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2. Vom wirtschaftlichen Wert der Werte und Normen – Theoretische

2.2 Erweiterung durch eine wirtschaftssoziologische Sicht

Vor dem Hintergrund einer neuen W irtschaftssoziologie is t vor allem auf die Theorie vo n Mark Granovetter einzugehen. Granovetter kri tisiert an der ökonom ischen Theorie, dass sie reale soziale Beziehun gen „weg rationa lisieren würde“.73 Vor allem W illiamson hätte e in abstraktes Verständnis von der Eingebettetheit de r einzelnen Akteure in ein Netz dauerhafter sozialer Beziehungen und der sich daraus ergebenden Überwachungs- und Durchsetzungs-konsequenzen für soziales Handeln.74 Diese Kritik an der Einsch ätzung, wonach soziale Be-ziehungen ausschließlich über vert raglich festgelegte Formen bestehen, ist hinsichtlich des beobachtbaren Alltags in Unterneh men nachvollziehbar. Die zweite, ge gen die öko nomische Abstraktion gerichtete Kritik, bezieht sich auf die Erklärung kooperativen Verhaltens in der Ökonomie. Kooperation würde im ökonomischen Denken nur zustande komm en, da sich In-dividuen immer rational verhalten würden. Fundamentale Aspekte sozialer Beziehungen

69 Ebd., S. 39.

70 Hierzu mehr in Kapitel 3 dieser Arbeit.

71 Hartmut Berghoff (2004), S. 142.

72 Die Wirtschaftssoziologie ist an einem Schnittpunkt von Ökonomie und Soziologie angesiedelt. Ihre zen trale These lautet: Wirtschaftliche Austauschbeziehungen sind gleichzeitig auch soziale Beziehungen. In den Interak-tionen gehen Geschäft und Gesellschaft ineinander über, aus sozialen Kontakten werden Geschäftsbeziehungen und umgekehrt. Dies bezieht sich keineswegs auf Beispiele wie Geschäftsessen oder gemeinsames Golfspielen.

Es si nd hier au ch alltäg liche inn erbetriebliche Tran saktionen und kollegiales Mitein ander ang esprochen. Vg l.

Gertraude Mikl -Horke (1999), S. 665.

73 Mark Granovetter (1985). Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness, in: Ameri-can Journal of Sociology Volume 91 Number 3 (November 1985), S. 481-510. Ders. (2004). The Impact of So-cial Structure on Economic Outcomes, in: Journal of Economic Perspectives (Vol. 19 Number 1), S. 33-50.

74 Vgl. Mark Granovetter (1985), S. 489.

2. Vom wirtschaftlichen Wert der Werte und Normen – Theoretische Grundlagen 15 ben außen vor. Phänomene wie Vertrauen, Macht, Fairness und Hilfsbereitschaft könnten aber nicht vollständig über Rationalverhalten erklärt werden.75

Granovetter schlägt vor, die Zugehörigkeit zu Organisationen im Allgemeinen, und zu Unter-nehmen im Speziellen, als soziale Netzwerke zu begreifen, was i m Gegensatz zu der „under-socialized“ Sicht der Ökonomie steht, aus welcher Unternehm en ein bloßes Netzw erk von Verträgen darstellen.76 „Das Netzwerk bewirkt in der Re gel langfristigere und stärkere, weil emotional fundierte Bindungen an die internen Marktteilnehmer.“77

Granovetters Ansatz beschreibt eine Situation, in der real handelnde Menschen m it Zielen, Gefühlen, Werthaltungen und Absichten in einem vorhandenen Netzwerk tagtäglich interagie-ren. Vertrauensbeziehungen und Kooperation entste hen in diesem Netzwerk nicht aus einzel-nen Vorteilskalkülen, vielmehr sind solche Beziehungen innerhalb des Netzwerks bereits vor-handen. „Norms – shared ideas about the proper way to behave – are clearer, more firmly held and easier to enforce th e more dense a social n etwork“.78 Menschen handeln innerhalb eines kulturellen Musters nicht ausschließlich rational, um deren eigenen Vorteils willen, sie han-deln ebenso sozial, da es i hnen kraft ihres gewohnten und vertrauten Um felds vorgegeben wird, soziales Handeln ist dabei nicht kalkuliert . Damit stellt die Eingebettetheit in ein sozia-les Netzwerk zwar auch ein Überwachungs- und Durchsetzungsinstrument dar, jedoch in ei-ner nachvollziehbaren F orm der personellen In teraktion, die wiederum auf eingefahrene Re-geln und kulturelle Muster zurü ckzuführen ist. Denn ein ab weichendes Handeln könnte m it Reputationsverlust im Netzwerk selbst geahndet werden.

Die Eingebettetheit in institutionelle Strukturen und Kulturmuster deckt sich in gewisser Wei-se m it North. W ährend die Rege ln bei den Ins titutionenökonomen aber das wirtsc haftliche Handeln beschränken, denen die Akteure auf grund der angenommenen Rationalität folgen, rücken bei Granovetter soziale Beziehungen in den Mittelpunkt, m it deren Hilfe er die Ver-folgung ökonomischer Ziele zu erklären versucht. Der Unterschied liegt in der Rationalitäts-annahme. Menschen handeln innerhalb von be kannten und kulturellen Mustern nicht stets rational, sie handeln gerade auch sozial. Durc h die persönlichen, durch die Zeit en tstandenen Beziehungen in Unternehmen, die sich Tag für Tag verändern, ist das wirtschaftliche Handeln der Akteure bestimm t und es verändert sich m it diesen Beziehungen.79 Die Verfolgung öko-nomischer Ziele wird daher begleitet von nich t-ökonomischen Zielen wie Geselligkeit, Aner-kennung, Status und M acht; wirtschaftliches Handeln ist sozial situiert und kann nicht durch

75 Vgl. Mark Granovetter (2004), S. 33/34.

76 Vgl. Mark Granovetter (1985), S. 490. Ein soziales Netzwerk besteht aus einer endlichen Zahl von Akteuren, deren Eigenschaften und wechselseitigen Beziehungen. Netzwerke weisen flache Hierarchien auf, i m Regelfall sind positive Netzwerkexternalitäten zu beobachten. Vgl. Georg Erber/Harald Hagemann (2002). Netzwerköko-nomie, in: Klaus F. Zimmermann (Hg.): Neue Entwicklungen in der Wirtschaftswissenschaft, S. 278.

77 Rolf Wunderer (1999). Mitarbeiter als Mitunternehmer – ein Transformationskonzept, in: Die Betriebswirt-schaft 59 (1999) 1, S. 105-124, hier S. 111.

78 Mark Granovetter (2004), S. 33.

79 Ebd., S. 36.

2. Vom wirtschaftlichen Wert der Werte und Normen – Theoretische Grundlagen 16 individuelle Vorteilskalküle alleine erklärt werden, und wirtschaftliche Institutionen entstehen nicht automatisch aufgrund externer Um stände, sondern sind sozial konstruiert. 80 Somit sind soziale Beziehungen innerhalb der N etzwerke ebenso Anreize, sie sind A ntreiber, die das ge-meinsame Ziehen an einem Strang innerhalb der Organisation m it determ inieren und hier-durch Unsicherheit bezüglich opport unistischen Verhaltens reduzieren.81 In wirtschaftlichen Austauschbeziehungen vermischen sich indivi duelles Handeln sowie ge meinschaftsorientier-tes Verhalten, was der Soziologi e folgend auf Vertrau en innerhalb sozialer Beziehu ngen ba-siert und zu erhöhter Kooperation führt. Soziale Beziehungen i nnerhalb eines Unternehmens, die auch Vorteile in wirtschaftlicher Hinsicht darstellen, werden üblicherweise als Sozialkapi-tal bezeichnet.82

Hierin ist eine gem einsame Ressource zu se hen, die einer Organisa tion Wettbewerbsvorteile erbringen kann, denn: „social structures especially in the form of social networks, affects eco-nomic outcomes […], social networks affect the flow and t he quality o f information. Much information is subtle, nuanced and difficult to verify, so actors do not believe impersonel sources and instead rely on people they know. [...] social networks are an important source of reward and punishm ent, since th ese are often m agnified in th eir impact when com ing from others personally known. [...] trust, by which I mean the confidence that others will do the

‚right’ thing despite a c lear balance of incentives to the con trary, emerges, if it doe s, in the context of a social network.”83

Ein so def inierter Erfolgsfaktor Unternehmenskultur bezieht die kom plette Organisation Un-ternehmen verstanden als Netzwerk m it in die Analyse ein. Granovetter nähert sich von einer anderen Seite, er geht vom Vorhandensein des Vertrauens aus, was innerhalb von Betrieben, in denen Menschen täglich m ehrere Stunden ge meinsam verbringen, ni cht unrealistisch zu sein scheint. Soziale Bezie hungen, die sich innerhalb von Betr ieben herausgebildet haben, sind dafür verantwortlich, dass auch ein gem einsames wirtschaf tliches Handeln stattf indet.

Granovetters Theorie stellt aus dieser Sicht eine Ergänzung der reinen ökonomischen Theorie dar, wenn es darum geht, eine gem einsame Orientierung im Sinne von geteilten W erten und Normen als Erfolgsfaktor darzustellen.

Es wurde aus einer rational-ökonom ischen Sicht heraus argum entiert, inwieweit Unterneh-menskultur einen Erf olgsfaktor dar stellen kann . Da es zwischen wirts chaftlichen Akteuren Informationsasymmetrien gibt, werden formale oder informelle Spielregeln aufgestellt, inner-halb deren rational gehandelt wir d. Pointiert gesagt ist Unterneh menskultur hier eine vertrag-liche Regelungsdichte. Hieraus sollen dann Ve rtrauensbeziehungen und in deren Gefolge Ko-operationsbedingungen entstehen, die den Einsatz von Transaktionskosten verbessern.

80 Vgl. Mark Granovetter (1985), S. 497.

81 Vgl. Jens Becker (1996). Was ist soziologisch an der Wirtschaftssoziologie? Ungewissheit und die Einbettung wirtschaftlichen Handelns, in: Zeitschrift für Soziologie (25) 1996, S. 125-146, hier S. 127.

82 Vgl. Gertraude Mikl-Horke (1999), S. 670.

83 Mark Granovetter (2004), S. 33.

2. Vom wirtschaftlichen Wert der Werte und Normen – Theoretische Grundlagen 17 Die wirtschaftssoziologische Kr itik Granovetters hängte sich an die Annahm e des Rational-verhaltens der Akteure an und erklärte den Erfo lgsfaktor aus Sicht sozialer Beziehungen, aus denen dann wirtschaftliche Erfolge abgeleitet werden können. Vertra uen darf als eine ökono-mische Schlüsselkategorie gesehen werden, da es den Transaktionskost eneinsatz verbessern kann.84 Um Rückschlüsse auf die be triebliche Wirklichkeit ziehen zu können, bedarf es der Beachtung beider Theorieangebote.

Im weiteren Verlauf m öchte ich nun auf eine moderne Unternehm enskulturforschung einge-hen, die versucht, das Phänomen fassbar zu maceinge-hen, und die die zuvor da rgestellte Metatheo-rie bereits verarbeitet hat.

84 Vgl. Martin Fiedler (2001). Vertrauen ist gut, Kontrolle ist teuer: Vertrauen als Schlüsselkategorie wirtschaft-lichen Handelns, in: Gesc hichte u nd Ge sellschaft 2 7, S. 57 6-592, hier S. 582. Ebenso: Ka rl H omann ( 2003).

Anwendungsfragen, in: Christoph Lütge (Hg.): Anreize und Moral. Gesellschaftstheorie – Ethik – Anwendungen, S. 217-299, hier S. 234 f.