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II. Das Phänomen WikiLeaks und der in den USA geführte Diskurs über

2.2 Phänomen WikiLeaks – Funktionsweise, Ziele, Selbstverständnis

2.2.3 Elemente der Kryptografie und des Krypto-Anarchismus

Neben dem klassischen Whistleblowing beinhaltet WikiLeaks zusätzlich kryptolibertäre Ele-mente, die sich auf die Cypherpunk-Bewegung der 1980er und 1990er Jahre zurückführen lassen und die einen qualitativen, vor allem aber quantitativen Unterschied zum klassischen Whistleblowing darstellen. Es handelt sich hierbei um die Verschlüsselungstechnik, die Wiki-Leaks einsetzt und den soziopolitischen Hintergrund, vor dem diese entwickelt wurde.

In den 1990er Jahren entwickelte Phil Zimmermann das Verschlüsselungsverfahren PGP.

Dieses Kürzel steht für Pretty Good Privacy. Zimmermann verfolgte damit das Ziel, im Netz befindliche private Informationen vor staatlichen Zugriffen zu schützen. Die damalige US-Regierung unter Bill Clinton versuchte, das Programm zu verbieten, indem sie ein Exportver-bot für digitale Verschlüsselungsprogramme, sogenannte Krypto-Software, einführte. Zim-mermann gelang es jedoch, das Programm auf analogem Wege nach Europa zu exportie-ren, wodurch es nicht mehr unter US-Recht fiel. Heute wird dieses Programm standardmäßig zur Verschlüsselung von E-Mails eingesetzt und auch WikiLeaks verwendet PGP neben an-deren kryptografischen Verschlüsselungstechniken zur Anonymisierung seiner Quellen (Rosenbach/Stark 2011: 50/51). Das Beispiel von Zimmermann ist symptomatisch für die in den 1980er und 1990er Jahren ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen sogenann-ten Cypherpunks, welche die Kryptografie zum Schutz privater Kommunikate vor staatlichen Zugriffen einsetzte, und der US-Regierung (vgl. Levy 2002).

Dieses Prinzip der Verschlüsselung privater Daten bezieht seine ideelle Grundlage aus dem Krypto-Anarchismus. Dieser ist vor dem Hintergrund des Erschließens des Cyberspace seit Beginn der 1980er Jahre zu verstehen. Mehr noch als heute war das Internet in der An-fangsphase ein rechtlich nicht definierter Raum, in dem staatliche und nichtstaatliche Akteure versuchten, die Sphären des Öffentlichen und des Privaten abzustecken. Die Cypherpunk-Bewegung vertritt hierbei eine libertäre Philosophie, indem sie vor dem Hintergrund antizi-pierter dystopischer Szenarien einer möglichen, totalitären staatlichen Vereinnahmung des

33 Quelle: http://www.wikileaks.org/About.html (Stand 14.05.2011).

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virtuellen und – durch die Verknüpfung beider Wirklichkeitsbereiche – auch des nicht-virtuellen Raumes, ihre Aufgabe im Schutz der Privatsphäre vor staatlichen Eingriffen sieht (vgl. Levy 2002: 1).

Der Krypto-Anarchismus postuliert eine Kommunikationsasymmetrie zwischen dem Staat und seinen Bürgern, indem er davon ausgeht, dass der Staat zum einen die Kommunikation seiner Bürger überwacht und diesen gleichzeitig wichtige Informationen vorenthält. Das Mit-tel der Kryptografie, der Verschlüsselung persönlicher Daten, sMit-tellt nach der Logik des Kryp-to-Anarchismus ein Mittel dar, die Machtausübung des Staates auf den Bürger einzuschrän-ken (Hoffmann 2011: 49).34 In diesen Versuchen, private Kommunikate zu verschlüsseln und dem staatlichen Zugriff zu entziehen, tritt das Element auf, mit dem Assange in dem ein-gangs erwähnten Zitat aus „Conspiracy as Governance“ die Möglichkeit beschreibt, dem Herrschaftsapparat die Kontrolle über seine Umwelt zu entziehen.

In der politisch motivierten Cypherpunk-Bewegung kam hierbei jedoch noch ein weiterer As-pekt hinzu, der sich später auch bei WikiLeaks wiederfindet, nämlich der Versuch, nicht nur private Informationen vor staatlichen Eingriffen zu schützen, sondern auch geschützt Herr-schaftswissen offenzulegen. So wurde in Zusammenarbeit mit Bürgerrechtsbewegungen wie der Electronic Free Frontier Foundation (EFF), welche Assange später auch für eine Unter-stützung von WikiLeaks gewinnen konnte, eine Erweiterung des Freedom of Information Acts von 1966 für elektronische Kommunikation angestrebt. Dabei erreichten die Cypherpunks 1993 die Offenlegung der elektronischen Kommunikation der Regierungen Reagan, Bush und Clinton, indem diese als „Dokumente im Sinne der Zeitgeschichte“ anerkannt wurden (Borchers 2011: 60).

Zwischen 1992 und 2002 kommunizierten die Cypherpunks über eine Mailingliste sowohl über technische Aspekte der Kryptografie als auch über die politischen Ziele und Möglichkei-ten zur Umsetzung digitaler Bürgerrechte. Ab Dezember 1995 beteiligte sich auch Julian Assange an den Diskussionen (Borchers 2011: 61). Viele seiner späteren Ausführungen und Aussagen in Interviews stehen in engem Zusammenhang mit den Idealen des Krypto-Anarchismus, dessen Inhalte und Ziele Timothy May, der Begründer der Mailingliste, im No-vember 1992 im Crypto Anarchist Manifesto beschrieb. Hier heißt es unter anderem in Be-zug auf die Implikationen, welche die Kryptografie für den gesellschaftlichen Wandel hat:

34 Tatsächlich versuchte die US-amerikanische National Security Agency (NSA) zu Beginn der 1970-er Jahre den sogenannten Data Encryption Standart (DES) für US-Unternehmen zur gesetzlich verbindlichen Verschlüsselungsmethode für die interne Kommunikation zu etablieren. Hierbei handelt es sich um ein Kodierungsverfahren, welches von der NSA entschlüsselt werden konnte (Borchers 2011: 57). Bereits 1974 entwickelten die Wissenschaftler Whitfeld Diffie und Martin Hellmann auf der Grundlage eines, von einem Studenten entwickelten, Verschlüsselungsprinzips ein Verfahren, mit dem die Verschlüsselung persönlicher Daten möglich war, ohne dass die NSA diese dechiffrieren konnte (Borchers 2011:

57/58). Die US-Regierung versuchte in der Folgezeit immer wieder ein Embargo für Kryptotechnologie umzusetzen, was wie im Falle von Zim-mermann immer wieder von Cypherpunks unterlaufen wurde (Borchers 2011: 60).

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„Just as the technology of printing altered and reduced the power of medieval guilds and the social power structure, so too will cryptologic methods fundamentally alter the nature of corporations and of government interference in economic transactions.”35

Hier zeichnen sich bereits die Implikationen ab, welche die Funktionsweise von WikiLeaks für das Informationsverhältnis zwischen Bürger und Staat hat. Auch Assange war an der Entwicklung kryptologischer Software beteiligt. 1997 veröffentlichte er ein Verschlüsselungs-programm mit dem Namen Rubberhose. Sulette Dreyfus, eine Vertraute Assanges, für die er die Recherchetätigkeiten zu ihrem 1997 erschienenen Standardwerk über die internationale Hackerszene, „Underground: Hacking, Madness and Obsession on the Electronic Frontier“

(Dreyfus/Assange 1997), durchführte und für das dieser auch das Vorwort schrieb, be-schreibt das Programm folgendermaßen:

“Rubberhose is a computer program which both transparently encrypts data on a storage device, such as a hard drive, and allows you to hide that encrypted data. Unlike conventional disk encryption sys-tems, Rubberhose is the first successful, freely available, practical program of deniable cryptography in the world. […] Rubberhose was originally conceived by crypto-programmer Julian Assange as a tool for human rights workers who needed to protect sensitive data in the field, particularly lists of activists and details of incidents of abuse. Repressive regimes in places like East Timor, Russia, Kosovo, Gua-temala, Iraq, Sudan and The Congo conduct human rights abuses regularly. […] Human rights work-ers carry vital data on laptops through the most dangerous situations, sometimes being stopped by military patrols who would have no hesitation in torturing a suspect until he or she revealed a passphrase to unlock the data. We want to help these sorts of campaigners, particularly the brave people in the field who risk so much to smuggle data about the abuses out to the rest of the world.”36 Dieses Verschlüsselungskonzept stellt die Grundlage für die Idee hinter WikiLeaks dar. Die Kryptografie dient hier zum einen dem Schutz der Privatsphäre, indem sie staatlichen Akteu-ren den Zugriff auf die Kommunikation zwischen Individuen verwehrt; zum andeAkteu-ren bietet sie diesen Individuen aber auch die Möglichkeit, auf einem sicheren Wege Herrschaftswissen offenzulegen. In einem Interview vom April 2011 betont Assange die Bedeutung verschlüs-selter Kommunikation für den Schutz der Privatsphäre, deren Wahrung für die sichere Ver-breitung von Herrschaftswissen eine tragende Rolle zukomme:

“[…] in my involvement in cryptography and human rights, protecting human rights workers using cryp-tography, [this] also showed that privacy is an important part of spreading knowledge. [The] ability to be able to communicate privately helps people spread knowledge out to the public […]”37

In der Betonung der Notwendigkeit einer anonymen Kommunikation durch den Schutz der Privatsphäre des Individuums spiegelt sich die eingangs erwähnte grundlegende Skepsis der Cypherpunks gegenüber staatlichen Institutionen wider. Gleichzeitig kann diese radikal liber-täre Gegenüberstellung einer privaten und einer staatlichen Interessensphäre, anhand der Betrachtung weiterer Ausführungen Assanges, in den Zusammenhang einer als notwendig kommunizierten Offenlegung von Herrschaftswissen gestellt werden.

35 Quelle: http://www.activism.net/cypherpunk/crypto-anarchy.html (Stand 17.05.2011).

36 Quelle: http://iq.org/~proff/marutukku.org/current/src/doc/maruguide/t1.html (Stand: 14.05.2011).

37 Das Zitat stammt aus einem Interview, welches Assange am 4. April 2011 vor dem Londoner Frontline Club gab. Ein Transkript dieses Inter-views findet sich im Internet unter: http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/WikiLeaks/interInter-views/julian-assange.html (Stand 09.08.2011)

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