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1.1. Hintergrund: Warum gesundheitsökonomische Evaluation von Prävention und Gesundheitsförderung bei älteren Menschen?

Gesundheitsförderung und Prävention für ältere Menschen haben seit Ende der 1990er Jahre politisch an Bedeutung gewonnen. In vielen OECD-Ländern ist der Anteil älterer Menschen in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen (OECD 2020). Mit dem steigenden Anteil älterer Menschen gewinnt das Anliegen an Bedeutung, dass gewonnene Lebensjahre mit hoher Le-bensqualität verbracht werden sollen. Gleichzeitig steigt auch mit Blick auf steigende Kosten im Bereich der gesundheitlichen Versorgung und der Langzeitpflege das Bewusstsein, dass präventive Potenziale gerade auch für ältere Menschen stärker ausgeschöpft werden sollten (Swedish National Institute of Public Health 2007; Westerhout 2014). Sehr gut zum Ausdruck kommt die gestiegene Bedeutung der Gesundheit Älterer in dem von der Weltgesundheitsorga-nisation (WHO) 2015 vorgelegten Bericht „World Report on Ageing and Health“, der betont, dass möglichst gesundes Altern, der Erhalt von Wohlbefinden und Teilhabe älterer Menschen ein Grundrecht älterer Menschen in der Gesellschaft darstellt, das größerer politischer Auf-merksamkeit bedarf (WHO 2015). In Deutschland wurde „Gesund älter werden“ im Jahr 2012 zu einem Nationalen Gesundheitsziel erklärt, mit dem Präventionsgesetz von 2015 gewinnt das Ziel verbindlichere Bedeutung für wesentliche Akteure des Gesundheitswesens im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung (vgl. Kapitel 3.3).

Vor dem Hintergrund steigender Kosten und insgesamt begrenzter Ressourcen, die für das öf-fentliche Gesundheitswesen zur Verfügung stehen, stellt sich auch für Aktivitäten der Gesund-heitsförderung und Prävention grundsätzlich die Frage, wie diese Ressourcen optimalerweise eingesetzt werden sollten, um einen möglichst hohen Nutzen zu erreichen. Öffentliche Akteure im Gesundheitswesen, wie beispielsweise die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland, sind dazu verpflichtet, dass angebotene Leistungen zweckmäßig und wirtschaft-lich sind1 – insofern besteht hier prinzipiell eine rechtliche Notwendigkeit sicherzustellen, dass diese Leistungen effektiv und zu angemessenen Kosten erbracht werden.

Methoden der gesundheitsökonomischen Evaluation zielen grundsätzlich darauf, die Kostenef-fektivität gesundheitsbezogener Interventionen zu erheben und damit Entscheidungen der Res-sourcenallokation zu unterstützen (vgl. Kapitel 4.1). In vielen OECD-Ländern werden gesund-heitsökonomische Evaluationen zunehmend zur Unterstützung allokativer Entscheidungspro-zesse genutzt (McDaid et al. 2015: 27). Vor dem Hintergrund der steigenden Bedeutung ge-sundheitsfördernder Aktivitäten für ältere Menschen, stellt sich insofern auch in diesem Bereich die Frage, wie Entscheidungen für oder gegen bestimmte Aktivitäten begründet werden können.

1 Für Deutschland basiert das Wirtschaftlichkeitsgebot auf §12, Absatz 1 des 5. Sozialgesetzbuches.

Die vorliegende Dissertation zielt darauf, herauszuarbeiten, ob und in welcher Form gesund-heitsökonomische Evaluationen ein angemessenes Mittel sind, um Entscheidungsträger:innen bei der Allokation von Ressourcen für Gesundheitsförderungsaktivitäten für ältere Menschen zu unterstützen. Möglichkeiten und Grenzen der gesundheitsökonomischen Evaluation, die in dieser Arbeit vorgestellt und diskutiert werden, sind prinzipiell für jede Form der gesund-heitsökonomischen Evaluation gesundheitsfördernder Interventionen für Ältere relevant. Die konkreten Auswirkungen sind jedoch stark von der spezifischen Umsetzung und insbesondere auch den jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen abhängig. Daher wird in diesem Rah-menpapier ein Fokus auf die Bedeutung und den Stellenwert der Prävention und Gesundheits-förderung älterer Menschen im deutschen Gesundheitssystem gelegt.

1.2. Aufbau der Arbeit und Forschungsfragen

Zur Beantwortung der übergeordneten Forschungsfrage führt Kapitel 2 zunächst in grundle-gende Konzepte und Begriffe im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung ein. Kapitel 3 beschreibt detailliert die institutionellen Rahmenbedingungen der Prävention und Gesundheits-förderung für ältere Menschen in Deutschland. Dies dient der grundsätzlichen Einordnung, wel-che Bedeutung gesundheitsökonomiswel-chen Evaluationen spezifisch im deutswel-chen Gesundheits-system zukommen kann. Dabei wird sowohl auf rechtliche Grundlagen und institutionelle Strukturen, als auch auf die Finanzierung und den bisherigen Stellenwert, den Evidenzbasie-rung in Bezug auf Kosteneffektivität bisher einnimmt, eingegangen.

Im Anschluss werden in Kapitel 4 nach einer allgemeinen Einführung in grundlegende Metho-den der gesundheitsökonomischen Evaluation, die besonderen Herausforderungen und Schwie-rigkeiten dieser Ansätze bei der Übertragung auf gesundheitsfördernde oder präventive Inter-ventionen für ältere Menschen zusammengefasst, die in Einzelarbeit 1 auf Basis der methodo-logischen Literatur herausgearbeitet wurden. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse eines syste-matischen Reviews über entsprechende Interventionen (Einzelarbeit 2), wird darauf aufbauend dargestellt, wie mit den Herausforderungen in praktisch durchgeführten Evaluationen der letz-ten Jahre umgegangen wurde. Dies basiert auf einer detaillierletz-ten diesbezüglichen Analyse der im systematischen Review eingeschlossenen Studien, die in Einzelarbeit 3 erfolgt ist.

Die Auseinandersetzung mit den besonderen Herausforderungen der gesundheitsökonomischen Evaluation von Interventionen für Ältere zeigt, dass eine methodenimmanente Benachteiligung älterer Menschen durch gesundheitsökonomische Methoden möglich ist. Es gibt in der Gesund-heitsökonomie jedoch auch eine Debatte dazu, ob eine gewisse altersbezogene Diskriminierung nicht auch angemessen sein kann. Gleichzeitig wird die Berücksichtigung von Gerechtigkeits-erwägungen als eine wichtige Herausforderung für die gesundheitsökonomische Evaluation von gesundheitsfördernden sowie anderen Public Health Interventionen herausgestellt (Cookson et al. 2009). Vor dem Hintergrund anhaltend bestehender sozial bedingter gesund-heitlicher Ungleichheiten in modernen Wohlfahrtsstaaten (Bopp & Mackenbach 2019;

Mackenbach 2012), ist es häufig ein erklärtes Ziel gesundheitsfördernder Interventionen, dass

diese zum Abbau derselben beitragen sollten. Auch für Altersgruppen über 65-Jahre – zeigen als Beispiel aktuelle deutsche Studien – dass deutliche Unterschiede im Gesundheitszustand, der Lebenserwartung und hinsichtlich der Pflegebedürftigkeit in Abhängigkeit vom sozioöko-nomischen Status bestehen (Lampert & Hoebel 2019a; b; von dem Knesebeck et al. 2015).

Gerechtigkeitsbezogene Überlegungen können, wie sich hier zeigt, im Kontext der Bewertung gesundheitsfördernder Interventionen für Ältere in unterschiedlicher Hinsicht eine Rolle spie-len. Wie diese Themen in der gesundheitsökonomischen Debatte diskutiert werden, wird daher in Kapitel 5 genauer ausgeführt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Frage, welche Mög-lichkeiten es gibt, mit Methoden der gesundheitsökonomischen Evaluation gerechtigkeitsbezo-gene Fragestellungen zu analysieren und Entscheidungen über die Förderung spezifischer In-terventionen zu unterstützen (Einzelarbeit 4). Ergänzend werden in der Gesundheitsökonomie intensiv diskutierte normative Positionen vorgestellt, mit denen eine gewisse Altersdiskrimi-nierung – bzw. RatioAltersdiskrimi-nierung von Gesundheitsleistungen in Abhängigkeit vom Lebensalter – ethisch legitimiert werden könnte.

Kapitel 6 fasst die Ergebnisse zusammen und diskutiert sie im Hinblick auf die unten formu-lierten Teilfragen und mit spezifischem Fokus darauf, in welcher Weise gesundheitsökonomi-sche Evaluationen geeignet sind, Entgesundheitsökonomi-scheidungsprozesse für oder gegen spezifigesundheitsökonomi-sche Interven-tionen zu unterstützten. Dabei wird besonders auf die Bedeutung und Anwendbarkeit entspre-chender Ansätze im deutschen Kontext eingegangen.

Zur Beantwortung der übergeordneten Forschungsfrage, ob und in welcher Form gesund-heitsökonomische Evaluationen ein angemessenes Mittel sind, um Entscheidungsträger:innen bei der Allokation von Ressourcen für Gesundheitsförderungsaktivitäten für ältere Menschen zu unterstützen, tragen die Einzelarbeiten durch die Bearbeitung der folgenden Teilfragen bei:

1. Welche methodologischen Herausforderungen bestehen bei der ökonomischen Evalua-tion von PrävenEvalua-tion und Gesundheitsförderung für ältere Menschen? (Einzelarbeit 1: K.

Huter et al. 2016)

2. Welche gesundheitsökonomische Evidenz liegt vor, welche Studienergebnisse zur Kos-teneffektivität von gesundheitsfördernden Interventionen für Ältere gibt es?

(Einzelarbeit 2: Dubas-Jakóbczyk et al. 2017)

3. Wie gehen die bestehenden gesundheitsökonomischen Evaluationen mit den methodo-logischen Herausforderungen um? Werden diese berücksichtigt und wenn ja, wie wer-den sie berücksichtigt? (Einzelarbeit 3: Kai Huter et al. 2018)

4. Welche Möglichkeiten gibt es, Gerechtigkeit in der gesundheitsökonomischen Evalua-tion zu berücksichtigen? (Einzalarbeit 4: Kai Huter 2020)

Welche Konsequenzen aus den Ergebnissen jeweils für eine mögliche Entscheidungsunterstüt-zung für die Ressourcenallokation resultieren, wird in jeder der Einzelarbeiten diskutiert. Im Rahmenpapier wird darüber hinaus die ergänzende Frage beantwortet:

5. Wie ist Primärprävention und Gesundheitsförderung für ältere Menschen im deutschen Gesundheitssystem verortet und welche Rolle spielt bisher die gesundheitsökonomische Evaluation der Interventionen?

2. Prävention, Gesundheitsförderung und Evidenzbasierung – zentrale