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3.2.9 300 Jeverländer Kühe für Palästina 72

5.1 Strategien der Ausgrenzung jüdischer Tierärzte

5.1.2 Entzug des Doktorgrades

Die Aberkennung des Doktorgrades (Paul Stern, Hermann Cussel) erfolgte an der TiHo Hannover nach § 10 der Promotionsordnung vom 15. März 1938: "Die Entziehung des Doktorgrades erfolgt auf Grund der allgemeinen Erlasse des Reichserziehungsministers bzw. auf Grund des Gesetzes über die Führung akademischer Grade sowie der zu seiner Durchführung ergehenden Verord-nungen und Erlasse. Danach kann der Doktorgrad wieder entzogen werden, „...

c) wenn sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig erwiesen hat...".

Eine weitere Handhabe war der Verlust der Staatsbürgerschaft. Unter diesem Vorwand wurde Abraham Windmüller, Max Wolf und Walter Pohly der Doktorgrad entzogen. Die nachfolgenden Schreiben belegen, dass man die Gründe gerne noch willkürlicher formuliert hätte:5

Tierärztekammer Berlin Geschäftsstelle: O.43, Zentralviehhof

Dr. Grove den 31. Juli 1939

Universitätsarchiv Eingegangen: 1. Aug.

1939

Philos. Fakultät

Tgb. Nr. 159/39

Betrifft: Dr. Kantorowicz

An die

philosophische Fakultät

der Universität

L e i p z i g

Der jüdische Tierarzt Dr. Kantorowicz (Richard Israel) geb.

3.2.76, promoviert Dezember 1897, hat, wie er auf Anfrage mitteilt, seinen Doktortitel bei der Leipziger philosophischen Fakultät erworben. Ich erlaube mir die Anfrage, wann Herrn Dr. K. dieser Titel seitens der Fakultät entzogen wird.

Heil Hitler!

I.V.

[Unterschrift unleserlich]

5Universitätsarchiv Leipzig: Phil. Fak. Prom 2990: Personalakte Kantorowicz, Blatt 9 u. 10.

1. August 1939

An

Ro./Ge. die Tierärztekammer Berlin

Zu Tgb.-Nr.1539/39

B e r l i n O 34 Zentralviehhof

Auf Ihre Anfrage vom 31. Juli 1939 teile ich mit, dass Richard Kantorowicz am 29. März 1898 von unserer Fakultät zum Dr. phil. promoviert worden ist. Der Dr.-Titel ist ihm noch nicht wieder entzogen worden, weil nach einem Erlasse des Herrn Reichserziehungsministers die Tatsache der jüdischen Abstammung allein leider nicht die Entziehung des Dr.-Grades rechtfertigt.

Heil Hitler!

[Unterschrift unleserlich]

d. Z. Dekan der mathemathisch-

naturwissenschaftlichen Abteilung der Philosophischen Fakultät

Insgesamt wurde mindestens 14 Tierärzten in der Zeit des Dritten Reiches der Doktorgrad entzogen. Von diesen waren mindestens fünf jüdische Tierärzte (Hermann Cussel, Walter Pohly, Paul Stern, Abraham Windmüller, Max Wolf).6 Nach dem Krieg blieben diese „Verwaltungsakte“ zunächst wirksam. Eine interessante Ausnahme stellte Dr. Max Wolf dar. Auf eigenes Betreiben hin gelang es ihm nach 51 Jahren, seinen Doktorgrad, den er an der TiHo Stuttgart 1912 erworben hatte, 1963 in Hannover zu erneuern. Der Vorgang ist nicht aktenkundig. Prof. Wilhelm Schulze, seinerzeit Direktor der Klinik für Kleine Klauentiere und Mitglied des Senats der TiHo Hannover, erinnert sich jedoch an einen solchen Fall. Bei den entsprechenden Veröffentlichungen in den tierärztlichen Fachzeitschriften wie Deutsche Tierärztliche Wochenschrift oder Berliner und Münchner Tierärztliche Wochenschrift wird die Rehabilitation Wolfs gleichfalls nicht erwähnt. Dagegen wird die 50jährige Promotion einiger

6 Die Historikerin Sabine Happ stellte bislang für das Deutsche Reich inklusive Österreich 1775 Fälle fest. Sabine Happ: Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von akademischen Graden. Eine Auswertung der Rundschreiben deutscher Universitäten in der NS-Zeit. Vortrag gehalten am 16. März 2000 bei der Frühjahrstagung der Sektion 8 des Vereins deutscher Archivare, 15.-17. März in der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Unveröffentlicht.

anderer Jubilare bei der Promotionsfeier in Hannover wie auch in den Fachzeitschriften ausdrücklich gewürdigt. Über die Gründe, warum die Erneuerung der Promotion Wolfs heimlich geschah, lässt sich nur spekulieren.

Im Archiv der TiHo Hannover fand sich kein Hinweis auf den Vorgang.

In Giessen fasste der Senat am 8. Februar 1967 folgenden Beschluss:7

„Der Senat der Justus-Liebig-Universität stellt fest, dass in der Zeit vom 30.1.1933 bis 8.5.1945 aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen erfolgte Entziehungen von Doktorgraden und Ehrendoktorgraden der Ludoviciana rechtswidrig erfolgt sind und infolgedessen nichtig sind.“

An der Berliner Humboldt-Universität erfolgte am 7. Juli 1998 eine Rehabilitierung der Personen, denen in der NS-Zeit und in der DDR akademische Grade aberkannt worden waren, in Form einer Erklärung des Universitätspräsidenten, Prof. Dr. Hans Meyer, vor dem Akademischen Senat.

Wortlaut:

"Ich erkläre für die Humboldt-Universität zu Berlin, daß die Aberkennung des Doktorgrades der nachfolgend aufgeführten Personen während der Herrschaft des Nationalsozialismus wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist und daher von Anfang an ungültig war. Eine wissenschaftliche Leistung hat weder mit der Staatsangehörigkeit einer Person zu tun, noch mit einer

`Rassenzugehörigkeit` oder einer politischen Einstellung. Die Ent-scheidungen waren grob willkürlich und menschenverachtend."

Es folgt eine namentliche Aufzählung der Rehabilitierten.

Die Universität Leipzig hatte schon 1948 einen Beschluss gefasst, der es möglich machte, aus politischen Gründen erfolgte Aberkennungen von Doktorgraden auf Antrag zu revidieren. In seiner Sitzung vom 12. Juni 2001 fasste der akademische Senat der Universität Leipzig zusätzlich folgenden Beschluss:

„Das auch von Organen der Universität Leipzig während des Naziregimes begangene Unrecht kann nicht ungeschehen gemacht werden. Dem akademischen Senat ist es ein Anliegen ausdrücklich festzustellen, dass die Willkürakte, insbesondere die Aberkennung von Doktorgraden und anderen akademischen Graden, die ausschließlich der Verfolgung aus politischen, rasseideologischen und Glaubensgründen dienten, mit grundlegenden Prinzipien eines Rechtsstaates nicht vereinbar und deshalb von Anfang an nichtig waren. Die Feststellung des Senats fußt auf der

7Universitätsarchiv Giessen PrA Nr. 2668.

Überzeugung, dass in den erwähnten Fällen in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und gegen die Menschenwürde verstoßen wurde und in keinem dieser Fälle rechtsstaatliche Voraussetzungen für die ergriffene Maßnahme vorlagen. Der akademische Senat fordert die Fakultäten auf, den Doktorgrad in einer Urkunde zu erneuern, wenn Betroffene oder deren Angehörige das wünschen.“8

Die Ludwig-Maximilians-Universität München gab 1996 folgende Presseerklärung über die Deutsche Presseagentur (dpa) heraus,9 die in der Frankfurter Rundschau vom 3.6.1996 wie folgt wiedergegeben wurde:

„Während der NS-Zeit 135 Doktortitel aberkannt

München, 2. Juni (dpa). Im Nationalsozialismus ist an der Ludwig-Maximilians-Universität München 135 Akademikern aus politischen oder rassistischen Gründen der Doktortitel aberkannt worden. Dies habe eine Recherche im Universitätsarchiv ergeben, teilte das Pressereferat der Universität am Wochenende mit. Das Rektoratskollegium und die Dekane betonten, dass diese Aberkennung von Titeln aus heutiger Sicht rechtswidrig und nicht gültig sei. Bislang habe jedoch niemand an der Universität an eine ‚generelle Nachprüfung dieser Akte national-sozialistischen Unrechts’ gedacht. Da die meisten Betroffenen inzwischen verstorben seien, diene die Recherche der Universität vor allem als Geste gegenüber den Hinterbliebenen. Die Universität München bekenne sich damit zu der Verantwortung, die aus ihrer eigenen Geschichte erwachse.“

Eine vergleichbare Rehabilitation steht an der Tierärztlichen Hochschule Hannover noch aus.