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Empfehlungen zur integrationsfördernden Gestaltung öffentlicher Räume

Im Dokument INTEGRATION IM ÖFFENTLICHEN RAUM (Seite 110-124)

Vor dem Hintergrund massiver ökonomischer und sozialer Veränderungen sowie einer tiefgreifenden Verwal-tungsmodernisierung kommt der baulichen, sozialen und symbolischen Gestaltung des öffentlichen Raumes als Ort der Herstellung und Bewahrung städtischer Gemeinschaften eine zunehmende Bedeutung zu (vgl. Wentz 2002). Diese Erkenntnis setzt sich allerdings erst schrittweise in den zuständigen Stadtplanungsämtern durch (vgl. Schöffel 2000; Selle 2001, 2002a; Dubach & Kohlbrenner 2002). Die hier dargestellte Studie „Integration im öffentlichen Raum“ beschäftigt sich mit den neuen Herausforderungen aufgrund der veränderten Rahmen-bedingungen. Aus den durchgeführten Analysen einerseits der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedin-gungen (zunehmende soziale und sozialräumliche Ausdifferenzierung entlang mehrerer Dimensionen) und der daraufhin veränderten Planungskultur („communicative turn“, vgl. Fisher & Forester 1993; Healey 1997, 1998;

Sinning 2003) und den städtebaulichen sowie sozialräumlichen Situationen an zehn resp. vier Plätzen in Wien werden im abschließenden Kapitel Handlungsempfehlungen für künftige Um- und Neuplanungen von öffent-lichen Räumen (insbesondere Plätzen) gegeben, die sich

• auf die städtebauliche Maßstäblichkeit beziehen (vom gruppenspezifisch vorgeprägten, abgegrenzten Platz der Moderne zu einem variantenreichen System öffentlicher Räume) (vgl. Jacobs 1961, Schneider 2000, Adrian 2002, Hassenpflug 2002, von Saldern 2002, Schubert 2002, Selle 2002b, Wentz 2002, Kuk-linski 2003, Dangschat & Blasius 2006b),

• auf die Sichtweise auf die sozialen Gruppen, die in spezifischer Weise den öffentlichen Raum nutzen – von der „großen Gemeinsamkeit“ über das raum-zeitliche Ausweichen in Parallelnutzungen hin zum Kon-flikt um den eigenen Identifikationsraum – indem man sich weniger auf die Strukturdaten verlässt, son-dern die Individualität konkreter sozialräumlicher Settings als Handlungshintergrund zum Maßstab nimmt (vgl. Cohn-Bendit & Herterich 1992, Dangschat & Blasius 1994, Welz 1996, Dangschat 2002, Reutlinger 2003, Weiske 2003) und

• dazu einer Methodenvielfalt zur Analyse der konkreten Orte aus quantitativen und qualitativen Verfahren bedient und die Ergebnisse mittels einer Triangulation zu einer Sozialraumanalyse (vgl. Riege & Schu-bert 2002, Krummacher et al. 2003) zusammenfasst.

• Schließlich sollten die Rollen von AuftragnehmerInnen und -geberInnen, zwischen Forschungssubjekten und -objekten und gegenüber einer inter- resp. transdisziplinären Zugangsweise im Sinne einer Aktions-forschung verändert werden (vgl. Reason & Bradbury 2001).

8.1 Handlungsempfehlungen auf Basis der integrationsrelevanten Faktoren

Im ersten Schritt sollten die EntscheidungsträgerInnen ihre eigenen Vorstellungen über eine „geIun-gene Integration“ reflektieren. In den meisten Fällen wird in Kontinentaleuropa noch von der auf der Kon-takt-Hypothese aufbauenden Vorstellung einer intensiven Durchmischung ausgegangen („melting pot“) – dagegen sprechen jedoch eine Reihe von Faktoren:

o Sie funktioniert gerade bei denjenigen sozialen Gruppen am schlechtesten, die in ihren Alltagsprak-tiken der grätzelbezogenen Integration häufig überfordert sind, weil es ihnen an materieller Ab-sicherung, an Selbstwertgefühl und Handlungsmustern fehlt, den Ansprüchen, die überwiegend von Intellektuellen formuliert (aber nicht gelebt) werden, nur schwierig genügen können (vgl. Dangschat 2000d) – dort, wo die Überforderung zu massiven Konflikten geführt haben, werden die entsprechen-den Gebäude gesprengt resp. abgetragen (Frankreich, Belgien, Niederlande, Ostdeutschland).

o Menschen mit sozialer Aufstiegsmobilität neigen dazu, die Orte hoher Konzentration von Zuwan-derInnen zu verlassen – keine Politik und Planung will und wird sie daran hindern.

o Die Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik kann eine soziale Durchmischung nicht erzwingen.

Auch gemischt belegte geförderte Wohnhausanlagen oder Sanierungsobjekte „filtern“ sich aus; zu-dem findet öffentlich geförderter Wohnraum kaum noch in Mittel- oder Oberschicht-Wohngebieten statt, weil dort die erforderlichen Dichten nicht durchgesetzt werden können und/oder der Baugrund zu teuer ist; schließlich bedeuteten die Zugangsschwellen für den Gemeindewohnungsbau und

teil-weise auch den Genossenschafts-Wohnungsbau, dass in der Vergangenheit die Menschen ohne Migrationshintergrund überwiegend unter sich blieben.

o Das Ausmaß des Gelingens einer Integration „vor Ort“ ist zunehmend weniger von Strukturdaten ab-hängig, sondern von den Formen des Miteinanders vor Ort (politische und soziale Kultur, „Habitus des Ortes“); daher sollte Integration als Prozess und Ziel an jedem Platz neu definiert und umgesetzt werden.

Es sollte nicht von vorneherein konfliktvermeidend geplant werden, indem beispielsweise ausschließlich ausdifferenzierte Orte für jeweils eine Gruppe angeboten werden (was ja der dominanten Vorstellung der gemischten Strukturen widerspricht). So werden die Möglichkeiten zur Begegnung verringert, die Tole-ranz wird „abtrainiert“, denn die Menschen werden nicht mehr herausgefordert, sich zu arrangieren und für die Integration soziale Kompetenzen zu entwickeln. Motto: Nicht das „Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn“

fördern, sondern „Trainingsorte der Toleranz“, wozu es allerdings (zumindest anfangs) Unterstützungen geben sollten. Das schließt nicht aus, dass für bestimmte soziale Gruppen (Rückzugs-)Räume geplant werden müssen, weil sie sich ansonsten bei der Konkurrenz um Orte nicht durchsetzen können.

8.1.1 Städtisches Umfeld

Neben den Inter-Gruppenbeziehungen ist die städtebauliche Einbindung entscheidend. Sie legt in der Regel fest, welche Gruppen diesen Platz zu welchem Zweck benutzen, d. h. sie bestimmt, was der Platz

„können“ muss.

Bei der Gestaltung von Plätzen wird meist noch zu eng auf den Platz selbst fokussiert; aus Sicht der Nut-zenden ist er jedoch nur ein (wichtiger) Ort in einem größeren Verbund an Freiraum, der das gesamte Grätzel abdeckt.

Wie stark spezialisiert ein Angebot auch städtebaulich herausgearbeitet wird, hängt von den jeweils kon-kreten sozialräumlichen Prozessen ab, variiert also von Platz zu Platz und verändert sich über die Zeit.

Sowohl geplante als auch ungeplante Angebote im Freiraumverbund sollten in die Sozialraumanalyse systematisch einbezogen werden, um auf Veränderungen des Nutzungsdruckes und der Integrations-herausforderungen reagieren zu können („robuster Ort“).

Die „Antwort“ kann nicht in einem möglichst wenig gestalteten, frei gelassenen Platz liegen, der vielseitig bespielbar wäre; wenn es an konkreten Angeboten (Nutzungen und Aktionen) fehlt, passiert in der Regel nichts und/oder Aneignungen seitens eher unerwünschter Gruppen (insbesondere im Fall von transito-rischen Räumen, s. u.). Die Freiraumnutzung besteht zudem in einem engen Zusammenspiel aus Indoor- und Outdoor-Angeboten.

8.1.2 Transiträume und Rückzugsräume

Wenn ein transitorischer Ort in seiner integrativen Wirkung gestärkt werden soll, dann sollte er auch über Rückzugsräume verfügen.

Die Gewichtung von Transit- und Rückzugsräumen sollte nach der Funktion des Platzes und seiner ent-sprechenden Rolle im städtebaulichen Kontext erfolgen.

Gerade transitorische Räume sind Aufenthaltsorte, an denen sich auch „unerwünschte“ Bevölkerungs-gruppen aufhalten; hier greifen gegenwärtig vor allem über bauliche oder ordnungspolitische Maßnahmen rigide Verdrängungsmechanismen, die zwar den Ort „reinigen“, aber die soziale und sozialräumliche Problematik nicht bearbeiten; gerade bei der Gestaltung von Rückzugsräumen sollten Strategien gewählt werden, dass auch „schwierige Gruppen“ am Rande der Transiträume, auf die sie viel stärker angewiesen sind, ihren Platz finden können; dazu sind allerdings professionelle mediatorische Verfahren nötig.

8.1.3 Nutzungsanreize

Ein ausdifferenziertes und vielfältiges Angebot ist integrationsfördernd, weil es vielfältige Gruppen auf ei-nen Platz zieht; dazu gehört vor allem auch, dass der jeweilige Platz innerhalb eines Freiraumgefüges be-trachtet und bewertet wird.

Ein integrationsfördernder öffentlicher Raum braucht unterschiedliche Formen temporärer Aneignungen mittels baulich-physischer und sozialer Möglichkeiten. Daher sollten Nutzungsanreize eingerichtet wer-den, um die Frequenzen und die jeweilige Verweildauer zu erhöhen.

Attraktive Sitzmöglichkeiten (geschützt vor dem PassantInnenstrom und mit interessantem Ausblick) sind ein zentrales Element, um Menschen an einem Platz zum Verweilen anzuregen. Um unterschiedliche Be-dürfnisse unterstützen zu können, sollte die Möblierung (Sitzmöglichkeiten, Tisch-Bank-Kombinationen) variantenreich sein.

Insbesondere für ältere und gehandicapte Personen sollten Sitzgelegenheiten zum Ausruhen bereit-gestellt werden. Orte, die für alle erreichbar sein sollten, müssen für sie barrierefrei gestaltet werden.

Kommerzielle und nicht-kommerzielle Einrichtungen sollten auf die Nutzenden ausgerichtet werden. Da-bei sollten die unterschiedlichen finanziellen Niveaus und soziokulturellen Kontexte berücksichtigt wer-den. Insbesondere in Gebieten mit hohem Integrationsdruck sollten unterschiedliche nicht-kommerzielle Treffpunkte vorhanden sein.

Erdgeschoßzonen und deren Nutzungen sollten in Ergänzung zur Freiflächengestaltung betrachtet und mit diesen abgestimmt werden.

Temporäre Bespielung

Öffentliche Plätze brauchen fixe und temporäre Nutzungsangebote; diese sollten eine jeweils ortsspezifi-sche Mischung aus vordefinierten und frei nutzbare Einrichtungen für spontane und temporäre Aneig-nungen aufweisen.

An Plätzen mit lokaler Bedeutung sollte das Veranstaltungsprogramm vor allem auf die AnwohnerInnen abgestimmt werden, um die alltäglichen Begegnungen und die lokale Integration zu fördern; zusätzlich sollte das Interesse von lokal verankerten Gruppen und Einzelpersonen, Veranstaltungen durchzuführen, gefördert und unterstützt werden (vom Genehmigungsverfahren über die Logistik und das Catering bis zur Vermittlung von Gruppen, die aktiv sein könnten).

Neben Festen oder Märkten können auch andere soziale Anreize initiiert werden (z. B. gemeinsames Spiel vermittelt durch die „Parkbetreuung“).

8.1.4 Methodologie

Um die Nutzungsanforderungen und Integrationsherausforderungen einschätzen zu können, sollte der Planung eine Sozialraumanalyse und Beteiligung der AnrainerInnen – insbesondere aus den Gruppen, die üblicherweise in Partizipationsprozessen unterrepräsentiert sind – vorangehen.

Um den gesellschaftlich bedingten Veränderungen der Planung von Nutzungsanforderungen und Integra-tionsherausforderungen gerecht werden zu können, sollte Stadtplanung als prozessorientierte Steuerung verstanden werden, mit der auf sich verändernde Rahmenbedingen reagiert werden kann.

Wir empfehlen daher die folgende Vorgangsweise:

a) Sozialraumanalyse:

Wem stehen welche Orte im städtischen Kontext (nicht) zur Verfügung?

• Dem spezifischen Charakter des Ortes und seines Umfeldes mit Hilfe eines Methodenmixes aus Statistikanalyse, GIS-Kartierungen, Beobachtungsverfahren, Cognitive Mapping, ExpertInnen- und Straßeninterviews bestimmen (Sozialraumanalyse).

Übersicht 8.1: Checkliste einer Planungsintervention im öffentlichen Raum

1. Stufe Frühwarnsystem

Informationen über eine laufende sozialräumliche Beobachtung städtischer Teilgebiete mittels der Informationen aus der Amtlichen Statistik (Monitoring, laufende Raumbeobachtung)

Informationen durch Vor-Ort-Einrichtungen der Verwaltung (dezentral), Bezirkspolitik, „intermediäre Organisationen“ (beispielsweise Gebietsbetreuungen), Träger sozialer Dienste, NGOs, Medien etc.

Prüfung eines planerischen Handlungsbedarfs 2. Stufe SWOT-Analyse

Genauere Inspektion von spezifischen Teilgebieten mittels geeigneter Indikatoren aus der Amtlichen Statistik auf Blockebene

ExpertInneninterviews mit VertreterInnen der relevanten Außenstellen, dezentraler Verwaltung, „In-termediäre“, soziale Dienste, LA 21 etc.

U. U. Beauftragen einer kleinräumigen SWOT-Analyse zu ausgewählten Teilgebieten Verifizierung und Konkretisierung des planerischen Handlungsbedarfs

Einwerben von Haushaltsmitteln 3. Stufe Partizipation

Im ersten Schritt: Innerhalb der Verwaltung quer zu den Geschäftsbereichen und Ebenen übergrei-fend, d. h. neben Stadtentwicklung und Verkehr auch Wohnbau und Stadterneuerung, Integration, Schule, Kultur, Umwelt, Landschaftsplanung etc.

Einbinden der relevanten AkteurInnen vor Ort (Institutionen, NGOs, Unternehmen, BewohnerInnen) Beteiligungsprozesse mit professioneller Unterstützung (vorher Festlegen der Gegenstände und des Umfangs des Einflusses auf die Umsetzung) und Ergebnissicherung

Vorschlag für Planungskonzept (Inhalte und Prozess der Umsetzung) 4. Stufe Sozialraumanalyse

Elemente aus 2. und 3. Stufe vertiefen

Zusätzliche Methoden wie Beobachtungverfahren, Foto- und Videodokumentation, Cognitive Map-ping, Straßeninterviews, u. U. Interventionen

Triangulation der Ergebnisse

Verwaltungsinterne Arbeitsgruppe,eventuell erweitert durch VertreterInnen von intermediären Orga-nisationen und NGOs

Prozessanalyse und -reflexion und Rückbindung an den Prozess (Action Research) 5. Stufe Umsetzung der Planung

Fachliche Positionierung durch RaumplanerInnen, StädtebauerInnen, ArchitektInnen

Möglichst weitreichende Einbindung der an den Partizipationsprozessen Beteiligten (Verwaltung und vor Ort) auch bei der Umsetzung

6. Stufe Platz ergreifen ermöglichen

Um die integrative Wirkung eines öffentlichen Raumes wirksam werden zu lassen, bedarf es Anläs-se für soziale ProzesAnläs-se der Begegnung und des Austauschs; dieAnläs-ses muss trotz manchmal unter-schiedlicher Interessenlagen mit professioneller Unterstützung konstruktiv geregelt werden

b) Planerisch-politische Positionierung:

Welche Funktion ein Ort im öffentlichen Raum zukünftig spielen sollte, ist vor allem eine normative Frage!

Hierbei geht es nicht um eine „gute Planung per se“, sondern um die Frage, welche Gruppe(n) soll(en) wie darin unterstützt werden, den öffentlichen Raum in welcher Weise zu nutzen. In diesem Zusammen-hang steht das „ob“, das „wie“ und „das Ausmaß“ der anzustrebenden Integration. Das bedeutet, dass mit der Art der Planung auch darüber entschieden wird, ob und welcher Beitrag zur Integration unter-schiedlicher Gruppen vor Ort geleistet werden soll und kann. Aufgrund der zunehmenden sozialen und sozialräumlichen Ausdifferenzierung und der Verlagerung von der Ebene der System- auf die der Sozialintegration sollte der Integrationsaspekt künftig jedoch stärker berücksichtigt werden.

c) Zielgruppenorientierte Beteiligung und kooperative Planung:

• Beteiligung der relevanten NutzerInnengruppen und

• gemeinsame Klärung, welche Angebote an diesem Ort geschaffen werden sollten.

d) Entscheidung für eine bestimmte „Planungsphilosophie“:

Welche Mischung aus offener und vordefinierter Gestaltung soll in welcher „dramaturgischen Abfolge“ im Geflecht des öffentlichen Raumes zur Anwendung kommen?

8.1.5 Partizipation und Konfliktbearbeitung durch professionelle VermittlerInnen

Die Gestaltung öffentlicher Räume sollte grundsätzlich unter Einbeziehung der AnrainerInnen erarbeitet werden, da auf diese Weise

• die Perspektiven auf potenzielle Nutzungen vielfältiger werden,

• unterschiedliche Perspektiven im Rahmen eines konsensorientierten Verfahrens aufeinander „zu-gearbeitet“ werden können und daher Interessenskonflikte nicht übergangen, sondern bearbeitet werden und

• daher das Ergebnis in der Regel gemeinsam getragen wird.

• Sollten soziale Gruppen auch bei der Umsetzung der Planung selbst aktiv einbezogen werden, stei-gert dieses zusätzlich die Identifikation mit dem Ort, was sich wiederum auf die Identifizierbarkeit und die soziale Kontrolle positiv auswirkt; sind mehrere Gruppen beteiligt, wird die Kommunikationsdichte zwischen diesen und damit die Integrationskraft gestärkt.

Treten im Beteiligungsverfahren Konflikte auf, sollten diese mit Hilfe professioneller VermittlerInnen ent-schärft werden ( Konsensprinzip). Infolge einer gelungenen Vermittlung steigt in der Regel die Zu-friedenheit der BewohnerInnen, da die latenten Konflikte explizit gemacht werden, gezielt bearbeitet wer-den können und so entweder „ausgeräumt“ oder die Motivationsstruktur „der Anderen“ nachvollziehbarer werden; genau darauf setzt die positive Wirksamkeit der Kontakthypothese.

8.2 Schlussfolgerungen und Empfehlungen

8.2.1 Generelle Schlussfolgerungen und Empfehlungen (s. Übersicht 8.1)

Bauliche Qualität herstellen und sichern ist notwendig, aber nicht hinreichend; selbst eine gute bauliche Qualität liefert keine Garantie für eine funktionierende Integration.

Strukturdaten (Sozialstruktur, Gebäudestruktur, Infrastruktur) sind allenfalls Hinweise auf einen erhöhten Nutzungsdruck resp. besondere Integrationsherausforderungen im Sinne eines „Frühwarnsystems“; sie sind Anlass, die Orte genauer zu analysieren. Sie bilden jedoch die einzige – aber eben nicht aus-reichende – flächendeckende Informationsquelle, auf die sich die Verwaltung beziehen kann.

Vor dem Hintergrund zunehmender „Individualisierung“ sozialräumlicher Konfigurationen ist eine Sozial-raumanalyse an ausgewählten Orten notwendig (Auswertung der Statistiken, GIS-Karten, ExpertInnen-interviews, Beobachtungen, Cognitive Mapping, spontane Diskussionsforen). Wenn an eine bauliche Ver-änderung im öffentlichen Raum gedacht wird, können aus dieser Aktivierung heraus Prozesse

wei-tergeführt werden, indem Arbeitsgruppen gebildet und eine SWOT-Analyse betrieben werden sowie etwa in einer Zukunftswerkstatt der Auftakt für eine breitere Partizipation gelegt wird (vgl. Hinte 2002).

Insbesondere bei Plätzen, die „für einen spezifischen Personenkreis“ gedacht sind, ist ein Übergang von der Positionierung „so viel Partizipation wie nötig“ zu einer „so viel Partizipation wie möglich“ sinnvoll (und notwendig).

Die Integrationskraft eines Platzes wird – nachdem er in jedem Fall bauliche Qualitäten und einen guten Pflegezustand aufweisen sollte und am besten in einem Freiraumgefüge vernetzt ist – vor allem dadurch bestimmt, wie er tatsächlich genutzt wird. Hierbei ist zur Unterstützung ein „Management des öffent-lichen Raumes“ aus öffentöffent-lichen Institutionen und BewohnerInnen sinnvoll. Dabei können Einigungs-verfahren über die Nutzung eines Teilortes für einen bestimmten Zeitraum organisiert werden; solche Prozesse des Aushandelns besitzen eine wichtige Integrationsfunktion für unterschiedliche Interessen, Handlungsformen und Lebensweisen. Eine solche Einrichtung sollte jedoch nicht zur „Dauer-Sozialarbeit“

werden, sondern Empowerment-Prozesse einleiten, um die Nutzenden schrittweise in eine Eigenverant-wortung zur Nutzung der Plätze einzubeziehen.

Auf diese Weise lässt sich auch eine verbesserte soziale Kontrolle etablieren, die einem möglichen Van-dalismus resp. massiven Verdrängungsdruck einzelner Gruppen vorbeugt. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn es gelingt, Jugendliche in diese Prozesse einzubinden und sie zudem mit kleineren Gestal-tungs- und Umbaumaßnahmen betraut. Mit einem solchen Management wird die Bedeutung der für eine gruppenübergreifende Integration bedeutsamen „schwachen Bindungen“ gestärkt – über sie laufen das anlassbezogene Kennenlernen der „Anderen“, welche die „starken Bindungen“ (Ethnie, Arbeiterklasse, Lebensstil-Gruppe) im Sinne einer Toleranzaufweitung ergänzen kann (Stärkung der Integration im Sinne der Kontakthypothese).

8.2.2 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für eine wissenschaftliche Beratung

Ein enger Arbeitskontakt zwischen AuftraggeberIn und AuftragnehmerInnen hat sich als auch in diesem Projekt wesentlich für das gegenseitige Verständnis herausgestellt. Die Möglichkeit, die Vorteile des institutionellen Lernens besser zu nutzen, besteht vor allem darin, wenn durch Perspektivenübernah-me beide Seiten besser verstehen, warum etwas in bestimmter Weise gesehen resp. getan werden soll.

Dieses ist auch die Konsequenz qualitativer Verfahren, weil diese sehr viel mehr Reflexionen und eigene Positionierungen erfordern (im Gegensatz zur kochrezeptartigen, standardisierten Vorgehensweise einer quantitativen Erhebung und mathematisch-statistischen Auswertung). Die eher suchenden qualitativen Verfahren machen es nötig, sich zwischen AuftraggeberIn und AuftragnehmerInnen immer wieder dar-über bewusst zu werden, welche Interessen verfolgt werden und ob diese noch das gemeinsame Ziel ver-folgen.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, begleitend Arbeitsgruppen zu etablieren, die sich aus angemessen vie-len Geschäftsgruppen der Kommunalverwaltung, bei Umbaumaßnahmen eines konkreten Ortes auch von Institutionen und Initiativen vor Ort, zusammensetzen; auf diese Weise kann eine differenzierte Rück-koppelung noch während der Projektbearbeitung stattfinden und auch der Querschnittscharakter von Stadtplanung bekommt einen angemessenen Rahmen; zudem wird dieser Aspekt von Partizipation oft-mals wenig genutzt und als solcher zu wenig geschätzt.

Wissenschaftliche Beratung wird sich künftig weniger auf statistische Auswertungen und „wertfreie“ Gut-achten reduzieren lassen, sondern wird viel stärker Bestandteil eines kommunikativen, auf den Prozess selbst gerichteten Verfahrens sein, was zur Folge hat, dass die Beteiligten ihre Rollen neu interpretieren und finden müssen (vgl. Reason & Bradbury 2001).

8.2.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Theoriebildung Die Erwartungen an das Integrationspotenzial von Plätzen

Mit der Flexibilitätsempfehlung sind auch die unterschiedlichen Erwartungshaltungen sozialer Gruppen an spe-zifische Plätze angesprochen. Jedes menschliche Miteinander ist durch oftmals rasch wechselnde Bedürfnisse des sich aufeinander Einlassens und des sich zurückziehen Wollens gekennzeichnet. Ein Platz ist dann beson-ders integrationsfördernd, wenn die sozialen Gruppen das Gefühl entwickeln können, dass sie dort den Wechsel aus Mit-, Neben- und Gegeneinander jederzeit und gegenüber jedem souverän gestalten können. Ist das nicht der Fall, wird der Ort gemieden und es entstehen häufig Nutzungskonflikte – er verliert in jedem Fall an Inte-grationspotenzial.

Die (Nicht-)Nutzenden haben unterschiedliche Möglichkeiten, den öffentlichen Raum eher integrationsfördernd oder -einschränkend zu nutzen: So können sie prinzipiell

• miteinander (an einem Ort und zur gleichen Zeit – integrativ) oder

• gegeneinander (an gleichem Ort und zur gleichen Zeit – streitbar/Voice-Option) agieren,

• nebeneinander (in getrennten (Teil-)Räumen – ausweichend) resp.

• nebeneinander (zeitlich versetzt an einem Ort – ausweichend) agieren beziehungsweise

• gar nicht aufgrund von Verdrängung (Exit-Option) oder

• gar nicht aufgrund fehlenden Bedürfnisses (Desinteresse) am Platz präsent sein.

Soll nun versucht werden, die jeweiligen Erwartungen der einzelnen Gruppen an das Mit-, Neben- und Ge-geneinander sowie das Angewiesensein Wollen oder Müssen auf das Integrationspotenzial des Platzes zu sys-tematisieren, spielen vier Aspekte eine zentrale Rolle:

• Die individuellen/gruppenspezifischen Erfahrungen mit Integration gegenüber spezifischen anderen sozialen Gruppen („Vorurteile“),

• die bauliche und funktionale Gestaltung des Ortes resp. die Qualität des Systems öffentlicher Räume, in der dieser Ort eingebunden ist (Erreichbarkeit),

• die Erwartungshaltung an den Ort aufgrund seiner funktionalen Bestimmtheit als Transitraum oder als „verlängertes Wohnzimmer“ der AnrainerInnen,

• die langfristig aufgebaute „Kultur des Ortes“, welche durch die ersten Punkte „vorgegeben“, durch das Alltagshandeln der AkteurInnen aber immer wieder neu hergestellt und durch soziale Kontrolle auch auf-recht erhalten wird.

Die Bedeutung der Segregation für eine Integration unterschiedlicher sozialer Gruppen

Momentan wird die Bedeutung der Segregation für eine Integration unterschiedlicher sozialer Gruppen einer Stadtgesellschaft in der deutschsprachigen Stadtsoziologie intensiv diskutiert; dabei findet die These einer an-zustrebenden „moderaten Segregation“ zunehmend Unterstützung (Häußermann, Siebel) (sich sinnvoller Weise aus dem Weg zu gehen, ohne sich ganz aus dem Sinn zu verlieren). Daneben gewinnt die These an Bedeutung, dass es weniger darauf ankomme, wie hoch beispielsweise AusländerInnenanteile sind, sondern vielmehr, wie die sozialen Gruppen bezüglich ihrer Inter-Gruppen-Beziehungen miteinander umgehen (Heitmeyer, Dang-schat). Vor einer allgemeinen Tendenz zunehmender gegenseitiger Ausgrenzungen besteht bei einem Ausein-anderrücken jedoch die Gefahr von Parallelgesellschaften (Heitmeyer) und allgemeiner Desintegration (Fried-richs).

Die vorliegende Studie stärkt die Position, dass sich gesellschaftliche Realität vor allem an einem öffentlichen

Die vorliegende Studie stärkt die Position, dass sich gesellschaftliche Realität vor allem an einem öffentlichen

Im Dokument INTEGRATION IM ÖFFENTLICHEN RAUM (Seite 110-124)