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3. Diskussion

Die vorliegende Arbeit besitzt ihre geisteswissenschaftliche und politische Dimension im umtriebigen Zeitalter der Aufklärung. Scharnhorst – als einer ihrer herausragenden militärtheoretischen Köpfe und führenden Reformer - benannte das Werk eines zeitgenössischen Pferdewissenschaftlers als vorzüglichste Grundlage für besondere Studien, die er den Kavallerieoffizieren nahelegte. Die Bedeutung von Johann Gottfried Prizelius wird darüber hinaus durch die Sachverständigen im 18.

und 19. Jahrhundert unterstrichen, die sich mehr und minder kritisch mit seinem Werk und seinen Aussagen beschäftigten und ihn in ihren jeweiligen Werken zu zitieren befleißigten. Die Aussagen dieses Pferdekenners zu zahlreichen Gebieten rund um das Pferd sind in großen Teilen bis heute gültig und zeigen seine bereits damals - nach heutigen Maßstäben bereits beachtenswerte - wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Reiterei und dem Fahrwesen. Der Umgang mit dem Pferd ist geprägt von Pragmatismus, die Behandlung ist einfühlsam und differenziert, konsequent wie umsichtig, innovativ wie erfahrungsgestützt. Prizelius ist auch im Vergleich zu allen übrigen Verfassern insofern hervorzuheben, als daß er das wohl umfassendste Werk sein eigen nennen kann. Im Rahmen der untersuchten Scharnhorstbibliothek stehen zahlreiche Werke zu eben so vielen Themengebieten rund um die Reiterei und das Pferd zur Verfügung, von denen jedoch keines die Breite der Themen abdeckt, wie dies bei Prizelius der Fall ist. Einziges Überbleibsel barocker Geisteshaltung scheint bei ihm jedoch die skurrile Hybridzüchtung des Jümarts64 zu sein – die der Stallmeister allerdings schließlich selbst nicht zu Augen bekommen hat. Seine sonst bemerkenswert guten Kenntnisse um das Wesen des Pferdes sowie auch diejenigen seiner Zeitgenossen, die in ihren einzelnen Werken mindestens ebenso viel Umsicht und Präzision, wie auch tierschutzgedanklichen Weitblick im Umgang mit dem Pferd beweisen, scheinen höchst zukunftsweisend, wenn man die heutigen rechtlichen Grundlagen zur Pferdehaltung zum Vergleich heranzieht. Es gibt in der aktuell gültigen Fassung des Tierschutzgesetzes keine Pferdehaltungsverordnung, die anderen bestehenden Verordnungen für verschiedene Tierarten gleich käme – wenngleich dazu angemerkt sei, daß nicht alles auf papierner Grundlage die Situation des Tieres in Anbetracht seiner natürlichen Voraussetzungen und Bedürfnisse letztlich auch wirklich verbessert.

Zur Regelung der Haltung von Equiden existieren sog. „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“. Grundsätzlich wird in diesen Leitlinien zunächst auf das Tierschutzgesetz verwiesen, nach dem niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf (§ 1 TSchG). Derjenige, der ein Tier hält, muss es seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen.

Er darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, daß diesem Schmerzen, vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden (§ 2 TSchG). Dies war im Inhalt der Forderungen aller angeführten Verfasser aus dem 18.

und 19. Jahrhundert zweifelsfrei auch schon vorhanden.

Die Ställe, Stalleinrichtungen und Einfriedungen für Auslauf und Weiden sowie Gegenstände, mit denen Pferde in Berührung kommen, müssen aus gesundheitsunschädlichem Material bestehen (Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten, Sachverständigengruppe tierschutzgerechte Tierhaltung mit Stand vom 10. November 1995). Diese Aspekte sind im Kapitel 2.4 und 2.6 der vorliegenden Arbeit bei fast allen Autoren

64 vgl dazu Kap. 2.4, S. 70 ff

angesprochen und oftmals bereits eingefordert worden. Ebenso werden in den entsprechenden Kapiteln der vorliegenden Arbeit die Bedürfnisse sozialer Kontakte des Pferdes beleuchtet. Das naturgemäße Leben in Gruppen sowie entsprechende Haltungsformen, die diese Kontaktmöglichkeiten der Pferde untereinander ermöglichen, gerade auch der Jungtiere, werden ebenfalls berücksichtigt. Im Kapitel 2.5 wird den in den Leitlinien geforderten Anforderungen komplett Rechnung getragen. Auch wird bereits damals die Körperpflege des Pferdes durch den Menschen als vertrauensfördernde Maßnahme erkannt und betont. Der Schutz und die Pflege der Hufe im Rahmen der Aufstallung und Pflege werden im Kapitel 2.5 und 2.6 angesprochen. Auf die Probleme, erläuternd in den Leitlinien dargestellt, die durch mangelnde Bewegung entstehen, wird ebenfalls schon damals verwiesen. Das Pferd, das sich eigentlich in der freien Wildbahn den ganzen Tag mit der Nahrungssuche beschäftigt und infolgedessen laufende Bewegung gewohnt ist, wird im Kapitel 2.3, 2.5 und 2.6 beschrieben, ebenso wie auch der Weidegang als wünschenswert angesehen wird. Ebenfalls wird der Witterungsschutz auf den Weidegelegenheiten beschrieben, wenngleich allerdings nichts zu dessen Größe in der vorliegenden historischen Literatur vermerkt wird. Die Befestigung oder gar die Drainage von Weiden wird auch schon damals erwähnt, damit der Untergrund nicht so feucht und glatt an der Oberfläche ist. Die Leitlinien fordern weiterhin eine Fütterung, die in Qualität, Zusammensetzung und Menge dem Erhaltungs- und Leistungsbedarf des Einzeltieres entspricht. Der Verdauungsapparat ist auf die laufende Futteraufnahme eingestellt, und ein ausreichender Anteil an strukturiertem Futter wird benötigt, sowie die hinreichende Zeit zur Aufnahme derselben. Die Rauhfutterrationen sollen auf mindestens drei Portionen täglich verteilt werden, so wie auch die Kraftfutterrationen. In den Angaben zur Fütterung sind auch diese Forderungen im 18. und 19. Jahrhundert eingehend formuliert worden, bis auf die spezifischen zeitlichen Probleme bei Übungen und insbesondere im Kriegsgeschehen. Zudem wird in den Leitlinien auf die gute Qualität der Stroheinstreu verwiesen, da diese auch von den Pferden gefressen wird; dieser Aspekt wird sehr eingehend im Kapitel 2.5 bearbeitet. Die Gabe von Wasser erscheint auch damals selbstredend gewesen zu sein. Bei der Gestaltung des Stallklimas führen die Leitlinien die Empfindlichkeit des Atmungsapparates des Pferdes gegen Staub und Schadgase an, sowie die dem gemäße Forderung nach ausreichender, zirkulierender Frischluftzufuhr. Diese Überlegungen und infrastrukturellen Einrichtungen im Stall werden ebenso im Kap. 2.6 hinreichend ausgeführt. Ein wesentlicher Unterschied der damaligen Meinung zu derjenigen heutiger Sachverständiger liegt in der konstanten Stalltemperatur. In den heutigen Leitlinien soll die Stalltemperatur der Außentemperatur gemäß folgen, in der historischen Literatur hingegen wird eine gleichmäßige Temperatur im Bereich von etwa 10°C angestrebt. Auch wird damals zur Fensterfläche in Relation zur Gesamtstallfläche keine Angabe gemacht, doch wird auf helle Ställe Wert gelegt.

Den Punkten der Pferdepflege (Umfang der Tätigkeiten des einzelnen Pferdebesitzers) in den Leitlinien wird bereits in den Angaben von damals fast komplett Rechnung getragen, bis auf daß Jungtiere, sofern anhand der Literatur nachvollziehbar, nicht an Transportfahrzeuge gewöhnt wurden65. Ferner lehnen die Leitlinien eine Haltung in Ständen ab, für Jungtiere sind sie gar tierschutzwidrig. Von etwa Mitte des 19. Jahrhunderts an sind vermehrt Hinweise auf die Boxenhaltung zu finden, die einzuführen sich bemüht werden soll. Die Jungtiere werden nach den vorhandenen historischen Beschreibungen nicht in Ständen gehalten, sondern es

65 der Pferdetransporter und das Zugfahrzeug davor waren damals noch nicht erfunden.

wird für gewöhnlich auf die Weidehaltung verwiesen, und ansonsten auf Laufställe.

Die Größe einer Stallfläche, die nach den Leitlinien einem durchschnittlich großen Pferd in einer Box zukommen soll, liegt bei 11,2 Quadratmetern, die allerdings nach den Bemessungsgrundlagen damaliger Werte in der Ständerhaltung bei weitem nicht erreicht wird. Verglichen mit den Werten der Ständerhaltung in den Leitlinien66, sind die Unterschiede allerdings nicht mehr sehr groß. Die Höhe der Trennwände ist ähnlich hoch, damals wie auch in den heutigen Forderungen.

Somit rücken vor allem die bereits im 18. und 19. Jahrhundert existierenden Erkenntnisse und Forderungen zum Tierschutzgedanken beim Pferd in den Vordergrund. Es sind inhaltlich keine wesentlichen Neuerungen bis zu den heute gültigen Grundlagen zu entdecken. Die juristische Entwicklung im Besonderen, bezogen auf das Pferd, findet seine Grenzen, wie bereits angesprochen, in den Leitlinien einer Sachverständigengruppe. Diese sind zwar bei gerichtlichen Auseinandersetzungen verbindlich, nicht jedoch im juristischen Sinne einer Verordnung als Teil eines Gesetzes. Die Entwicklung des Tierschutzes im Allgemeinen innerhalb der letzten zwei Jahrhunderte hingegen ist dafür um so beachtlicher, da der Tierschutz in Deutschland mit der Verankerung im Grundgesetz den Schutz des Tieres in diesem Land zu einem Staatsziel erhoben wurde.

Das Bild des Pferdes hat sich im 18. und 19. Jahrhundert bereits sehr differenziert dargestellt: vom Gegenstand menschlichen Wahrnehmens, Denkens, Erkennens und Handelns – einem Objekt, das den menschlichen Zielen als Mittel zu dienen hatte - bis hin zum Ich als handelndem Subjekt, wahrnehmend wie fühlend, denkend und erkennend. Die Motivationen, das Pferd zu schützen, waren sehr vielfältig, wie z.B.

der Schutz eines wertvollen Gegenstandes; das Pferd war als Gebrauchspferd67 oftmals für den Lebensunterhalt zwingend notwendig. Zahlreiche Arbeitsbereiche waren damals von der Arbeitskraft des Pferdes unmittelbar abhängig, wie z.B. die Kavallerie, die übrigen berittenen und fahrenden Einheiten im Militär, die Landwirtschaft und als Saumroß. Das Pferd war das Fortbewegungsmittel auf dem Landwege schlechthin. Die Gründe in diesen Bereichen, mit dem Pferd sehr sorgsam umzugehen, sind bereits in dem Anschaffungswert des Tieres begründet und in den kriegswirren Zeiten auch im zusätzlichen Wert als schwer zu beschaffende Ware – zumindest wenn eine gewisse Qualität des Pferdes erforderlich war. Es handelt sich bei diesen Formen der Motivation um rationale Gründe. Ebenso zweckmäßig begründet ist der pflegliche und schützende Umgang mit dem Pferd in der Zucht, die der qualitativ standardisierten Regeneration des landesweiten Pferdebestandes dienen sollte – gleich zu welcher Art von Gebrauchspferd auch immer gezüchtet wurde. Doch auch gerade in der privaten Pferdezucht68, die oft in den Bereich Sport und zur Freude hineinreichte, sind nicht nur die rationalen Verdienstmöglichkeiten mit dem Verkauf von Pferden, sondern oft auch emotionale Liebhaberei Ursache für die pflegliche Behandlung des Pferdes. Das Pferd dient der Kurzweil des Menschen, dem Vergnügen bei der Jagd oder auch im Rennsport. Das Pferd ist auch ein Statussymbol für Reichtum, Mobilität, Einfluß und letztlich gewiß auch Macht. Dies bleibt unbenommen von der privaten oder auch der dienstlichen Haltung von Pferden gleich: Das Symbol menschlicher Vergrößerung, dadurch daß der Reiter nicht nur weiter vom Erdboden entfernt viele Zeitgenossen überragt, sondern auch der Schmuck durch ein in allgemeiner Überzeugung nobles Lebewesen, auf dem er

66 bei durchschnittlich großen Pferden wird eine Standlänge von 3,35 m bei einer Standbreite von etwa 1,90 m gefordert. In der historischen Literatur wird umgerechnet eine Länge von 2,40 m bei einer Breite von 1,50 m veranschlagt.

67 vgl. dazu auch die Graphik 1 im Kap. 2.1, S. 16

68 vgl. Ausführungen v. Montendre zum Herzog Augustenburg im Kap. 2.4, S. 78 ff

thront. Der Wert eines heutigen Pferdes in Deutschland liegt weniger in seiner Arbeitskraft als Gebrauchspferd, wie z.B. noch als Pferd zum Holzrücken im heimischen Forst, als Zugpferd im Ausflugsverkehr oder als Tragtier bei der Bundeswehr, als mehr im Zusammenhang mit dem Reit- wie Fahrsport. Neben Liebhaberei und Freizeitvergnügen bestehen hier durchaus auch finanzielle Interessen am Pferd. Die Betrachtung des Pferdes divergiert also auch heutzutage von dem Status eines Objektes, als einem Arbeitstier oder durch seinen Handelswert für diejenigen, dessen Lebensunterhalt im Zusammenhang mit dem Pferd steht, für die es ein Gegenstand ihres eigenen Erkennens, Wahrnehmens, Denkens und Handelns ist, bis hin zu der Betrachtung des Pferdes als einem Subjekt – einem Spielgefährten, Freund und Sportskameraden, dem ein Ich denkend, erkennend, wollend, fühlend, wahrnehmend und handelnd zugesprochen wird. So lässt sich auch im Bereich der Betrachtung des Pferdes, dem Bild von diesem Tier, feststellen, daß sich seit dem 18. Jahrhundert keine wesentlichen Änderungen ergeben haben, mit Ausnahme der Funktionen des Pferdes, für die es eingesetzt wird, die sich gem. der Graphik 1, S. 16 vom Gebrauchspferd eher in Richtung Sport- und Hobbypferd verlagert haben.

Das Ziel dieser Arbeit besteht in der vergleichenden Darstellung des beginnenden Tierschutzgedankens und dem Bild des Pferdes mit, um und nach Prizelius Zeit.

Hervorzuheben ist letztlich die Bedeutung eines sehr umfassenden wie wegweisenden Werkes des Pferdewissenschaftlers Prizelius´ und dessen Auswirkungen auf das damalige Umfeld wie auch der Nachwelt im Sinne des Tierschutzgedankens. Auch die Tierschutzgedanken der übrigen Verfasser zeugen von ebensoviel wissenschaftlichem Anspruch und der Wertschätzung des Wesens Pferd. Abschließend ist festzustellen, daß die Inhalte des Tierschutzgedankens in Bezug auf das Pferd bis heute rechtlich keine großen Veränderungen erfahren haben, wohingegen die rechtliche Relevanz des Tierschutzes im Allgemeinen sehr wohl bedeutende Schritte getan hat. Das Bild des Pferdes war damals wie heute sehr vom subjektiven Weltbild und persönlicher Motivation geprägt und hat sich infolgedessen in seiner Breite der rationalen bis emotionalen Gründe nicht groß verändert.