• Keine Ergebnisse gefunden

4. Diskussion

4.5 Erklärungsmodelle für den Zusammenhang Schmerz und

Ein Zusammenhang zwischen chronischen Schmerzen und Depressivität ist eine häufige klinische Beobachtung. Unklarheit herrscht jedoch über die Richtung dieses Zusammenhanges. Zwei verschiedene Konzepte (Zimmer et al. 1996) sind in der Literatur vertreten:

n Denkbar ist einerseits, dass Depressivität eine Schmerzchronifizierung begünstigt und somit dem chronischen Schmerz voraus geht (psychosomatische Entwicklung).

n Denkbar ist andererseits, dass chronische Schmerzen depressive Stimmungen begünstigen, und somit die Depressivität im Kranheitsverlauf als Folge der chronischen Beschwerden auftritt (somatopsychische Entwicklung, Krämer 1986).

n Die Annahme, Depressivität verschlechtere den Behandungserfolg bei Schmerzpatienten, nimmt hierbei eine Zwischenstellung ein.

4.5.1 Chronischer Schmerz als psychosomatische Störung (Konversion)

Häufig wird besonders der organisch nicht erklärbare Schmerz als „maskierte Depression“ interpretiert (vgl. „Konversions-V“, Hanvik, S. 58). Die Depressivität geht hierbei der Entwicklung von Kreuzschmerzen voraus.

Die Wirbelsäule dient somit als Projektionsfeld für psychische Störungen (Krämer 1986).

Nach den Ergebnissen einer Studie von Mannion (1996) gibt es außerdem Hinweise dafür, dass Messungen von psychischen Beeinträchtigungen (u.a.

Depressivität) als Prädiktoren für das erste Auftreten von Rückenschmerzen bei gesunden Probanden geeignet sein können. Allerdings konnte nur in drei Prozent der Fälle das Auftreten von Rückenschmerzen prognostiziert werden.

4.5.2 Somatopsychische Entwicklung der Depressivität

Im Gegensatz dazu gehen andere Autoren (z. B. Pfingsten 1988, Zimmer et al.

1996) davon aus, dass erhöhte Depressionswerte als Reaktion auf die chronischen Schmerzzustände zu werten seien.

Nach einem Modell von Rudy et al. (1988) wird der Zusammenhang zwischen Depression und Schmerzen über vermittelnde kognitive Bewertungsprozesse hergestellt. Wenn der Patient durch den Schmerz, den er als körperliche Schädigung empfindet, eine Bedrohung seiner Leistungs- und Arbeitsfähigkeit erfährt und außerdem seine eigenen Kontrollmöglichkeiten als gering betrachtet, dann entstehen nach diesem Modell depressive Verstimmungen (Main und Waddell 1991).

Jensen et al. (1991) beschäftigte sich vor allem mit dem Einfluss von Bewältigungsstrategien auf chronische Schmerzen. Einer negativen Bewertung der eigenen Bewältigungsstrategien und einem Kontrollverlust über die

Katastrophierungen und ein insgesamt negativer Krankheitsverlauf.

Bei Patienten, die glauben, ihre Schmerzen unter Kontrolle zu haben, sei die Prognose der Rückenschmerzen ungleich günstiger.

Die Arbeitsgruppe von Zimmer et al. (1996) prüfte den Zusammenhang zwischen Depressivität und Operationserfolg bei Nukleotomie- und Spondylodese-Patienten. Man stellte sich die Frage, ob Depressivität als Risikofaktor für das Behandlungsergebnis zu werten sei oder als Reaktion auf den chronischen Schmerz bzw. das Behandlungsergebnis auftrete. Es ließ sich durch die gewonnenen Daten zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen postoperativer Depressivität und Operationserfolg besteht. Der Einfluss einer missglückten Operation auf die Depressivität scheint stärker zu sein, als der Einfluss der praeoperativen Depressivität auf den Behandlungserfolg.

4.5.3 Depressivität als prognostisch ungünstiger Faktor für einen Behandlungserfolg

Von anderen Autoren wird eine Verschlechterung der Erfolgsprognose der Schmerzbehandlung bei vorbestehender Depressivität beschrieben. Hasenbring und Ahrens (1987) prüften die Hypothese, ob Patienten mit lumbalem Bandscheibenvorfall, die nach abgeschlossener Behandlung noch unter subjektiven Beschwerden litten, sich schon vor der Therapie durch erhöhte depressive Verstimmung (Becksches Depressions Inventar, BDI; Freiburger Persönlichkeits- Inventar, FPI) auszeichneten. Allein mit dem BDI konnte in 86.84 Prozent der Fälle das Behandlungsergebnis richtig vorhergesagt werden.

4.5.4 Depressivität als unabhängige Variable bezüglich des Therapieerfolges

Im Gegensatz dazu ergab eine Studie von Luka-Krausgrill et al. (1992), die stationär konservativ behandelte Patienten einer Schmerzklinik untersuchten, eine Unabhängigkeit des Behandlungserfolges vom Ausmaß der vor Therapiebeginn gemessenen Depressivität. Es fand sich kein Zusammenhang zwischen Depressivität und dem Ausmaß der Schmerzreduktion, welche als Ausdruck des Behandlungserfolges diente. Weiterhin fand sich kein Zusammenhang zwischen Depressivität und Schmerzdauer.

Eine Unabhängigkeit der Depressivität vom Behandlungserfolg wurde durch die GRIP-Studie (Göttinger Rücken Intensiv Programm) bestätigt (Pfingsten et al.

1996). Hier konnten die zu Therapiebeginn auffällig depressiven Patienten sogar einen Behandlungserfolg im Sinne eines deutlichen Rückgangs der Depressivität und der Schmerzintensität erzielen.

4.5.5 Ergebnisse: Schmerzintensität und Depressivität

In unserer Therapiestudie fand sich ein statistischer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Depressivität vor Therapiebeginn und der Intensität der bei Aufnahme angegebenen Schmerzen. Bei erhöhten Depressions-Werten zeigte sich eine stärkere Schmerzintensität.

Ein Zusammenhang zwischen Depressivität und Abnahme der Schmerzen im Verlauf der Rehabilitation zeigte sich jedoch nicht. Im Verlauf der Behandlung ließ sich jedoch eine Abnahme der Depressivität beobachten.

Insgesamt ergaben unsere Daten eine Unabhängigkeit der Variable Depressivität vom Behandlungserfolg (vergleiche GRIP-Studie und Luka-Krausgrill et al.

1992).

Die subjektive Schmerzintensität, auf einer 11-Punkte-Schmerzskala erfragt, nahm im Verlauf des Heilverfahrens signifikant ab. Die mittlere Schmerzintensität lag bei Aufnahme bei 24.3 Punkten (maximal mögliche

durchschnittliche Schmerzreduktion um 3.4 Punkte auf, dies entspricht einer 14-prozentigen Schmerzreduktion.

4.5.6 Vergleich: Schmerzreduktion in anderen Studien

Hier liegen unsere Resultate im Rahmen der von Deardoff et al. (1991) beschriebenen Breite der Reduktion der Schmerzintensität, die in verschiedenen Studien zwischen 14 und 42 Prozent lag.

In der bereits erwähnten GRIP-Studie ließ sich bei den Patienten nach Durchführung einer multimodalen Therapie im Mittel eine 38-prozentige Schmerzreduktion beobachten, bei 54 Prozent der Patienten zeigte sich eine substantielle Verbesserung, bei 26 Prozent veränderte sich das Schmerzempfinden nicht oder verschlechterte sich (Pfingsten et al. 1996).

In einer von Jäckel et al. (1987) beschrieben Studie trat nach Durchführung eines intensiven krankengymnastischen und balneophysikalischen Therapiekonzepts im Rahmen einer stationären Rehabilitation eine signifikante Abnahme der Schmerzintensität, der Depressivität und der Ängstlichkeit ein (gemessen mit MOPO-Skalen = Measurement of patients outcome).

4.5.7 Ergebnisse: Depressivität und Therapieerfolg

Das Ausmaß der Depressivität bei den von uns untersuchten Patienten, gemessen mit der Allgemeinen Depressions Skala (ADS, Hautzinger und Bailer 1993), war bereits bei Aufnahme zum Heilverfahren verhältnismäßig gering. Bei nur sieben Patienten (7.3 Prozent) lagen die ADS-Werte oberhalb des Grenzwertes von 23 Punkten, ab welchem eine Depression angenommen werden kann.

Im Gegensatz hierzu ließen sich z. B. in der GRIP-Studie überdurchschnittlich hoch ausgeprägte Depressionswerte nachweisen. Es muss jedoch berücksichtigt

Schmerzambulanz/Schmerzklinik handelte, die nach Turk und Rudy (1991)

„insgesamt stärker beeinträchtigt sind“ und „mehr psychosoziale Störungen aufweisen“ (Pfingsten et al. 1993).

Im Mittel zeigte sich jedoch auch bei unseren Patienten eine Abnahme der Depressivität im Verlauf des Heilverfahrens um durchschnittlich 3.4 Punkte.

Dies entspricht einer statistisch signifikanten Reduktion (um 30.1 Prozent).

Die Prüfung der Einflussnahme der Depressivität auf die einzelnen Erfolgsparameter unserer Studie (Schmerzabnahme, Kraftzuwachs, Wirbelsäulen- und LWS-Beweglichkeitszunahme, Zunahme der subjektiven Funktionseinschätzung) ergab keine statistisch auffälligen Ergebnisse.

Zum Teil zeigten sich in der Gruppe der depressiv eingestuften Patienten (n = 7) geringe Verschlechterungen. Statistisch signifikante Unterschiede ließen sich jedoch nicht finden.

Beim Zusammenhang zwischen Depressivität und Zunahme der WS- bzw.

LWS-Mobilität zeigte sich eine statistische Tendenz. In der Gruppe der depressiv auffälligen Patienten nahm die Beweglichkeit leicht ab, die übrigen nicht depressiven Patienten konnten eine geringe Verbesserung der WS- und LWS-Beweglichkeit erzielen.

Allerdings zeigte sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Variable Depressivität und dem Therapieerfolg (vgl. Definition von Therapieerfolg Kapitel 3.4.1).

Insgesamt sind diese Resultate nicht ausreichend, um den Faktor Depressivität als Prädiktor für den Erfolg einer Rehabilitationsmaßnahme zuzulassen.

Wir interpretieren dieses Ergebnis als Unabhängigkeit der Variable Depressivität vom Behandlungserfolg. Eine vorbestehende Depressivität sollte deshalb kein Hinderungsgrund sein, Patienten an einem umfassenden Schmerzbehandlungsprogramm teilnehmen zu lassen (vergleiche Pfingsten et al.

1996).