Dann kam
auch Post, seit 14Tagen
wieder. Ich war sehr glücklich. Die Schokolade war nach den endlosenEntbehrungen
ein Labsal. Schöner noch die geistige Ver-bindung:gab
esdoch
Stunden in der letzten Zeit, die inder Erinnerung liegen
werden
wie Stockungen des Herzens, wie schwarze Wellen, die nichtmehr wegzueugnen
sind.Kindheit
und Jugend
ist unwiderbringlich vorüber. DieZeit der Überschattung hat angefangen.
Fritz
Klatt.18.
Oktober
1914.Heute ist schon der zweite Ruhetag.
Schmutz und
Über-füllung der Stube bleibt unbemerkt. Kosakenpatrouillen warenam Abend
gemeldetund
starke Sicherungen an den Dorfausgängen aufgestellt worden. Die Fenster sollten ver-hängt werden, damitman von
draußen nicht in die erleuch-tete Stube hineinschießen könnte. Einer in der Stube solltewachen,
man
konnte nichtmehr,
alles schlief. Ich auch.Aber
meineTräume
waren so lebendig wie dieWirklich-76
keit. Mir war beständig-, als ob ich marschierte im dunklen
Walde und
alle Kraft anstrengte, in der Nacht Anschluß an meinenVordermann
zu halten.Meine Füße
wollten versagen. Überall waren Lichtscheine,und
ich hörte deut-lich den schwerenDonner
derKanonen und
das Auf-schwirren der schrecklichen Granatenund
Schrapnells.Deutlich sah ich auch im
Traum zum
zweiten Male einBild, was ich drei
Tage
zuvor gesehen hatte: nachts.Aber
der
Himmel
an keiner Stellemehr
dunkel, sondern in der Regenluft ringsum leuchtete es braungoldrotvon den
überall brennenden Häusern. Ein großesGebäude
war in der Mitte,hoch
inFlammen
auflodernd; Stangen darin, schwarzbraun, das Gerüst noch eben andeutend.Aus dem
Feuer knallten immerfort Schüsse.Man
stand starr: dieRussen
schössen ausden brennenden
Gehöften.Auch
hatten sie dieMu-nition ins Feuer geworfen, damit sie explodieren sollte.
Man
glaubte meilenweit die aufsteigendenGarben
der pul-vergefüllten Hülsen fliegen zu sehen.Das
unheimliche Braungold der Nacht war vollvon dem
schwer zu atmen-den Geruch des Pulvers,vom Regen
dichtam Boden
ge-sammelt.Ich hatte nicht
mehr
das Gefühl, auf der Erde zu sein,sondern in einem ungeheuren
Räume
unter der Erde. Ein eigenerHimmel
war niedrig darübergespannt.Geschrei
und Lärm
von allen Seiten. Nichts war zu verstehen.Kommandos
, auf dieniemand mehr
hörte.Brüllen
von
einzelnenMenschen
, die in der Dunkelheit lagenund von dem
jagenden Entsetzen erfüllt waren, daßman
sie würde liegen lassen, daß die Schlacht über siehinwegtoben könnte: „Konrad,
nimm mich
doch mit!" Esist entsetzlich, wie diese Bitte im
Ohre
liegen bleibt, Tage,Nächte lang-.
Das
sind Leute, die Beinschüsse haben. Siekönnen
nicht laufen. Die anderen schreien, weil sie es nicht aushalten, sülle zu sein.Das
allgemeine Gebrüll preßt jedeStimme
jedes einzelnen von innen nach außen.Es ist als
müßte
der entsetzlich leereRaum
der Unterwelt irgendwie ausgefüllt werden. Es gibt keine Steigerung mehr, nur daß dieser Zustand sich verewigt.So
erschien er mir imTraum
, damit auch das Letzteerlitten würde.
Ich wachte auf, als das Morgenlicht durch die Ritzen der verhängten Fenster stach, völlig zerschlagen. Erst draußen in der freien Luft, als ich tief atmete, ging es vorüber,
und
das Blut frischte sich auf. Die Dehnbarkeit desLebens
ist unbegreiflich, niemals hätte ich gedacht, daß solcheDinge
zu überleben wären.Komme
ich heildurch diese Zeit der Prüfung, so
muß
alles vonneuem be-gonnen
werden.. . . Ein verwundetes Pferd. Ein schönes Pferd mit edel geschnittenen Gesichtszügen, ständig wiehernd
im
Kreise herumlaufend. Ein Blutstrahl sprang aus der Seite imBogen
zur Erde. Ich dachte an die Darstellung desLammes
in alten Bildern des van Eyck. Es schien die verwundete Unschuld. Die
Augen
blickten starrund
hilfesuchendum-her,
während
es so trabte. Endlich schoß esjemand
mit der Pistole nieder, das Tier fiel zu Boden,und
dieSpan-nung
derer, die es sahen, konnte sich lösen.Bei
dem
Granatfeuer, indem
wir uns in den letztenTagen
viermal befunden haben, ging derTod
ganz nahe an mir vorüber.Von dem
erstenmal indem
Dorf erzählte ich wohl schon.Am Abend
desselbenTages
sollten wir ausdem
Dorf herausund
den Dorfrand besetzt halten.78
Wir
sprangen gruppenweise zwischen Häusernund Gebüsch
hervor in den durchRegen
verschlammten Ackerboden, zehn Schritt weit, dort warfen wir uns platt zu Boden, dieNase in die Erde, die
Füße
seitwärts, daß dieHacken
erd-wärts lagen.Das
Ziel ist soam
kleinsten.Vor
uns, etwa dreißig Schritt, platzte die Ladung. Ich sah nichts,denn
ich hatte die
Augen
geschlossen. Ich glaube, meine Glie-der waren gekrampft in dieser kurzenSekunde
des Wartens.Und
nun stachund
spritzte durch die Luft der Hagel der Eisen-und
Bleistücke, rechts, links, über mir. Ich fühlte einen Schlaggegen
mein Knie—
es war nur ein Ballen aufgespritzter Ackererde.Drei Schritt
neben
mir lag einer, er lag nicht mehr,er war wie aus tausend Meter herabgeschleudert, in allen Gelenken gebrochen.
In der Pause bis zur nächsten Schrapnelladung war atemlose Tätigkeit in der liegenden Masse. Jeder grub
sich in die Erde; wer Spaten hatte,
machte
damit einen Aufwurf vor sich. Ich wühlte mit beidenHänden
eineGrube
für den Kopf.Dann
grub ich gleichzeitig mitden Füßen
eine Vertiefung in den weichen Boden.Der
zweiteSchuß
kam,und
alles war wiebeim
erstenmal, nur war es näher geplatzt.Drüben
suchten sie unsere Linie. Ich fühlte nachher wieder, daß meinKörper noch
unbeschä-digt war.So
ging esimmer
fort, minutenlang, stunden-lang, ich weiß nichts, nur, daß der Graben, indem
wir lagen,immer
tiefer wurdeund
die Gefahr dadurchimmer
geringer. Es wurde auch dunkel
und
schließlich schwieg das Feuer.„Der Regen
rann."Jetzt fühlte ich erst wieder, daß ich gänzlich durchnäßt war
und
beklebt ringsum mitdem
feuchten Ackerlehm.Es wurde ganz dunkle Nacht, nur rings
am
Horizont dieFlecken der
brennenden
Dörfer im Nebel.Die Leute
hoben
sich aufund
schaufelten denGraben immer
tiefer, daßman
schließlich darin stehen konnte.Andere begruben
die Toten. Ich sorgte fürmeinen
Nach-barnim
Leid. Ich ließ ihnvon
vierMann
zurücktragenund
mit seinem Mantel bedecken.Dann
ließ ichvon West
nach Ost eineGrube
machen. Es war ein sehr langer Körper. Lautlos war es ringsum.Nur
das Geräusch der Spatenund
das Tropfen des eiskalten Nebels. Während-dessen legte ich zwei Hölzer kreuzweisezusammen.
Ich hatte das Gefühl, daß das Zeichen des Leides, wie es seitiooo Jahren in der Phantasie lebt, hierher gehöre. Vier
Mann
faßten ihnund
legten ihn hinein. Ich sagte halb-laut:„Von Erde
zu Erde." Tief fühlte ich, daß esmein
Bruder seiund
daß ichmich von ihm
trennen müßte. Ich warfErde aufden
mitdem
Mantel bedeckten Körper,und
dann fühlte ichTränen
aufquellen, die aber nicht bis anden Rand
derAugen
stiegen. Es wurde zugeschaufelt.Das
Kreuz steckte ich auf das Ostende des Grabes.Dann
trabten wir zu der Schützenlinie zurück, die erstarrten Glieder durch die schnelle