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4 Perspektiven und Zukunftschancen aus der Digitalisierung

4.2 Einfluss von InsurTechs

Der Vertrieb gehört zu den Bereichen in der Versicherungswirtschaft, die bereits häufig digitali-siert abgewickelt werden. Durch neue Vertriebskanäle können Versicherer ihre (potenziellen) Kundinnen und Kunden nun online, mobil und über Apps erreichen. Zusätzlich bieten sich hier Potenziale bei der Automatisierung des Vertriebsprozesses. Die Kundensituation kann automati-siert über interaktive Fragebögen erfasst werden und eine KI schlägt der Kundin bzw. dem Kun-den passende Versicherungsprodukte vor. Nicht nur der Prozess selbst wird dadurch effizienter, sondern speziell kleine und mittlere Versicherungsunternehmen können so ihre geografische Reichweite vergrößern und ihren bisher regional fokussierten Vertrieb erweitern.

Nicht zuletzt senkt die Digitalisierung die Markteintrittshürden und führt zum Markteintritt von neuen Akteuren – und damit potenziellen Kooperationspartnern für die Versicherungsunterneh-men. Dazu gehören insbesondere digitalgetriebene Start-ups im Umfeld der Versicherungswirt-schaft, die sogenannten InsurTechs. Den Versicherungsunternehmen stehen damit mehr und neue Kooperationspartner im Markt zur Verfügung, durch welche innovative Datenquellen und neue Geschäftsfelder erschlossen werden können.

4.2 Einfluss von InsurTechs

Der Begriff InsurTech setzt sich aus den Begriffen „insurance“ und „technology“ zusammen. Dies verdeutlicht, dass die Unternehmen, meist Start-ups, einen Bezug zur Versicherungsbranche be-sitzen bzw. sich mit mindestens einem Teilbereich der Wertschöpfungskette der Versicherungs-wirtschaft beschäftigen. Zusätzlich verweist „technology“ auf den digitalen Aspekt des Geschäfts-modells, so basiert die angebotene Lösung des InsurTechs auf digitaler Technologie.

Die Entwicklungen von InsurTechs in Deutschland und im Rest der Welt steht noch am Anfang, ist aber sehr dynamisch. So zählt Deutschland neben Frankreich und dem Vereinigten Königreich zu den Hochburgen der InsurTech-Szene. Die Anzahl deutscher InsurTechs ist über die vergange-nen zwei Jahre von 112 (2018) auf 160 (2020) um 42 Prozent gestiegen. Innerhalb Deutsch-lands zählen Berlin mit 37 Unternehmen und München (26) zu den größten InsurTech-Standorten. In den beiden größten nordrhein-westfälischen Städten Köln und Düsseldorf sind 13 bzw. 10 InsurTech-Unternehmen beheimatet. Die beiden Standorte weisen darüber hinaus eine sehr hohe Wachstumsdynamik auf. Im Vergleich mit den übrigen großen Standorten sind Düssel-dorf und Köln zwischen 2018 und 2020 mit einem Plus von 150 bzw. 86 Prozent am stärksten gewachsen (Abbildung 27).

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Abbildung 27: Die InsurTech-Standorte in NRW wachsen besonders stark

Wachstum der Anzahl der InsurTech-Unternehmen in den Top 5 Städten in Deutschland, 2018 bis 2020, in Prozent

Quelle: Capgemini 2020; eigene Darstellung © Prognos 2022

InsurTechs lassen sich grob drei Geschäftsmodellen zuordnen: Full Carrier, Distributoren und Enabler. Full Carrier decken die komplette Wertschöpfungskette der Versicherungswirtschaft ab.

Distributoren konzentrieren sich auf Geschäftsmodelle rund um den digitalen Vertrieb von Versi-cherungsprodukten. Enabler bieten Produkte und Dienstleistungen zur Lösung branchenspezifi-scher Probleme an, bspw. die Digitalisierung von Arbeitsabläufen oder des Kundenkontakts.

Auf dem deutschen Markt finden sich vor allem Enabler und Distributoren, wobei die Gruppe der Enabler in den letzten Jahren den größten Zuwachs aufweist. Die Gruppe der Full Carrier ist weni-ger stark vertreten, da die Ansprüche der Versicherungsnehmerin bzw. des Versicherungsneh-mers über einen sehr langen Zeitraum erfüllt werden müssen und dies für Start-ups eine größere Herausforderung darstellt als für etablierte Versicherungsunternehmen (Abbildung 28). In

Deutschland hat das Geschäftsmodell Full Carrier daher mit 18 InsurTechs und einem Marktan-teil von nur 9 Prozent die schwächste Position. Dieser Wert ist im Vergleich zu Frankreich (2 Full Carrier) und dem Vereinigten Königreich (1 Full Carrier) gleichwohl hoch. Für Full Carrier gelten ähnlich hohe Anforderungen bei der Zulassung wie bei klassischen Versicherungsunternehmen, weshalb sich InsurTechs vorrangig an den Stellen der Wertschöpfungskette ansiedeln, wo sie nicht unter der Aufsicht der BaFin stehen.

Abbildung 28: Das Geschäftsmodell Enabler ist in Deutschland am stärksten vertreten Anzahl der deutschen InsurTech-Unternehmen gegliedert nach Geschäftsmodell, 2018 bis 2020

Quelle: Capgemini 2020; eigene Darstellung © Prognos 2022

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Insgesamt arbeitet die Mehrheit der InsurTechs im Zusammenspiel mit etablierten Versicherungs-unternehmen. InsurTechs agieren typischerweise etwa als Vergleichsportal, digitaler Vermittler oder Vertragsverwalter. Dies deckt sich mit den Erfahrungen der befragten Versicherungsunter-nehmen in Nordrhein-Westfalen. Eine große Mehrheit sieht in InsurTechs auch künftig eher Ko-operationspartner. Die Gefahr, dass sich InsurTechs zu Konkurrenten für das eigene Geschäfts-modell entwickeln, wird als gering eingeschätzt (Abbildung 29). Zudem lässt sich ablesen, dass die etablierten Versicherer einen Bedeutungsgewinn von InsurTechs erwarten. Keines der befrag-ten Unternehmen schätzt, dass InsurTechs lediglich kleine Nischenanbieter bleiben, die das Ge-schäft der etablierten Versicherungsunternehmen nur am Rande berühren.

Abbildung 29: InsurTechs sind für die etablierten Unternehmen v. a. Kooperationspartner Ergebnisse der Unternehmensbefragung

Quelle: Unternehmensbefragung; eigene Darstellung © Prognos 2022

In den verschiedenen Sparten der Versicherungsbranche sind InsurTechs unterschiedlich stark vertreten. Der Bereich Schaden-/ Unfallversicherungen wird von InsurTechs mit Abstand am meis-ten abgedeckt. Die Gründe dafür sind eine vergleichsweise geringe Komplexität und kurze Lauf-zeit von Schaden- und Unfallversicherungen, was jungen InsurTech-Unternehmen entgegen-kommt. In den Bereichen Kranken- und insbesondere Lebensversicherungen haben InsurTechs hingegen (noch) keine signifikante Position. Vertrauen in die langfristige Beständigkeit der Versi-cherer und ihrer Geschäftsmodelle spielt hier eine deutlich größere Rolle. Versicherungsnehme-rinnen und Versicherungsnehmer scheinen in diesem Segment deutlich weniger offen für die An-gebote von Markteinsteigern zu sein. In dieser Hinsicht sind die etablierten Versicherungsunter-nehmen den InsurTechs nach wie vor deutlich überlegen.

Kernkompetenz der InsurTech-Unternehmen sind digitale Technologien. Das zeigt sich auch im Hinblick auf die Zukunftsthemen der deutschen InsurTech-Branche. So beschäftigen sich die meisten InsurTechs mit den Themen Mobile First und Digital First (Abbildung 30). Unter Mobile First versteht sich das Konzept im Webdesign, dass die erste Version einer Online-Präsenz für das mobile Endgerät, etwa Smartphone oder Tablet, optimiert wird. Digital First beschreibt den Leitge-danken, dass bei der Entwicklung von neuen Produkten und Prozessen die Sicht der digitalen Welt im Vordergrund steht. Auch Data Science und Predictive Modelling zählen zu den wesentli-chen Themen in der Branche. Dabei zielt Data Science darauf ab, aus Daten (bislang ungenutz-tes) Wissen zu generieren. Beim Predictive Modelling werden diese Daten für eine Wahrschein-lichkeitsrechnung zur Vorhersage zukünftiger Ereignisse verwendet. Auch Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Robotisierung werden von vielen InsurTechs aufgegriffen.

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Abbildung 30: Die deutschen InsurTechs beschäftigen sich vorrangig mit Mobile First & Digital First Die Zukunftsthemen der InsurTech-Branche, Feldgröße korrespondiert mit der Anzahl ihrer Nennungen

Quelle: Capgemini 2020; eigene Darstellung © Prognos 2022

Insgesamt verfügt Nordrhein-Westfalen über eine große und dynamische InsurTech-Landschaft.

So beherbergt Köln die Vernetzungsplattform InsurLab Germany und ist damit der offizielle Kom-petenzstandort für die InsurTech-Szene Deutschlands. Derzeit sind über 80 Versicherungen, Technologie- und Beratungsunternehmen sowie Start-ups Mitglied. Erklärtes Ziel von InsurLab Germany ist das Brückenbauen zwischen Startups und etablierten Versicherern, um gemeinsam die deutsche Versicherungswirtschaft durch Digitalisierung zu transformieren und Geschäftsmo-delle neu und weiterzuentwickeln. Darunter sind etwa InsurTechs im Bereich digitalisierter denservice wie bspw. Cognigy. Cognigy bietet eine KI-Plattform, über die Unternehmen ihren Kun-denservice mit Sprach- und Chatbots automatisieren können und so 24/7 auf diversen Kanälen für ihre Kundinnen und Kunden erreichbar sind. Ein weiteres Beispiel aus NRW ist das InsurTech-Unternehmen Cognotekt, das Künstliche Intelligenz einsetzt, um Geschäftsprozesse in den Berei-chen Advanced Business Analytics, Machine Learning und Automatisierung zu optimieren.