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5 Diskussion

5.2 Der Einfluss von Epitopen als prädiktiver Parameter in der FNAIT

Der thrombozytäre Fibrinogenrezeptor αIIbβ3 gehört zu der großen Familie der Integrine, die für die Adhäsion von Zellen an Matrixproteine und untereinander essentiell sind (Hynes, 2002; Shattil and Newman, 2004). In unserer Bevölkerung finden wir zwei unterschiedliche Isoformen der β3-Untereinheit, die sich nur um einen einzigen Aminosäureaustausch an der Position 33 (Leucin oder Prolin) unterscheiden. HPA-1a Individuen tragen die Aminosäure Leucin33, HPA-1b Individuen exprimieren hingegen die Aminosäure Prolin33 (Newman et al., 1989). In über 75 % aller serologisch bestätigten FNAIT Fälle werden Alloantikörper gegen HPA-1a als Ursache der Blutungskomplikation nachgewiesen (Kroll et al., 2005b;

Mueller-Eckhardt et al., 1989).

Kürzlich wurde von unserem Kooperationspartner eine weitere β3-Isoform mittels der Lightcyclertechnik identifiziert, die an der Position 33 weder die Aminosäure Leucin (HPA-1a) noch Prolin (HPA-1b), sondern die Aminsäure Valin trägt (Santoso S., Kroll H., Andrei-Selmer C.L., Socher I., Rankin A., Kretzschmar E., Watkins N.A., 2006). Diese Aminosäuresubstitution wird durch die Nukleotidsubstitution C175G SNP im ITGB3 Gen hervorgerufen, welche sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum HPA-1 Dimorphismus (T176C) befindet. Dieses neue HPA-1 Allel (ITGB3*001.1) ist durch ein zweites Mutationsereignis des Ursprungsallels ITGB3*001 (HPA-1a) des β3-Integrin entstanden (s.

Abb. 5.1).

Kapitel 5 Diskussion

Pro33 (HPA-1b)

CTG

Leu33 (HPA-1a) ITGB3*001

CCG 176 ITGB3*002

GTG

Val33 ITGB3*001.1

175

Pro33 (HPA-1b)

CTG

Leu33 (HPA-1a) ITGB3*001

CCG 176 ITGB3*002

GTG

Val33 ITGB3*001.1

175

Abb. 5.1: Evolutionäre Verwandschaft der HPA-1 Allele. Eine C>G Mutation des β3-Integrins an der Position 175 des Ursprungsallels ITGB3*001 (β3-Leu33; HPA-1a) führt zur Bildung der neuen Allelvariante ITGB3*001.1 (β3-Val33). Die T>C Mutation an der Position 176 kodiert das ITGB3*002 Allel (β3-Pro33; HPA-1b). Abb. modifiziert aus (Santoso et al., 2006).

Durch die Anwendung von konventionellen DNA-basierten Typisierungsmethoden (PCR-SSP; PCR-RFLP) könnte die β3-Val33 Mutation leicht als HPA-1a Variante fehl typisiert werden. Durch die direkte Nachbarschaft zu dem C176T Dimorphismus könnten allelspezifische HPA-1a Primer falsch anlagern. In ähnlicher Weise könnte das Restriktionsenzym bei der RFLP-Technik diese Variante nicht von HPA-1a unterscheiden.

Eine bisher unentdeckt hohe Frequenz dieses neuen HPA-1a Allels könnte eine Ursache für die hohe Anzahl von FNAIT Verdachtsfällen ohne korrespondierende maternale Antikörper sein. In einem großen Kollektiv von 2950 Blutspendern wurde im Labor aber mittels der TaqMan Methode nur ein einziges zusätzliches heterozygotes β3-Val33 Individuum identifizieren (Santoso S., Kroll H., Andrei-Selmer C.L., Socher I., Rankin A., Kretzschmar E., Watkins N.A., 2006).

In der vorliegenden Dissertation wurde untersucht, ob die Punktmutation Leu33Val die tertiäre Struktur des αIIbβ3 Integrins verändert und ein Ziel von bestimmten Alloantikörpern gegen HPA-1a sein kann. Es wurde außerdem die These überprüft, ob die Epitopspezifität von HPA-1a Alloantikörpern ein prädiktiver Faktor für eine verstärkte Blutungsneigung des Neugeborenen sein kann.

Meine serologischen Studien mit rekombinanten humanen (rhu) monoklonalen und polyklonalen anti-HPA-1a Antikörpern haben gezeigt, dass die β3-Val33 Mutation eine unterschiedliche HPA-1a Alloantikörperreaktivität bedingt. Während HPA-1a Alloantikörper von PTP Patienten mit rekombinanten β3-Val33 auf CHO-Zellen reagierten, erkannte die Mehrheit der anti-HPA-1a von FNAIT Patienten diese β3-Isoform nicht (Santoso S., Kroll H.,

Kapitel 5 Diskussion Andrei-Selmer C.L., Socher I., Rankin A., Kretzschmar E., Watkins N.A., 2006). Die Länge des Seitenkettenrestes der Aminosäure Leucin scheint kritisch für die Expression des HPA-1a Epitopes zu sein. Der Aminosäureaustausch von Leu nach Val führt zu deren Reduktion um eine einzelne CH2-Gruppe, welche die Interaktion von HPA-1a Alloantikörpern mit dem αIIbβ3 Integrin beeinträchtigt.

Eine Heterogenität von thrombozytären HPA-1a Alloantikörpern konnte unlängst durch Untersuchung strukturell veränderter rekombinanter Thrombozytenmembranproteine nachgewiesen werden (Valentin et al., 1995). Das Epitop einiger polyklonaler anti-HPA-1a Antikörper wird durch eine Disulfidbrücke zwischen den Cysteinresten 13 und 435 (Xiao et al., 2004) im β3-Integrin kontrolliert. Eine Analyse von verschiedenen anti-HPA-1a Seren mit β3-Ala-435 transfizierten Zellen hat gezeigt, dass einige HPA-1a Alloantikörper dennoch mit ihrem Epitop reagieren (Typ I Antikörper), während für andere (Typ II Antikörper) ein Reaktionsverlust beobachtet wurde.

Diese Beobachtungen geben Anlass zu der Hypothese, dass Typ I HPA-1a Antikörper ein Epitop erkennen, welches allein durch die PSI-Domäne im β3-Integrin definiert wird, während Typ II Antikörper gegen eine komplexe antigene Determinante bestehend aus der PSI-, Hybrid- und möglicherweise den beiden benachbarten EGF-Domänen gerichtet sind.

Es gibt verschiedene Gründe für die hier beobachteten Unterschiede im Bindungsprofil der HPA-1a Alloantikörper.

Die Heterogenität der rhu monoklonalen HPA-1a Alloantikörper (s. Abb. 4.8) ist nicht in einer unterschiedlichen Bindungsaffinität zu ihrem korrespondierenden Antigen begründet, da für CamTran007 und 19-7 in dieser Arbeit ähnliche Dissoziationskonstanten (KD = 6.00*10-8 M vs. 3.97*10-8 M) ermittelt wurden (s. Abb.4.9).

Dieses Phänomen ist vielmehr auf die Unterschiede der Art und Häufigkeit der Antigenexposition der zugrunde liegenden Erkrankung und die Sequenz ihrer variablen Antikörperdomäne zurückzuführen.

Der rhu Klon CamTran007, welcher den B-Zellen einer HPA-1a negativen FNAIT Mutter entstammt, erkannte die β3-Val33 Mutation nicht. Hingegen wurde die Reaktivität der Klone 19-7 und 23-15 aus den B-Zellen von PTP Patienten durch die β3-Val33 Mutation nicht beeinflusst (Garner et al., 2000; Griffin and Ouwehand, 1995; Proulx et al., 1997). Die wiederholte Exposition der Frau gegenüber dem Alloantigen bei der PTP führt zu somatischer

Kapitel 5 Diskussion initialen Erstantwort in der FNAIT, welche im Fall einer Erstschwangerschaft vorliegt. Daher ist das Ausmaß der somatischen Mutationen in den variablen Domänen der Klone 19-7 und 23-15, welche aus den B-Zellen von PTP-Patienten isoliert wurden, weitaus höher als in denen von CamTran007 aus den B-Zellen einer FNAIT Patientin.

Im Gegensatz zur β3-Val33 Punktmutation wurde vor kurzem eine natürliche Arg93Gln Mutation im β3-Integrin beschrieben, welche die Bindungsstelle von allen rhu mAK unabhängig von ihrem Ursprung zerstört (Watkins et al., 2002a). Im β3-Integrin ist die Aminosäure Arginin an der Position 93 hoch konserviert und von zentraler Bedeutung für die Rigidität der Hybrid-PSI Interphase. Ein Austausch des positiv geladenen Arginins gegen Glutamin bedingt höchstwahrscheinlich drastische Konformationsänderungen in der PSI und Hybriddomäne, welche das Epitop auch für die mAK 23-15 und 19-7 unzugänglich werden lässt.

Erste Analysen mit zufällig ausgewählten Antiseren von je 4 FNAIT und PTP Patienten zeigen, dass die Antikörperheterogenität nicht allein auf rhu mAK beschränkt ist. Polyklonale PTP HPA-1a Alloantikörper erkennen die β3-Val33 Variante, hingegen FNAIT Alloantikörper nicht (s. Abb. 4.10). Diese Beobachtungen bestätigen die oben aufgestellte Hypothese, dass das unterschiedliche Bindungsverhalten an das αIIbβ3-Integrin durch das Ausmaß somatischer Hypermutationen in den variablen Domänen der schweren Kette bestimmt wird. Bei der PTP wird im Vergleich zur FNAIT eine größere Diversität an polyklonalen Antikörpern in wesentlich höheren Konzentrationen generiert.

Nachfolgend bin ich der Fragestellung nachgegangen, ob die beobachtete HPA-1a Alloantikörperheterogenität mit β3-Val33 einen diagnostischen Parameter für den zu erwartenden Schweregrad der Thrombozytopenie darstellt. In einer erweiterten Untersuchung mit einem Kollektiv von 40 FNAIT Patienten reagierten 29 der maternalen Antiseren nicht mit β3-Val33, während in 11 Fällen das HPA-1a Epitop nicht oder nur geringfügig beeinflusst wurde (s. Tab.4.4). Dieses Reaktionsmuster ist statistisch nicht signifikant mit der Ausprägung der Blutungsneigung (Hirnblutung) bei den Neugeborenen assoziiert (p= 0.451).

Patienten mit β3-Val33 sensitiven HPA-1a Alloantikörpern zeigen aber eine Tendenz zu niedrigeren postnatalen Plättchenzahlen (p = 0.057).

Kapitel 5 Diskussion Die Fehltypisierung des β3-Val33 Allels wird zwar selten auftreten, kann aber dennoch von klinischer Relevanz in der Pränataldiagnostik sein. Es ist ein Fall denkbar, in dem ein Neugeborenes aufgrund eines vom Vater geerbten HPA-1a Allels, welcher die β3-Leu33Val33 Variante trägt, von einer verstärkten Blutung betroffen wird. In einer Folgeschwangerschaft erbt der Fetus die β3-Val33 Isoform und die HPA-1a Alloantikörper reagieren vielleicht nicht. Dies könnte eine milde Thrombozytopenie des Neugeborenen erklären, obwohl in der vorhergehenden Schwangerschaft die FNAIT in ihrem Verlauf sehr schwer gewesen ist (Birchall et al., 2003).

Bislang wurden aber noch keine natürlichen Alloantikörper gegen die β3-Val33 Isoform gefunden.

Das Beispiel der Leu33Val Mutation zeigt eindrucksvoll, dass HPA-1a Alloantikörper gegen unterschiedliche Epitope gerichtet sind.

Die Struktur eines Epitopes könnte maßgeblich die Bindungskinetik der Antigen-Antikörper-Reaktion beeinflussen. Eine solche Interaktion kann sowohl durch die Menge (Konzentration), als auch durch die Affinität von Antikörpern bestimmt werden. Diese beiden Parameter könnten theoretisch die Pathogenität der Antikörper determinieren.

Das Auftreten einer schweren Thrombozytopenie des Neugeborenen bei nachweislich geringen maternalen Antikörperkonzentrationen lässt vermuten, dass in solchen Fällen eine hohe Antikörperaffinität für den klinischen Verlauf der Erkrankung verantwortlich sein könnte. Daher wird im Folgenden die Bedeutung der Antikörperaffinität als prädiktiver Parameter in der FNAIT diskutiert.