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Der Europäische Informationsverbund

Im Dokument rls Freiheit und Sicherheit in Europa (Seite 40-43)

II. Die deutsche Ratspräsidentschaft 2007 im Bereich der Innenpolitik – Keine Erfolg für Menschen- und Bürgerrechte

4. Der Europäische Informationsverbund

In der „Europapolitischen Vorausschau 2007 für den Innenausschuss“ wurde auf das deutsche Präsidentschaftsprogramm „Europa gelingt gemeinsam“ Bezug genommen. Die Vorausschau legte dar, dass „die deutsche Ratspräsidentschaft unter Verweis auf die Mitteilung der Kommissi-on über die ‚Verbesserung der Effizienz der europäischen Datenbanken im Bereich Justiz und Inneres und die Steigerung ihrer Interoperabilität sowie der Synergien zwischen ihnen’ von 2005 die Schaffung eines Europäischen Informationsverbundes fordert, der sicherstellen soll, dass Polizei- und Sicherheitsbehörden der Mitgliedsstaaten einen optimalen Zugang zu den bereits bestehenden und den sich im Aufbau befindlichen EU-Informationssystemen SIS, VIS, ZIS und EURODAC erhalten“.

Ziel dieses Verbundes ist es also nicht nur, Geheimdiensten den Zugriff auf bisher polizeilich ge-nutzte europäische Datenbanken zu eröffnen, sondern diese bisher weitgehend voneinander getrennten Systeme miteinander zu verknüpfen. Obwohl dieses Vorhaben von der deutschen Ratspräsidentschaft formuliert wurde, bestritt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Klei-ne Anfrage der Fraktion DIE LINKE (BT.-Drs.4365) die Schaffung eiKlei-nes solchen Informationsver-bundes, der auch einen Zugriff von Geheimdiensten auf polizeiliche Datenbanken ermöglicht.

Dennoch, Zweifel bleiben, vor allem im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Schengener In-formationssystems der zweiten Generation (SIS II).

„Ein weiteres Ziel unserer Präsidentschaft war, den Anschluss der neuen Mitgliedsstaaten an das gemeinsame polizeiliche Schengener Fahndungssystem voranzutreiben.“25

Dafür sollte eben jenes Schengener Informationssystem der zweiten Generation genutzt werden.

Vorteil des SIS II im Vergleich zu dem derzeit genutzten SIS I ist die Aufnahme biometrischer Daten, wie zum Beispiel Fingerabdrücke und biometrische Fotos. Allerdings wurde schnell deut-lich, dass die technischen Voraussetzungen dafür derzeit nicht gegeben sind. Die deutsche Ratspräsidentschaft zog sich deshalb auf die Schaffung einer erweiterten Variante des SIS I zu-rück, um am 1. Januar 2008 doch noch die Grenzöffnung in die zehn neuen Mitgliedsstaaten zu ermöglichen.

Gleichzeitig aber wurde durch die deutsche Ratspräsidentschaft versucht, Geheimdiensten den Zugriff auf das Informationssystem zu ermöglichen. Damit wird dass Hauptziel des deutschen Innenministers sichtbar: Nach dem Vorbild der Anti-Terror-Datei in der Bundesrepublik möchte er auch auf europäischer Ebene eine Verschränkung von Geheimdiensten und Polizeien vollziehen und somit ein riesiges Daten- und damit Bürgerüberwachungssystem entfalten.

„Im gemeinsamen Fahndungssystem sind darüber hinaus alle Personen gespeichert, die nicht nach Europa einreisen dürfen. Damit wird gefährlichen Straftätern oder terrorismusverdächtigen

Personen bereits weit vor den Grenzen Deutschlands der Zutritt nach Europa verwehrt.“26

Wolfgang Schäuble schreibt nicht von ungefähr von „terrorismusverdächtigen“ Personen. Nach dem Ende der deutschen Ratspräsidentschaft ist nun manifest geworden, dass unliebsamen Personen allein aus Verdachtsgründen der Zugang nach Europa verwehrt werden kann. Die rechtliche Grundlage dafür ist mehr als fraglich, die entsprechende Formulierung eher schwam-mig.

Um dieser Programmaussage Nachdruck zu verleihen wurden weitere Änderungen am Visain-formationssystem vorgenommen, dass zukünftig nicht nur mit dem SIS II verknüpft arbeiten soll und demnach auch biometrische Daten enthält, sondern auch hier europäische Geheimdienste direkten Zugang erhalten sollen.

„Das auf einem deutschen Vorschlag beruhende EU-Visuminformationssystem (VIS) ist ein wichti-ges Beispiel dafür, wie man mit intelligenten und flexiblen Lösungen einen entscheidenden Vor-sprung sowohl vor denen erreicht, die unsere Sicherheit bedrohen, als auch vor denen, die durch

25 Vgl. ebd. S. 14

26 Vgl. ebd. S. 15

den Missbrauch von Einreisemöglichkeiten die Regelungen der europäischen Visumpolitik unter-laufen.“27

Mit dem VIS sollen illegale MigrantInnen leichter aufgespürt und ausgewiesen werden können.

Zudem soll es mit Hilfe des VIS möglich sein, Mehrfachantragsteller für Visa in der Europäischen Union zu ermitteln und ein so genanntes „Visa-Shopping“ zu verhindern.

Alles in Allem dienen vor allem das SIS und das „flexibel“ nutzbare VIS der Militarisierung Euro-pas nach Innen und der Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern und damit dem Ausbau der Festung Europa nach Außen. Um den Festungsbau auch zukünftig abzusichern, hat sich die deutsche Ratspräsidentschaft auch um eine Kompetenzerweiterung der paramilitärischen Grenz-schutzagentur FRONTEX bemüht. Dieser stehen nach Beschluss unter deutscher Präsident-schaft in den kommenden Jahren mehr militärisches Gerät und Personal zur Verfügung, darunter auch so genannte schnelle Einsatzkräfte.

Die permanente Überwachung via elektronischer Systeme und Datenbanken wird durch einen Meldeverbund zur Ausweisung Terrorismusverdächtiger komplettiert. Auch hier reicht ein Ver-dachtsmoment aus, um in den Fokus der Fahnder in ganz Europa zu gelangen. Woher diese Informationen über Terrorismusverdächtige stammen und ob sie letztlich gerichtsfest sind, spielt dabei keine Rolle.

„Wir konnten in unserer Präsidentschaft erreichen, dass die Mitgliedsstaaten einen Informations-mechanismus einrichten, indem sie sich gegenseitig unverzüglich über Drittstaatenangehörige unterrichten, die durch einen Mitgliedsstaat im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten […]

ausgewiesen wurden.“28

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Bundesregierung im Zuge ihrer Ratspräsident-schaft einen europäischen Informationsverbund der Polizeien und Geheimdienste geschaffen hat, an dem auch paramilitärische Einheiten partizipieren. Und dies obwohl sie gegenüber dem Bundestag Gegenteiliges behauptete.

5. EUROPOL

Vor Jahren bereits träumte Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) von einem europäischen FBI.

Hinter diesem Wunsch stand die Idee, das europäische Polizeiamt EUROPOL in den

27 Vgl. ebd. S. 23

rahmen der Europäischen Union aufzunehmen und aus seiner Diaspora zwischenstaatlicher Ü-bereinkommen und Verträge zu befreien. Dies hat nun Kohls ehemaliger Kanzleramtsminister als Ratspräsident geschafft. Und auch wenn man bei weitem nicht von einem europäischen FBI sprechen kann, so sind die Kompetenzerweiterungen für EUROPOL in dem verabschiedeten Reformvertrag beachtlich.

„Durch sie [Anm. d. Red.: der Änderungsprotokolle zum EUROPOL-Übereinkommen] wird EUROPOL an die Anforderungen moderner Kriminalitätsbekämpfung angepasst und seine Effizienz

maßgeblich gesteigert.“29

Fortan wird EUROPOL aus seiner Analysetätigkeit für die Polizeien der Mitgliedsstaaten heraus-gehoben und an Ermittlungsgruppen in den Mitgliedsstaaten direkt beteiligt. Auch kann EUROPOL nun die Mitgliedsstaaten um die Aufnahme von Ermittlungen ersuchen oder Ermittler aus Drittstaaten, beispielsweise aus den USA, direkt an Analysegruppen beteiligen. Somit wird der Aufgabenbereich des Polizeiamtes auf allen Formen der grenzüberschreitenden Kriminalität ausgedehnt, ohne dass geklärt ist, welchen Status die EUROPOL-Beamten innehaben (Immuni-tät). Als problematisch ist ebenfalls zu beurteilen, dass es die deutsche Ratspräsidentschaft ver-säumt hat zu klären, wie EUROPOL in das Konstrukt zwischen Eurojust, FRONTEX, SIS II und VIS oder die Überführung des Vertrages von Prüm in den Rechtsrahmen der EU eingebaut be-ziehungsweise eingebunden werden kann.

Wir werden es also zukünftig mit einer Super-Polizeibehörde zu tun haben, die keiner demokrati-schen Kontrolle unterliegt und ohne konkrete Zweckbindung arbeitet. Zwar soll das Amt aus dem EU-Budget finanziert werden, ein wirkliches Kontrollrecht des Europäischen Parlaments entsteht daraus jedoch nicht. Weder Bundestag noch Europaparlament werden Kenntnis darüber erhal-ten, welche Daten EUROPOL sammelt, an wen diese weitergegeben werden und an welchen operativen Maßnahmen, in welchem Umfang die Beamten aus Den Haag beteiligt sind. Eine Demokratisierung der Institutionen der Europäischen Union sieht anders aus.

Im Dokument rls Freiheit und Sicherheit in Europa (Seite 40-43)