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Einleitung: Kunst in die Zivilgesellschaft!

Im Dokument Ohne Maske (Seite 29-33)

„Wann wurde ‚Kunst im öffentlichen Raum‘ zu so etwas wie ein Schimpfwort?“, fragten 2008 Cameron Cartiere und Shelly Willis in ihrer einflussreichen Antho-logie The Practice of Public Art über die Geschichte und Ausformungen von Kunst im öffentlichen Raum in den USA und Großbritannien.1 Mit dieser provokanten Frage stellung wiesen die AutorInnen auf eine paradoxe Stellung von Kunst im öffentlichen Raum innerhalb des Kunstbetriebs hin. Denn obwohl unbestritten ist, dass Kunstproduktionen und -interventionen außerhalb des tradierten Aus-stellungsraums viel mehr Publikum ansprechen als eine Ausstellung visueller Kunst in der „weißen Zelle“, hat Kunst im öffentlichen Raum bis heute nicht die ihr eigentlich gebührende Glaubwürdigkeit und Akzeptanz als eigenständige künst-lerische Praxis erlangt. Es scheint, als ob eine unausgesprochene Übereinkunft in dem Establishment des Kunstbetriebs bestünde, derzufolge Kunst im öffentlichen Raum mit Kompromiss, Vereinfachung und Abhängigkeit gleichgesetzt ist. Diese Argumentation übersieht jedoch meist den sozialen und kulturellen Beitrag, den Kunst im öffentlichen Raum zu generieren vermag – einen Beitrag, der gerade die demokratischen Errungenschaften des kritischen Dialogs und der Kompromiss-findung in ihrer unersetzbaren Bedeutung hervorhebt. Ebenso unterschätzt wird dabei auch die Chance, die eine ergebnisorientierte Auseinandersetzung zwischen KünstlerInnen, KuratorInnen, öffentlichen oder privaten AuftraggeberInnen sowie den technischen ProduzentInnen mit sich bringt. Denn diese – idealerweise öffentlich geführte – Auseinandersetzung kann schlussendlich nur zu einem bes-seren Verständnis der Gegenwartskunst in der Zivilgesellschaft führen und damit auch ihren gesellschaftlichen Wert erhöhen. Trotz dieser auf der Hand liegenden Vorzüge findet Kunst im öffentlichen Raum immer noch in einem unklar defi-nierten Verhältnis zwischen kommerziellem Kunstmarkt und öffentlichen Ausstel-lungsinstitutionen statt, zwischen privaten Firmen, die darin vor allem eine kultu-ralisierte Identitätspolitik und Repräsentation des eigenen Unternehmens sehen wollen, und der öffentlichen Hand, die bisweilen, aber gewiss nicht immer und überall, in ihr einen Bildungsauftrag erkennt.

Tirol ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Zur gleichen Zeit, als Cartiere und Willis ihre provokante These formulierten, führte das Land Tirol die Förder-aktion Kunst im öffentlichen Raum ein, die seitdem, also seit gut 12 Jahren, unter organisatorischer Betreuung der Tiroler Künstler:innenschaft die Realisierung entsprechender Vorhaben unterstützt, die „in Tirol stattfinden und sich mit den spezifischen Gegebenheiten der jeweils ausgewählten Orte auseinandersetzen“.2 Die nur bedingte Identifikation der Kulturpolitik und -verwaltung mit diesem eigenen Kunstförderungsprojekt liest sich jedoch bereits an der Fördersumme ab, die hierfür zur Verfügung gestellt wird. Das Budget von 80.000 Euro (in den ersten

149 zwei Jahren waren es immerhin 100.000) ist eine besonders bescheidene Summe, wenn man sich die Kosten vergegenwärtigt, die in der Umsetzung solcher Vorha-ben üblicherweise entstehen. Selbstredend, dass in dieser Summe keine professi-onelle Kunstvermittlung miteinberechnet ist, die jedoch dringend nötig wäre, um langfristig das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an künstlerischen Interventio-nen jenseits des „geschützten“ Ausstellungsraums nicht nur punktuell zu wecken, sondern auch nachhaltig aufrechtzuerhalten. Dass es budgetär und organisatorisch auch anders gehen kann, zeigen in Österreich etwa die Stadt Wien mit ihrem KöR-Programm, das Land Niederösterreich mit dem „public art“-Programm oder das Land Steiermark mit dem in Graz ansässigen Institut für Kunst im öffentlichen Raum.3

Trotz der vergleichsweise widrigen Rahmenbedingungen wird aber auch in Tirol Kunst im öffentlichen Raum umgesetzt, die sich keineswegs verstecken muss.

Die zwei Projekte, die im Gaismair-Jahrbuch in den folgenden Gesprächen mit ihren jeweiligen Autorinnen vorgestellt werden, verfolgen nicht nur einen hohen künstlerischen Anspruch, sondern und vor allem fordern sie vom Publikum ein-dringlich die Auseinandersetzung mit brennenden Fragen der sich gerade im Zustand fortschreitender konservativer Reaktion befindlichen Gegenwart ein: Wo bleibt die vormals allerseits propagierte, ja versprochene gesellschaftliche Gleich-stellung von Männern und Frauen? Und was ist aus dem früheren Imperativ des sozialen Zusammenhalts und der Empathie mit den Schwächeren und Benachtei-ligten geworden?

Katharina Cibulkas4 SOLANGE-Projekt ist eine Serie temporärer Interven-tionen auf Baustellen, die sich die dort üblichen Staubnetze als Medium aneignen und in einer Ästhetik, die allgemein als weiblich identifiziert werden würde, mit pro-feminismus argumentierenden Sprüchen versieht. Eine männliche Domäne par excellence wird hier zum strukturellen Träger feministisch-emanzipatorischer Aussagen, die das Prozesshafte der Verhandlungsperspektive der Geschlechter-verhältnisse herausfordern und somit den diesbezüglich permanent zur Disposi-tion stehenden Status Quo. SOLANGE zieht durch die bewusste Verfremdung der Werbeästhetik, die üblicherweise auf solchen Trägern vorzufinden ist, den Blick auf sich, um in einem nächsten Schritt den Dialog mit den herbeieilenden Pas-santInnen einzuleiten, die sich nur schwer dem Sog der monumental wirkenden Arbeiten und deren Wortlaut entziehen können. Das Projekt beschränkt sich aber nicht nur auf die analoge Nutzung der Baustellen sondern operiert auch in den sozialen Medien, vorrangig auf Instagram, wo nicht nur die neuesten Bilder der installierten Arbeiten gepostet werden, sondern auch das Publikum – die Fol-lowerInnen  – als Lieferant von Spruchideen aktiv werden kann. Hier wird ein Bewusstseins bildungsnetzwerk aufgebaut, das vor allem die Kernidee des Projekts weitertransportiert und nicht so sehr auf den Kunstcharakter der Arbeit beharrt.

Carmen Brucic5 geht mit dem von ihr federführend initiierten „Mobili täter-Innen“-Projekt sogar einen – durchaus radikalen – Schritt weiter: Sie übergibt die-ses ursprünglich als Kunst im öffentlichen Raum konzipierte Vorhaben vollständig der Zivilgesellschaft und ihren gemeinnützigen Institutionen. „Die MobilitäterIn-nen“ wurden zunächst aus der Beobachtung geboren, dass im ländlichen Bereich

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(aber nicht nur) eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für diejenigen, die über keine individuellen Verkehrsmittel verfügen, tendenziell schwierig ist. Dies betrifft nicht nur Geflüchtete, sondern generell ältere wie junge Menschen, die an Orten mit schlechter Verkehrsanbindung leben. Carmen Brucic und ihr Team ent wickelten einen Lösungsvorschlag für dieses Problem, das weit über die klas-sischen Möglichkeiten einer Mitfahrbörse reicht: Sie entwarfen – zunächst expe-rimentell, dann unter Einbindung entsprechender gesellschaftlicher AkteurInnen – eine „Dramaturgie der Mitfahrt“, die den Beteiligten eine komplexe und zugleich positive Kommunikationserfahrung untereinander ermöglichte. Zudem wurde auch eine praktische Verkehrslösung gefunden und in einigen Tiroler Gemeinden sogar umgesetzt. Das Projekt war derart erfolgreich, dass es innerhalb kürzester Zeit und für ein Kunstprojekt völlig unüblich mit zwei Preisen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde. Das „MobilitäterInnen“-Projekt läuft bis heute weiter, ohne Zutun der Künstlerin.

Die zwei hier vorgestellten Kunst-im-öffentlichen-Raum-Projekte führen bei-spielhaft vor, was und wie viel möglich sein kann, wenn spannende künstlerische Vorstellungen auf brennende soziale Fragen unter entsprechend günstigen Rah-menbedingungen treffen. Die daraus hervorgegangenen künstlerischen Setzungen bieten zugleich einen hohen ästhetischen Anspruch, wecken die Lust auf Teilnahme und entwerfen praktisch umsetzbare Lösungen für konkrete Probleme. Sie liefern handfeste Argumente für eine dringende Aufwertung der Kunst im öffentlichen Raum hinsichtlich Finanzen, Organisation, Logistik und Vermittlung – für eine breite Anerkennung als eine das zivilgesellschaftliche Leben bereichernde Kunst-form.

Anmerkungen

1 Cameron Cartiere und Shelly Willis: The Practice of Public Art, New York London 2008.

2 Ingeborg Erhart im Vorwort der Publikation Tiroler Künstler*schaft (Hg.): Kunst im öffentlichen Raum Tirol 2007 – 2014, Innsbruck 2016, S. 8, online abrufbar unter https://www.koer-tirol.at/

wp-content/uploads/2018/12/publikation_koer-tirol.pdf (Zugriff 29.7.2020).

3 https://www.koer.or.at/, https://publicart.at/de/, https://www.museum-joanneum.at/kioer (Zugriffe 29.7.2020).

4 http://katharina-cibulka.com/ (Zugriff 29.7.2020).

5 https://carmenbrucic.tumblr.com (Zugriff 29.7.2020).

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