• Keine Ergebnisse gefunden

Die Entwicklung der Gemeinde nach 1945

Der sozial-ökonomische Wandel der Gemeinde Waldesch bei Koblenz seit 1945

3. Die Entwicklung der Gemeinde nach 1945

3. 1 DIE AUSGANGSSITUATION

Bis zum Jahre 1950 hat sich die wirtschaftliche und soziale Grundstruktur der Gemeinde, nicht zuletzt infolge der Krisensituation der Nachkriegszeit, kaum gewandelt. So zeigen denn auch die Ergebnisse der Volkszähhmg von 1950 keine bedeutenden Abweichungen von den Werten des Jahres 1939 (STATISTIK VON RHEINLAND-PFALZ Bd. 21): Der primäre Sektor der Wirtschaft umfaßt noch 37 % der Bevölkerung (Berufszugehörige) gegenüber dem sekundären mit 42,4 % und dem tertiären Sektor mit 20,6 %. In der Berufsstruktur hat sich so gut wie nichts geändert, das stärkste Kontingent stellen die Arbeiter (55,4 %) vor den Selbständigen und Mithelfenden (38,8 %) sowie den Beamten und Ange­

stellten (5,8 %).

Soll die sozial-ökonomische Ausgangssituation der Bevölkerung zu Beginn der stürmischen Nachkriegsentwicklung der Gemeinde mit wenigen Strichen gezeichnet werden, so ist vor allem hervorzuheben, daß mit der dominierenden Lebensform des Arbeiterbauerntums, verbunden mit einer starken Pendel-wanderung, bereits vor dem Kriege eine tiefgreifende Umgestaltung traditioneller agrarisch-ländlicher Gesellschaftsstrukturen erfolgt war (vgl. KÖTTER 1958, S.135 ff. ) • War die alte dörfliche Gesellschaft, bei aller sozialen Differenzierung, durch eine im engen räumlichen Umkreis, d.h. im Bereich der Gemeinde sich abspielende Totalität der Sozialbeziehungen gekennzeichnet, so wird für den pendelnden Arbeiterbauern die Zahl der möglichen über diesen Rahmen hinaus-gehenden sozialen Kontakte und Beziehungen erheblich größer •. Privatwelt und Arbeitswelt trennen sich; der einzelne ist nicht mehr vollständig in ein

ein-ziges Sozialgefüge eingeordnet; sein Verhalten wird vielmehr zunehmend durch die Normen verschiedener Sozialgebilde bestimmt. Das Gesamtverhalten ist somit durch eine „unvollständige Integration" gekennzeichnet, eine Erscheinung, die BAHRDT als typisch für die städtische Lebensform ansieht (vgl. BAHRDT 1969, S. 63 f. ) .. Die ländliche Gemeinde, bereits in jenem Zwischenfeld von Stadt und Land gelegen, das die amerikanische Soziologie mit „rurban" be-zeichnet (vgl. KÖTTER 1958, S. 94), ist somit zu einem offenen System ge-worden, in das die nicht mehr voll integrierten Bevölkerungsgruppen, d. s. im wesentlichen die Pendler, gleichsam als Innovatoren ständig neue Verhaltens-weisen und Wertvorstellungen einbringen und damit den sozialen Wandel vor-antreiben. Diese kurz skizzierte soziale Situation stellt eine entscheidende Voraussetzung flir die weitere Entwicklung unserer Gemeinde dar.

Ein z w e lt e r , kaum zu überschätzender Faktor flir den Strukturwandel ist die rämn l iche Lage, die enge Nachbarschaft zu Koblenz. Die N"ähe zum großstäd-tischen Wirtschafts- und Informationszentrum hat einmal die Entwicklung von Waldesch bis zum Jahre 1950 entscheidend beeinflußt, zum anderen wird sie von großer Bedeutung für die spätere Ansiedlung ortsfremder Bevölkerungs-gruppen, einer Erscheinung, der im folgenden noch besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll.

3. 2 DIE ENTWICKLUNG IN DER LANDWIRTSCHAFT

3. 2. 1 Die Wandlungen im Bodennutzungsgefüge

Das Bodennutzungsgefüge einer Gemarkung ist ein physiognomischer Ausdruck der Aktivitäten der Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe. Diese Aktivitäten entspringen aus den jeweiligen Vorstellungen vom Wert des Grund und Bodens, vom wirtschaftlichen Sinn und Ziel der Landnutzung, ganz allgemein aus der Einstellung zur bäuerlichen Lebens- und Wirtschaftsform.

Im Jahre 1949 stellten Ackerland und Grünland, bei einem Verhältnis von 1:0,7, niit 97,4 % nahezu die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche (STATI-STISCHES LANDESAMT, Bodennutzungserhebung 1949). Von großer, in den Bo-dennutzungserhebungen im allgemeinen nicht faßbarer Bedeutung war der ausge-dehnte Streuobstbau (1951: 7961 Obstbäume,davon 63 % Kirschbäume (STAT.

LANDESAMT, Obstbaumzählung 1951) ), der den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben spürbare Bargeldeinnahmen lieferte.

Bis zum Jahre 1966, dem Zeitpunkt einer vom Verfasser durchgeführten Landnutztm.gskartierung, hat eine erhebliche Differenzierung der Nutzungs­

formen stattgefunden. Neben gepflegtem Acker- und Grünland finden sich nun allenthalben in der Flur nicht bewirtschaftete öd- \llld brachliegende Parzellen.

Der Anteil dieser Flächen an der LNF beträgt etwa 20 - 25 %, ein Wert der durch die Ergebnisse der Bodennutzungserhebung 1968, die zum erstenmal eine konsequente Erfassung des nicht bewirtschafteten Landes brachte, mit 19,7 % bestätigt wird (STATISTIK VON RHEINLAND-PFALZ, Bd. 192). Diese unge­

nutzten Flächen, die zunächst noch hypothetisch als SoziaJbrache anzusprechen sind, finden sich prinzipiell in allen, auch in den von den natürlichen Ertrags­

bedingungen und den betriebstechni.schen Anforderungen her günstigen Teilen der Gemarkung. Schwerpunktmäßig treten sie jedoch in Steillagen, auf flach­

gründigen Böden, eng parzellierten Fluren sowie im Bereich der dichten Obst­

baumbestände auf. Diese selbst machen dabei z. T. ebenfalls einen ungepflegten und verwilderten Eindruck.

Neben diesen ungenutzten Flächen finden sich jedoch seit Jahren sehr intensive Formen landwirtschaftlicher Nutzung, und zwar Kulturen der Schwanen Johannisbeere. Ihr Flächenanteil beträgt 1966 etwa 5 % der LNF. Räumlich zeigen sie keine besonderen Konzentrationen, beschränken sich jedoch insge­

samt auf den engeren Ortsbereich. Eine ganz junge, zunehmend an Bedeutung gewinnende Erscheinung ist die Anlage von Forstbaumschulen.

Dieses kurz skizzierte Bild des heutigen Landnutzungsgefüges darf als Aus­

druck eines umfassenden sozialen Umschichtungs- und Differenzierungspro­

zesses im Bereich der über das Land verfügenden Bevölkerungsgruppen ange­

sehen werden.

3. 2. 2 Die Entwicklung der Betriebsgrößenstruktur

Die obige Vermutung läßt sich bei einer Betrachtung der Entwicklung der Be­

triebsgrößenstruktur bestätigen:

Jahr Betriebe -2 ha 2-5 ha 5-10 ha 10-20 ha über 20 ha insgesamt

1939 126 109 15 2

1949 117 71 37 9

1956 109

1960 76 57 8 7 4

1967 52 40 4 4 3 1

Tab. 1: Landwirtschaftliche Betriebe 1939 -1967 l)

(1) Dle Vergleichbarkeit der Werte ist geringfUgig eingeschränkt. Die Größenklassen beziehen sich 1939 auf die gesamte Betriebsfläche, in den übrigen Jahren auf die LNF. 1939 sind auch die forst­

wirtschaftlichen, 1949 die forstwirtschaftlichen Betriebe mit landwirtschaftlicher Nutzfläche erfaßt.

Quellen: STATISTIK DES DEUTSCHEN REICHES, Bd.559, 10 u.a.m.

Seit 1939 ist ein ständiger Rückgang der Betriebe zu verfolgen. Dabei sind zwei Phasen zu beobachten: Bis 1956 nimmt die Zahl der Betriebe nur um durchschnittlich einen pro Jahr ab. Zwischen 1956 und 1967 steigert sich die Rate jedoch auf5,2 Betriebe.Das Jahr 1956 markiert somit offensichtlich einen Einschnitt bzw. Wendepunkt in der Nachkriegsentwicklung.

Innerhalb der einzelnen Größenklassen zeigen sich recht unterschiedliche Tendenzen. Die stärkste Abnahme weisen die Betriebe zwischen 2 und 5 ha auf, die ehemals den Grundstock der klassischen Arbeiterbauernstellen stellten.

Dieser Vorgang weist darauf hin, daß die traditionelle Form der Nebenerwerbs-landwirtschaft, u. a. ausgezeichnet durch die eigene Großviehhaltung, in der Auflösung begriffen ist. So nahm denn auch die Zahl der Rindviehhalter von 100 im Jahre 1947 auf 19 im Jahre 1967 ab (STAT. LANDESAMT, Viehzählungen).

Die Größenklassen bis 2 ha und 5 bis 1 O ha zeigen ebenfalls einen ständigen absoluten Rückgang. Dabei steigt jedoch der relative Anteil der Betriebe bis 2 ha von 1949 (61 %) bis 1967 (77 %) sogar leicht an.Eine absolute Zwiahrne wei-sen allein die Betriebe über 10 ha sowie die statistisch nicht faßbaren „ Zwerg-betriebe" witer 0,5 ha auf.

Somit läßt sich die Entwicklung der Betriebsgrößenstruktur zumindest an-deutungsweise durch die immer wieder in stadtnahen Gebieten (vgl. FRICKE 1961, S. 54) beobachtete Tendenz des "zweigipfligen Wachstums" (ABEL 1951, S.197), d.h. einer Zunahme der Kleinstbetriebe und Konsolidierung von Familienbetrieben bei gleichzeitigem Schwund der Betriebsgrößengruppen von 2 bis 10 ha, charakterisieren. Damit wird die allgemeine Prognose KärTERS (1958, S.152): ,,Das wesentlichste Kriterium der weiteren Entwicklung scheint ein Differenzierungsvorgang zu einer ausgeprägten Erwerbslandwirtschaft einerseits und der ländlichen Heimstätte andererseits zu sein", für unsere Ge-meinde bestätigt.

3. 2. 3 Die soziale Umschichtung der landbewirtschaftenden Bevölkerung

Wie bereits ausgeführt, war zu Anfang der 50er Jahre das von der Stadtbe-völkerung als "hinterwäldlerisch" angesehene Bauerndorf, dessen Einwohnern man sich sozial und kulturell überlegen fühlte, durch die Nebenerwerbsland-wirtschaft geprägt. Im Zuge des allgemeinen Nebenerwerbsland-wirtschaftlichenAufschwungs ent-steht nun ein ständig wachsender Arbeitskräftebedarf. Insbesondere der Wieder-aufbau von Koblenz belebt den Arbeitsmarkt und bindet erneut Waldeseher an städtische Arbeitsplätze. Die zahlreichen Pendler, vornehmlich die neuen Ver-haltensweisen stärker aufgeschlossenen Mitglieder der jüngeren Generation, werden nun im Laufe der Jahre zu den Trägern einer die bisherigen Wertvor-stellungen der dörflichen Gesellschaft in Frage stellenden und schließlich durch neue Verhaltensnormen ersetzenden Entwicklung (vgl. KörTER 1958, S.142 ff.).

Die steigenden Verdienstmöglichkeiten in den Berufen des sekundären und tertiären Wirtschaftssektors lassen den häufig nur noch der Selbstversorgung dienenden landwirtschaftlichen Teilerwerb an Bedeutung verlieren.Im ständigen Vergleich der Lebenssituationen orientiert man sich an seinen städtischen Ar-beitskollegen und deren Konsumgewohnheiten. Der Prestigeabstand zwischen

dem hauptberuflichen Landwirt und dem abhängigen Arbeitnehmer verringert sich zusehends, ja kehrt sich zuweilen um. Das Leitbild eines beruflichen Auf­

stiegs im außerlandwirtschaftlichen Bereich ersetzt so das Streben nach einem Vollerwerbsbetrieb. Die ganzjährige Belastung einer qualifizierten Berufs­

tätigkeit verstärkt den Wunsch nach einer geregelten und ausreichenden Frei­

zeit. Berufliche Sicherheit und allgemeine wirtschaftliche Stabilität verdrängen den Gedanken an Krisenzeiten.

All dies führt dazu, daß die landwirtschaftliche Nebentätigkeit zunehmend kritisch betrachtet, in Frage gestellt und schließlich aufgegeben wird.

Diese Betriebsaufgabe geht sehr oft in Etappen vor sich. Zunächst kommt es dabei zu Betriebsverkleinerungen, verbunden mit der Abschaffung der Groß­

viehhaltung. Der Freizeitbetrieb, häufig durch die Übernahme marktgängiger Sonderkulturen, deren Pflege am Wochenende ilbernommen werden kann, aus­

gezeichnet, wird so zum Zwischenstadium vor der endgültigen Aufgabe jeg­

licher landwirtschaftlicher Tätigkeit (vgl. TISOWSKY 1961, S.36). In diesem Zusammenhang ist der seit dem Ende der 50er Jahre in unserer Gemeinde ver­

stärkt auftretende Anbau der Schwarzen Johannisbeere zu deuten. Ihre Anbau­

fläche dehnte sich bis 1967 auf etwa 14 ha aus. Schon in dieser Zeit zu beob­

achtende, einzelne bereits verwilderte Kulturen, deuteten jedoch den Über­

gangscharakter dieser Nutzungsform an (vgl. THIEME 1971, S. 84 ) • Die ständige Abstockung und Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe führte in Waldesch seit der Mitte der 50er Jahre zu einem immer größer werdenden Angebot an land­

wirtschaftlicher Nutzfläche, die von den wenigen aufstockungswilligen Betrieben nur z. T. aufgefangen werden konnte. Daher kam es zu umfangreichen Brach­

erscheinungen, die mit HARTKE (1953 u. a.) als „Sozialbrache" zu bezeichnen sind. Die heutige, oben geschilderte Verteilung der ungenutzten Flächen ist jedoch bereits das Ergebnis eines längerenSelektionsprozesses, in dessen Ver­

lauf nur die betriebswirtschaftlich günstigen Parzellen in erneute Nutzung ge­

nommen wurden, während man gleichzeitig z. T. eigene unvorteilhafte Flächen brachfallen ließ (vgl. P.!\.RTKE 1956,

s.

262).

3. 2.4 Die Situation der Landwirtschaft im Jahre 1967

Die bereits erfolgte Dissoziation der alten kleinbäuerlichen struktur des Ortes wird bei einem abschließenden Blick auf die Situation der Landwirtschaft im Jahre 1967 deutlich (UNTERLAGEN ZUR BODENNUTZUNGSVORERHEBUNG 1967). Unter den 52 Betrieben im statistischen Sinne befinden sich sieben, die als Haupterwerbsbetriebe anzusehen sind. Ihre landwirtschaftlichen Nutz­

flächen liegen sämtlich über 7 ha. 77 ,5 % ihrer insgesamt 100 ha betragenden Betriebsfläche sind Pachtland, dessen Anteil in einzelnen Fällen bis auf 90 % ansteigt. Bei nicht zuletzt durch Spekulationen auf Bauland bedingten Kauf­

preisen bis zu 30 000 DM pro ha (1967) kann und konnte eine Vergrößerung der Betriebe nur über die Pacht, bei der lediglich 40 bis 120 DM pro ha und Jahr bezahlt werden müssen, erfolgen.

Unter den sieben Haupterwerbsbetrieben befinden sich zwei, die nur statistisch getrennt sind, jedoch gemeinsam geführt werden, eine auslaufende stelle so­

wie ein Baumschulbetrieb, der eher gewerblichen Charakter besitzt. So kann

97

in Waldesch für absehbare Zeit nur mit dem Weiterbestehen von vier echten Haupterwerbsbetrieben gerechnet werden, die zwar alle über der Richtgröße von 16 ha (AGRARSTRUKTURE LLE RAHMENPLANUNG 1964/65) gelegen sind, bei den ungünstigen natürlichen und betriebswirtschaftlichen Produktionsbe­

dingungen (fehlende Flurbereinigung, nicht ausreichende Wirtschaftsgebäude etc.) jedoch kaum einer wirtschaftlich gesicherten Zukunft entgegensehen.

Unter diesen Bedingungen ist denn auch weiterhin mit dem Ausscheiden von Flächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung zu rechnen.

Unter den restlichen 45 Betrieben finden slch noch etwa 8 bis 10 Ne­

benerwerbsstellen des traditionellen Typs und etwa 12 bis 15 durch den Anbau der Schwarzen Johannisbeere ausgezeichnete Freizeltbetriebe. Die restlichen Anwesen sind nur noch Betriebe lm statistischen Sinne, ihre LNF

besteht meist aus ungenutztem Land.

Ein abschließender Blick auf dle Altersstruktur der Betriebsinhaber im Jahre 1967 zeigt bei einem Durchschnittswert von 52 Jahren mit abnehmender Be­

triebsgröße eine Zunahme des Alters der Betriebsleiter. Während es bei den Haupterwerbsbetrieben nur durchschnittlich 39,2 Jahre beträgt, steigt diese Zahl bei den Stellen unter 2 ha auf 55,2 an. Das endgültige Auslaufen auch dieser in hohem Maße schon von Rentnern geführten „Betriebe" ist somit leicht vorauszusehen.

3. 3 DER PROZESS DER WOHNVORORTSBILDUNG

3. 3.1 Begriffsbestimmung

Die geschilderte „Entbäuerlichung" (KÖTTER 1958, S.153) der autochthonen dörflichen Gesellschaft ist nur ein Teilaspekt des umfassenden strukturwandels in Waldesch. Ein diesem Vorgang teils parallel laufender, teils mit ihm ver­

knüpfter Prozeß wird durch das Auftreten ortsfremder und in ihrer Herkunft städtischer Bevölkerungsgruppen charakterisiert. Diesen Prozeß, der zunächst etwas schlagwortartig als „ Ver ländlichung der Lebensform" (KärTER 1958, S.

153) apostrophiert werden kann, gilt es im folgenden zu analysieren.

Das Phänomen der Wohnvorortsbildung wurde wohl zum erstenmal von KALTENHÄUSER im Jahre 1955 systematisch untersucht und dargestellt. In gewissem Gegensatz zu KALTENHÄUSER, dessen Begriffsbestimmung m.E.

durch die Verquickung physiognomischer und funktionaler Aspekte nicht ganz eindeutig i-st (vgl.

s.

221 ff.), soll hier unter Wohnvorortsbildung rein funk­

tional der Vorgang verstanden werden, daß eine Siedlung in eine Beziehung zu einem städtischen Zentrum gerät, die dadurch gekennzeichnet ist, daß diese Siedlung die Funktion des Wohnortes für die in der stadt arbeitende Bevölkerui,.g erhält. Dabei sind zwei Typen zu unterscheiden:

Von i n ne r e r Wohnvorortsbildung ist dann zu sprechen,wenn der Träger dieser Entwicklung die ortsansässige und aus dem Ort stammende Bevölkerung ist, die mit der Zeit jegliche berufliche Tätigkeit in ihrer Gemeinde aufgibt und damit deren überkommene wirtschaftliche Funktion aushöhlt. Dieser Pro­

zeß ist demnach eng mit der bereits dargestellten Entwicklung verbunden.

Eine ä u ß e re Wohnvorortsbildung liegt dann vor, wenn eine bereits vor­

handene oder neu entstehende Siedlung oder Siedlungsfraktion eine überwiegende Wohnfunktion dadurch erhält, daß ihre neuen Bewohner den Arbeitsort beibe­

halten und ihre Wohnung aus der Stadt ins Umland verlegen. Die Träger dieses Vorganges sind also ortsfremde Bevölkerungsgruppen.

Das Ergebnis beider Prozesse, die sowohl räumlich und zeitlich getrennt als auch miteinander auftreten können, ist die für eine städtische Lebensweise charakteristische Trennung von Wohn- und Arbeitsort. Diese Trennung wird überbrückt durch die Pendelwanderung, deren Ausmaß im konkreten Falle erst das entscheidende Kriterium für den bereits erreichten Grad der Wohnvor­

ortsbildung darstellt. Hier läßt sich nun sinnvollerweise die von de VOOYS (1968, S. 99 ff.) vorgeschlagene Typologie der Pendelwanderung einfügen: Die innere Wohnvorortsbildung wird demnach von den zu „autochthonen", die äußere hingegen von den zu "allochthonen" Pendlern gewordenen Bevölkerungsgruppen getragen. Diese Differenzierung wird sich für die folgende Analyse als sehr nützlich erweisen.

3. 3. 2 Die bauliche Entwicklung der Gemeinde im Überblick

Die Prozesse der Wohnvorortsbildung finden ihren physiognomischen Nieder­

schlag in der baulichen Entwicklung der Gemeinde. Während die äußere im allgemeinen zur Anlage neuer Wohnviertel führt, kann sich die innere Wohn­

vorortsbildung sowohl in der Neubautätigkeit als auch in der Umgestaltung be­

reits vorhandener Bausubstanz niederschlagen.

Um zu genauen quantitativen Aussagen über die Bautätigkelt Im Orte zu kommen, wurden sämtliche seit 1945 amtlich genehmigten Baugesuche einer Analyse unterzogen (2). Dabei wurden für jedes Bauvorhaben folgende Merk­

male erfaßt:

1. Art der Bautätigkeit