• Keine Ergebnisse gefunden

Direct Action, Diskurs,

Im Dokument Mehr als nur ein Heftprojekt ... (Seite 82-85)

Herrschaftskritik

Konzept oder Rezept, das in ein paargriffige Parolen gepackt werden kann.Hinter dem Begriff verbirgtsich für mich mehr ein komplexes ,Paket'von Aspekten, welche vage die Praxiskreativen Widerstands umschreiben. Alldiese sind bedeutsam und soll-ten immer mitgedacht werden. Anstatteiner linearen und vom restlichen Textisolierten Auflistung habe ich mich ent-schieden, die einzelnen Aspekte dort zuDirect Action ist kein geschlossenes

1 Der Begriff Tier ist schwierig, weil er trotz aller Unterschiedlichkeit zwischen verschiedenen Lebewesen eine2 In Iserlohn hatte eine Tierrechtsgruppe für den 6. Oktober 2001 zu einer kreativen „Soya wohl nicht“-Demo mit3 Siehe „Vegane Identitätspolitik“ (Seite 43).Kategorie aufmacht, die dem Menschen gegenübergestellt wird. Wenn er in diesem Text ohne verdeutlichendeZusätze verwendet wird, liegt das daran, dass feststehende Begriffe (z.B. Tierhaltung) ansonsten unverständlichaussehen würden.vielen Stationen eingeladen, wo Theater, Performances und weitere Bausteine phantasievollen Protestesumgesetzt werden sollten, ohne dass es dafür eine Resonanz gab, d.h. die Leute wollten lieber nur latschen,obwohl sie dabei nicht sonderlich motiviert aussahen.

beschreiben, wo damit eine Kritik an be-stehenden Aktionskonzepten innerhalb von Tierrechtszusammenhängen er-gänzt werden kann.Als ,Einführung' erscheint mir vorerst ausreichend, den theoretischen Aus-gangspunkt kreativer Wider-standspraxis deutlich zu machen: Direct Action ist ein Teil Poli-tik, welche das langfristige Ziel verfolgt, Herrschaftsverhältnisse abzubauen und zu überwinden. Damit verknüpft ist ein bestimmtes Verständnis davon, wie Herrschaft ,funktioniert' und aufrechter-halten wird − und welche Ansatzpunkte sich anbieten, um Herrschaft zu destabi-lisieren ...

Diskursive Herrschaft

Schlachthöfe, Versuchslabore, Tiere zu Sachen degradierende Gesetzestexte ...

all das sind Strukturen, die Tierausbeu-tung ermöglichen und vollziehen. Aber die vielleicht viel wirkungsmächtigere Stütze dieses Systems ist die „Herr-schaft über die Köpfe“: Tierausbeu-tung ist so durchschlagend, weil sie fest in den Denk- und Verhaltensmustern bestärken Tag für Tag, dass ,Tiere' und Menschen als einander entgegengesetzte Kategorien gedacht werden,

dass ,Tiere' als Nahrungsmittel oder be-liebig nutzbares Material gelten. Dieses Geflecht von unterschiedlichsten Kom-munikationsprozessen kann als Diskurs bezeichnet werden. Diskurse sind ,ty-pisch' für moderne Herrschaftssysteme;

die darüber verbreiteten Normierungen und Denkmuster sind so mächtig, weil sie weder ein klar greifbares Zentrum (z.B. ,den' Staat), noch ein Außen ken-nen, weil sie jeden gesellschaftlichen Winkel durchdringen. Ihre Allgegen-wart führt dazu, dass etwas anderes kaum noch gedacht werden kann, so dass es beispielsweise als selbstverständ-lich erscheint, sich ,Tiere' zu halten, sie zu essen oder Medikamente an ihnen zu

testen. Auch die

Ge-schlechterverhältnisse, die von Kindern, Psychiatrisierung oder Rassismus leben sehr stark von ih-rer diskursiven Verankerung.

An den Diskursen ,rütteln'

Es kann zwar im Einzelfall sehr erfolg-reich sein, einzelne Firmen (z.B. eine ,Pelz' verkaufende Ladenkette) mit Wi-derstand zu überziehen, aber als allei-nige Strategie reicht das nicht.oder anwesender PolizistinnenNormalität zu hinterfra-gen. Die Menge zerschla-gener FensterscheibenWeil der Diskurs kein Zen-trum hat, kann er sichständig in allen gesell-schaftlichen räumenwieder Wer die Tierausbeutungbeenden oder einschrän-stand an; es ist der Ver-such, die Köpfe der Men-schen zu erreichen, umsetzt kreativer Wider-ken will, muss daher anden Diskursen ,rüt-teln', von denen siegetragen wird. Hier.

ist dafür nicht entscheidend: Zentrales Anliegen von kreativem Widerstand ist es, Kommunikation zu erzeugen, „Er-regungskorridore“ zu schaffen. Es geht darum, Normalität zu durchbrechen − und das setzt andere Protestformen

voraus: Ein perfekt formuliertes Flug-blatt stößt nicht auf großes Interesse, wenn es einfach wortlos oder mit einem Standardspruch verteilt wird. Demon-strationen oder Mahnwachen (in ihrer üblichen Form) sind viel zu sehr Teil des als normal Erlebten, um irritierende Wirkung zu entfalten; sie erreichen kaum Menschen außerhalb der schon Aktiven oder vermitteln kaum etwas über einfache Parolen oder das Gefühl hinaus, irgendetwas getan zu haben.

Theater, vor allem versteckte Aufführun-gen mit EinbindunAufführun-gen unbeteiligter Menschen, oder auch die di-rekte Einwirkung auf scheinbar normale Abläufe können viel stärker Kommunika-tion aufbauen. Sie können Aufmerksam-keitsmomente bei den angesprochen Personen schaffen, die sich in Irritation, Belustigung, Ärger oder Neugier aus-drücken können. Wo das gelingt, ent-steht eine Ebene, die mit Kommunikation über politische Positionen bis hin zu ge-sellschaftlichen gefüllt werden kann. Das ist auch das Spannende:

Aktionsmomente zu entwickeln, die in vi-sionären Diskussionen münden ... also dazu führen, dass in der Straßenbahn, im Laden oder in der Innenstadt über andere Gesellschaftsentwürfe debattiert wird. „Wider-stand und Vision“, auch der Untertitel von „Fra-gend voran ...“, können dann sehr nah beieinan-der liegen. Wie solche in-tensiven Kommunikations-räume geöffnet werden können, ist eine Frage, die vor, bei und nach jeder Ak-tion neu gestellt werden muss.

Bestandsaufnahme und kritische Reflexion

weg: An dieser Stelle werden einzelneMomente von Tierrechtsaktivismus, diemir für die Auseinandersetzung in-teressant erscheinen, herausgegriffenund analysiert. Damit soll keine Vollstän-digkeit oder Allgemeingültigkeit ten Kritiken treffen sicher nur auf einigeTierrechtszusammenhänge zu und las-sen sich auf andere Teile politischer Be-wegung übertragen.

Aktionsansätze in Tierrechtszusammenhängen

nen vergleichsweise starken Bezug zuDirekten Aktionen. Für viele Aktivistin-nen ist dabei nicht entscheidend, obdiese sich in einem legalen oder illega-len Rahmen bewegen. Schon die doku-mentierten Beispieleüber dem Durchschnitt politischer Bewe-gung in dieser Republik und machendeutlich, dass MilitanzVielleicht ein paar Anmerkungen vor-Tierrechtszusammenhänge haben ei-tier- rechtlerischer Praxis mit hoher werden. Viele der hier versammel-Akzeptanz ist. Sie umfasstein breites Spektrum, dar-unter Jagd (De-montage oder anderwei-tige Zerstörung vonJagdinfrastruktur, öffentli-che Störung von angekün-digten Jagd-,Events'),auf Firmen, die besonders(z.B. ,Besuche' auf Pelz-farmen) oder AnschlägeTierbefreiungsaktionen liegen deutlich eine feste ,Zutat'45

4 Siehe dazu auch „Tierbefreiung aktuell“ − Zeitung der Tierbefreier e.V., die Öffentlichkeit für militanteTierrechtsaktionen herstellt, z.B. durch Abdruck von Bekennerinnenschreiben.

5 Militanz bedeutet eigentlich ,nur' kämpferisch und wird z.B. in Frankreich viel selbstverständlicher in dieser Weisebenutzt; im deutschsprachigen Raum werden damit oft illegale Aktionsformen bezeichnet.

intensiv in Tierausbeutung verstrickt sind. Die Absteckung des Aktionsrah-mens jenseits gesetzlicher Vorgaben ist grundsätzlich positiv zu bewerten, weil Grenzen nicht bereits im Kopf und mehr Handlungsmöglichkeiten offengehalten werden.Auch offene, öffentliche Aktionen sind stark verbreitet. Dabei wird sich vor

al-lem Protestformen wie

Flugblatt-Aktionen vor Zirkussen, De-monstrationen zu allgemeinen wie kon-kreten Anlässen (z.B. Jagdmessen) oder Infostände und Kundgebungen vor Pelz-Geschäften ,bedient'.Damit verbunden oder auch unabhän-gig davon sind Unterschriftenlisten und zu diversen Themen ein übli-ches Mittel. Häufig sind sie mit Forde-rungen nach Gesetzesverschärfungen verbunden, z.B. Verbot von Tierversu-chen oder bestimmten (abhän-gig von den jeweiligen Forderungen) ha-ben rein appellierenden Charakter. Wer sich so an die Herrschenden wendet, be-stätigt diese als Ebene, auf der gesell-schaftliche Probleme gelöst werden und verschafft Regierungen und Parteien da-mit an Akzeptanz. Daher sind solche Aktionen immer auch eine „Werbeein-blendung“ für Herrschaft, auch wenn diese zu anderen Zwecken eingesetzt

werden soll. Sie fordern noch mehr Stell-vertretungspolitik und beziehen sich po-sitiv auf demokratische Verhältnisse.

Diese sind gerade dadurch gekenn-zeichnet, dass die Menschen nur mini-male Mitbestimmungsmöglichkeiten ha-ben und Selbstbestimmung gar nicht vorgesehen ist. Auch praktisch laden6 beispielsweise Unterschriftensammlun-gen dazu ein, dass die angesprochenen Menschen ihre Verantwortung abgeben, statt eigene Aktivitäten zu entfalten.

Statt des Bezuges auf gesellschaftliche, die so noch gestärkt werden, soll-ten Aktionen sich immer an die Men-schen richten und diese zu Widerstand ermutigen.Neben herrschaftskritischen Einwän-den ist der Sinn solcher Politiken auch in der Sache fragwürdig: oder Unterschriftenlisten bauen keinen politi-schen Druck auf, der Konzerne oder Re-gierungen zu Veränderungen nötigen könnte. Appellierende Politiken erken-nen die eigene Abhängigkeit und Ohn-macht aktiv an. Besser erscheint mir, die eigene Handlungsfähigkeit auszuweiten und zu nutzen, um Druck „von unten“ zu entfalten. Dieser entsteht durch direkte Aktionen, deren geschickte Verbindung sowie weitere Formen unabhängiger Öffentlichkeitsarbeit.

Vermittlung, Kommunikation, Kreativität

Bei öffentlichen Aktionen mit Tier-rechtshintergrund wird oft auf ritualisier-te, teilweise langweilige Aktionsformen (Demonstrationen oder Kundgebungen) zurückgegriffen, die wenig Außenwir-kung entfalten. Straßentheater oder kreative sind manchmal anzutreffen, könnten aber viel breiter und eigenständiger verwendet werden.

6 Zur Kritik an demokratischen Verhältnissen: Jörg Bergstedt (2006): Demokratie. Reiskirchen: SeitenHieb.

Im Dokument Mehr als nur ein Heftprojekt ... (Seite 82-85)