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Abkürzungsverzeichnis

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4.2 Arylsubstituierte Isocyanate

4.2.10 Eingeschränkte Rotation um die Biarylachse

Abbildung 4.9: Bei eingeschränkter Rotation um die Biarylachse in den neu synthetisierten Biarylverbindungen werden die MOM-Methylenprotonen (blau) sowie die Phenyl-ringe am Phosphor (rot) untereinander jeweils diastereotop.

Durch die Aufnahme temperaturabhängiger 1H-NMR-Spektren konnte gezeigt werden, dass bei erhöhter Temperatur die beiden Signale der Methylenprotonen koaleszieren.

Exemplarisch sind die 1H-NMR-Spektren der Nitroverbindung 194 in Abbildung 4.10 dargestellt. Zunächst ist bei zunehmender Temperatur zu beobachten, dass sich die beiden blau eingefärbten Dubletts (ca. 4.95 ppm bei 300 K) der MOM-Methylen-gruppe verbreitern, sie sich immer mehr annähern bis sie schließlich bei 340 K zu einem breiten Singulett zusammenfallen (Koaleszenz). Bei weiter steigender Temperatur wird ein „scharfes“ Singulett erhalten. Die rot eingefärbten Signale der Phenylringe verbreitern sich mit zunehmender Temperatur zunächst, während sie bei noch höherer Temperatur wieder schärfer werden.

d[ppm]

5.0 5.5

6.0 6.5

7.0 7.5

300 K 360 K

350 K

340 K

320 K Koaleszenz

N O2

O O M e

O P

O

HAHB

194

Abbildung 4.10: Ausschnitte der temperaturabhängigen 1H-NMR-Spektren der Nitroverbindung 194

Dieses Verhalten ist typisch für zwei sich miteinander im Gleichgewicht befindliche Konformere A und B, wobei es sich bei den Konformeren auch um Enantiomere handeln kann (Gleichung 4.1).

Gleichung 4.1

Bei niedrigen Temperaturen findet ein auf der NMR-Zeitskala langsamer Austausch zwischen diastereotopen Protonen bzw. Atomgruppen statt, so dass im NMR-Spektrum getrennte Signale beobachtet werden, während bei höherer Temperatur der Austausch schnell wird und somit nur ein gemitteltes Signal der austauschenden Kerne beobachtet werden kann.

Im Falle der Methylenprotonen der MOM-Gruppe der neu synthetisierten Biarylverbindungen liegt bei niedriger Temperatur ein AB-System miteinander koppelnder Protonen vor, welches bei Überschreitung der Koaleszenztemperatur TC in ein A2-System übergeht. Unter der Annahme einer reversiblen Umwandlung zwischen den Protonen HA und HB mit einer Kinetik erster Ordnung und der Temperaturunabhängigkeit der Verschiebungsdifferenz der Protonen gilt für die Geschwindigkeitskonstante kC am Koaleszenzpunkt:[240]

 

2

6 2

2

B , A B

A C

k     J

Gleichung 4.2

mit kC Geschwindigkeitskonstante der Umwandlung von A nach B bei TC

A Resonanzfrequenz der Kerne in Position A

B Resonanzfrequenz der Kerne in Position B

JA,B Kopplungskonstante der Kerne in Position A und B

Zur Berechnung der Freien Aktivierungsenthalpie des Austauschprozesses dient die Eyring-Gleichung:[239]

C A C

C RT

h N T k

R G  ln

Gleichung 4.3

mit G Freie Aktivierungsenthalpie

R universelle Gaskonstante (8.314 J/molK) TC Koaleszenztemperatur

NA Avogadro-Zahl (6.022  1023 mol-1)

h Planck-Wirkungsquantum (6.626  10-34 Js)

Sind demzufolge die Koaleszenztemperatur, die Verschiebungsdifferenz sowie die Kopplungskonstante der Methylenprotonen der MOM-Gruppe bekannt, kann damit

nach der Koaleszenzmethode die Freie Aktivierungsenthalpie der Rotation um die Biarylachse in den neu synthetisierten Biarylmolekülen bestimmt werden.

Tabelle 4.5: Bestimmung der Geschwindigkeitskonstante kC, der Halbwertszeit C sowie der Freien Aktivierungsenthalpie G nach der Koaleszenzmethode für eine Auswahl der neu synthetisierten Biarylverbindungen auf der Grundlage der für die Protonen HA und HB bei unterschiedlichen Temperaturen erhaltenen 1H-NMR-Signale.

# Verbindung TC[a]

[K]

A - B [Hz]

2JA,B [Hz]

kC[b]

[Hz]

C[c]

[10-3 s]

G[d]

[kJ/mol]

1 176b

NO2

O O P(O)Ph2 HA HB

360 60.1 7.0 138.8 7.2 74.0

2 206

NO2

O O

OH P(O)Ph2 HA HB

343 52.8 7.0 123.3 8.1 70.7

3 194 340 52.9 7.0 123.5 8.1 70.0

4 248 < 300 n. b. n. b. n. b. n. b. n. b.

5 195

O O

O P(O)Ph2 HA HB O2N

344 53.45 6.7 124.2 8.1 70.9

6 210 353 72.22 6.8 164.6 6.1 72.0

7 224 OP(O)PhO2

HA HB O2N

Me2N

354 56.94 6.8 131.8 7.6 72.8

8 223

O O

NMe2 P(O)Ph2 HA HB O2N

327 47.42 6.8 111.7 9.0 67.5

[a]Die zugrundeliegenden 1H-NMR-Spektren wurden in DMSO-d6 bei einer Messfrequenz von 500 MHz aufgenommen. [b]Berechnet nach Gleichung 4.2. [c]Halbwertszeit der jeweiligen Konformation bei der Koaleszenztemperatur TC:  = 1/kC. [d]Berechnet nach Gleichung 4.3.

Von einer Auswahl der Verbindungen wurden temperaturabhängige 1H-NMR-Spektren in DMSO-d6 bei einer Messfrequenz von 500 MHz aufgenommen. Aus dem jeweiligen Spektrum bei 300 K wurden die Verschiebungsdifferenz der Protonen HA und HB der

bestimmt. In Tabelle 4.5 sind die entsprechenden Daten und die daraus errechneten kinetischen Größen zusammengestellt.

Die in Tabelle 4.5 aufgeführten Biarylverbindungen besitzen Koaleszenztemperaturen zwischen 327 K und 360 K (ausgenommen das Amin 248, welches bereits bei Raumtemperatur nur ein Signal für die MOM-Methylengruppe aufweist). Je höher die beobachtete Koaleszenztemperatur ist, desto stärker ist die Rotation um die Biarylachsen eingeschränkt. Die Halbwertszeiten der Konformationen bei TC betragen 7.6 ms bis 9.0 ms, während die Freien Aktivierungsenthalpien für die Rotation um die Biarylachsen zwischen 67.5 kJ/mol und 74.0 kJ/mol liegen. Diese Werte sind mit den kinetischen Daten des Phosphans 249 vergleichbar (Abbildung 4.11), welches eine Koaleszenztemperatur von 342 K und eine Halbwertszeit von 1.3 ms bei dieser Temperatur besitzt.[241]

Abbildung 4.11: Freie Aktivierungsenthalpien und Halbwertszeiten einer atropos-Verbindung 249 und von BINOL 94.

Von Atropisomeren wird definitionsgemäß erst ab einer Halbwertszeit von 1000 s bei Raumtemperatur gesprochen (siehe auch Kapitel 2.6.2, Seite 39f).[149] Die Halbwertszeiten der in Tabelle 4.5 aufgeführten neu synthetisierten Biarylver-bindungen sind zwar deutlich kleiner als 1000 s, jedoch ist deren Rotation um die Biarylachse zumindest so stark verlangsamt, dass auf der NMR-Zeitskala bei bestimmten Temperaturen für die dadurch diastereotop gewordenen Gruppen getrennte Signale beobachtet werden können. Zum Vergleich finden sich in Abbildung 4.11 die kinetischen Daten für die atropos-Verbindung BINOL 94, welche eine Freie Aktivierungsenthalpie von 158 kJ/mol und sogar bei 493 K noch eine Halbwertszeit von 60 min aufweist.[149]

Bei der Bewertung der durch die Koaleszenzmethode erhaltenen Daten muss berücksichtigt werden, dass es sich um ein stark fehlerbehaftetes Verfahren handelt.

Zum einen werden Annahmen über die Temperaturunabhängigkeit der Verschiebungsdifferenz der Protonen HA und HB sowie der Freien Aktivierungs-enthalpie gemacht. Zum anderen muss davon ausgegangen werden, dass die Linienbreite der Signale bei Raumtemperatur nicht alleine durch die Moleküldynamik verursacht wird. Spektren bei tieferen Temperaturen können mit DMSO-d6 als Lösungsmittel jedoch nicht aufgenommen werden. Für eine qualitative Abschätzung der kinetischen Daten ist diese Methode aber ausreichend.

Andere Verfahren zur Bestimmung kinetischer Daten sind zum einen die Linienformanalyse, für die jedoch Spektren über einen größeren Temperaturbereich vorliegen müssten.[239, 240] Die genauesten Ergebnisse könnte das Verfahren der Volumenintegrale in Austauschspektren (EXSY-NMR-Spektroskopie) liefern,[242] jedoch handelt es sich dabei um ein sehr aufwendiges Verfahren, auf dessen Anwendung an dieser Stelle verzichtet wurde.

Für die dreifach ortho-substituierten Biarylverbindungen wie 221, 250 und 251 (Abbildung 4.12) wurde eine stärkere Hinderung der Rotation um die Biarylachse erwartet als bei den in Tabelle 4.5 beschriebenen zweifach ortho-substituierten Verbindungen. Neben den diastereotopen, in Abbildung 4.12 blau eingefärbten MOM-Methylenprotonen und den diastereotopen Phenylringen werden bei eingeschränkter Rotation um die Biarylachse in diesen Verbindungen außerdem die Protonen der Pentylkette diastereotop, was sich besonders für die in Abbildung 4.12 grün eingefärbten Methylenprotonen bemerkbar machen sollte.

Abbildung 4.12: Bei eingeschränkter Rotation um die Biarylachse in den neu synthetisierten dreifach ortho-substituierten Biarylverbindungen werden die MOM-Methylenprotonen (blau), die Protonen innerhalb der Pentylkette (grün) sowie die Phenylringe am Phosphor (rot) untereinander jeweils diastereotop.

Tatsächlich wurden für die grün eingefärbten Methylenprotonen zwei Dubletts von Tripletts gefunden, wobei die Dublettaufspaltung durch die 2J-Kopplung der Methylenprotonen untereinander verursacht wird, während die Triplettaufspaltung durch die Protonen der benachbarten Methylengruppe hervorgerufen wird. Bei der Aufnahme temperaturabhängiger 1H-NMR-Spektren wiesen alle drei betrachteten Biarylverbindungen über den gesamten Temperaturbereich zwischen 300 K und 372 K unverändert zwei Dubletts für die MOM-Methylenprotonen und zwei Dubletts von Tripletts für die Methylengruppe der Pentylkette auf. Exemplarisch sind in Abbildung 4.13 Ausschnitte der temperaturabhängigen 1H-NMR-Spektren der Nitro-verbindung 221 aufgeführt.

4.0 4.5

5.0 5.5

6.0 6.5

7.0 7.5

308 K 353 K

335 K

327 K

318 K

300 K d[ppm]

N O2

O O Me P

O

HAHB

O HC HD 221

Abbildung 4.13: Ausschnitte der temperaturabhängigen 1H-NMR-Spektren der dreifach ortho-substituierten Nitroverbindung 221 (500 MHz, DMSO-d6).

Mit Ausnahme einer Temperaturabhängigkeit der Verschiebungsdifferenz der MOM-Methylenprotonen und einem unterschiedlich stark ausgeprägten Dacheffekt sind keine Veränderungen in den Spektren zu erkennen. Aufgrund dieser Beobachtungen wird darauf geschlossen, dass die Rotation um die Biarylachsen in den dreifach ortho-substituierten Biarylverbindungen 221, 250 und 251 wesentlich stärker gehindert ist als die der lediglich zweifach ortho-substituierten Isomere (Tabelle 4.5), für die aufgrund der Koaleszenzmethode kinetische Parameter bestimmt werden konnten.