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3.2 Unterschiede in der motorischen Kontrolle beim Gehen

3.2.4 Diskussion

Das Ziel dieses Reviews ist es, eine Übersicht über die Unterschiede zwischen Personen mit und ohne NSLBP beim Gehen zu geben. In der Mehrheit der eingeschlossenen Studien zeigt sich eine moderate Studienqualität, während nur wenige Studien als qualitativ hochwertig bewertet wurden. Insgesamt konnten Unterschiede in verschiedenen Parametern der motorischen Kon-trolle beim Gehen identifiziert werden. Bezüglich der biomechanischen Para-meter konnte mindestens eine Tendenz für eine reduzierte präferierte Gang-geschwindigkeit auf dem Laufband, eine geringere Bewegungsamplitude des Beckens, mehr phasengleiche Koordination, geringere Bodenreaktionskräfte und eine höhere Variabilität über die Gangzyklen in der NSLBP-Gruppe ge-funden werden. Für die muskuläre Aktivität konnte durch EMG-Daten mode-rate Evidenz für eine höhere Aktivität der ES in der NSLBP-Gruppe ermittelt werden. Im Folgenden werden diese Ergebnisse nun diskutiert.

Die Ergebnisse der kinematischen Parameter bestätigen die Ergebnisse des Reviews von Laird et al. (2014) für das Gehen. Eine geringere Geschwindig-keit und eine reduziertes Bewegungsausmaß der Hüft-Becken-Region, wie Laird et al. (2014) sie für bestimmte Rumpfbewegungen berichtet, sind auch während des Gehens bzw. Laufens evident. Personen mit NSLBP versteifen ihre Hüft-Beckenregion. Diese Versteifung wird durch höhere muskuläre Akti-vität erreicht. Auf der einen Seite scheint die Reduzierung der Bewegung in dem schmerzhaften Bereich eine Schutzstrategie zu sein, um die Strukturen in diesem Bereich nicht weiterem Stress auszusetzen. Auf der anderen Seite führt diese andauernde Aktivität und der Mangel an Bewegung zu der An-sammlung von metabolischen Abfallprodukten, die für die Chronifizierung der Schmerzen verantwortlich sein könnten (van Dieën et al., 2003). Diese Ergeb-nisse unterstützen die Theorie von Hodges und Tucker (2011), in der eine

Adaptation an Schmerz als protektive Strategie gesehen wird, die langfristig negative Konsequenzen hat.

Bezüglich der EMG-Aktivität bestätigen die erzielten Ergebnisse die von Ghamkhar und Kahlaee (2015), dass die ES-Aktivität bei Personen mit NSLBP höher ist, auch wenn in dem Review Studien eingeschlossen wurden, in denen Personen mit spezifischen Ursachen für Rückenschmerzen getestet wurden.

Sieht man sich die Funktion des ES an, hat er eine stabilisierende Funktion in der schmerzhaften Region. Somit scheint eine höhere Aktivität die Reaktion auf den Schmerz zu sein, um die Wirbelsäule zu stabilisieren und weiteren Stress auf schmerzhafte Strukturen zu vermeiden (van Dieën et al., 2003).

Zusätzlich konnte eine Evidenz für Unterschiede der ES-Aktivität bei Ge-schwindigkeitsänderungen zwischen den Gruppen festgestellt werden. Hier zeigten Personen mit NSLBP eine geringere Anpassungsfähigkeit der Aktivi-tät. Durch die erhöhte Aktivierung beim Gehen ist der normale Anstieg der Aktivität als Anpassung an Belastung reduziert. Extreme Spannung könnte vermieden werden, um Überlastungen der Muskulatur, die zu Rissen führen würden, zu vermeiden. Wie die Ergebnisse zeigen, scheint es entsprechend - anders als bei Ghamkhar und Kahlaee (2015) berichtet wird - keine generell erhöhte Aktivierung zu geben, sondern abhängig von der Situation eine einge-schränkte Anpassung der Aktivierung. Da nur in wenigen Studien die Aktivität weiterer Muskelgruppen untersucht wurde, in denen zudem inkonsistente Er-gebnisse aufgezeigt wurden, können die ErEr-gebnisse nur für den ES bestätigt werden. Um Unterschiede in der Anpassung an höhere Anforderungen zu un-tersuchen, werden zukünftig weitere Studien benötigt.

Wie Hodges und Tucker (2011) vorschlagen, gibt es eine kausale Beziehung zwischen neuromuskulärer Aktivität und motorischem Ergebnis, um einen pro-tektiven Mechanismus zu erhalten. Beachtet man die Verbindung zwischen der Aktivität des neuromuskulären Systems und den resultierenden biomecha-nischen Auswirkungen, hilft die Kombination der Ergebnisse, um einen Ein-druck der Unterschiede im Gesamten zu erhalten. Die Bewegung des Beckens und des Rumpfs wird durch erhöhte Aktivierung eingeschränkt. Daher kann eine erhöhte Aktivität zu mehr phasengleicher Koordination und Versteifung

der Gelenke führen. Beides wiederum erschwert die Koordination und resul-tiert in einer langsameren präferierten Ganggeschwindigkeit. Das Reduzieren der Geschwindigkeit oder das Kürzer-Werden des Schrittes hat noch eine wei-tere Auswirkung. Es reduziert die Bodenreaktionskräfte und somit den Stress, der auf die Strukturen wirkt. Außerdem zeigt sich bei gesunden Erwachsenen normalerweise eine Verschiebung zu mehr antiphasischen Bewegungsantei-len mit Erhöhung der Geschwindigkeit (Selles et al., 2001). In dieser Situation, in der der Mensch seine Bewegung anpassen muss, wird das neuromuskuläre System herausgefordert. Die Herausforderung, die Anpassung an verschie-dene Situationen zu meistern, ist eine Aufgabe der motorischen Kontrolle.

Diese Funktion ist bei Personen mit NSLBP durch versteifte Gelenke und be-reits erhöhte Aktivität der Muskulatur eingeschränkt. Eingeschränkte motori-sche Kontrolle zeigt sich zusätzlich in der höheren Variabilität über die Gang-zyklen. Weniger Kompensationsmechanismen, z. B. durch Versteifung von Gelenken, führt zu einer höheren Variabilität der Bewegung (Stergiou &

Decker, 2011). Zusammenfassend attestieren die Ergebnisse, dass die Gang-kontrolle bei Personen mit NSLBP verändert ist. In einigen Studien wird ein Hinweis geliefert, dass mögliche Unterschiede zwischen den Gruppen in Situ-ationen mit höheren Anforderungen deutlicher werden, wie beim Tragen von Gewicht während des Gehens (S. H. Kim, Kwon, Park, & Kim, 2013) oder dem Lösen einer kognitiven Aufgabe (Hamacher et al., 2016). Veränderungen der Gangkontrolle scheinen sowohl auf neuromuskulärer Ebene als auch auf bio-mechanischer Ebene aufzutreten, wie von Hodges und Tucker (2011) vermu-tet.

Nichtsdestotrotz gibt es Einschränkungen bei den Ergebnissen. Unterschied-liche Methoden der Messungen, Datenerhebung und -verarbeitung limitieren die Ergebnisse der Vergleiche, da schon kleine Änderungen in der Methodik die Ergebnisse verändern können. Beispielsweise werden unterschiedliche Definitionen von NSLBP, unterschiedliche Erhebungszeiten oder Anzahl an Versuchen, unterschiedliche Filter sowie unterschiedliche Methoden der Nor-malisierung in den eingeschlossenen Studien verwendet. Da unspezifische Schmerzen außerdem nur über den Ausschluss spezifischer Ursachen defi-niert werden und diese Ausschlusskriterien unterschiedlich kontrolliert werden

können, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass keine Person mit spe-zifischer Ursache für ihre Schmerzen eingeschlossen wurde. Auch für die Kon-trollgruppe gibt es keine einheitliche Definition. Falls schon eine Episode von Rückenschmerzen einen Langzeiteffekt hat, was bedeutet, dass veränderte Muster anhalten, nachdem der Schmerz gelöst wurde, könnten Personen fälschlicherweise der Kontrollgruppe zugeordnet worden sein. In einer Studie (Seay et al., 2011a) wurde ebenfalls eine Gruppe von Personen untersucht, bei denen der Schmerz gelöst wurde. In dieser Studie war die motorische Kon-trolle jedoch noch verändert. Allerdings wurden In- und Exklusionskriterien bei der Qualitätsbeurteilung der Studien bewertet und somit auch berücksichtigt.

Durch die Betrachtung der Charakteristika der Stichproben und der Erhe-bungsmethoden sowie der größten Störvariablen wurde in der Übersicht ver-sucht, die Ergebnisse zu spezifizieren. So wurden unterschiedliche Gangbe-dingungen (Laufband oder Laufbahn) bei den Ergebnissen erwähnt. Klare Standards der Datenerhebung und -verarbeitung würden helfen, die Studien-qualität und die Vergleichbarkeit der Studien zukünftig zu verbessern.

Die Nutzung der NOS für die Bewertung der methodischen Qualität führt zu einem weiteren Problem. Das Berichten der Hauptkriterien der Skala war in den einzelnen Studien unvollständig. Manche Kriterien wurden in keiner der eingeschlossenen Studien erwähnt. Daher kann die NOS eher als Idealvor-stellung gesehen werden, die in den Studien nicht erfüllt wird. Vielleicht sollten die Standards der Berichterstattung des methodischen Vorgehens modifiziert werden. Hier wurde eine konservative Einschätzung der Qualität gewählt, bei der das Nicht-Berichten sowie das Nicht-Erfüllen eines Kriteriums mit keinem Punkt bewertet wurde. Folglich könnte die methodische Qualität der Studien auf Grund des unvollständigen Berichtens unterschätzt werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es Unterschiede in der motori-schen Kontrolle zwimotori-schen Personen mit und ohne NSLBP gibt. Weitere Repli-kationsstudien mit hoher Qualität sind nötig, um diese Ergebnisse zu bestäti-gen. Zusätzlich sollte in Studien darauf abgezielt werden, Unterschiede in der motorischen Kontrolle bei Aufgaben mit höheren Anforderungen zu klären, wenn das motorische System stärker gefordert wird. Außerdem wäre es inte-ressant, Studien durchzuführen, in denen eine Musteranalyse durchgeführt

wird, um neuromuskuläre und biomechanische Daten auszuwerten. Dadurch könnte ein besseres Verständnis der Verbindung der beiden Ebenen der mo-torischen Kontrolle erzielt werden.