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4 Diskussion

4.2 Einfluss der Spinnlösung und der Nachbehandlung auf morphologische und strukturelle

4.2.3 Sekundärstrukturanalyse elektrostatisch gesponnener eADF4-Fasern

4.2.3.2 Einfluss der Nachbehandlung auf die Proteinsekundärstruktur

Die Nachbehandlung von Seidenproteinen unter Verwendung von einwertigen Alkoholen ist in der Literatur vielfach beschrieben.[59,294-299]

In dieser Arbeit wurde die Nachbehandlung der Proteine durch Bedampfen mit Methanol, Ethanol und 2-Propanol durchgeführt. Die Sekundärstrukturanalyse von eADF4(C16) ergab eine zeitliche Abhängigkeit der Umstrukturierung, die vom jeweiligen verwendeten Alkohol abhing. Unter Einwirkung von Methanol kam es bereits innerhalb der ersten Minuten zur Strukturumänderung von amorphen Bereichen in β-Faltblätter, die bei Ethanol nach ca.

15 min und bei 2-Propanol nach ca. 60 min einsetzte. Diese Zeitabhängigkeit wurde auch von anderen Gruppen bei der Nachbehandlung von B. mori Fibroin dokumentiert. Yan et al.[300] stellten Filme aus B. mori Fibroin-Lösungen her, die anschließend in 60 % Methanol getaucht wurden. Es wurde gezeigt, dass innerhalb der ersten zwei Minuten eine Zunahme von β-Faltblättern um 33 % der Gesamtstruktur auftrat, was auf die stark dehydrierende Wirkung von Methanol zurückzuführen ist und die Ergebnisse dieser Arbeit bestätigt. Nuanchai et al.[301] gossen Filme aus regeneriertem B. mori Fibroin in wässriger Lösung und behandelten diese durch Tauchen in Ethanol und Methanol (je 80 %) für 30, 60 und 90 min, wobei die Nachbehandlung nach ca. 30 min weitgehend erfolgt war.

Jeong et al.[302] bedampften aus HFIP elektrostatisch gesponnene B. mori Fibroin-Fasern mit Wasser, Methanol, Ethanol und 1-Propanol (bei 35 °C), wobei die Sekundärstrukturänderung bei allen Behandlungsagenzien nach ca. 30 min abgeschlossen war. Auch hier kam es in Gegenwart von Methanol zu einem höheren Grad an Kristallisation als in Gegenwart von Ethanol. An anderer Stelle

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wurde der Grad der Nachbehandlung von B. mori Fibroin mit Ethanol und Methanol wiederum als vergleichbar beschrieben.[54,303]

Bei der Nachbehandlung wird den Proteinen Wasser entzogen, welches durch Wasserstoffbrücken in der Struktur gebunden ist und die Faltung in eine thermodynamisch stabilere β-Faltblatt-reiche Form verhindert. Sowohl Methanol als auch Ethanol verfügen über eine hydrophile Hydroxylgruppe, die durch Ausbildung von Wasserstoffbrücken Wasser binden kann. Diese Eigenschaft ist bei der Nachbehandlung entscheidend, da hierbei durch Dehydration hydrophobe Bedingungen geschaffen werden, die dazu führen, dass hydrophobe Seitenketten der Proteine wechselwirken und somit β-Faltblätter ausgebildet werden.[304] Der Unterschied der verwendeten Alkohole liegt lediglich in der Länge der hydrophoben Kohlenwasserstoffkette, die jedoch die Molekülgröße ausmacht und somit den Diffusionskoeffizienten D bestimmt, wie aus der Stokes-Einstein-Formel ersichtlich ist:[305]

𝑫 = 𝒌𝑩∙𝑻

𝟔𝝅𝜼𝑹𝟎 [Formel 23]

Dabei gilt: 𝑘𝐵 = Boltzmann-Konstante, T = Temperatur, 𝜂 = Viskosität des Mediums, 𝑅0 = Molekülradius. Diese Formel wurde für die Diffusion in Flüssigkeiten aufgestellt und wird hier zur Veranschaulichung gezeigt, da zu erwarten ist, dass der Alkohol primär durch die wasserangereicherte amorphe Proteinphase diffundiert. Da für die Nachbehandlung eine Diffusion des Alkohols in die Proteinstruktur erforderlich ist, wird vermutet, dass die längere erforderliche Behandlungsdauer mit Ethanol und 2-Propanol auf deren kleinere Diffusionskoeffizienten zurückzuführen ist. Ferner muss beachtet werden, dass die Nachbehandlungsmittel durch Verdampfen bei konstanter Temperatur zugeführt wurden, wobei sich der Dampfdruck der Alkohole unterscheidet. Bei 60 °C entwickelt Methanol einen Dampfdruck von 0,85 bar, Ethanol von 0,47 bar und 2-Propanol von 0,39 bar (berechnet mit Software: SF Dampfdruck 3.0). Aus der theoretischen Betrachtung und den Ergebnissen der Experimente lässt sich schließen, dass mit Methanol aufgrund des höheren Dampfdrucks und Diffusionskoeffizienten schneller hydrophobe Bedingungen in der Proteinstruktur geschaffen werden. Folglich dauert es bei Ethanol und 2-Propanol länger bis eine für die Kristallisation ausreichende Alkoholkonzentration in den Fasern erreicht wird. Chen et al.[306]

zeigten, dass die Verdünnung von Ethanol (40 %, 45 %) mit Wasser bei der Behandlung von B. mori Fibroin Filmen zu einer Verzögerung der Kristallisation führte. Die Autoren unterteilten die Nachbehandlung in drei Phasen:

1. Lag-Phase: Ausbildung zunächst abgeschirmter intramolekularer β-Faltblätter zwischen antiparallelen Proteinsträngen, die als Nukleus für die weitere Kristallisation fungieren.

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2. Exponentielle Phase: Schnelle Ausbreitung der kristallinen Struktur zwischen und entlang der Moleküle. In dieser Phase wird aufgrund kinetischer Vorgänge der Großteil der β-Faltblatt-reichen Strukturen ausgebildet.

3. Letzte Phase: Nur noch langsame Zunahme des Kristallisationsgrads durch Ausrichtung von Proteinketten zur Bildung energetisch stabilerer β-Faltblatt-Strukturen und Einstellen des thermodynamischen Gleichgewichts.

Dieses Modell kann zur Erklärung der zeitlichen Verzögerung (Phase 1.) herangezogen werden, in der bei Ethanol und 2-Propanol keine signifikante Zunahme an β-Faltblatt-Strukturen zu sehen war, und erklärt auch die darauf folgende schnelle Kristallisation (Phase 2.). Die zugrundeliegende Kinetik der Ausbildung von β-Faltblättern wurde von Hu et al.[307] anhand der thermisch induzierten Kristallisation von B. mori Fibroin untersucht. Dabei wurde gezeigt, dass die β-Faltblattformation anhand des kinetischen Modells vom Avrami et al.[308], welches für die isotherme Kristallisation von Polymeren entwickelt wurde, beschrieben werden kann:

𝑿𝒄𝒓𝒆𝒍(𝒕) = 𝟏 − 𝒆(−𝑲𝒕𝒏) [Formel 24]

Es gilt: 𝑋𝑐𝑟𝑒𝑙(𝑡) = zeitabh. relativer Kristallisationsgrad, K = Kristallisationsrate, n = Avrami-Exponent.

Die Kristallisationsrate wird von der Temperatur und von Diffusionsvorgängen sowie der Nukleationsrate bestimmt, wohingegen der Avrami-Exponent vom Nukleationsmechanismus und geometrischen Kristallwachstum abhängt.[309] Im Rahmen dieser Arbeit wurde die gemessene relative Zunahme kristalliner Strukturen bei der Nachbehandlung von eADF4(C16) mit verschiedenen Alkoholen nach der Avrami-Gleichung gefittet (Abbildung 70). Für den Fit wurde der initiale β-Faltblattanteil (10,9 %)Null gesetzt und der Endwert nach 240 min als 100 % definiert.

Abbildung 70: Avrami-Fit der, durch FT-IR gemessenen, relativen Zunahme kristalliner β-Faltblätter: Übersicht über die gesamte Behandlungsdauer (A) und Detailansicht der Anfangsphase (B). Die Werte wurden jeweils aus 9 Datenpunkten gemittelt und die Standardabweichung als Fehlerbalken angegeben.

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Durch Verwendung der Avrami-Gleichung konnten die Kristallisationsraten und Avrami-Exponenten für die unterschiedlichen Nachbehandlungssysteme ermittelt werden. Aus diesen Kennwerten lässt sich die Halbwertszeit t1/2 der Kristallisation wie folgt berechnen (Tabelle 16):

𝒕𝟏/𝟐= (𝒍𝒏𝟐

𝑲 )

𝟏

𝒏 [Formel 25]

Tabelle 16: Auf Basis der Avrami-Gleichung berechnete Parameter für die Kristallisationskinetik bei der Nachbehandlung von eADF4(C16) durch Bedampfen mit verschiedenen Alkoholen bei 60 °C.

K Log10 K n t1/2 (min) t98% (min)

2-Propanol 0,000006 -5,2 2,935773 53 94

Ethanol 0,005790 -2,2 1,670835 18 48

Methanol 0,314307 -0,5 1,185268 2 8

Hu et al.[307] ermittelten bei der thermisch induzierten Kristallisation von B. mori Fibroin anhand von FT-IR-Messungen Avrami-Koeffizienten von 1,57 (215 °C), 1,68 (210 °C) und 1,81 (205 °C). Es zeigte sich jedoch, dass allein auf Basis dieser Werte keine eindeutigen Rückschlüsse auf das geometrische Wachstum kristalliner Regionen in der Struktur gezogen werden konnten. In Bezug auf die Kristallisationsrate ist in Tabelle 16 ist eine signifikante Zunahme der Werte bei Abnahme des Molekulargewichts des jeweiligen verwendeten Alkohols zu sehen. Üblicherweise bezieht sich der Diffusionseinfluss der Kristallisationsrate auf die Diffusion von Molekülen, die aktiv an der Kristallisation teilnehmen. Bei der Nachbehandlung von eADF4(C16) ist jedoch die Diffusion der Alkohole der limitierende Faktor der Kristallisationsrate. Dies spiegelt sich ebenfalls in der starken Abnahme der Halbwertszeiten der Kristallisation bei sinkendem Molekulargewicht der Alkohole wieder. Auf Basis der gefitteten Kurven wurde ermittelt, dass die Nachbehandlungsdauer zum Erreichen von 98 % der Sekundärstrukturtransformation bei 2-Propanol 94 min, bei Ethanol 48 min und bei Methanol 8 min beträgt. Im Rahmen dieser Arbeit wurde mit Ethanol für 60 min bedampft, was angesichts der theoretischen Behandlungsdauer von etwa 48 min in einem sinnvollen Zeitbereich liegt. Die Auswertung gibt eine Indikation dafür, dass sich das kinetische Verhalten der β-Faltblatt-Formation durch das für Polymere aufgestellte isotherme Modell nach Avrami beschreiben lässt, wobei die Wahl des Nachbehandlungsmittels einen signifikanten Einfluss auf die Kinetik der Kristallisation hat.

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