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Diese Phase ist geprägt von Veränderungen und Kürzungen in der Familienpolitik. Kurz nach der Wende setzten sich weder in Ungarn noch in Polen Parteien für eine umfassende Sozialreform ein. Mitte der 1990er hatte sich die Wirtschaft stabilisiert und der Druck, auch von internationalen Organisationen wie Weltbank und IMF, Einschnitte im Sozialsystem vorzunehmen, wurde für die Regierungen immer größer. Die Entspannung der wirtschaftlichen Situation ist auch am realen BIP-Wachstum (siehe Abbildung 11) erkennbar, welches ab Mitte der 1990er Jahre wieder gewachsen ist. Wie aus der Abbildung abzulesen ist, hatte das BIP in Polen 1991 und in Ungarn 1993 den größten Tiefpunkt.

Abbildung 11: Reales BIP-Wachstum* 1989-2003

Quelle: (UNICEF 2004)

* 1989 = 100 %

6.2.1 KURSWECHSEL IN POLEN

In Polen kam es 1993 zu einem fulminanten Sieg der Linken. Daraus folgte eine stabile Koalition, die sich aus der Allianz der Demokratischen Linken (SLD) und der Polnischen Bauernpartei (PSL) zusammensetzte. Die Allianz der Demokratischen

0 20 40 60 80 100 120 140 160

1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

Polen Ungarn

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Linken bestand aus 30 Gruppierungen, war laizistisch und sprach sich vor der Wahl für einen wirtschaftlichen Transformationsprozess aus, der sozial abgefedert werden soll.

Ziemer und Matthes bezeichnen die beiden post-sozialistischen Parteien SLD und PSL als „gewendete“ Parteien der Volksrepublik (2010, 245). Bis Anfang des Jahres 1995 war Waldemar Pawlak Regierungschef, ihm folgte Józef Oleksy, der aber auch im Februar 1996 zurücktrat. Bis zum Ende der Regierungszeit im Herbst 1997 war dann Włodzimierz Cimoszewicz Regierungschef. Trotz dieser vielen Führungswechsel änderte dies nichts an der Regierungszusammensetzung und der sozialpolitischen Ausrichtung der Regierung (Krzywdzinski 2008, 154). Ziel der Regierung war es, die Kosten in der Sozialpolitik zu senken. Nach der Wahl wurde das Sozialsystem jedoch kurzfristig ausgebaut, da einige Wahlkampfversprechen umgesetzt wurden, zum Beispiel eine Rentenerhöhung. Die großzügigen Änderungen im Sozialsystem währten allerdings nur ein halbes Jahr und wurden von einer Phase der Kürzungen abgelöst.

Bezüglich der Familienleistungen beschloss die Regierung im September 1994 große Einschnitte bei der Familienbeihilfe, welche im März 1995 in Kraft traten. Der Anspruch auf Familienbeihilfe aufgrund von Erwerbstätigkeit erlosch und wurde durch eine Einkommensprüfung ersetzt. Das Familieneinkommen pro Person durfte 50 % des Durchschnittslohns nicht übersteigen. Das heißt, wie bei anderen Familienleistungen in Polen waren nur mehr sehr bedürftige Familien anspruchsberechtigt. Des Weiteren war die Familienbeihilfe auch keine Sozialversicherungsleistung mehr, sondern wurde fortan aus Steuergeldern finanziert. Die Anpassung der Familienbeihilfe wurde von der Lohnkopplung zur Preiskopplung mittels Preisindex1 geändert (Balcerzak-Paradowska et al. 2003, 196; Krzywdzinski 2008, 157).

Zusätzlich wurde von der Regierung auch das Kindergeld beschnitten. Die Indexierung dieser Beihilfe passierte bis 1996 mittels des Lohnwachstums, dann wurde die Indexierung mittels des Preisindex eingeführt. Der Wert des Kindergeldes wurde

1 “Maß für die durchschnittliche Preisentwicklung der von privaten Haushalten nachgefragten Güter und Dienste. Der Verbraucherpreisindex ist ein Laspeyres-Index und wird zur Messung der Inflation verwendet. Bei seiner Ermittlung geht man von der Verbraucherpreisstatistik und einem typischen Ausgabenverhalten (Warenkorb) aus“ (Bofinger 2011, 606).

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dadurch gemindert. Ein erfreulicher Punkt war die Reform des Elternurlaubes und des Kindergeldes, wodurch erstmals auch Väter den Elternurlaub in Anspruch nehmen konnten (vorher war dies nur sehr begrenzt möglich). Durch diese Maßnahme wollte die Regierung einer größeren Gleichstellung zwischen Männern und Frauen gerecht werden und die Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessern (Balcerzak-Paradowska et al. 2003, 195).

Auch die Reform der Sozialhilfe bedeutete weniger finanzielle Unterstützung für die Familien in Polen. Einerseits wurde, wie bei der Familienbeihilfe und beim Kindergeld, die Anpassung mithilfe des Preisindexes eingeführt und andererseits wurde die Höhe der Leistungen für Familien reduziert. Das heißt eine Person bekam 100 % des Basissatzes, jede weitere Person aber nur mehr 50 % – 70 %. Dies hatte eine drastische Kürzung der Sozialhilfe für Familien zur Folge (Krzywdzinski 2008, 159).

6.2.2 KURSWECHSEL IN UNGARN

In Ungarn kam von 1994 bis 1998 eine sozialistisch-liberale Koalition an die Macht, bestehend aus der ex-kommunistischen MSZP (Ungarische Sozialistische Partei) und dem liberalen SZDSZ (Bund der Freien Demokraten) mit Gyula Horn als Ministerpräsident. Körösényi et al. beschreiben den SZDSZ als „linksliberale Partei mit entschieden menschenrechtlichen, wirtschaftsliberalen und gemäßigt linken, sozialdemokratischen Elementen“ (2010, 392). Die Horn-Regierung hatte ein großes Budget-Defizit geerbt, weshalb der IMF und die Weltbank vermehrt auf Ausgabenkürzung pochten (Haney 2003, 164). Aufgrund dieses internationalen Druckes setzte die Regierung ab 1995 ein neo-liberales Programm um (Ferge/Tausz 2002, 178).

Besonders hervorzuheben ist hierbei das Bokros-Paket (Lajos Bokros war von 1995-1996 Finanzminister), das die Familienpolitik in Ungarn grundlegend veränderte.

Dieses Paket sah große Einsparungen im Sozialbereich vor und sollte das Budget wieder in Einklang bringen. Das Bokros-Paket hatte zur Folge, dass das Kindergeld (GYES) und die Familienbeihilfe (für das erste und zweite Kind) nicht mehr universal zugänglich waren, sondern einkommensgeprüft waren. Zugang zu diesen finanziellen Unterstützungszahlungen hatten nur mehr einkommensschwache Familien, also solche

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die unter eine bestimmte Einkommensgrenze fielen. Das Karenzgeld (GYED) sowie Steuervergünstigungen wurden gänzlich abgeschafft. Die Unterstützungszahlungen während der Schwangerschaft (pregnancy allowance) wurden durch eine Einmalzahlung ersetzt. Darüber hinaus wurde der Einkommensersatz während des Mutterschaftsurlaubs von 100 % auf 70 % des letzten Einkommens gekürzt (Lukács/Frey 2003, 55). Viele Frauen, vor allem aus dem Mittelstand, hatten nach diesen Kürzungen nur mehr Anspruch auf das Mutterschaftsgeld während der 24 Wochen Mutterschaftsurlaub (Haney 1997, 227).

Für Haney machte sich damit eine Politik des Familialismus breit, wodurch die Grenze zwischen Staat und Familie verschoben wurde. Der Politik des Familialismus liegt ihr zufolge die Ideologie zugrunde, dass sich die Familie besser um ihre Mitglieder kümmern kann als der Staat. Die Verantwortung für die Familie wurde vom Staat an die Individuen zurück gegeben (Haney 2003, 169). Sie spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Privatisierung der Reproduktion (Ebd., 9).