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Die Untersuchungen haben gezeigt, dass in den Aufbewahrungsschränken der Sammlung Schinkel die Essigsäurekonzentration auffällig hoch war, wobei Hauptemissionsquellen zwar die Holzwerkstoffe des Schranks und der Einlegeböden zu sein scheinen, aber auch alle anderen, zur Lagerung einge-setzten Materialien (Zeichnungsmappen, Untersatzkartons) Essigsäure freisetzen. Um das von den jeweiligen Materialien ausgehende Risiko auf die Objekte beurteilen und langfristig wirksame Maßnah-men ergreifen zu können, ist es sinnvoll, nicht nur ihr moMaßnah-mentanes Emissionspotential zu kennen, sondern auch die zukünftige Entwicklung ihres Emissionsverhaltens abschätzen zu können. Zu die-sem Zweck wurde der Gehalt von Essigsäure in den holz- und papierbasierten Lagerungsmaterialien bestimmt.

Neben Essigsäure wird in der Literatur auch Ameisensäure als typische, aus Holzwerkstoffen (Gibson und Watt 2010) wie auch aus papierbasierten Materialien (Strlič et al. 2011; Ramalho et al. 2009) frei-gesetzte Verbindung genannt. Es ist zu vermuten, dass auch in den Aufbewahrungsschränken der Sammlung Schinkel flüchtige Ameisensäure in erhöhter Konzentration vorliegt, selbst wenn sie in den bisherigen Untersuchungen aufgrund ihrer hohen Flüchtigkeit nicht erfasst wurde. Um ihre Konzentra-tion dennoch einschätzen zu können, wurde neben Essigsäure auch der Gehalt der Ameisensäure in den Lagerungsmaterialien ermittelt. Auf ihren Essig- und Ameisensäuregehalt hin untersucht wurden die Holzwerkstoffe (Schrankaußenwände und Einlegeböden), die Pappen der Zeichnungsmappen aus den 1845er und aus den 1970er Jahren sowie drei verschiedene Untersatzkartons der Sammlung Schinkel. Zusätzlich wurde ein aus Holzschliff hergestellter, Harz-Alaun geleimter Untersatzkarton als

„zur langfristigen Lagerung von Objekten auf Papier ungeeignete Vergleichsprobe“ in die Untersu-chungen mit einbezogen.

Methodik

Die Bestimmung des Gehalts der Ameisen- und Essigsäure erfolgte durch Extraktion51 mit nachfolgen-der 1H-NMR-Spektroskopie52. Als Extraktionsmittel wurden eine wässrige 0,5%ige Salzsäure und eine 0,5%ige Natriumhydroxid-Lösung eingesetzt. Anhand der Extraktion mit HCl oder NaOH kann der Ge-halt der frei im Material verfügbaren Essig- bzw. Ameisensäure wie auch Teile ihrer wasserlöslichen Salze (Formiate bzw. Acetate) bestimmt werden. Dabei erfasst die Extraktion mit NaOH prinzipiell ei-nen höheren Anteil an Säuren bzw. ihrer Salze als die Extraktion durch HCl, und damit eiei-nen höheren Anteil der insgesamt potentiell in den Lagerungsmaterialien zur Verfügung stehenden Essig- und Ameisensäure (siehe Abb. 47 und Tab. 17). Nicht möglich ist bei beiden Extraktionsverfahren die Un-terscheidung zwischen dem Gehalt freier und durch alkalische Komponenten im Papier neutralisierter

50 Durchführung der instrumentellen Analytik: Gerhard Volland und Vladimir Knjasev, Materialprüfungsanstalt Uni-versität Stuttgart, Otto-Graf-Institut (OGI).

51 Unter Extraktion versteht man ein Trennverfahren, bei dem mit Hilfe eines (festen, flüssigen oder gasförmigen) Extraktionsmittels eine oder mehrere Komponenten (in diesem Fall: Essigsäure und Ameisensäure) aus einem Stoffgemisch oder einem Material, i.e. dem Extraktionsgut (in diesem Fall: die Lagerungsmaterialien), herausge-löst wird (Römpp 1997: 1268).

52 Die 1H-Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) dient der Untersuchung der elektronischen Um-gebung einzelner Atome und der Wechselwirkungen mit Nachbaratomen. Sie ermöglicht die Aufklärung der Struktur organischer Verbindungen und die Bestimmung derer Konzentrationen (Römpp 1997: 2937).

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Säuren (Calciumacetat, Calciumformiat). Die Quantifizierung der Essig- und Ameisensäuregehalte im Holz erfolgte gegen einen internen Standard (Dichloressigsäure).

Es sei darauf hingewiesen, dass unterschiedliche Extraktionsmethoden zu stark unterschiedlichen Messergebnissen führen. Abb. 47 zeigt, dass aus den Einlegeböden aus Buchenholz je nach Extrakti-onsverfahren sehr unterschiedliche Mengen an Essigsäure/ Acetaten und Ameisensäure/ Formiaten ermittelt werden, wobei aber der Trend (Verhältnis zwischen Ameisensäure/ Formiaten und Essig-säure/ Acetaten) identisch ist. Ein Vergleich der absoluten Essigsäure- und Ameisensäuregehalte in Holz ist daher nur bei Anwendung der gleichen Extraktionsmethode möglich.

Abb. 47: Ergebnisse unterschiedlicher Extraktionsmethoden zur Ermittlung des Essigsäuregehalts im Einlegeboden aus Buchenholz (Messdaten: Ma-terialprüfungsanstalt Universität Stuttgart, Otto-Graf-Institut)

Ergebnisse

Tab. 17 zeigt die per 1H-NMR-Spektroskopie ermittelten Gehalte an Essig- und Ameisensäure bzw.

ihrer Salze in den holz- und papierbasierten Schrank- bzw. Lagerungsmaterialien. Dabei wird unter-schieden zwischen den Ergebnissen

- einer Extraktion mit 0,5 N HCl (Spalte I), und - einer Extraktion mit 0,5 N NaOH (Spalte II).

Rückfluss Soxhlet Wasser kalt Nassdampf (Literatur)

Gehalt in mg/g Holz

Formiat Acetat

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Tab. 17: Gehalte der durch HCl bzw. durch NaOH extrahierten Essigsäure und Ameisensäure bzw.

ihrer Salze in den Schrank- und Lagerungsmaterialien, Bestimmung mittels 1H-NMR in wässriger Lö-sung (Analytik: Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart, Otto-Graf-Institut).

I.

Gehalt der durch HCl extrahier-ten Säuren bzw. ihrer Salze

II.

Gehalt der durch NaOH extrahierten Säuren bzw.

* = Störung durch Polyvinylacetat im Klebstoff nicht auszuschließen

** = Einfluss von Formaldehyd aus formaldehydhaltigen Klebstoffen nicht auszuschließen

*** = ermittelter Durchschnitt aus drei unterschiedlichen, für die Sammlung repräsentativen

Untersatzkartons: Untersatzkarton I blaugrau (Stofffärbung), Untersatzkarton II blau (Naturpapier) und Untersatzkarton III braun (Stofffärbung).

In Tab. 18 sind die Verhältnisse

- des Gehalts der Essigsäure/ Acetate zum Gehalt der Ameisensäure/ Formiate in den einzel-nen Lagerungsmaterialien bei einer Extraktion durch HCl (Spalte I.)

- des Gehalts der Essigsäure/ Acetate zum Gehalt der Ameisensäure/ Formiate in den einzel-nen Lagerungsmaterialien bei einer Extraktion durch NaOH (Spalte II.)

- des Gehalts der durch HCl extrahierbaren Essigsäure/ Acetate zum Gehalt der durch NaOH extrahierbaren Essigsäure/ Acetate in den einzelnen Lagerungsmaterialien (Spalte III.) - des Gehalts der durch HCl extrahierbaren Ameisensäure/ Formiate zum Gehalt der durch

NaOH extrahierbaren Ameisensäure/ Formiate in den einzelnen Lagerungsmaterialien (Spalte IV.)

zusammengefasst.

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Tab. 18: Verhältnisse zwischen dem Gehalt der durch HCl extrahierbaren Essigsäure/ Acetate bzw.

Ameisensäure/ Formiate und dem Gehalt der durch NaOH extrahierbaren Essigsäure/ Acetate bzw.

Ameisensäure/ Formiate (aufgerundet auf 0,1) I.

* = Störung durch Polyvinylacetat im Klebstoff nicht auszuschließen

** = Einfluss von Formaldehyd aus formaldehydhaltigen Klebstoffen nicht auszuschließen Interpretation

Alle getesteten Lagerungsmaterialien enthalten neben Essigsäure auch Ameisensäure. Da sie zumin-dest einen Teil dieser Säuren zum Ausgleich des Konzentrationsgleichgewichts an die Umgebung ab-geben werden, ist wahrscheinlich, dass auch in den Aufbewahrungsschränken der Sammlung Schin-kel flüchtige, aus den Materialien emittierte Ameisensäure vorliegt. Die ermittelten Essigsäuregehalte in den Holzwerkstoffen, d.h. in den Einlegeböden und den Schrankaußenwänden (je nach Extraktions-mittel zwischen 50 und 3,2 mg/g) haben zu einer stark erhöhten Konzentration flüchtiger Essigsäure im Schrank geführt. Dementsprechend ist auch damit zu rechnen, dass die Konzentration flüchtiger Ameisensäure im Schrank deutlich erhöht ist, selbst wenn ihr Gehalt in den holzbasierten Schrankma-terialien im Vergleich zu Essigsäure geringer ist.

Der Gehalt an Essigsäure/ Acetate in den Holzwerkstoffen ist im Vergleich zu allen papierbasierten, zur Lagerung der Sammlung Schinkel zum Einsatz gekommenen Materialien (Untersatzkartons, Zeichnungsmappen der 1845er und der 1970er Jahre) wesentlich höher. Dieses Ergebnis stimmt mit den Ergebnissen der Gasraumanalyse überein, bei dem Holz mehr Essigsäure freisetzte als die pa-pierbasierten Materialien, sowie den Untersuchungen der Immissionssituation, bei denen sich der Es-sigsäuregehalt im Schrank nach dem Hinzufügen der Einlegeböden am deutlichsten erhöhte, nach dem Hinzufügen der Objekte jedoch nicht mehr weiter anstieg.

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Zur Abschätzung der Zeitdauer, die benötigt würde, bis sich der Essigsäurevorrat in den Einlegeböden aus Buchenholz erschöpfen und die Emission abnehmen würde, stellt Volland (2012) folgende über-schlägige Betrachtung an: „Der Anteil der aus den Einlegeböden emittierten Essigsäure an deren Ge-samtkonzentration im Magazinschrank mit Einlegeböden beträgt etwa 3500 µg/m³ (Gesamtkonzentra-tion im Schrank ca. 5000 µg/m³ abzüglich der Konzentra(Gesamtkonzentra-tion im Schrank ohne Einlegeböden ca. 1500 µg/m³). Das Luftvolumen im Schrank beträgt ca. 1 m³ [2,05 m(H) x 0,85 m(B) x 0,61 m(T)]. Bei einer Fläche eines Einlegebodens von ca. 1 m² [0,85 m(B) x 0,61 m(T) x 2 (Ober- und Unterseite)] ist die Gesamtfläche aller 20, in einem Schrank enthaltenen Einlegeböden 20 m². Nimmt man das spezifi-sche Gewicht von Holz von 0,8 g/cm³ als Anhaltspunkt, beträgt das Gewicht eines Einlegebodens ca.

7,5 kg. Bei einer angenommenen Luftwechselrate von 0,1/h folgt, dass aus den 20 Einlegeböden im Schrank pro Stunde etwa 0,35 mg Essigsäure pro Stunde emittieren (d.h. 3,5 mg Essigsäure pro 10 h). Aus einem Einlegeboden werden folglich 175 µg/m³ Essigsäure pro Stunde freigesetzt. Im Holz-brett liegen nach den Ergebnissen der HCl-Extraktion 3200 mg Essigsäure pro kg Holz mobil vor, da-mit stehen je Einlegeboden ca. 24.000 mg Essigsäure für die Emission zur Verfügung. Demnach würde die Emission der Essigsäure bei gleichbleibender Emissionsrate die nächsten 150 Jahre anhal-ten“. Vor diesem Hintergrund ist eine „Auslüftung“ der Schränke zur Eliminierung der momentan ver-fügbaren VOCs nicht zielführend, ebenso wenig wie die Beibehaltung des bisherigen Zustands, in der Hoffnung, dass sich der Essig- und Ameisensäurevorrat im Holz bald erschöpfen würde (vgl. Kap 3.4).

Auch der Gehalt an Ameisensäure/ Formiaten scheint in den Holzwerkstoffen tendenziell höher zu sein als in den papierbasierten Materialien, sodass die Schrankmaterialien möglicherweise auch als Hauptemissionsquelle für Ameisensäure im Schrank anzusehen sind. Eine eindeutige Aussage kann auch hier aufgrund der möglichen Störung der Ergebnisse durch die Anwesenheit eines formaldehyd-haltigen Klebstoffs nicht getroffen werden. Der verhältnismäßige Anteil der Ameisensäure/Formiate im Vergleich zu Essigsäure/ Acetaten ist in den papierbasierten Materialien geringer als bei den Holz-werkstoffen, er liegt zwischen dem 1,3- und dem 2-fachen des Ameisensäure-/ Formiatgehalts. Eine Ausnahme bildet der holzschliffhaltige, Harz-Alaun geleimte Untersatzkarton IV, der im Vergleich zu den aus Hadernpapier hergestellten Untersatzkartons I–III einen höheren Gehalt an Essigsäure/Aceta-ten (das 12,5-fache des Gehalts an Ameisensäure bei Extraktion mit HCl, und das 5-fache bei Extrak-tion mit NaOH) enthält. Dies bestätigt die Untersuchungen von Ramalho et al. (2009) und Strlič et al.

(2011), nach denen Holzschliffpapiere mehr Essigsäure freisetzen als Baumwollpapiere. Unerwarte-terweise ähnelt der Gehalt der Essigsäure in der Pappe der Zeichnungsmappen aus den 1970er Jah-ren dem Gehalt in den historischen HadernpapieJah-ren (Untersatzkartons und Pappen von ca. 1845), ob-gleich es sich laut Phloroglucintest ebenfalls um ein holzschliffhaltiges Material handelt.

Vergleich der Extraktionsverfahren

Es bestätigte sich, dass durch Verwendung von NaOH als Extraktionsmittel ein höherer Anteil der je-weiligen Säuren/ ihrer Salze extrahiert werden kann als durch HCl. Dabei zeigt sich, dass der in holz-basierten Materialien sowie dem holzhaltigen Untersatzkarton enthaltene Essigsäure-/ Acetatanteil besser durch NaOH zu extrahieren ist als der Anteil der in papierbasierten Materialien enthaltenen Es-sigsäure/ Acetate. Diese Tendenz scheint auch bei Ameisensäure zu bestehen, wenn auch hier auf-grund möglicher Störungen durch die Anwesenheit eines formaldehydhaltigen Klebstoffs keine eindeu-tige Aussage getroffen werden kann.

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6.6 Anteil flüchtiger Essig- und Ameisensäure am