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Die Gesetzmäßigkeit der strafrechtlichen Verantwortung

V. Der Schutzauftrag und die strafrechtliche Garantenstellung

2. Die Gesetzmäßigkeit der strafrechtlichen Verantwortung

Die Strafbarkeit gegenüber einer zum Handeln verpflichteten Person betrifft immer nur die persönliche Vorwerfbarkeit der jeweiligen Fachkraft und nicht die institutionelle Verantwortung eines Trägers oder Arbeitgebers.381 Gemeint ist hierbei die mögliche strafrechtliche Relevanz des Handelns der einzelnen Fachkräfte, also das vorwerfbare unterlassene Handeln der Fachkräfte trotz einer Pflicht zum aktiven Tätigwerden beim Schutz der betroffenen Kinder oder Jugendlichen, und nicht die Verletzung von Rechts-pflichten die jeden Bürger betreffen, wie z. B. die unterlassende Hilfeleistung nach § 323c StGB. Dieses unterlassene Handeln der Fachkräfte ist nach der deutschen Rechts-ordnung nur unter bestimmten Voraussetzungen strafbar, und zwar dann, wenn eine besondere Pflicht zum Handeln nach § 13 StGB besteht.382 So sind die Begriffe „Garan-tenstellung“ und „Garantenpflicht“ strafrechtlich besetzt und entsprechend nur im

380 vgl. Münder u. a. 2006, FK-SGB VIII, § 8a Rn. 59 f

381 vgl. Meysen 2006, Expertise, S. 30

382 vgl. Münder u. a. 2006, FK-SGB VIII, § 8a Rn. 60

Normbereich nach § 13 StGB von Bedeutung.383 Demzufolge bezeichnet man diese Unterlassungsdelikte auch als Garantenunterlassungsdelikte, im Unterschied zu den Jedermann-Unterlassungsdelikten nach § 323c StGB.384

Die bei einem Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe tätigen Fachkräfte, die Aufgaben nach dem SGB VIII erfüllen oder Leistungen erbringen, haben also im Rah-men des § 8a SGB VIII Aufgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen und somit der Terminologie des Strafrechts nach aufgrund ihrer beruflichen Verantwortung grund-sätzlich eine Garantenverpflichtung. So ergibt sich durch die konkrete Hilfe und durch die besondere Beziehung zum Klientel385 eine strafrechtliche Verantwortung der einzel-nen Fachkraft als Beschützergarant im Hinblick auf die zu schützenden Rechtsgüter, also die Kinder und Jugendlichen.386 Jedoch darf die Begrifflichkeit der Garantenpflicht nicht zu einer sprachlichen Verwechslung führen, im Sinne der Übernahme einer Garan-tie durch die Fachkräfte der Jugendhilfe, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen. Denn diese Garantie kann keiner geben und ist auch rechtlich nicht verlangt.387 Die Voraussetzungen dafür, dass das Unterlassen nach § 13 StGB einer ak-tiven strafbaren Handlung gleichgestellt wird, ist z. B. die Pflicht des Unterlassenden, zum Schutz des bedrohten Kindes oder Jugendlichen aktiv zu werden oder das Tätig-werden des Unterlassenden, ein schädigendes Ereignis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abwenden zu können388 bzw. eine einhergehende Sorgfaltspflicht-verletzung.389 So impliziert eine Kindeswohlgefährdung auch immer eine Schutzlosig-keit eines Kindes oder Jugendlichen und bedeutet daher die Pflicht zum Tätigwerden der Fachkräfte, denen aber durch die Vorgaben des § 8a SGB VIII auch Grenzen gesetzt sind. Entsprechend sind die Befugnisse, schützend in die Rechte der betroffenen Fami-lien einzugreifen, beschränkt und gelten daher auch in unterschiedlicher Weise für die Fachkräfte im Jugendamt wie auch für die Fachkräfte der freien Träger von Einrichtun-gen und Diensten.390

2.2 Die strafrechtliche Verantwortung des Jugendamtes

Die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe ist immer durch Verwaltungshandeln der Fach-kräfte des Jugendamtes gekennzeichnet und nur bei Rechtswidrigkeit strafbar. Hierbei richtet sich die Rechtmäßigkeit eindeutig nach der sozialpädagogischen Fachlichkeit bei 383 vgl. Bringewat 2002, S. 11 ff

384 ders. 2000, S. 28

385 vgl. Münder u. a. 2006, FK-SGB VIII, § 8a Rn. 60 f

386 vgl. Wiesner in Wiesner 2006, SGB VIII, § 1 Rn. 40

387 vgl. Münder u. a. 2006, FK-SGB VIII, § 8a Rn. 61

388 vgl. Meysen 2006, Expertise, S. 31

389 vgl. Wiesner in Wiesner 2006, SGB VIII, § 1 Rn. 41

390 vgl. Meysen 2006, Expertise, S. 32

der Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben im rechtlichen Kontext des SGB VIII.

Eine strafrechtliche Verantwortung für die Fachkräfte lässt sich erst dann ableiten, wenn sie nach dem SGB VIII befugt und gleichzeitig verpflichtet sind, einzuschreiten und dies rechtswidrig unterlassen.391 Die Fachkräfte im Jugendamt können, dürfen oder müssen nicht alles tun, um Kinder oder Jugendliche vor Gefahren zu schützen. Bei fach-lich angemessenem Handeln kann sich daraus auch keine straf- oder schadensrechtfach-liche Haftung ergeben. Für die nachträgliche Bewertung der Rechtmäßigkeit des sozialpäda-gogischen Agierens ist allein entscheidend, wie sich die Situation des Kindes oder Ju-gendlichen und der Hilfebedarf zum Zeitpunkt des ausgebliebenen und vermeintlich erforderlichen Handelns dargestellt haben. Wenn nach dieser Bewertung das Handeln nach den Anforderungen des SGB VIII an die sozialpädagogische Fachlichkeit nicht gewährleistet war, kann sich eine strafrechtliche Verantwortung nur unter den weiteren Voraussetzungen ergeben, dass das schädigende Ereignis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch das Tätigwerden zu verhindern gewesen wäre.392

2.3 Die strafrechtliche Verantwortung bei Leistungserbringern

Bei freien Trägern von Einrichtungen und Diensten ergeben sich die Pflichten der dort tätigen Fachkräfte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen aus dem konkreten Hilfe-kontext, wodurch ihre Handlungs- und Einflussmöglichkeiten durch die Grenzen ihrer Aufgaben beschränkt werden. Dieser Hilfekontext ist durch die vertraglichen Verein-barungen mit dem Jugendamt und durch die jeweiligen Klienten mit den entsprechen-den Hilfekonzepten gekennzeichnet. Danach können in entsprechen-den abzuschließenentsprechen-den Verein-barungen nach § 8a Abs. 2 SGB VIII der Umfang und die Grenzen der Schutzverpflich-tung im Zusammenhang mit der jeweiligen LeisSchutzverpflich-tungserbringung festgeschrieben wer-den.393 Auch hier ergibt sich eine strafrechtliche Verantwortung nur dann, wenn das Handeln der Fachkräfte im Einzelfall nicht den fachlichen Anforderungen des SGB VIII oder der Leistungserbringung entspricht bzw. die Gefährdung für das Kind oder den Jugendlichen bei rechtmäßigem und ordnungsgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre.394

2.4 Die Übertragung der Garantenpflicht

Die Pflichten der Fachkräfte in den Jugendämtern können nicht ohne weiteres auf die Fachkräfte bei Trägern von Einrichtungen und Diensten übertragen werden bzw. die 391 vgl. Münder u. a. 2006, FK-SGB VIII, § 8a Rn. 62

392 vgl. Meysen 2006, Expertise, S. 32 ff

393 vgl. Münder u. a. 2006, FK-SGB VIII, § 8a Rn. 63 f

394 vgl. Meysen 2006, Expertise, S. 33 f

Garantenstellung oder Garantenpflicht vom Jugendamt nicht auf die freien Träger der Jugendhilfe übergehen.395 Umgekehrt können sich aber auch die freien Träger nicht von der Garantenpflicht lossagen, da durch die geschlossenen Kooperationen bei jedem die ihn gesetzlich oder vertraglich treffenden Verantwortlichkeiten verbleiben. Da das Strafrecht erst im Nachhinein das jeweilige Verhalten der Fachkräfte bewertet, wird dann u. a. begutachtet, ob eine gesetzliche, dienstliche oder vertragliche Pflicht zum Schutz des betreffenden Kindes oder Jugendlichen verletzt wurde oder nicht. Weder die Fachkräfte im Jugendamt, noch die bei freien Trägern von Einrichtungen und Diensten können grundsätzlich von einer strafrechtlichen Verantwortung entbunden werden.396