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Erhalt und Entwicklung innerstädtischer Freiflächen

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Sarah Baum, Peter Elsasser, Roland Goetzke, Martin Henseler, Jana Hoymann und Peter Kreins

3.1 Handlungsfelder im Siedlungswesen

3.1.4 Erhalt und Entwicklung innerstädtischer Freiflächen

Durch das Phänomen der städtischen Wärmeinsel sind Siedlungsbereiche in besonderem Maße von klimawandelbedingten Veränderungen der Temperatur betroffen. Vor allem langanhaltende Hitzewellen können eine Belastung für die Gesundheit der Bewohner, insbesondere älterer und kranker Menschen sowie Kleinkinder bedeuten.

Erläuterung Hitzeperioden: Während an heißen Tagen der Temperaturunterschied am Tag zwischen Stadt und Umland meist nur wenige Grad beträgt, kann er in windstillen und wolkenlosen Sommernächten mehr als 10 °C ausmachen (Oke 1997). In langanhaltenden Hitzeperioden ist die fehlende Abkühlung in der Nacht eine besondere Belastung für die Gesundheit. Weniger als die am Tage gemessene Lufttemperatur wird die sogenannte gefühlte Temperatur von Änderungen der Stadtstruktur beeinflusst, die das thermische Wohlbefinden des Menschen im Besonderen charakterisiert. Die gefühlte Temperatur beinhaltet neben der gemessenen Temperatur auch Windgeschwindigkeit, Luftfeuchte und Strahlung.

Fallbeispiel

Ein Beispiel für die Auswirkungen von extremen Starkniederschlägen im Siedlungs-bereich ergab sich am 28.07.2014 in der Region Münster, wo mehr als 190 l/m2 Niederschlag in zwölf Stunden fielen und zwei Todesopfer sowie eine Schadens-summe von ca. 80 Mio. € zu beklagen waren. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) rechnet in einer Stellungnahme mit einer Verdopplung des Auftretens derartiger Wetterlagen bis zum Jahr 2100 (DWD 2014).

Auch die thermisch-mechanische Belastung von Gebäuden und Infrastrukturen nimmt unter einer steigenden Anzahl an Hitzetagen zu (BMVBS 2011). Eine zunehmende Ver-dichtung und Ausdehnung des Siedlungskörpers verstärkt diese Problematik. Durch die Versiegelung von Böden in Siedlungsbereichen und durch Verkehrsflächen erhöht sich zudem der Direktabfluss von Niederschlägen, da der Wasserrückhalt in Boden und Vegetation nicht gegeben ist (Arnold und Gibbons 1996) (siehe Fallbeispiel oben).

In vielen Gebieten gibt es bereits heute mehr als sieben heiße Tage (Maximal-temperatur >30 °C) pro Jahr. Schwerpunkte liegen am Ober- und Mittelrhein, dem Rhein-Main-Gebiet und in Brandenburg (vgl. Abb. 3.2). Bis zum Jahr 2100 wird die Anzahl heißer Tage in vielen Regionen Deutschlands deutlich zunehmen.6 Ein Großteil der deutschen Großstadtregionen liegt in den warmen Gebieten entlang von Rhein, Main

6Siehe Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK): http://www.klimafolgenonline.com/.

Abb. 3.2 Anzahl heißer Tage pro Jahr in Deutschland. (Durchschnitt der Periode 1981–2010)

und Ruhr sowie mit bspw. Berlin, Leipzig und Dresden im kontinental geprägten Ost-deutschland.

Die Maßnahme „Erhalt und Entwicklung innerstädtischer Freiflächen“ zielt auf die thermische Entlastung von Städten bei einer erwarteten Zunahme an Hitzetagen, die Stärkung der Erholungsfunktion in Metropolregionen sowie eine Erhöhung des natürlichen Wasserrückhalts und der Grundwasserneubildungsrate ab. Dies geschieht in erster Linie durch die Verbesserung der Versorgung mit und Erreichbarkeit von Grün- und Freiflächen innerhalb des Siedlungsraums und zwischen den Siedlungsräumen.7 Damit adressiert diese Maßnahme in erster Linie Klimaanpassungsaspekte. Daneben können sich positive Wirkungen für den Klimaschutz durch eine höhere Kohlenstoffspeicherung aufgrund umfangreicheren Grünvolumens im städtischen Raum ergeben. Die Maßnahme wirkt zudem positiv auf die Biodiversität, Luftreinhaltung, Lärmreduktion und Gesundheit.

1. Sicherung bestehender innerstädtischer Grün- und Erholungsflächen sowie Freiraum- und Grünplanung im Neubau

Um der Entstehung weiterer thermischer Belastung vorzubeugen, muss sowohl bei der Innenentwicklung als auch in neuen Baugebieten auf eine ausreichende Freiflächensorgung geachtet werden. Darunter ist weniger eine aufgelockerte Bebauung zu ver-stehen, die bei hohem Flächenbedarf ökonomisch und ökologisch wenig sinnvoll wäre, sondern die gezielte Berücksichtigung von grünen und blauen Strukturen, d. h. inner-städtischen Grün- und Wasserflächen und Luftaustauschkorridoren.

2. Erhalt regionaler Freiraumfunktionen und grüner/blauer Strukturen

In der Maßnahme findet eine Stärkung der Regional- und Landschaftsplanung bei der Sicherstellung von Kaltluftentstehungsgebieten und -leitbahnen, multifunktionaler regionaler Grünzüge und Freiraumfunktionen statt. Auch wenn der Erhalt und die Ent-wicklung innerstädtischer Freiflächen in erster Linie eine Aufgabe der Kommunen sind, so ist gerade die stadtregionale Freiraumstruktur ein Handlungsfeld der Regionalplanung (vgl. Knieling et al. 2013, S. 18). So könnten weitere Vorrang- und Vorbehaltsgebiete zum Siedlungsklimaschutz festgelegt oder weitere Siedlungsfreiflächen als regionale Grünzüge o. Ä. ausgewiesen werden, denen insgesamt eine hohe Bedeutung zukommt.

Die Landschaftsplanung hätte in diesem Zusammenhang große Gestaltungsoptionen, ist in weiten Teilen allerdings eher reaktiv angelegt und vor allem auf Natur- und Umweltschutzaspekte fokussiert. Durch die gezielte Verknüpfung von Naturschutz-, Klimaschutz und Freizeitnutzungsaspekten könnte die Landschaftsplanung eine höhere Steuerungswirkung entfalten.

7Auf Handlungsfelder aus dem Themenspektrum des urbanen Grüns wird in MBWSV NRW (2014) ausführlich eingegangen. Die hier modellierte Maßnahme berücksichtigt nur flächen-relevante Aspekte (z. B. keine Gebäudebegrünung), umfasst aber alle Siedlungstypen und nicht nur Städte.

3. Schaffung neuer innerstädtischer Grünflächen

Neben dem Erhalt beinhaltet die Maßnahme die Schaffung neuer Freiflächen, z. B. durch die Nutzung von Brachflächen und Baulücken für neue Grün- und Erholungsflächen und durch die Senkung der Umwandlungskosten von Brachflächen in Grünflächen. Insgesamt steigt in städtisch geprägten Gebieten, die derzeit eine Minderausstattung mit Grün- und Erholungsflächen aufweisen, der Bedarf an Erholungsfläche je Einwohner. Feste bundes-weite Richtwerte für die Grünflächenversorgung gibt es nicht. Nach einer Empfehlung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), die sich an Satzungen und Erlassen von Kommunen orientiert, die hierzu Aussagen getroffen haben, sollten im Schnitt jedem Ein-wohner etwa 55,75 m2 Erholungsfläche zur Verfügung stehen (Rittel et al. 2014, S. 63).8

Neben der Grünflächenversorgung spielt die Erreichbarkeit von Grünflächen im Kontext von Klimaanpassung eine wichtige Rolle. Laut Empfehlungen des BfN sollten sich wohnungsnahe Grünräume in einer Entfernung von nicht mehr als 500 m (5 bis 10 Gehminuten) zur Wohnung befinden (Rittel et al. 2014, S. 62).

4. Rückbau, Entsiegelung und Konzentration gebauter Strukturen

In Schrumpfungsregionen und Städten mit hohem Leerstand kann ein Teil des Gebäude-bestands zurückgebaut werden, um weitere Potenziale für urbane Grünflächen zu schaffen. Zwischen 2001 und 2010 wurden allein in den neuen Bundesländern ca.

284.700 Wohnungen abgerissen (BMVBS 2012, S. 23). Gerade vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung nach 2020 bleibt „Rückbau auch zukünftig eine Kernaufgabe des Stadtumbaus“ (ders., S. 82), jedoch tendiert der Fokus im Stadtumbau deutlich in Richtung Aufwertung (ders., S. 25). Solche freiwerdenden Flächen können als qualitativ hochwertige Grün- und Erholungsflächen genutzt werden.

Berücksichtigt man die derzeitigen und bis 2030 projizierten Leerstände (vgl.

Abschn. 3.1.1), könnten nach groben Schätzungen mindestens 280.000 Gebäude zurück-gebaut werden. Bei einem solchen Rückbau ist jedoch darauf zu achten, dass der städtebau-liche Charakter von Quartieren nicht verloren geht. Vielfach ist den Kommunen der Zugriff auf leerstehende und im Verfall befindliche Objekte nicht ohne weiteres möglich und der Abriss sowie vor allem die Anlage und Pflege von Grünflächen mit erheblichen Kosten ver-bunden. Ohne die Bereitstellung finanzieller Mittel ist diese Maßnahme kaum umzusetzen.

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