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Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft

4. Die staatliche menschenrechtliche Schutzpflicht Deutschlands und der Agrarsektor

4.2 Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft

Die UN-Leitprinzipien verpflichten die Staaten Poli-tikkohärenz zu gewährleisten. Entsprechend UN-Leit-prinzip 8 „sollten Staaten sicherstellen, dass staat-liche Ministerien, Stellen und andere Einrichtungen auf staatlicher Grundlage, welche die Unternehmen-spraxis beeinflussen, sich bei der Erfüllung ihres je-weiligen Mandats der Menschenrechtsverpflichtun-gen des Staates bewusst sind und diese beachten“.

Zudem sind die Staaten durch die UN-Leitprin-zipien angehalten, „angemessene Aufsicht aus[zu]

üben, um ihren internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, wenn sie mit Wirt-schaftsunternehmen vertraglich oder durch Gesetz die Erbringung von Dienstleistungen vereinbaren, die sich auf die Wahrnehmung der Menschenrechte auswirken können.“ (UN-Leitprinzip 5)

Seit Mitte der 1990er Jahre kooperiert die Bundesre-gierung im Rahmen der staatlichen Entwicklungszusam-menarbeit (EZ) zunehmend mit der Privatwirtschaft. Die Landwirtschaft spielt in vielen Ländern eine zentrale Rol-le für die Armuts- und Hungerbekämpfung sowie für die wirtschaftliche Entwicklung, sodass insbesondere in die-sem Bereich die Kooperation mit Unternehmen ausgebaut wurde (DEval 2018: VI). Seit 1999 existiert das Programm develoPPP des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und hat mit ei-nem Gesamtvolumen von mehr als einer Milliarde Euro seither über 2.000 Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft umgesetzt. Knapp ein Fünftel der Projekte hat einen landwirtschaftlichen Fokus. Im Rahmen der Koope-rationsprojekte stellt das BMZ den Unternehmen finan-zielle und fachliche Unterstützung zur Verfügung, während mindestens die Hälfte der Gesamtkosten eines Projekts von Unternehmensseite finanziert werden muss.4

Insbesondere nach dem Weltwirtschaftsforum von 2011 nahm die Zusammenarbeit mit großen Agrarkonzernen zu, und das BMZ (unter Bundesminister Niebel) betonte, dass es private Unternehmen in die Entwicklung ländlicher Räu-me und die Ernährungssicherung verstärkt einbeziehen und deren Potenziale nutzen möchte. Dies umfasste ne-ben der Förderung von Public-Private-Partnerships (PPPs)

Eine Kleinbäuerin wäscht Mais für die Weiterverarbeitung zu Maismehl. Die lokale Versorgung kann unter der Weltmarktorientie-rung großangelegter Entwicklungsprojekte mit Agrarunternehmen leiden.

Foto: Ressel/MISEREOR

4 https://www.developpp.de/das-programm-foerderung-fuer-entwicklungspartner- schaften-mit-der-wirtschaft/zahlen-daten-fakten-zahlen-daten-fakten-zum-developp-pde-foerderprogramm/

Produktion durch „Modernisierung“ und „Professiona-lisierung“ ab und setzen dabei vorrangig auf einzelne Produkte und ihre Wertschöpfungsketten (Produktion, Verarbeitung, Vermarktung). Gefördert wird u. a. die Mechanisierung der Landwirtschaft, der Einsatz von Hy-bridsaatgut und Kunstdünger, der Aufbau von Kühlket-ten und Dienstleistungen, wie Beratung, Schulung und der Zugang zu Krediten. Die Grünen Innovationszentren sollen in enger Kooperation mit deutschen und interna-tionalen Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirt-schaft umgesetzt werden und darüber hinaus Verbän-de, Forschungsinstitutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen einbeziehen. 110 Kooperationen wur-den bislang geschlossen.6

Die Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger (SEWOH) umfasst einen erheblichen Teil der Aktivitäten des BMZ im Bereich Ländliche Entwicklung und Ernährungs-sicherung. Zwischen 2014 und 2017 wurden mehr als 500 Millionen Euro innerhalb der Sonderinitiative ver-ausgabt. Circa die Hälfte der Summe, 266,5 Millionen Euro, wurde für das Globalvorhaben Grüne Innovati-onszentren bis 2017 bereitgestellt (Schäfer 2017: 8).

Bis März 2024 sollen 415 Millionen Euro in die Grünen Innovationszentren fließen. Derzeit läuft die Förderung in 14 afrikanischen Ländern und in Indien.5

Die Grünen Innovationszentren zielen auf die Er-trags- und Einkommenssteigerung der kleinbäuerlichen Kasten: Grüne Innovationszentren

5

http://www.bmz.de/de/themen/ernaehrung/gruene_innovationszentren/hinter-grund/index.html 6

http://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/infobroschueren_flyer/in-fobroschueren/Materialie320_Gruene_Innovationszentren.pdf (BMZ 2019)

Bericht 2020 • Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte: Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand 4. Die staatliche menschenrechtliche Schutzpflicht Deutschlands und der Agrarsektor

Problematisch ist dies, weil zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung insbesondere marginali-sierte und vulnerable Gruppen im Fokus stehen müss-ten und ihre Partizipation sichergestellt werden sollte.

Bei großangelegten Entwicklungsprojekten ist es daher wichtig, auch die Auswirkungen auf die kleinbäuerlichen Erzeuger*innen und andere von Armut betroffene oder bedrohte Gruppen zu berücksichtigen, die nicht Teil des Projektes sind (Oxfam 2016). Eine Ex-ante-Untersuchung zu möglichen negativen Auswirkungen auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen, wie es der Menschenrechtsleitfa-den des BMZ (2013) verlangt, müsste diese Risiken erfas-sen. Doch die Durchführung von Risikoanalysen erfolgt in der Projektpraxis allenfalls lückenhaft (DEval 2018).

Darüber hinaus birgt die Wirtschaftskooperation der staatlichen EZ das Risiko, dass Entwicklungsgelder Unter-nehmenstätigkeiten subventionieren, die auch ohne staat-liche Kofinanzierung im Eigeninteresse des Unternehmens

men von kleinbäuerlichen Produzent*innen gesteigert und die Ernährung von 30 Millionen kleinbäuerlichen Haushalten in Afrika verbessert werden. In den Pro-grammen von AGRA wird der Einsatz von synthetischen Düngemitteln und Hybridsaatgut gefördert, und Bauern durch Schulungen und Beratung an die inputintensive Landwirtschaft herangeführt. Des Weiteren sollen pri-vate Investitionen gefördert und Investoren angelockt werden. Über AGRA findet außerdem Politikberatung in den beteiligten afrikanischen Ländern statt, um förder-liche politische Rahmenbedingungen für die Industria-lisierung der Landwirtschaft durchzusetzen. Beispiels-weise setzt sich AGRA für Saatgutgesetzgebungen zur Formalisierung des Saatgutmarktes unter Ausschluss des bäuerlichen Saatguts ein, obwohl rund 80 Prozent des Saatgutes in Afrika aus bäuerlicher oder traditionel-ler Erzeugung stammen, sowie für die Subventionierung von synthetischen Düngemitteln durch staatliche Pro-gramme. Hingegen spielen Menschenrechte bei AGRA eine untergeordnete Rolle und menschenrechtliche Prinzipien wie Partizipation, Nicht-Diskriminierung, Transparenz, Rechenschaftslegung werden nicht aus-reichend berücksichtigt (Forum Umwelt & Entwicklung 2018, Herre et al. 2019).

Die „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“

(AGRA) wurde 2006 von der Bill und Melinda Gates-Stiftung und der Rockefeller-Gates-Stiftung gegründet. Die Bundesregierung unterstützt AGRA seit 2017 durch eine Förderung in Höhe von zehn Millionen Euro. Insgesamt hat AGRA seit ihrer Gründung bis Ende 2017 circa 400 Projekte in 18 afrikanischen Ländern mit rund 461 Mil-lionen US-Dollar finanziert. Neben der Bill und Melinda Gates-Stiftung, die AGRA bisher mit rund 380 Millio-nen US-Dollar AGRA bislang unterstützt hat, zählen die United States Agency for International Develop-ment (USAID) und das UK DepartDevelop-ment for International Develop ment (DFID) zu den großen Geldgebern (Forum Umwelt & Entwicklung 2018). Internationale Agrarun-ternehmen, darunter Monsanto (mittlerweile Bayer), Syngenta, Cargill, Yara und DuPont, sind als „Entwick-lungspartner“ an AGRA beteiligt oder verfügen über personelle Überschneidungen auf der Führungsebene (Schäfer 2017: 5).

Ziel von AGRA ist die Transformation der afrikani-schen Landwirtschaft nach dem Vorbild der „Grünen Revolution“, hin zu einer kommerziellen und inputin-tensiven Landwirtschaft. Dadurch sollen die

Einkom-Kasten: Alliance for a Green Revolution for Africa (AGRA)

umgesetzt worden wären. Da einige wenige transnationale Unternehmen über eine große Marktmacht verfügen und die Marktkonzentration durch Übernahmen und Fusionen in den letzten Jahren weiter gestiegen ist, besteht ein gro-ßes Machtungleichgewicht und es kann zu Interessens-konflikten zwischen den Kooperationspartnern aus der Wirtschaft und den Zielgruppen der EZ kommen. Insbe-sondere kleinbäuerliche Erzeuger*innen sind sowohl bei der Wahl der landwirtschaftlichen Betriebsmittel als auch bei der Vermarktung ihrer Produkte von der Marktmacht der Unternehmen betroffen (Schäfer 2017: 10).

Sowohl bei den Grünen Innovationszentren als auch bei der Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) ist die Kooperation mit Unternehmen wie Bayer und Yara, die große Teile des Saatgut- und Pestizidmarktes und des Düngemittelmarktes kontrollieren, hochproblematisch.

Sie birgt das Risiko, dass sich die Unternehmen unter dem Deckmantel der Entwicklungszusammenarbeit

Absatz-Durch die Ausweitung der großflächigen industriellen Agrarproduktion im tansanischen Wachstumskorridor haben kleinbäuerliche Erzeuger*innen ihr Land verloren.

Foto: Ressel/MISEREOR

märkte für ihre Produkte sichern. Beispielsweise wurde im Rahmen der Grünen Innovationszentren in Indien im Jahr 2016 ein Vertrag zwischen der GIZ und Bayer CropS-cience abgeschlossen zur „Modernisierung“ der Apfel-Wertschöpfungskette (Apple Value Chain Interventions for Development, AVID). Im Rahmen des Projektes führte Bay-er CropScience Schulungen mit BäuBay-erinnen und BauBay-ern durch und gab Fungizidempfehlungen ab (Oxfam 2016).

Mit Blick auf AGRA zeigt sich, dass ein Großteil der ge-förderten Projekte das Ziel verfolgt, die Anwendung von synthetischem Dünger und Hybridsaatgut zu erhöhen.

Über Trainings werden kleinbäuerlichen Produzent*innen inputintensive Formen der Landwirtschaft vermittelt und sie erhalten Hybridsaatgut und synthetische Düngemittel.

In AGRA-Projekten wurden zwischen 2007 und 2016 fast 40.000 sogenannte Agro-Dealer ausgebildet, mit deren

Hilfe 1,5 Millionen Tonnen synthetische Düngemittel ver-kauft wurden. Da viele kleinbäuerlichen Produzent*innen nur begrenzt Zugang zu Informationen über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Produktionssysteme haben, wird ihre Wahlfreiheit durch ein derartiges Vorgehen ein-geschränkt. Alternative Ansätze haben kaum eine Chance sich durchzusetzen (Forum Umwelt & Entwicklung 2018).

Was die unternehmenszentrierten develoPPP-Projek-te anbelangt, kommt eine Evaluierung des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) zu dem Schluss, dass „vor allem unternehmeri-sche Zielsetzungen im Vordergrund stehen und sich diese unterschiedlich gut mit entwicklungspolitischen Zielen verbinden lassen“ (DEval 2016: 32).

Bericht 2020 • Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte: Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand 4. Die staatliche menschenrechtliche Schutzpflicht Deutschlands und der Agrarsektor

den Leitfaden zur Berücksichtigung von menschenrecht-lichen Standards und Prinzipien, einschließlich Gender, fehlt aber bei der Erstellung von Programmvorschlägen (2013) als handlungsleitende Dokumente der deutschen EZ. Bei dem ebenfalls untersuchten develoPPP-Programm wurde festgestellt, dass es keine klaren Richtlinien für Un-ternehmen gibt und das Programm zur Beachtung men-schenrechtlicher Risiken vorrangig auf die Selbstverpflich-tungen der Unternehmen setzt. Die Evaluierung zeigt, dass menschenrechtliche Risiken im Vorfeld der Projekte nicht ausreichend geprüft werden und während der Durchfüh-rung kein systematisches Monitoring durchgeführt wird, und kommt zu dem Schluss, dass „menschenrechtliche Aspekte (…) sowohl in der politisch-strategischen als auch besonders in der operativen Steuerung noch nicht in der Form integriert sind, wie es eigentlich laut Menschen-rechts-Konzept und Leitfaden sowie anderer zentraler Dokumente der Fall sein sollte“ (DEval 2018: 57). Die Eva-luierung empfiehlt daher, dass die Prüfung und das Moni-toring menschenrechtlicher Risiken in Projekten, in denen die EZ mit der Privatwirtschaft im Agrarsektor kooperiert, gestärkt und besser im BMZ kontrolliert werden sollten.

Dafür sollten im BMZ als auch in der GIZ angemessene personelle und zeitliche Ressourcen bereitgestellt wer-den. Prüfung und Monitoring können von den Durchfüh-rungsorganisationen und den Unternehmen gemeinsam durchgeführt werden und die Einbindung lokaler Akteure sollte erwogen werden (DEval 2018: 73). Darüber hinaus könnte ein systematischer Ansatz zur frühzeitigen Einbe-ziehung von vulnerablen und diskriminierten Gruppen bei der Entwicklung von Strategieansätzen des BMZ sowie in Projekten dazu beitragen, Menschenrechte stärker in der Praxis der EZ zu verankern.

Menschenrechtliche Standards und Prinzipien in den Programmen der staatlichen EZ zur Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft im Agrarsektor

Das Konzept „Menschenrechte in der deutschen Ent-wicklungspolitik“ des BMZ von 2011 unterstreicht, dass die Förderung von Menschenrechten ein zentrales Ziel der deutschen EZ und relevant für die Umsetzung ande-rer Entwicklungsziele ist, wie beispielsweise Armutsredu-zierung. Das Dokument weist aber auch darauf hin, dass durch Aktivitäten in Rahmen der EZ, wie Investitionen und unternehmerische Tätigkeiten, Menschenrechte gefährdet werden können (BMZ 2011: 15). Der Agrarsektor wird als einer der Politikbereiche genannt, in denen dieses Risiko besteht (BMZ 2011: 12). Das Konzept gibt daher vor, dass

„im Vorfeld aller Vorhaben der bilateralen EZ […] eine Prü-fung menschenrechtlicher Risiken und Wirkungen vorzu-nehmen“ ist (BMZ 2011: 15). Wenn mit der Privatwirtschaft kooperiert wird, sollen die Unternehmen auf die UN-Leit-linien für Wirtschaft und Menschenrechte und ihre Verant-wortung zur Einhaltung menschenrechtlicher

Sorgfalts-pflichten hingewiesen werden (BMZ 2011: 16). Allerdings bleibt der „Referenzrahmen für Entwicklungspartnerschaf-ten im Agrar- und Ernährungssektor“ des BMZ (Stand 2019) für die Kooperation mit der Privatwirtschaft unkonkret und niedrigschwellig, was menschenrechtliche Aspekte bzw.

Sozialstandards angeht: Von den teilnehmenden Unter-nehmen wird erwartet, dass sie ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkommen und die Einrichtung eines menschenrechtlichen Risikomanagement-Systems wird empfohlen. Dabei soll die Ausgestaltung und Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten keine unver-hältnismäßigen bürokratischen Belastungen verursachen, so der Referenzrahmen (BMZ 2019).

Die Evaluierung der Zusammenarbeit mit der Privat-wirtschaft im Agrarsektor (DEval 2018: 56f) stellte bei der Analyse der Grünen Innovationszentren fest, dass diese sich auf das Do-no-harm-Prinzip, die ILO-Kernarbeitsnor-men und die UN-Leitlinien beziehen und die Unterstützung des Rechts auf Nahrung und menschenrechtliche Prinzi-pien wie Partizipation und Chancengleichheit betonen.

Der Bezug auf das Menschenrechts-Konzept (2011) und

Großflächige Landnahmen konkurrieren mit kleinbäuerlichem Ackerland und gemeinschaftlich genutztem Weideland und Buschland.

Foto: Ressel/MISEREOR

Bericht 2020 • Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte: Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand 5. Menschenrechtliche Verantwortung: Was deutsche Unternehmen des Agrarsektors tun – oder lassen

5. Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht