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IST ENGLISCH GUT ODER SCHLECHT FÜR DIE SCHWEIZ?

Im Dokument Interlinguistica Tartuensis (Seite 95-111)

Bemerkungen zum kontroversen Diskurs über das Englische als «fünfte Landessprache» qua lingua franca

in der viersprachigen Schweiz

Mehrsprachigkeit bzw. Viersprachigkeit wird von den meisten Au­

toren, die sich mit der Schweizer Sprachensituation befassen, als zentrales Element des schweizerischen Selbstverständnisses be­

zeichnet. Demzufolge ist Fremdsprachenunterricht in der Schweiz nicht nur eine pädagogische, sondern auch eine staatspolitische Fra­

ge. Entscheidungen im Zusammenhang mit Fremdsprachenunter­

richt sind im Wesentlichen davon abhängig, wie sprachpolitische, ökonomische, linguistische und pädagogische Argumente gewichtet werden. Da eine globalisiert-vemetzte Wirtschaft bessere Englisch- kenntmsse verlangt, müsse die Schule solche hervorbringen, heisst es in einschlägigen Berichten und Beiträgen zum Thema1.

Die Einstellung zum Englischen ist mit der Einstellung zu den Schweizer Landessprachen eng verknüpft. Daher dauert der Streit im schweizerischen Erziehungssystem über den Stellenwert der englischen Sprache als Fach im öffentlichen Schulsystem nun schon mehrere Jahre. Soll Englisch als nicht-schweizerische Sprache als obligatorisches Schulfach im Lehrplan der Schulen auf der Primar- stufe und der Sekundarstufe I unterrichtet werden? Und wer soll das überhaupt bestimmen? — in der Schweiz liegt die Hoheit über die öffentlichen ВildungsInstitutionen mehrheitlich bei den Kantonen.

Und in wessen Interesse würde man hier handeln, wenn man diesen Entscheid träfe — im Interesse der Industrie und der 'globalen’

Wirtschaft, der Eltern, der Kinder, des Landes, der einzelnen Kanto­

ne als Standorte von multinationalen Unternehmen usw.? Gefährdet diese offensichtliche Bevorzugung des Englischen als zweite Spra­

che nach der Muttersprache den Zusammenhalt (Kohäsion) der Schweiz als mehrsprachiges und multikulturelles Land und seine sprachliche Kultur, die sprachliche Oekumene? Kommt die Deutsch­

schweiz somit in Versuchung, an der Romandie Verrat zu üben2?

Wird sich in linguistischer Hinsicht durch die lokale Entwicklung des Englischen nicht eine endonormative (d. h. nicht-native) Form dieser Sprache als lingua franca über die Sprachgrenzen in der Schweiz herausbilden, nicht eine Art verkümmertes «Pan Swiss Englisch» gefördert, analog etwa zum Indisch-Englischen oder Sin­

gapur-Englischen3? Ganz zu schweigen von den unterschiedlichen

«Jargons», die sich in den verschiedenen Fachbereichen herausbil­

den und die von fachfremden «Usern» nicht mehr verstanden wer­

den (aK). Dies sind einige der Fragen, die im Streit um Englisch gestellt worden waren und werden, und es gibt derer noch mehr.

Die Einführung der englischen Sprache als obligatorisches Schul­

fach und die Bevorzugung des Englischen gegenüber dem Französi­

schen, Deutschen oder Italienischen, ganz zu schweigen vom Räto­

romanischen, das sich existentiell in einer prekären Lage befindet4, ist also längst zu einem brisanten politischen Thema in der Schweiz geworden. Diese Kontroverse erhitzt nicht nur die Gemüter, sonder scheint den Graben zwischen den Landesteilen zu vertiefen und vor allem den Gegnern Munition gegen eine globalisierte Wirtschaft zu liefern.

Seit Ende der achtziger Jahren gab es genügend Gelegenheiten, die Kontroverse um die Stärkung des Englischen an Schweizer Schulen anzuheizen. So wurde 1989 in einem vom Schweizerischen Bundesrat (Regierung) in Auftrag gegebenen Bericht unter dem Titel Zustand und Zukunft der viersprachigen Schweiz die englische Sprache als grosse Gefahr für das harmonische Zusammenleben der vier schweizerischen Landessprachen und als potentielle Bedrohung für den Sprachfrieden dargestellt5. Man sieht, dass beim Staat, im Unterschied zur Privatwirtschaft, politische Argumente in Bezug auf die Zweckmässigkeit des Englischen dominieren.

Ab etwa Mitte der neunziger Jahre bekam die Diskussion eine neue Dimension. Für brisant wurden die im August 1998 vorgestell-

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ten Vorschläge zur Verbesserung des Sprachunterrichts einer Ex­

pertengruppe der Eidgenössischen Erziehungsdirektoren-konferenz (EDK) gehalten, die den Status des Englischen im Fremdsprachen- untemcht der kantonalen Schulsystemen aufwerten möchte6.

Nach der emotional aufgeladenen Debatte wollten sich die Sprachwissenschaftler sachkundig mit dem Problem befassen. Zu diesem Zweck wurde im Januar 2000 an der Universität Bern ein Symposium zum Thema «Englisch in der Schweiz» abgehalten (die Beiträge wurden in einer Schrift publiziert)7. Im gleichen Jahr wur­

de ein im Auftrag des Bundesamtes für Bildung und Wissenschaft ebenfalls von den Sprachwissenschaftlern und Anglisten der Uni­

versität Bern verfasster umfangreicher Forschungsbericht zur Situa­

tion des Englischen in der Schweiz mit verschiedenen Einzelbeiträ­

gen vorgelegt8.

In Bezug auf die Einführung des sogenannten Frühenglisch spielt der Kanton Zürich eine Vorreiterrolle. Die Geschichte des Zürcher Experiments begann im Sommer 1996. Du diesem Zeit­

punkt gab es im Kanton Zürich weder an der Volksschule noch an den Mittelschulen ein Obligatorium für Englisch, während die Kan­

tone Bern, Freiburg, Neuenburg, Schwyz und Waadt den obligatori­

schen Englischuntemcht an der Oberstufe (für die anspruchvolleren Zweige) der Volksschule bereits eingefuhrt hatten. Den herrschen­

den Zustand erachteten viele Menschen im Kanton Zürich als un­

haltbar, unzeitgemäss. A uf diesem Hintergrund erfolgte im August 1996 der Auftrag des kantonalen Erziehungsdirektors Zürich an sei­

ne Direktion, die Einführung eines obligatorischen Englischunter- richts an der Volksschule und an den Gymnasien m die Wege zu leiten. Der früheste Zeitpunkt für die Einführung des Englischunter­

richts an der Zürcher Oberstufe sollte das Schuljahr 1999/2000 se- m9.

Aus der Teilnahme des Erziehungsdirektors des Kantons Zürich an einer internationalen Bildungskonferenz in den USA ging eine Arbeitsgruppe «Schulprojekt 21» (an der Primarschule) hervor, die sich intensiv mit Fragen des Fremdsprachenunterrichts auseinander­

setzte und in diesem Zusammenhang den Beginn des Englischunter­

richts so früh wie möglich, d h. ab der 1. Klasse anzusetzen, prüfte.

Ein entsprechendes Schulexperiment wurde lanciert. Die Erfahrun­

gen seien positiv10 Die weitere Diskussion konzentrierte sich vor

allem auf die Frage, ab welcher Klasse Frühenglisch eingefuhrt werden soll und welche Methodik(en) anzuwenden sei(en), denn man wollte Fehler aus dem herkömmlichen Fremdsprachenunter­

richt, der mehr auf Erwachsene als auf Kinder zugeschnitten war, nicht wiederholen.

Im September 2000 hat der Regierungsrat des Kantons Zürich nun im Rahmen des «Schulprojekts 21» entschieden, dass ab dem Schuljahr 2003/04 an den Volksschulen der Englischuntemcht im dritten Schuljahr einsetzen soll, während Französisch ab dem fünf­

ten Schuljahr gelehrt werden soll. Diesen Entscheid will der Zürcher Bildungsdirektor Buschor, die Kantonshoheit für das Erziehungswe­

sen ausnützend, auch bei einer abweichenden Empfehlung der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz (SKA) durchset­

zen11. Nach der Meinung Buschors sei in seinem wirtschafte starken Kanton die starke Nachfrage des immer bedeutenderen Englisch zu befriedigen.

So ist mit der stärkeren Gewichtung des Englischen in den kan­

tonalen Bildungssystemen, insbesondere durch den Beschluss des Kantons Zürich, das bis anhm weithin befolgte Gesamtsprachen- konzept der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungs­

direktoren ins Wanken geraten. Medien und Bundesbehörden haben kritisch auf die Unbehagen auslösenden Entscheide reagiert. Die Frage einer Westschweizer Journalistin, ob der Kanton Zürich mit seinem Entscheid für das Frühenglische nicht den nationalen Zu­

sammenhalt gefährde, erwiderte Buschor, dass das Französische in seinem Kanton übrigens gleichwertig im Vergleich zum Englischen unterrichtet werde, aber nicht vom selben Zeitpunkt an, und dass der Französischunterricht zudem durch kulturelle Inhalte ergänzt werde.

Dem absehbaren Zürcher Beschluss ging 1998 ein vom Histori­

ker Max Mittler herausgegebenes Buch12 voraus, das prononcierte Beiträge zum Thema zugänglich machte. So hält etwa der Lehrer und Journalist Jose Ribeaud das «Schulprojekt 21» für unschweize- nsch und sieht das Problem im uneingestandenen Deutschkomplex des alemannischen Landesteils: Der deutschen Sprache weder von Herzen zugetan noch ihr wirklich mächtig, flüchteten sich die Deutschschweizer zum Englischen, das sie servil vergötterten. Dies führe nicht nur zur Schwächung der schweizerischen

Viersprachig-100 Ist Englisch gut oder schlecht fü r die Schweiz9 keit, sondern zu einer kulturellen «McDonaldisierung», zu einer Pro- vinzialisierung des Italienischen und zum weiteren Zurückdrängen des Französischen auf nationaler Bühne, schrieb Ribeaud und kam zum Schluss, dass em Zusammenleben der schweizerischen Nation, die sich des Englischen bedient, eigentlich keinen Sinn mehr macht.

Der Sprachwissenschaftler Georges Lüdi sprach sogar von einer Misere, ja von einem Scheitern der schweizerischen Schulsprachen- politik, die der erwünschten Zwei- und Mehrsprachigkeit nicht ge­

nügend Rechnung trage. Andere Autoren mochten die rhetorische Schärfe Ribeauds und Lüdis zwar nicht teilen, sprachen aber etwa von einem wirtschaftlich bestimmten, utilitaristischen Sprachvers­

tändnis bei den Zürchem (Marco Baschera). Man erkannte hinter der Verbreitung des Englischen, analog dem Dollar in den ökono­

mischen Kreisläufen, einen auf Uniformierung hinauslaufenden He- gemomeanspruch. Schlimmer noch sei ein voraussehbarer Versch- leiss des Englischen zu prognostizieren, das sich in unzählige lokal determinierte Varianten zersplittern werde. Dies würde der Traum von der Völkerverständigung wieder zunichte machen, wird der Gymnasiallehrer und Literaturwissenschaftler Baschera zitiert, der für die schweizerische Mehrsprachigkeit plädiert. Der Welschland- Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Roger Friedrich, erin­

nerte daran, dass das Verhältnis zur jeweils anderen Landessprache auch eine Frage des Verhältnisses zu den europäischen Nachbarsta­

aten der Schweiz sei, also zu Frankreich, Deutschland, Italien und Österreich. Andere Autoren forderten eine verstärkte Aufmerksam­

keit zugunsten des Französischen in der Deutschschweiz und des Deutschen in der Romandie als flankierende Massnahme bei der Einführung des Frühenglischen. Der rätoromanische Publizist Iso Camartin hielt nicht die Frage der Reihenfolge der Fremdsprachen auf der Lektorentafel für entscheidend, sondern die Art des Unter­

richts und den propädeutischen Wert einer Sprache. Die Lemlust (Motivation) und Lernfähigkeit müsse ms Zentrum der Überlegun­

gen gestellt werden, meinte die Pnmarlehrerin Katja Klingler1 Ausserdem regte sich Widerstand gegen Frühenglisch auch bei einem Teil der Sekundarlehrerkräfte des Kantons Zünch, die sich vom Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) abspalteten und diesem nicht mehr angehören. Die zum ZLV gehörende Zür­

cher Kantonale Mittelstufenkonferenz wies warnend darauf hm,

zwei Fremdsprachen an der Primarschule seien zu viel. Die PISA- Studie, die bei den Lesefähigkeiten der Schweizer Jugendlichen ei­

nen grossen Nachholbedarf eruierte, habe bewiesen, dass die deu­

tsche Sprache Priorität habe. Diese Lehrer und Lehrerinnen verlang­

ten das Ende der «meffizienten Sprachenexperimentiererei» und kündigten Widerstand gegen das neue Volksschulgesetz an14. Trotz zahlreicher Proteste aus Politiker-, Lehrer- und Intellektuellenkrei­

sen und aus der Romandie will Zürich am Frühenglischen festhal- ten: der Bildungsrat des Kantons Zünch hat an seiner Sitzung vom 15. März 2004 beschlossen, Englisch als obligatorisches Schulfach in den Schulgemeinden des Kantons Zünch ab der 2. Klasse der Primarschule ab den Schuljahren 2004/05 und 2006/07 zeitlich ges­

taffelt einzuführen. Und m der ersten Klasse wird die Lektionenzahl für Deutsch erhöht15. Der Grosse Rat des dem Kanton Zürich bena­

chbarten Kantons Schaffhausen sprach sich im Januar 2001 in ei­

nem Grundsatzentscheid ebenfalls zugunsten der Einführung des Frühenglischen aus.

Auch auf der Ebene der Bundespolitik hat der galoppierende Fortschritt des Englischen entsprechende Reaktionen ausgelöst, die Parlamentarier blieben diesem Thema gegenüber nicht gleichgültig.

Zu den wichtigsten Grundsätzen der helvetischen Staats- und Sprachpolitik zählt die Rücksichtnahme auf sprachliche Minderhei­

ten und die Erhaltung der Sprachräume der viersprachigen Schweiz.

Dies ist so in der Verfassung verankert (Art. 70)16. Der Bund hat mit semer Sprachenpolitik die Aufgabe, die Mmderheitensprachen zu schützen und zu fördern, eine Brücke der Verständigung zwi­

schen den Sprachen und Kulturen des Landes zu schlagen und so für den Zusammenhalt der fast mythisch überwölbten «Willensnati­

on» Schweiz zu sorgen17. Die Sprach- und Kulturgememschaften haben beim Aufbau des föderativen Staates stets eine bedeutende Rolle gespielt. Hat also der Schutz der Landessprachen mehr den eigentlichen Zweck, den nationalen Zusammenhalt zu garantieren, bzw. die Gefahr des Auseinanderdriftens der Sprachgemeinschaften der Eidgenossenschaft zu bannen? An entsprechenden Vorstössen im Schweizer Parlament hat es nicht gemangelt — zwischen 1979 und 1999 gab es deren 26, die explizit das Englische betrafen, w o­

bei m 18 Fällen eine eher negative und in 8 eine neutrale oder eher positive Haltung gegenüber dem Englischen und dessen Platz in der

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Schweizer Sprachenlandschaft eingenommen wurde18. So wollte Nationalrätin Vreni Hubmann (SP/ZH) in ihrer an den Bundesrat gerichteten Interpellation (8.10.1997) wissen, welche staats- und gesellschaftspolitischen Konsequenzen zu erwarten sind, wenn das Englische als Fremdsprache zunehmend eine zweite Landessprache verdrängt. Der Bundesrat, bei dem sich in dieser Frage eine eher pragmatische Position ausmachen lässt, beurteilte die Situation als nicht dramatisch oder als eine Gefährdung der Sprachenvielfalt der Schweiz, obwohl er zugab, dass die Verdrängung der Landesspra­

chen aus den Bildungsprogrammen zugunsten des Englischen mit Sicherheit eine nachteilige Auswirkung auf die interkulturelle Ver­

ständigung in der Schweiz haben könnte. Der Staat jedoch müsse der Herausforderung mit Offenheit begegnen, da er den Bürgerin­

nen und Bürgern den Zugang zu den Informationen und Märkten der Welt nicht verwehren kann und will. Seme Aufgabe bestehe da­

rin, geeignete Massnahmen zur Erhaltung und Förderung der Sprachkompetenz in den Landessprachen zu treffen, ohne dabei dem Erlernen des Englischen als globaler Kommunikationssprache grundsätzlich Hindernisse in den Weg zu legen. Mit seiner Motion (21.12.1999) forderte der einer extremrechten Partei angehörende Nationalrat Bernhard Hess (BE), der George W. Bush übrigens für emen mutmasslichen Kriegsverbrecher hält, vom Bundesrat, in An­

lehnung an die Gesetze Frankreichs ein schweizerisches Gesetz zum Schutz der Landessprachen zu erlassen, das gesetzliche Bes­

timmungen, insbesondere gegen die Flut englischer Begriffe, ent­

hält. In seiner Begründung hielt der Motionär fest, dass die Spra­

chen und Kulturen Europas in zunehmendem Masse von angloame- rikanischem Sprach- und Kulturgut beeinflusst würden. Dies habe letztlich einen Identitätsverlust der betroffenen Völker und Volks­

gruppen zur Folge. In seiner Stellungnahme, in der der Bundesrat dem Parlament die Ablehnung der Motion Hess beantragt hat, wies er zwar sehr wohl auf den wachsenden Einfluss des Englischen auf den Sprachgebrauch und damit auf Zustand und die Entwicklung der Landessprachen hin. Er erachtete es jedoch «als schwierig, nach dem französischen Modell sprachrechtliche Normen zu erlassen, die ein aus sprachpolitischer Sicht unerwünschtes Sprachverhalten in den verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens einschrän­

ken oder gar verbieten.» Die bundesstaatlichen Kompetenzregelun­

gen seien mit der zentralistischen Regelung eines Staates nicht zu vereinbaren. Zumal das fragliche Gesetz in Frankreich das Problem keineswegs gelöst habe und bezüglich Anwendbarkeit sehr umstrit­

ten sei. Ob der Bund befugt wäre, bei einem kantonalen Verstoss gegen den verfassungsrechtlichen Verständigungsauftrag im Rah­

men des Fremdsprachenunterrichts zu intervenieren, ist fraglich.

Der Bundesrat sieht im Moment keinen Anlass dazu, die Kompe­

tenzen des Bundes in der Sprachenpolitik auf Verfassungsstufe zu erweitern und verweist darauf, dass man sich mit entsprechenden Postulaten an die Kantone und Eidgenössischen Erziehungsdirekto- renkonferenz (EDK) zu richten habe. Im übrigen befasst sich eine sogenannte paritätischen Arbeitsgruppe Sprachengesetz des Bundes mit der Frage, inwiefern die wachsende Bedeutung des Englischen in Bildung und Wissenschaft als unmittelbare Konkurrenz zu den Landessprachen mitberücksichtigt werden kann und muss. Neben dem Englischen stellt übrigens auch die Präsenz anderer Nicht-Lan- dessprachen (wie Türkisch, Albanisch, Spanisch, slawische Spra­

chen usw.) die Schulen vor grosse Probleme19.

Obwohl beim Bund jeder grundsätzlich das Recht hat, seine ei­

gene Sprache zu verwenden, sieht es in der Praxis so aus, dass nur Deutsch und Französisch entscheidungswirksam sind, während Ita­

lienisch und Rätoromanisch weitgehend nur noch symbolisch zu existieren scheinen. Beim Gebrauch des Englischen als 'neutraler' Fremdsprache wäre somit niemand benachteiligt. Dort wo der Bund mit internationalen Aktivitäten, wie in der Diplomatie und Armee, in Berührung kommt, ist Englisch kein Tabu20

Ob man das gerne sieht oder nicht, der Verwendungsgrad der englischen Sprache wird nicht nur in der schweizerischen Industrie und Wirtschaft zunehmend grösser — einige internationale Unter­

nehmen benutzen ausschliesslich Englisch, besonders nachdem sie bei Fusionen international geworden sind, meist auf Kosten der Identifikation der lokalen Mitarbeiter mit der vormals schweizeri­

schen oder von Schweizern geführten Firma. Als äusserst brisante Erkenntnis gilt, dass im Wirtschaftsleben die Höhe des Salärs im­

mer stärker durch die Kenntnis des Englischen beeinflusst wird (Lohnwirksamkeit)21. Aber auch setzt sich das Ausmass der Verb­

reitung des Englischen zum Beispiel immer mehr auf sämtlichen Ebenen des schweizerischen Universitätswesens durch. An den bei­

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den Technischen Hochschulen (ETH) von Zürich und Lausanne ist das Englische als Wissenschaftssprache weit verbreitet. Auch das Ausmass, in welchem Englisch im Studienalltag z. b. der Universi­

tät Bern verwendet wird, ist erstaunlich, wie eine Untersuchung ge­

zeigt hat. In Fächern wie Allgemeine Psychologie, Angewandte Mathematik (Informatik), Ethnologie, Mikrobiologie und Volks­

wirtschaft, wo teilweise englischsprachige Professoren dozieren, wird hier mehr als die Hälfte in Englisch, in den Fächern Politolo­

gie, Soziologie, Geographie und Geschichte wemger als die Hälfte in Englisch gelehrt. In mehreren Spezialgebieten müssen die Studie­

renden sowieso Fachliteratur in Englisch und Gastvorlesungen ver­

stehen können, an englischsprachigen Diskussionen teilnehmen und gerade in den Bio- und Naturwissenschaften Berichte und Arbeiten auf Englisch verfassen. Bei Umfragen gaben die Studentinnen im Allgemeinen an, wenig Verständnisschwiengkeiten zu haben, wo­

bei Schreiben und Sprechen als schwieriger empfunden wurde. In dem Beitrag wird die Befürchtung geäussert, dass die wachsende Tendenz zu Englisch im akademischen Alltag dazu führen könnte, dass die Universitäten mit den von ihnen hervorgebrachten Eliten sich noch weiter von der Gesellschaft entfernen22.

Ohne gebührende Englischkenntnisse, über die auf der Welt 300 bis 400 Mio. Muttersprachler verfugen, ist in den genannten Arbeits­

bereichen heutzutage also nur schwer Fuss zu fassen. Das Englische hat so auch in der Schweiz alle Gebiete erfasst: Wirtschaft, Indus­

trie, Arbeitsmarkt. Erziehung, Forschung, Politik, Verwaltung, Ar­

mee, Diplomatie, Sport, Tourismus, Medien, Werbung, Marketing, Internet und Unterhaltung. Das Prestigedenken scheint auch ein Grund für den Gebrauch des Englischen zu sein. Die Vorteile des Gebrauchs des Englischen in multinationalen Betrieben seien oder sind, dass Zeit und Geld gespart werde/wird. Daher werden Eng­

lischkurse überall zur Pflicht. Mangelnde Englischkenntnisse kön­

nen sich nicht nur als Lohnhemmer, sondern auch als eigentlicher Entlassungsgrund entpuppen.

Dabei sind noch längst nicht alle Schweizer dem Englischen wohlgesinnt, geschweige denn mächtig, vor allem ältere Personen.

Viele Gegner des Frühenglischen befurchten, dass die Weltsprache Englisch schleichend zur Nationalsprache werden und den Sprach- frieden in der Schweiz (zer)stören könnte. Das Englische scheint in

ihren Augen eine Bedrohung fur die Landessprachen und eine Ge­

fahr für die schweizerische nationale Kultur darzustellen. Aber viel­

leicht sind die Ängste übertrieben und nicht gerechtfertigt. Bis he­

ute gibt es keine umfassende, offizielle Studie, die die qualitative Rolle des Englischen in der Schweiz näher untersucht hat. Analy­

siert wurden meist in unveröffentlichten Lizentiatsarbeiten lediglich Teilbereiche wie der Englischgebrauch in einzelnen Firmen, zum Beispiel in einer Bank im Tessin. Beim Englisch-Streit schemt auch eine Mentalitätsdiskrepanz zwischen der Deutschschweiz einerseits und der französischen und italienischen Schweiz andererseits zu bestehen. Während die Akzeptanz fur das Englische bei den Deutschschweizern relativ gross zu sein scheint, ziehen die West­

schweizer und die Tessiner vielfach Werbung m ihrer Mutterspra­

che vor. Es mag absurd klingen, aber Englisch wird nicht nur mehr für Kontakte mit dem Ausland, sondern auch für die Kommunikati­

on innerhalb der Landesgrenzen benutzt, so häufig zwischen Mitar­

beitern emes Unternehmens in der Deutschen, Französischen oder Italienischen Schweiz. So beginnt sich das Englische in der Schweiz als lingua franca, d.h. als Verständigungsmittel von Perso­

nen, die keine ausreichenden Kenntnisse der Muttersprache des an­

nen, die keine ausreichenden Kenntnisse der Muttersprache des an­

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