• Keine Ergebnisse gefunden

6 Politische Partizipation Jugendlicher in sozialen Medien

6.1 Drei Ebenen der Partizipation

Der Begriff Partizipation wird häufig damit verbunden, dass sich Jugendli-che in Diskurse zu politisJugendli-chen Themen einbringen. Wichtig ist deswegen, sich den Unterschied zwischen einem breiten und engen Politikbegriff erneut zu vergegenwärtigen (vgl. Kap. 4.4). Denn „das Zugrundelegen eines klassischen [engen] Politikbegriffs […] ergibt [zumeist], dass Jugend-liche eher wenig Interesse an der so definierten Politik haben“ (Wagner/

Gebel 2014c, S. 173) und sich damit auch wenig zu politischen Themen einbringen. Das bestätigte sich auch während der Datenerhebung für die vorliegende Studie. Während viele Jugendliche Politik vor allem mit Par-teien und Politiker*innen verbanden und an beiden kein großes Interesse zeigten, diskutierten sie teilweise leidenschaftlich über Fragen, die in einem breiten Politikverständnis als politisch verstanden werden können (vgl. Kap. 4 und 5). Dieses breite Politikverständnis zu berücksichtigen, ist ein explizites Ziel des am JFF entwickelten Partizipationsmodells (vgl.

Wagner et al. 2009), das wir für die Auswertung der erhobenen Daten angewendet haben. Um einem breiten Politikverständnis Rechnung zu tragen, nutzten Wagner/Gebel (2014c) in ihrer Studie mit Jugendlichen einen Fokus auf „gesellschaftlich relevante Themen“. Zu diesen gehören Themen wie Rassismus, Diskriminierung und Gender (vgl. Kap. 4), aber auch speziellere Diskurse, wie wir sie in Bezug auf islamistische und rechtspopulistische Kommunikationsstrategien vorgestellt haben (Kap. 5).

Um ein möglichst breites Bild davon zu bekommen, wie sich Jugendliche in die öffentliche Kommunikation zu verschiedenen Themen einbringen, haben wir überdies in der Auswertung auch lebensweltnahe (zum Beispiel Essen) und popkulturelle (Kinofilme, Musik) Themen mitberücksichtigt.

Bei diesem Partizipationsmodell differenzieren Wagner/Gebel (2014c) zwei Formen des Handelns im Internet (vgl. Grafik 2). (1) Auf der einen Seite steht das themenbezogene Medienhandeln, bei dem es um die Suche nach Informationen geht, mit deren Hilfe sich Rezipient*innen in Bezug auf Themen und Diskurse orientieren. Repräsentative Studien

bestätigen, dass Internetmedien und insbesondere soziale Medien für die Informationsbeschaffung eine immer größere Rolle spielen. 69 Prozent der 18- bis 24-Jährigen nutzen Internet-Medien als Hauptnachrichtenquellen, 22 Prozent dieser Gruppe konzentrieren sich dabei vor allem auf soziale Medien (Hölig/Hasebrink 2019, S. 20 f.). Die Relevanz beispielsweise von Plattformen wie YouTube oder Messengerdiensten wie Snapchat für die Informationsbeschaffung bestätigten auch die Teilnehmenden der vor-liegenden Studie. (2) Auf der anderen Seite steht im Modell von Wagner/

Gebel partizipatives Medienhandeln. Im Unterschied zum Informations-handeln wirken die Akteur*innen beim partizipativen MedienInformations-handeln an öffentlichen Diskursen in sozialen Medien mit. Partizipatives Handeln entspricht somit der Kommunikation vorher angeeigneter Information im Kontext sozialer Medien mit dem Ziel, Resonanz zu den eingebrachten Inhalten und Positionen zu erzeugen.

In diesem Modell werden drei Ebenen partizipativen Handelns unterschieden (vgl. Wagner et al. 2009; Wagner/Gebel 2014c): sich positionieren, sich einbringen und andere aktivieren. Die drei Ebenen Grafik 2, Der Studie zugrundegelegtes

Partizipationsmo-dell (Wagner/Gebel 2014: 180) Themenbezogenes Medienhandeln sich orientieren

Informationen Relevanz zuweisen

sich positionieren

Zuordnung/Abgrenzung zu erkennen geben

sich einbringen

eigene Perspektiven und Aktivitäten artikulieren und sich darüber austauschen

andere aktivieren

zu Engagement, Unterstützung und Mitmachen motivieren

Verwirklichung von Partizipation Resonanz erzeugen Einflussnahme auf demokratische

Entscheidungsprozesse

beschreiben unterschiedliche Qualitäten der Partizipation in sozialen Medien und sind kumulativ zu verstehen. Das heißt, man kann auf der dritten Ebene nicht handeln, ohne gleichzeitig die anderen beiden zu bedienen – zum Beispiel kann man andere nicht aktivieren, ohne sich einzubringen und zu positionieren. Die Ebenen sind ein heuristisches Mittel, sich dem partizipativen Medienhandeln Jugendlicher anzunähern.

Besonders in den Übergängen zwischen den Ebenen sind sie nicht trenn-scharf. (a) Sich-Positionieren bezeichnet die Kommunikation des eigenen Standpunktes vor allem im Kontext und mithilfe des eigenen Accounts in den jeweiligen Plattformen, Messengerdiensten oder Netzwerken.

Sich-Positionieren ist eine niedrigschwellige Form der Partizipation, die beispielsweise mit jugendkulturell zuordenbaren Inhalten (wie Musik-videos, Bilder von Kleidungsstücken, Memes etc.) einhergehen kann, aber auch das Liken und Teilen von Inhalten oder die Mitgliedschaft in (themenbezogenen) Gruppen umfasst. (b) Davon unterschieden wird das aktive Sich-Einbringen in öffentliche Diskurse. Dies kann zum Beispiel in Form von Kommentaren in Online-Foren geschehen oder durch das Erstellen eines eigenen Blogs oder einer Website, die sich mit speziellen Themen auseinandersetzt. Ebenso zu dieser Ebene zählen Aktivitäten wie zum Beispiel das Unterzeichnen einer Petition. (c) Die dritte Ebe-ne der Partizipation wird als Andere-Aktivieren bezeichEbe-net. Sie ist die komplexeste Form der Partizipation und drückt sich darin aus, dass die eigene Meinung nicht „nur“ gezeigt und eingebracht wird, sondern auch Mitmenschen ermutigt werden, dies zu tun. Diese Ermutigung kann sich zum Beispiel im Teilen von Aktionen oder Aufrufen zu bestimmten Tätigkeiten ausdrücken (Wagner et al. 2009, S. 74 ff.; Wagner/Gebel 2014b, S. 180 f.).

Mithilfe des beschriebenen Partizipationsmodells kann zwischen unterschiedlichen Ebenen der Partizipation in sozialen Medien unter-schieden werden. Für die vorliegende Studie ziehen wir jedoch noch eine weitere Differenzierung hinzu, die mit dem Wandel von Öffent-lichkeit durch soziale Medien in Verbindung steht. Neben den drei Ebenen der Partizipation spielt für das Handeln in sozialen Medien die Unterscheidung zwischen zwei Formen von öffentlicher Kommunikation eine Rolle: semiprivate Kommunikation und semiöffentliche Kommuni-kation (vgl. Kap. 2.3). Semiprivate KommuniKommuni-kation in sozialen Medien bezieht sich auf Interaktionen zwischen User*innen in geschlossenen Messenger-Gruppen oder Netzwerken. Sie kann von semiöffentlicher

Kommunikation insofern abgegrenzt werden, als dass der Zugang zur Kommunikation kontrolliert wird und die Kommunikationspartner*innen potentiell bekannt sind. Semiöffentliche Kommunikation in sozialen Medien beschreibt Interaktionen, die potenziell für ein unbegrenztes Publikum einsehbar sind und damit Bestandteil öffentlicher Diskurse auf Begegnung- und Versammlungsebene und in den Massenmedien werden können (vgl. Klinger 2018 und Kap. 2).