeitweilig bei mehr als

0 30 60 90 120 240

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

bound / free ratio (%)

Zeit (Minuten)

Kontrollen Pat.1 Pat.2 Pat.3 Pat.4

150 IU/die. Es bestanden keine Hautreaktionen. Die Sekretionsanalyse zeigt erwartungsgemäß keine relevante, verbliebene C-Peptid-Reserve mehr (nü/pp <0.01 ng/ml).

Die immunologische Evaluierung entsprechend dem vorgestellten Algorithmus erbrachte im Intracutantest erwartungsgemäß keine positiven Reaktionen. In Übereinstimmung mit den negativen Hautreaktionen wurden auch keine insulinspezifischen IgE-Antikörper beobachtet.

Im Gegensatz hierzu fanden sich jedoch hochtitrige insulinspezifische Antikörper der IgG-Klasse bei noch normalem Gesamt-IgG. Die Analyse des Bindungsverhaltens zeigte eine inital massiv erhöhte Insulinbindung mit bis zu 70% und eine verzögerte Freisetzung im Zeitverlauf (Abbildung 21). Die Diagnose lautet demnach auf "immunologische Insulinresistenz", bedingt durch insulinneutralisierende Antikörper der Klasse IgG.

Therapeutisch wurde die Patientin erfolgreich auf Insulinpumpentherapie mit Insulin Aspart umgestellt. Die Stoffwechsellage ist deutlich stabilisiert, das aktuelle HbA1c liegt bei 6.1%, die Patientin hat <1/Hypoglykämie/Monat, bisher war kein Kortison erforderlich.

Kasuistik 2:

Es handelt sich um eine 21-jährigen Patientin mit einem Typ 1 Diabetes seit 12 Jahren. Es besteht eine Nephropathie Stadium III und eine incipiente periphere Neuropathie. An Begleiterkrankungen findet sich eine Struma diffusa in Euthyreose und eine art. Hypertonie.

Anläßlich eines Screening auf Vorliegen eines möglichen autoimmun polyendokrinen Syndroms, welches sich nicht bestätigte, waren bei dieser Patientin hochtitrige Insulinspezifische IgG-Ak als Zufallsbefund beschrieben worden. Die Patientin weist keine Hautreaktionen auf, sie hat unter intensivierter Insulintherapie (Basis/Bolus) eine gute BZ-Einstellung mit einem HbA1c von 6.9% ohne unklare Hypoglykämien. In der Sekretionsanalyse erwartungsgemäß keine residuale Betazellfunktion (c-Peptid nü/pp <0.1 ng/ml).

Die immunologische Evaluierung erbrachte im Intracutantest keine Hautreaktionen. Bei der Quantifizierung der Antikörper bestätigten sich die deutlich erhöhten Titer der Insulinspezifischen IgG bei negativem Insulinspezifischem IgE-Befund und normalem Gesamt IgG/IgE. Abbildung 21 zeigt das Bindungsverhalten der Insulinspezifischen IgG bei dieser Patientin. Auffällig ist hier ein relativ niedriges Bindungsniveau mit initial ca. 22%

Bindung und rascher Dissoziation. Dieses Bindungsniveau ist klinisch meist ohne

signifikanten Einfluß auf die Pharmakokinetik, was auch zu dem klinischen Bild dieser Patientin paßt. Die Diagnose lautet daher auf Insulinspezifische IgG-Ak ohne signifikante Bindung, eine spezifische Therapie ist nicht erforderlich.

Kasuistik 3:

Vorgestellt werden die Befunde einer 73-jährigen Patientin mit einem Typ 2 Diabetes seit 18 Jahren. Bis vor 2 Jahren wurde der Diabetes oral therapiert, dann Umstellung auf Insuman comp 25 subcutan. An Begleiterkrankungen besteht eine art. Hypertonie, eine koronare Herzerkankung, intermittierendes Vorhofflimmern, eine asymptomatische Cholecystolithiasis und eine Struma multinodosa in Euthyreose.

Aktueller Vorstellungsgrund in unserer Diabetes Ambulanz waren schwerste urticarielle Sofortreaktionen lokal nach s.c. Insulininjektion mit Rötung, Quaddel und Juckreiz.

Konsekutiv war die Stoffwechsellage unzureichend mit einem HbA1c von 8.6%. Die Sekretionsanalyse zeigt eine verbliebene und stimulierbare endogenen Insulinreserve (c-Peptid-Werte nü/pp 1.8 ng/ml vs. 3.7 ng/ml).

Der Intrakutantest brachte bereits die Diagnose einer Protaminallergie. Abbildung 22 zeigt den rechten Unterarm der Patientin mit der Positiv- und Negativ-Kontrolle sowie den Testlösungen mit den galenischen Zusätzen. Testlösung 8/9 enthalten Protamin und reagieren positiv. Auf dem anderen Unterarm zeigten alle Protamin-verzögerten Insulinpräparationen ebenfalls positive Reaktionen, während die schnell wirksamen Insuline und Analoga keine Reaktion zeigten. Bei der Quantifizierung der Immunglobuline fand sich lediglich ein erhöhtes Gesamt IgE bei normalem Gesamt IgG und negativen Insulinspezifischen IgG- bzw.

IgE-Befunden. Die Bindungsanalyse bestätigte erwartungsgemäß keine signifikante Insulinbindung (Abbildung 21). Hier lautet die Diagnose demnach auf Typ 1 Allergie gegen Protamin mit lokalen Resorptionsstörungen und konsekutiv schlechter BZ-Einstellung.

Abb.22: Intracutantest: Negativkontrolle (1), Positivkontrolle (2), positive Reaktion auf Protamin (8, 9), negative Reaktion auf andere galenische Zusätze (3, 4, 5, 6, 7)., Originalbefund.

Therapeutisch konnte bei erhaltener und stimulierbarer endogener Insulinreserve (s.o.) eine Rückumstellung auf alleinige orale antidiabetische Therapie erfolgreich durchgeführt werden.

Die Einstellung ist befriedigend mit einem HbA1c von 7.6%. Alternativ könnte die Patientin zukünftig, falls erforderlich, auch mit schnell wirsamen Insulinen oder Analoga im Sinne einer prandialen Insulinsubstitution therapiert werden. Ergänzend hat die Patientin noch einen Allergieausweis erhalten (Cave: Heparin-Antagonisierung z.B. bei Herzkatheteruntersuchungen).

Kasuistik 4:

Es handelt sich um einen 57-jährigen Patienten mit pankreoprivem Diabetes mellitus infolge Pyloruserhaltender Duodeno-Teilpankreatektomie wegen Malignomverdacht, der sich am Resektat nicht bestätigt hatte. Präoperativ zeigte der Patient das Bild eines Typ 2 Diabetes, postoperativ nun zusätzlich die pankreoprive Komponente. Aktuelle Therapie mit Berlinsulin30/70, vorher diverse andere Mischinsuline. An relevanten Begleiterkrankungen findet sich eine exokrine Pankreasinsuffizienz, eine art. Hypertonie und eine Struma multinodosa in Euthyreose.

Aktuell erfolgte die Vorstellung wegen schwerster Sofortreaktionen nach s.c. Insulininjektion mit Rötung, Quaddel und Juckreiz. Zusätzlich bestand ein "Brittle Diabetes" mit stark schwankenden BZ-Werten, häufigen Entgleisungen mit Hyper- und schweren Hypoglykämien. Das HbA1c lag bei 9.3%, der Patient hatte Gewicht abgenommen (von 82 kg auf 64 kg bei einer Körpergröße von 170 cm; aktueller BMI: 22). Die Sekretionsanalyse zeigt eine verbliebene endogene Insulinreserve. Die c-Peptid-Werte liegen jedoch auf einem hohen Plateau-Level mit bereits nü 4.1 ng/ml und fehlender Stimulierbarkeit auf pp 4.5 ng/ml (Insulinresistenz, hier immunologisch bedingt durch Insulin-Ak, s.u.).

Die immunologische Evaluierung zeigte im Intrakutantest heftigste Sofortreaktionen auf sämtliche applizierten Insuline, jedoch keine Reaktionen auf die Testlösungen mit den galenischen Zusätzen. Bei der Quantifizierung der Antikörper fanden sich extrem erhöhte Werte sowohl für das Insulinspezifische IgE, aber auch für das Insulinspezifische IgG. Auch das Gesamt IgE war erhöht, und es fand sich im Differentialblutbild eine Eosinophilie. Das Gesamt IgG war hoch normal. Bei der Analyse des Bindungsverhaltens zeigte sich eine extrem hohe initiale Bindung mit ca. 70% und verzögerter Dissoziation (Abbildung 21). Die Diagnose in diesem Fall lautet auf eine Kombination verschiedener immunologischer Komplikationen mit IgE-vermittelter Sofortreaktion im Sinne einer "klassischen Insulinallergie" und zusätzlich eine IgG-vermittelte immunologische Insulinresistenz durch zirkulierende und Insulinneutralisiserende Antikörper. Diese Befunde erklären das klinische Bild sowohl der Hautreaktionen als auch den "Brittle Diabetes".

Therapeutisch versuchten wir zunächst eine Desensibilisierung in aufsteigenden Konzentrationen nach Galloway und deShazo (Galloway & deShazo, 1990), die jedoch nicht erfolgreich war. Auf eine i.v. Insulingabe unter der Vorstellung einer "Absättigung" der Antikörper haben wir in Anbetracht der Anaphylaxiegefahr bei hohem IgE und Eosinophilie

verzichtet. Da der Patient initial noch eine endogene Funktionsreserve aufwies, haben wir zunächst einen Versuch mit maximaler oraler antidiabetischer Therapie unternommen (Glinid, Biguanid, Sensitizer), um eine exogene Insulinsubstitution hinauszuzögern. Dies war zunächst erfolgreich, nach 4 Monaten trat jedoch eine Erschöpfung des Restpankreas auf, die c-Peptid-Werte fielen auf <0.6 ng/ml ohne Stimulierbarkeit. Die stationäre Wiederaufnahme des Patienten erfolgte in der Ketoazidose, er war nun zwingend auf exogene Insulinsubstiution angewiesen. Unter Kortisonstoßtherapie, ergänzt um H1/H2-Blockade gelang dann bei ausschließlicher Therapie mit dem Insulin-Analogon LysPro eine exogene Insulinsubstitution ohne Hautreaktionen und mit zunehmender Stabilisierung der BZ-Einstellung. Die Reduktion der Kortisondosis wurde am Niveau der Hautreaktion titriert, im Labor zeigte sich im Verlauf ein langsamer Abfall der Antikörperkonzentrationen und des Bindungsniveaus. Aktuell ist der Patient unter diesem Regime mit prandialer LysPro-Therapie in Kombination mit derzeit 12.5 mg Decortin H und H1/H2-Blockade weitgehend beschwerdefrei, insbesondere ohne Hautreaktionen. Das HbA1c liegt bei 7.4%, und die Hypoglykämierate ist deutlich gesunken.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß immunologische Reaktionen gegen Humaninsuline oder galenische Zusätze seltene Komplikationen darstellen, die im Einzelfall jedoch für das individuelle Management der Patienten sowie für deren Prognose von größter Bedeutung sein können. In diesem Kapitel wurden exemplarisch vier Kasuistiken von Patienten behandelt, die mit typischen immunologischen Komplikationen unter Insulintherapie in unserer Diabetes-Ambulanz vorstellig wurden. Der dargestellte Algorithmus ermöglichte in allen Fällen eine Differentialdiagnose dieser Komplikationen und eine Abschätzung der klinischen Relevanz des Problems. Hierdurch werden die verschiedenen immunologisch vermittelten Komplikationen der Insulintherapie individuell therapierbar. Derzeit planen wir in Zusammenarbeit mit der Gruppe Diabetes der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Endokrinologie (APE, Prof. Schönau, Universität Köln und Prof. Holl, Universität Ulm) eine Deutschlandweite Studie zur klinischen Bedeutung der Insulin-Antikörper bei Kindern mit Typ 1 Diabetes.

4. ZUSAMMENFASSUNG UND ABSCHLIEßENDE