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Diskussion der wärmeprotektiven Verfahren in den Studiengruppen

4. Diskussion

4.2 Diskussion der wärmeprotektiven Verfahren in den Studiengruppen

Die Vergleichsgruppe A ohne die Anwendung von präoperativen vorwärmenden Maßnahmen diente der Gegenüberstellung der vorgewärmten Studiengruppe B (passiv) und Studiengruppe C (aktiv). Durch Studiengruppe B sollte geprüft werden, ob die reine präoperative Isolation durch die reflektierende Oberfläche des Mistral-Air Warming Suit™

zu signifikanten Veränderungen der intraoperativen Körperkerntemperatur führt. In

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Studiengruppe C wurde der Mistral-Air Warming Suit™ mit dem konvektiven Mistral-Air Luftwärmer als Kombinationssystem zur Hypothermieprophylaxe untersucht. In der Gegenüberstellung des Wärmeanzuges in Kombination mit einem konvektiven Luftwärmer, der reinen Isolationsleistung des Wärmeanzuges und der Vergleichsgruppe soll geprüft werden, welches System am effizientesten einer perioperativen Hypothermie entgegenwirken kann.

Nur in der aktiv vorgewärmten Studiengruppe C zeigten sich signifikant höhere Körper-kerntemperaturen nach der Narkoseeinleitung vom Zeitpunkt t 15 bis zum Zeitpunkt t 75 im Operationsverlauf. Auch zum Operationsende sowie nach Ankunft im Aufwachraum t 0 bis t 30 war eine signifikant höhere Körperkerntemperatur bei Patienten der Studien-gruppe C nachweisbar. Hingegen zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen der Vergleichsgruppe A und der der passiven Isolationsgruppe B. Zwar liegt es durch den hohen perioperativen Wärmeverlust durch Radiation nahe, diesen Mechanismus des Wärmeverlustes durch reflektierende Folien zu vermindern. Jedoch zeigten Bourke et al., dass ein hoher Prozentsatz (˃ 60%) der Körperoberfläche über einen Zeitraum von mindestens 2 h bedeckt werden muss, um effektiv wirken zu können (Bourke et al. 1984). Diese lange Vorbereitungszeit kann im klinischen Ablaufplan nicht integriert werden und stellt dadurch schon einen limitierenden Faktor dar.

Auch die vorliegenden Messungen dieser Studie zeigen, dass nur durch eine aktive, präoperative Wärmezufuhr eine weitere Reduktion der intraoperativen Hypothermierate möglich ist. Die Isolation durch die metallisierte Oberfläche des Wärmeanzuges zeigte sich als gleichwertig im Vergleich mit der Isolation durch die standardisierte Baumwollsteppdecke und im Bezug auf die Temperaturentwicklung der aktiven Vorwärmung als unterlegen. Ng et al. konnten in einer Studie ebenfalls keinen Vorteil einer reflektierenden Wärmedecke gegenüber einer doppellagigen Baumwolldecke nachweisen (Ng et al. 2003). Auch die kombinierte Anwendung eines reflektierenden Isolationsmaterials (Thermadrape, O.R. Concepts Inc., Roanoke, USA) mit einem Infusionswärmer (Hotline HL-90) zeigt keinen signifikanten Unterschied in der postoperativen Hypothermierate gegenüber der Versorgung mit einer doppellagigen Baumwolldecke plus Infusionswärmer (Bräuer et al. 2000b).

Betrachtet man die Entwicklung der Körperkerntemperaturen direkt nach Narkoseeinlei-tung in der Vergleichsgruppe sowie in der passiv- vorgewärmten Studiengruppe B, so zeigt sich kein prägnanter Abfall der zentralen Körpertemperatur. Matsukawa et al. (1995b) beobachteten an Probanden, die sich einer Allgemeinnarkose unterzogen, einen initial sehr hohen zentralen Temperaturverlust (1,6 °C h-1) der im weiteren Verlauf ein Plateau

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erreicht. Durch den Einsatz von Gewebethermometern, Wärmeflussmessern, indirekter Kalorimetrie und Hauttemperatursonden konnte gezeigt werden, dass dieser Wärmever-lust zu 81% auf einer Wärmeumverteilung beruht. Einen ähnlichen, abfallenden Verlauf der zentralen Körperkerntemperatur 15 Min. nach Narkoseeinleitung beschrieben auch Bock et al. in einer Studie (Bock et al. 1998).

In der hier vorliegenden Patientenuntersuchung zeigte sich ein nur gering ausgeprägter zentraler Temperaturverlust von rund 0,1°C in beiden passiv isolierten Studiengruppen.

Der initiale Temperaturverlust nach Narkoseeinleitung war schon zum Zeitpunkt t 30 bei beiden Gruppen mit einem Minimalwert erreicht. Ähnlich moderate Verläufe ohne einen signifikanten Temperaturabfall nach Narkoseeinleitung konnten jedoch in vergleichbaren Studienmodellen ebenfalls beobachtet werden (Ruetzler et al. 2011, Perl et al. 2012).

Man kann davon ausgehen, dass in der vorliegenden Studie der Einfluss der Wärmeum-verteilung auf den zentralen Temperaturverlust der Patienten nach Narkoseeinleitung als weniger hoch anzusehen ist. Probanden in der Studie von Matsukawa et al. waren 2,5 h vor der Narkoseeinleitung einer kälteren Umgebungstemperatur ausgesetzt. Folglich lag die Hauttemperatur dieser Patienten deutlich niedriger (Matsukawa et al. 1995a). Der stärker ausgebildete Temperaturgradient zwischen Körperkern und Körperperipherie erhöht die Wärmeumverteilung mit einem merklichen Einfluss auf den zentralen Temperaturverlust (Sessler et al. 1995). Weiterhin lässt diese Beobachtung auf eine gute, jedoch nicht suffiziente präoperative periphere Isolation der Patienten dieser Studie schließen. Durch eine hohe Raumtemperatur im Wartebereich sowie doppellagige Baumwolldecken lässt sich die perioperative Hypothermie nicht verhindern. Doch zeigt der nur gering ausge-prägte Temperaturverlust in der ersten Phase nach Narkoseeinleitung im Vergleich mit den Daten von Matsukawa et al. (1995a), dass durch effektive präoperative Isolationsmaßnahmen Einfluss auf den Temperaturverlauf durch Wärmeumverteilung genommen werden kann.

In der aktiv vorgewärmten Studiengruppe C lässt sich ein stetiger Anstieg der zentralen Körperkerntemperatur ab dem Zeitpunkt der Einleitung verzeichnen. Im Gegensatz dazu zeigt sich ein Abfall der zentralen Körperkerntemperatur in beiden Isolationsgruppen bis zum Zeitpunkt t30 nach Einleitung. Dies lässt den Schluss zu, dass durch die konvektive Erwärmung peripherer Kompartimente durch den Warming Suit mit angeschlossenem Warmluftgebläse vor Narkoseeinleitung der Effekt der Wärmeumverteilung in der ersten Phase von zentral nach peripher sehr gering gehalten werden kann. Es scheint, dass der starke initiale Abfall der Körperkerntemperatur, wie von Sessler et al. beschrieben, durch einen verkleinerten Temperaturgradienten zwischen Körperkern und Peripherie durch effizientes Vorwärmen umgangen werden kann (Sessler et al. 1995). Der Patient erreicht

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trotz vasodilatatorisch wirksamen Narkosemedikamenten schneller ein Gleichgewicht zwischen Wärmeabgabe und Wärmeproduktion (steady-state). Der Abfall der zentralen Körperkerntemperatur kommt zum erliegen. Die thermoregulatorische Vasokonstriktion setzt vergleichsweise früher ein, die Körperkerntemperatur kann konstant gehalten werden oder steigt unter der aktiven Wärmung sogar an.

Im Umkehrschluss zeigt sich, dass der Wärmeverlust von Patienten in der Vergleichs-gruppe sowie in der passiven IsolationsVergleichs-gruppe B über die Körperoberfläche, die OP-Wunde und das nicht abgedeckte OP-Feld über der körpereigenen Wärmeproduktion lag.

Bis 30 Min. nach Narkoseeinleitung ist anzunehmen, dass sich die Patienten beider Stu-diengruppen nicht im steady-state von Wärmeproduktion und Wärmeabgabe befanden.

Kritisch zu betrachten ist die Tatsache, dass in Studien bezüglich der intraoperativen Hypothermieinzidenz meist der mediane Wert der Körperkerntemperatur zur Diskussion um die Effektivität einer Wärmemethode herangezogen wird. Zwar wird eine mittlere Kör-perkerntemperatur von ˃36°C nach Operationsende als erstrebenswert angesehen, jedoch muss bedacht werden, dass sich bei dieser Betrachtung auch 50% der Patienten eine niedrigere Körperkerntemperatur aufweisen können und den Risiken der periopertiven Hypothermie weiterhin ausgesetzt sind. Zusätzlich muss die zum Teil relevante Anzahl von Patienten bedacht werden, die schon mit einer präoperativen Kör-perkerntemperatur von ˂36°C den Operationssaal erreichen und somit definitionsgemäß schon präoperativ eine hypotherme Körperkerntemperatur aufweisen (Mitchell und Kennedy 2001).

In einer vorausgehenden Studie von Fanelli et al. konnte kein signifikanter Unterschied zwischen der reinen intraoperativen Anwendung einer aufgelegten Heizdecke gegenüber einem konvektiven Luftwärmegebläse zur Vermeidung der intraoperativen Hypothermie nachgewiesen werden (Fanelli et al. 2009). Auch die vorliegende Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine ausschließlich intraoperativ angewendete, konvektive Wärmemaß-nahme mit zusätzlicher Infusionswärmung nicht ausreichend ist, um dem intraoperativen Hypothermieverlauf entgegenzuwirken. Zwar zeigt die standardmäßige Anwendung von Warmluftgebläsen nach Narkoseeinleitung ein vorhandenes Problembewusstsein bei den beteiligten Disziplinen hinsichtlich der Risiken und Folgen der Hypothermie. Jedoch kann der maßgebliche Faktor für die erlangte Hypothermie, die Wärmeumverteilung, nur durch ein optimiertes, präoperatives Wärmemanagement beeinflusst werden (Vanni et al. 2003).