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5. Vorstellungen junger Erwachsener von Kontexten der Fürsorge

5.3.2 Ehrenamt und Spenden

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sich mit der Fürsorge für Menschen, zu denen die (emotionale) Bindung weniger stark ausgeprägt zu sein scheint.

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wenn da Gemeinschaft dann beieinander ist, und dann ist es ja auch (.) dass man sich einfach um die Leute kümmert, und schaut dass was zusammen geht und

Auch in diesen Beschreibungen finden wir vieles wieder, was in Kapitel 4 bereits er-läutert wurde. In diesen Zitaten wird erneut deutlich, dass Fürsorge/Kümmern bedeu-tet, den Blick auf andere zu richten um ihnen eine Unterstützung zu sein. Die fürsorg-lichen Tätigkeiten können dabei aus mehr oder weniger großen Anstrengungen beste-hen (hier: Platz anbieten, Maibaum aufstellen). Gerade im Bereich der ehrenamtlicbeste-hen Tätigkeiten ist die Freiwilligkeit zentral.

Feuerwehr 2, 906 – 907

Steffen: Und sagst, wenn es damals der (.) Ludwig Holger, der Schuster Dennis nicht (.) weiter gemacht hätte, ja der der das jetzt sieben Jahre ist, der würde zu Franke Klaus gehen, wenn das nicht gemacht hätten, hätten gesagt, hey ich hab keinen Bock mehr, dann hätte gäbe es heut auch sogar keine Kirweih mehr. Weil w- wer macht sich die Arbeit, und reißt wieder Kirweih auf.

Fabian: Genau. Du brauchst Leute, die sich da (Steffen: Ja.) reinhängen. Die Freizeit opfern, für, die Allgemeinheit. Für,

Soziale Arbeit, 1737

Frank: Naja du musst ja mit der Entscheidung (.) mit den Konsequenzen leben. Sabine muss damit (Sabine: Ja.) leben dass sie äh immer Schriftführerin jetzt erstmal ist, beim anderen Ver-ein als sie sich dafür entschieden war das klar; (Eva: Ja das ist halt dieses) auch wenn sie kVer-eine Lust oft am Abend hat sie- hat diese Verpflichtung, die Konsequenz da zu sein. Aber (Sabine:

Jor.) sie hat sich am Anfang dafür entschieden.

Das Zitat aus der Gruppe Feuerwehr 2 belegt eindrücklich, dass freiwilliges Engage-ment als großes Opfer wahrgenommen werden kann. Die Engagierten empfinden den befürchteten Verlust der Kirweih29 offenbar als größeres Opfer ihres Nicht-Engage-ments, als das Opfer der Freizeit, was dazu führt, dass dieses Dorffest am Ende wieder stattfinden kann und somit für die Allgemeinheit, für die Gemeinschaft etwas geschaf-fen wurde.

Die zitierte Passage aus der Gruppe Soziale Arbeit zeigt die Verwobenheit von Frei-willigkeit und Verpflichtung (siehe Kapitel 4.3.3). Aus der anfänglichen freiwilligen Zu-sage zur Mitarbeit wird anschließend eine Verpflichtung, welche zum Teil aus den Er-wartungen anderer entsteht, teilweise auch Selbstverpflichtung ist.

Nun ist es aber ein Unterschied, ob jemand für jemand anderen den Sitzplatz freimacht oder ob man mit ein paar anderen Menschen zusammen ein Fest für ein ganzes Dorf

29 Oder auch „Kirchweih“, „Kerwa“ o.ä. Dies ist ein Art Volks- oder Dorffest, an dem formal der Errichtung einer Kirche gedacht wird.

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organisiert. Das erbrachte „Opfer“ ist in beiden Fällen sehr unterschiedlich. Dies wird auch in Wohnheimgruppe 2 deutlich.

Wohnheimgruppe 2, 128 – 133

Bastian: Ja klar, so ne Hilfe ist natürlich selbstverständlich aber wenn man jetzt dann (.) wirklich weiter geht, und sagt also hin zu ehremamtli- amtlichen Engagement jetzt zum Beispiel. da sieht es dann natürlich schon schon schlecht aus, weil man hat natürlich (.) Ah wenig Zeit und so, und dann sagt ja, wieso soll ich dem jetzt dem Anonymen, quasi den kenn ich ja gar nicht, helfen und so, und weil wenn man es nicht sieht, also man- das- diese ganzen Beispiele wo jetzt grade genannt wurden so (.) Tüten tragen, der alten Oma über die Straßen helfen, und so ich mein (.) das sieht man ja konkret dann und so, aber wenn man es jetzt dann nicht mehr sieht und dann trotzdem äh hilft quasi, dort da gehört dann schon mehr dazu. meiner Meinung nach also (.) und das wird dann auch wenig halt da ist das ist dann nicht mehr so ganz so selbstverständlich.

Katja: Aber würdest du es nicht auch selbst erwarten quasi wenn du älter bist und Hilfe brauchst, dass man dir dann ungefragt eigentlich auch Hilfe zukommen lässt, weil du es einfach alleine nicht mehr bewältigen kannst, ich meine das basiert ja eigentlich drauf dass du helfen musst, ähm damit die später auch geholfen wird.

Bastian: Jaja natürlich, ich mein bloß ähm (.) wenn man jetzt also unabhängig davon ob man jetzt (.) ä:hm (.) also ich möchte bloß so ne Unterscheidung machen, so zwischen man sieht es quasi dass jemand Hilfe benötigt wirklich, oder man sieht es halt nicht direkt sondern jetzt zum Beispiel man mu- man muss ja jetzt dann auch schon irgend ne Überzeugung haben oder so wenn man jetzt sagt #okay ich engagiere mich jetzt# ehrenamtlich im Altenheim weil (.) ich mein da ist es jetzt nicht n- n- nicht nur mehr der Oma über die Straße helfen, (Katja: Mhm) weil ich es quasi sehe, sondern da muss ich ja wirklich mich damit befassen; und wirklich bereit sein da auch äh Fürsorge zu leisten und Hilfe zu geben und so weiter.

Katja: Und das macht man dann quasi nur wenn (.) man nicht wirklich die Überzeugung hat wenn man in irgendeiner Weise zum Beispiel davon profitiert.

Bastian: Nein das mein ich nicht. ich meine ähm das wird dann weniger gemacht auch weil man sich eben nicht damit genügend damit beschäftigt. weil man eben das nicht sieht, dass es genug Leute braucht die dann hil- äh g- gibt die dann Hilfe brauchen, u:nd äh man muss sich ja Ge-danken machen und (.) sich damit befassen um jetzt da wirklich irgendwas ehrenamtliches mal zu machen oder so. ich mein das macht man jetzt nicht so (.) von (.) von plötzlich.

Florian: Ja ich glaub auch das (.) also (.) wenn jemand akut hilfebedürftig ist oder (.) man halt sieht dass es jemandem unbequem ist oder wenn einer mit einem gebrochenen Bein dasteht.

dann versucht man natürlich die Situation zu lindern; aber es ist was anderes sich für (.) ein Ehrenamt zu verpflichten und das ist schon ne größere Stufe dann (.) weiß nicht beim Ehrenamt kannst du die (.) Zeit zum Beispiel nicht einschätzen oder (.) weiß nicht ob du die Verpflichtung erlauben kannst, oder (.) also es ist wichtig dass es Ehrenämter gibt aber dass (.) Leute sich konkret für ein Ehrenamt verpflichten, ist schon ein anderes Kaliber, und ich glaub dass da das was du (Bastian: Mhm,) sagen wolltest.

Bastian fragt hier sehr deutlich, wieso er „dem jetzt dem Anonymen“ helfen solle. Un-bekannten Menschen die Tür aufzuhalten oder andere Kleinigkeiten anzubieten ist für ihn machbar. Das sind Tätigkeiten, die kann man mal für andere machen, die kosten nicht viel Überwindung, sind keine sehr große Anstrengung. Anders hingegen schätzt

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die Gruppe freiwilliges ehrenamtliches Engagement ein, weil es mit viel mehr Verpflich-tung einhergehe, weil es sich dabei um dauerhaftere Hilfestellungen handelt, aber auch, weil die Hilfsbedürftigkeit unsichtbarer, abstrakter sei, als jemandem im Alltag schnell mal zu helfen. Für die Diskutierenden sorgt die freiwillige Verpflichtung zu dau-erhafter Fürsorge für Respekt gegenüber diesen Tätigkeiten, weshalb diese Fürsorge auch viel Wertschätzung von ihnen erfährt. Um diese Arbeiten zu gewährleisten, die von den Befragten als zentral für eine Gesellschaft erachtet werden, muss Zeit aufge-bracht werden, die neben der Zeit für Erwerbsarbeit/(Aus-)Bildung und Zeit für Familie erbracht werden muss. Ehrenamtliches Engagement wird in der Zeit aufgebracht, die eigentlich für die Freizeit bestimmt ist, weshalb es sich dann eben um das Opfern von Freizeit handelt.

Dieses Engagement ist „nicht mehr so ganz so selbstverständlich“. Hier wird deutlich, was im Gegensatz zur familiären und freundschaftlichen Fürsorge im ehrenamtlichen oder auch freiwilligen alltäglichen Engagement fehlt: Verlässlichkeit. Der einzelne Mensch kann sich nicht drauf verlassen, dass ihm von Fremden geholfen wird. Das wesentliche Moment liegt hier in der Unbekanntheit der anderen, denn in Familien und Freundschaften sind die anderen Menschen bestens bekannt. In einer U-Bahn kennt man nicht einmal den Namen derjenigen, die auf dem Sitz für Schwangere sitzt, und die jüngere Person kennt die ältere Person nicht, die gerade zur Tür hereinkommt. Die Verlässlichkeit in Familien und Freundschaften liegt auch im Vertrauen darauf, dass dem eigenen Bedürfnis zu irgendeinem Zeitpunkt von anderen Abhilfe geschaffen wird, weshalb jetzt auf fremde Bedürfnisse eingegangen wird: Ich helfe jetzt beim Um-zug, weil ich weiß, dass mein*e Freund*in mir bei meinem Umzug irgendwann eben-falls hilft. Wenn ich die andere Person aber nicht kenne, wird mein alltägliches Enga-gement sich in Grenzen halten.

Vereinsarbeit und alltägliches Engagement unterscheidet daneben noch in der Größe des Hilfe anbietenden Personenkreises. Eine materialbasierte Vermutung wäre, dass es Individuen leichter fällt oder mehr Spaß macht, Hilfe anzubieten, wenn dies aus einem Gruppenkontext heraus geschieht. Die jungen Erwachsenen dieser Studie äu-ßern sich hierzu wenig. Vielmehr wird es als individuelle Entscheidung oder individu-elles Empfinden gesehen, wieviel Einzelpersonen bereit sind, etwas für andere zu tun.

Die besonders hilfsbereiten Menschen engagieren sich dann eben in Vereinen oder

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Institutionen, was auch mit der Aussage aus der Gruppe Ausbildung (Kapitel 5.2) über-einstimmt, dass diejenigen Menschen „richtig fürsorglich“ seien, die fürsorgliche Berufe ausübten.

Auch beim Spenden geht es den Befragten zufolge sehr viel um Vertrauen. Sowohl bei ‚face-to-face‘-Spenden auf der Straße als auch bei den Spenden, die überwiegend auf direkte Kontakte verzichten (können), da sie über Medien (z.B. Internet, TV, Zei-tung) vermittelt werden.

Studium, 205

Franka: Ja oder auch (.) dass das Geld ankommt also ich sag wenn wir jetzt so hunderttausend haben und ähm das Projekt was weiß ich in Afrika bekommt dieses Geld, ähm dann will ich aber auch sehen dass diese Schule davon gebaut wird; vielleicht auch irgendwie (.) einen Kosten (.) Voranschlag sehen, wieviel jetzt für was gebraucht wird, das Haus kostet vielleicht @neunzig-tausend@ zu bauen oder so, keine Ahnung dass man halt weiß wohin das Geld auch wirklich geflossen ist; und nicht so #ja das ist halt in diese Stadt geflossen, ah ja gut da wurde ein Haus gebaut# aber man weiß ja nicht wie teuer dieses Haus war, was da mit dem Geld passiert ist, ich meine (.) das finde ich schon wichtig,

Jugendtreff 2, 317 – 321

Adnan: Wer bestätigt mir denn das, die alle Spenden überhaupt wirklich (Finn: Niemand) für die Sachen. Ja genau.

Finn: Ja aber ich mein, sagen wirs mal so, ein gewisser Teil der Spenden kommt hundertpro-zentig dort an

Adnan: Ja das is klar, das is ja, sonst wärs viel zu auffällig

Finn: Ja genau, also ein gewisser Teil kommt sofort [dort an

Adnan: [Aber ich glaub schon dass sie sich n bisschen Geld; also (.) ich will jetzt nicht, ich will jetzt hier nix aufstellen oder so, aber ich vermute schon dass die Unicef sich da schon selbst was einsteckt.

In der Gruppe Jugendtreff 2 wird besonders spürbar, wieviel Misstrauen einige Disku-tierende gegenüber Organisationen haben, die Spenden einwerben. Dem letzten Bei-trag folgt unmittelbar die Feststellung, dass die UNICEF die Mitarbeitenden ja auch bezahlen müsse, was dann wieder in Ordnung wäre. Adnan mutmaßt, dass nur des-halb ein Teil der Spenden wirklich für den Spendengrund verwendet werde, weil es zu auffällig wäre, wenn die Organisation das Geld komplett für sich behielte. Finn ist sich sicher, dass ein Teil der Spenden für den Spendengrund und ein Teil für die Bezahlung der Mitarbeitenden verwendet werde. Dennoch weisen die Formulierungen auf eine Ungewissheit hin, ob derartige Organisationen nicht auch Geld zweckentfremdet ein-setzten und sich jemand „selbst was einsteckt“. Aus diesem Grund wird in der Diskus-sion von der Gruppe Studium eine Offenlegung des Verwendungszwecks verlangt.

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Mehr Transparenz, so die Gruppe, könne Vertrauen schaffen, damit mehr Menschen mehr spenden.

Fürsorge wird von den Diskussionsteilnehmenden gerade im Bereich von ehrenamtli-chem Engagement als eine Aufwendung oder auch ein Aufopfern wahrgenommen, das freiwillig aufgebracht werden müsse und daher mit persönlichen Hürden verbun-den sei. Bei der Vereinsarbeit ist es Freizeit, die geopfert werverbun-den muss, bei Spenverbun-den ist es Geld. Beim Spenden wird Verlässlichkeit verlangt, dass das Geld auch ankommt und sorgsam (dem Verwendungszweck entsprechend) damit umgegangen wird. Das Kümmern um andere im Rahmen von Vereinsarbeit u.ä. wird als wichtiger gesell-schaftlicher Beitrag gesehen, doch ist der Grad der Verpflichtung, der dabei entsteht, für die Diskutierenden eine hohe Hürde für den Beginn eines solchen Engagements.

Die Menschen, die sich trotz der Verpflichtung zu einem Opfer ihrer Freizeit bereit er-klären, genießen durch die jungen Erwachsenen eine hohe Wertschätzung.

Die Motivation zum Engagement kann dabei ähnliche Züge annehmen wie zum Ge-nerationenvertrag in Familien beschrieben wurde (Kapitel 5.3.1).

Katholische Jugend, 1404 – 1411

Y: Und äh ihr seid aber hier dann aus einem anderen Grund;

Josef: Um Jugendarbeit zu leisten.

Michael: Ja.

Josef: Um Kinder glücklich zu machen.

Michael: Und was mit seinen Freunden zu machen auch, also

Britta: [Ja ist ja ein Teil der Familie.

Michael: [Wir haben hier viele Freunde, machen was Kindern,

Josef: Vor allem die meisten wollen das zurückgeben was sie hier erleben durften als Kind (Britta, Michael: Ja.) ( )

„Vor allem“ wollen die jungen Erwachsenen dieser Gruppe, die Jugendarbeit für eine katholische Jugend leistet, den Kindern etwas zurückgeben, was sie selbst einmal er-fahren hatten. Dies wird auch gesagt über die Fürsorge in der Familie, in der sich Fa-milienmitglieder umeinander kümmern, weil man selbst in jungen Jahren Fürsorge er-halten hat. Die Motive für das Engagement in der Gruppe Katholische Jugend sind vielfältig. Ich habe diese konkrete Frage nur in dieser Gruppe gestellt, doch verweist

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sie auf ein Deutungsmuster, dem ich mich in Kapitel 6 ausführlich widmen werde: Für-sorge wird in aller Regel nicht ohne die Erwartung gegeben, eine Gegenleistung zu erhalten, oder mit der eigenen Gabe auf eine Vorleistung zu reagieren.

5.4 Zwischenfazit: (De-)Thematisierungen von Geschlecht in den