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101950 1954 1958 1962 1966 1970 1974 1978 1982 1986 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014 20

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Schaubild 1: Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts, BRD 1950 – 2014 in Prozent des nominalen BIP

Quelle: Stassches Bundesamt (2015b, 2015g).

14 Einleitung

beeinflussen die Staatsschuldenquote aber nicht weniger. Jedenfalls stiegen die Gesamtschulden stärker an als das Bruttoinlandsprodukt, wodurch sich die Staatsschuldenquote erhöhte. Angesichts dieser Entwicklung wandten sich Wirt-schafts- und Finanzwissenschaftler ver-stärkt der Frage der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen zu.7

Der Anstieg der Staatsverschul-dung hatte politische Auswirkungen. Ro-nald Reagan – wie zuvor schon andere Vertreter der Republikanischen Partei – attackierte im Wahlkampf 1980 Jimmy Carter vor allem wegen seiner Rekord-defizite im Bundeshaushalt, praktizierte in seiner Amtszeit seit 1981 aber selbst viel höhere Defizite und Defizitquoten.8 In der Clinton-Ära gelang es den USA, ihre Staatsschuldenquote von 64 Pro-zent Ende 1994 bis zum Jahr 2000 auf 54 Prozent zurückzuführen. Dank einer entschiedenen Haushaltskonsolidierung schafften es Clinton und der Kongress, in den Jahren 1998 bis 2001 zum ersten Mal seit dem Jahr 1969 Haushaltsüberschüs-se zu realisieren. Zudem leistete das hohe Produktivitäts- und Wirtschaftswachs-tum einen wesentlichen Beitrag. Umge-kehrt hatte die Rezession in den USA von 1989 bis 1993 die Quote von 50 Prozent Ende 1988 auf 64 Prozent Ende 1993 nach oben getrieben.9

In Deutschland wurde die sozial-liberale Regierung von Helmut Schmidt von seinem CDU-Herausforderer Hel-mut Kohl im Wahlkampf 1980 und bei Debatten im Bundestag ebenfalls wegen hoher Haushaltsdefizite angegriffen. Das Ziel der Konsolidierung der Staatsfi-nanzen war ein wesentlicher Ausgangs-punkt für das Lambsdorff-Papier, das zum Bruch der sozialliberalen Koalition führte. Bundeskanzler Kohl gelang durch die Beschränkung des Wachstums der Staatsausgaben nach seiner Regierungs-übernahme 1982 bis zum Vorabend der Wiedervereinigung eine Konsolidierung

der Staatsfinanzen in einer Phase stär-keren Wirtschaftswachstums, und zwar trotz einer parallelen Steuerentlastung.

Die weitgehend kreditfinanzierten Kosten der Wiedervereinigung trieben die Defi-zit- und Staatsschuldenquote Deutsch-lands jedoch noch während Kohls Regie-rungszeit in den 1990er Jahren erneut in die Höhe. Der am 7. Februar 1992 unterzeichnete Maastricht-Vertrag mit seinen haushaltspolitischen Vorschriften in Vorbereitung der Europäischen Wäh-rungsunion (EWU) verschaffte dem The-ma Staatsschulden und deren Begrenzung zusätzliche Aufmerksamkeit.

In Deutschland stieg die Staats-schuldenquote im Zuge der Wiedervereini-gung von 40 Prozent im Jahr 1991 auf 60 Prozent im Jahr 1997 an. Danach verharr-te diese Quoverharr-te zunächst bis 2001 auf dem Niveau von rund 60 Prozent, um bis 2005 bei schwachem Wirtschaftswachstum er-neut um etwa neun Prozentpunkte zuzu-legen. Dadurch verletzte Deutschland das Defizit- und das Schuldenstandskriterium des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Erst nach der Wiederbelebung des Wirtschafts-wachstums in den Jahren 2005 bis 2007 gingen die Defizite im deutschen Staats-haushalt wieder zurück.10 Die Staatsschul-denquote fiel um gut drei Prozentpunkte.

Dann brachen im Sommer 2007 die weltweite Finanzkrise und mit dem Lehman-Konkurs am 15. September 2008 die Große Rezession mit schweren Ein-brüchen im Wirtschaftswachstum und der Beschäftigung aus. Die Staatskassen weltweit liefen auf der Einnahme- und der Ausgabenseite aus dem Ruder. Die Defizit-quoten erreichten Größenordnungen, die es in Friedenszeiten noch nicht gegeben hatte. Durch die Rezession, die daraufhin verabschiedeten Konjunkturpakete und durch die Übernahme der Schulden der Bad Banks (als Teil von Bankenrettungs-aktionen) auf die Staatskasse entwickel-ten sich die Staatsschuldenquoentwickel-ten von 2008 bis 2010 sprunghaft nach oben, z.B.

15 Einleitung

in Deutschland um 17 Prozentpunkte,11 in den USA und Großbritannien sogar um über 30 Prozentpunkte. Dies katapultier-te die Schuldenfrage auf der politischen Agenda, in den Medien und der Öffent-lichkeit sowie in der Wissenschaft wieder nach ganz oben.

In Deutschland bildete dieser uner-wartet dramatische Sprung der Quote die Kulisse für die Verankerung der Schul-denbremse im Grundgesetz im Jahr 2009 gegen Ende der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Wenngleich die Ver-handlungen zur Revision der alten recht-lichen Grenzen der Staatsverschuldung in Art. 115 GG i.V.m. Art. 109 GG bereits vor der Finanzkrise im Rahmen der Födera-lismusreform II – genauer unmittelbar nach Abschluss der Föderalismusreform I im Jahr 2006 – begonnen hatten, dürf-te die Durchsetzung der Schuldenbremse auch für die Länder ohne den massiven Anstieg der Staatsverschuldung im Zuge der Krise nicht möglich gewesen sein.12

Bücher von Wirtschaftswissen-schaftlern zum Thema „Staatsschulden“

und zur Geschichte von Schuldenkri-sen stießen auf eine ungewöhnlich große Nachfrage.13 Die Schuldenkrisen in eini-gen südeuropäischen Euroländern und in Irland seit 2010 und die daraufhin geschnürten Rettungspakete haben die deutsche Öffentlichkeit zusätzlich verun-sichert und die Schuldendebatte weiter angeheizt.

1.2 Zielsetzung des Berichts

Die Verunsicherung und Befürchtungen sowie das Interesse der Öffentlichkeit und der Politiker am Thema Staatsschulden sind groß. Gleichzeitig ist die Debatte ge-prägt von einer Reihe von Fehleinschät-zungen und einseitigen Behauptungen, die teilweise von finanziellen und politi-schen Interessen geleitet sind. Dies stiftet zusätzliche Verwirrung in der

Staatsschul-dendebatte. Es ist das Ziel dieses Berichts, zum Abbau solcher Wissenslücken beizu-tragen, die Orientierung im Dickicht der oft oberflächlichen Diskurse zu erleich-tern und in diesem Sinne aufklärend zu wirken.

Angesichts der sehr unterschiedli-chen Ursaunterschiedli-chen, Probleme und Wirkungen der Staatsverschuldung in den verschiede-nen Staaten und politischen Systemen die-ser Welt war es allerdings notwendig, sich auf die Fragen zu beschränken, die im nati-onalen Kontext eine Rolle spielen. Die spe-ziellen Probleme der Staatsverschuldung in Diktaturen und autoritären Systemen bleiben daher ebenso ausgeblendet wie die spezifischen Ursachen und Wirkungen der Staatsverschuldung in Entwicklungs- oder Schwellenländern. Der Bericht geht inso-fern von den Verhältnissen eines demo-kratischen Verfassungsstaates westlicher Prägung aus. Weder die Mexiko- noch die Argentinien-Krise werden daher angespro-chen. Das schließt die Berücksichtigung internationaler Einflüsse und Interdepen-denzen nicht aus. Sie werden aber nur un-ter dem Blickwinkel der Auswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland betrach-tet. Diese Perspektive begrenzt auch die Behandlung der sogenannten Euro-Krise, die nur insoweit angesprochen wird, als es für Deutschland relevant ist. Die spezi-fischen Gründe und Probleme der Staats-verschuldung Griechenlands, der anderen Südländer oder Irlands werden deshalb nicht eigens thematisiert.

Ansonsten hatte sich diese interdis-ziplinäre Arbeitsgruppe zum Ziel gesetzt, den gegenwärtigen Erkenntnisstand aus den Wirtschafts-, Politik- und Sozialwis-senschaften für eine breite Öffentlichkeit, die Medien und Entscheidungsträger in der Politik in einer allgemein verständli-chen Form zusammenzutragen und dar-aus Politikempfehlungen abzuleiten. Der Bericht spiegelt insoweit den Konsens, aber auch vereinzelten Dissens in der Gruppe wider.

16 Einleitung

Im Abschnitt 2 dieser Darstellung werden einige Grundfragen behandelt, die der Definition, Einordnung und Un-terscheidung der Staatsschulden von pri-vater Verschuldung dienen. In Abschnitt 3 geht es um Bestimmungsfaktoren des Anstiegs der Staatsschuldenquote, von traditionellen ökonomischen Erklärungen der Staatsverschuldung über den Einfluss von Finanzkrisen bis hin zu demokratie-spezifischen und kulturellen Einflussfak-toren. Abschnitt 4 geht ausführlich auf die Beurteilungskriterien ein, von denen die ökonomischen Grenzen der Staats-verschuldung abhängen. Er endet mit ei-nem Zwischenfazit. In Abschnitt 5 geht es um die Frage von Lastenverschiebun-gen durch Staatsschulden, d.h. um deren Verteilungswirkungen auf der interper-sonellen Ebene und zwischen Generati-onen. Abschnitt 6 diskutiert Wirkungen der staatlichen Kreditaufnahme auf die Entwicklung der Preise (Inflation) sowie der Produktion und Beschäftigung (Mul-tiplikatorwirkung expansiver und kon-traktiver Haushaltspolitik). In Abschnitt 7 werden Erfahrungen mit der Wirksamkeit rechtlicher Schranken für Staatsschulden ausgewertet. In Abschnitt 8 werden die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Arbeitsgruppe präsentiert.

17 Grundlagen