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Die Fassade im „steinernen Berlin“ um 1900

2. Fassadenumbauten und Neubauten der Moderne in Berlin

2.2 Die Fassade im „steinernen Berlin“ um 1900

Wenn seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Berlin angesichts der hauptsächlich infrastrukturellen und sozialen Probleme über eine Modernisierung der Innenstadt begonnen wird nachzudenken, so sehen sich die Planer einer Stadt gegenüber, deren Zentrum verdichtet bis fast auf die letzte verfügbare Parzelle bebaut ist und wo nur wenig Spielraum für strukturelle Veränderungen zu finden ist. Die Möglichkeiten der architektonisch-stadträumlichen Neuentwicklung dieses baulichen Umfelds müssen mühselig gesucht werden, und bauliche Planungen können gewissermaßen nur in die noch nicht besetzten Zwischenräume der Stadt integriert werden. Die Modernisierung der Berliner Innenstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist eine Baustelle mit vielen Gesichtern, die kaum den Eindruck vermittelt, als würden die notwendigen Baumaßnahmen untereinander abgestimmt sein. Das Bauen dieser Zeit im Berliner Zentrum sucht sich den Weg des geringsten Widerstands, und so glaubt man, der Verkehrsprobleme Herr zu werden, indem durch den Bau von U-Bahnen der Verkehr in den Untergrund verlegt wird, das Wohnungs- und Siedlungsproblem wird auf verfügbare Flächen an den Stadtrand gedrängt, und eine Modernisierung des baulichen Bestands findet in späteren Jahren durch Aufstockung und Umbau bestehender Bauten statt. Für alle Gestaltungsprozesse im Berlin des frühen 20. Jahrhunderts ist eine Auseinandersetzung mit dem baulichen Bestand unumgänglich, und die baulichen Parameter dieses Gebäudebestands bestimmen in großem Maße das Veränderungspotenzial der Stadt. Die Schilderung der bauliche Entwicklung Berlins im 19. Jahrhundert trägt in diesem Zusammenhang ebenso zum Verständnis des Modernisierungsprozesses der 1920er Jahre bei, wie die zuvor thematisierten Gestaltungspraktiken an den Fassaden.

Die in Folge der Industrialisierung und der gesteigerten Bedeutung als Hauptstadt rasch expandierende Stadt Berlin wird für den starken Einwohnerzuwachs in Eile, monoton und billig ausgebaut. Es entsteht das „steinerne Berlin“75, wie es Werner Hegemann treffend nennt, eine hochverdichtete Stadt, in der es keine Zeit und zunächst auch nur wenig politisches Interesse gibt, das Wachstum in eine verträgliche Bahn zu lenken. Die entstehenden Wohnhäuser sind in ihrem Aufbau derart beschaffen, dass die Baupolizeiordnung lediglich regelt, welche Teile der tiefen Parzellen nicht bebaut werden dürfen. Die Folge ist eine extreme Ausnutzung der Grundstücke und eine ungezügelte Spekulation. Der Bebauungstyp der „Mietskaserne“

versiegelt fast gänzlich das Stadtgebiet, eine Form des Wohnungsbaus, die sich durch optimierte Flächenausnutzung auszeichnet und weniger durch Wohn- und Gestaltqualitäten, wie es auch bereits von Zeitgenossen wahrgenommen wird. Bereits in den 1880er Jahren beschreibt der Architekt Hugo Licht das im Wesentlichen auf Spekulation beruhende Bauwesen der Stadt folgendermaßen:

75 In Anspielung auf den Titel des gleichnamigen Buchs von Werner Hegemann: Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt, Berlin 1930, 4. Auflage, geringfügig gekürzt, Braunschweig 1988

„...Nachdem Berlin zur Hauptstadt des neuen deutschen Reiches erhoben, gewann auch die Bauthätigkeit des Staates naturgemäß eine größere Ausdehnung. Alte Gebäude, die ihren Zwecken nicht mehr genügten, wurden umgebaut und erweitert, und eine stattliche Anzahl imposanter Neubauten – die Bank, die Post, die Münze, das auswärtige Amt u.a.m. – speziell für die Bedürfnisse des neuen staatlichen Organismus aufgeführt. Die ungewohnte Pracht der privaten Bauthätigkeit ist dabei von Einfluss auf die des Staates gewesen. Die frühere Sparsamkeit, welche Jahrzehnte lang die bindende Richtschnur der Staatsbaumeister war, wich einer soliden Opulenz, die sich zunächst in der Verwendung echter Materialien äusserte.

Ein Faktor, der an der baulichen Entwicklung Berlins mitwirken half, war der enorme Zuzug von auswärts. Für die neuen Ankömmlinge mussten Wohnungen geschaffen werden, und so erhoben sich in kurzer Frist ganze Straßenzüge und Häuserviertel, die in ihrer Anlage den Zugang von Licht und Luft, wenigstens von außen her, begünstigten.

Leider hat auf diesen Zweig der privaten Bauthätigkeit der neue künstlerische Aufschwung der Berliner Architekten keinen Einfluss geübt. Die zu tausenden entstandenen Miethshäuser haben sich in keiner Weise von dem seit anderthalb Jahrhunderten in Berlin herrschenden

„Miethskasernenstil“ emancipirt. Nur an der reicheren Anwendung von Stuckfiguren und – ornamenten an den Fassaden merkt man, dass seit einem Jahrzehnt eine neue Zeit hereingebrochen. Die seltenen Versuche, die Anlage eines Miethshauses in wirklich künstlerischem Sinne zu lösen, (...) sind isolirt.“76

In den von Hugo Licht beschriebenen baulichen Voraussetzungen und den strukturellen Schwächen der Architektur und des Städtebaus liegen Gründe, warum gerade Berlin zur Projektionsfläche für eine moderne Umgestaltung der Stadt wird. Denn in vielerlei Hinsicht unterscheidet sich die verhältnismäßig junge und (zu) schnell gewachsene Stadt allein was die Ausdehnung angeht, aber auch hinsichtlich der Art und der Ausführung der Bauten, von den meisten Städten in Deutschland zu dieser Zeit. Die sich über Quadratkilometer ausdehnenden Quartiere aus den immergleichen Wohn- und Geschäftshäusern mit den charakteristisch austauschbaren Stuckfassaden mögen dazu beigetragen haben, dass die Stadt von den Architekten der Moderne auch als eine Art Experimentierfeld angesehen wurde, in dem jeder Neubau und jede Überformung eine Verbesserung des baulichen Bestands bedeutet.

Auf den ersten Blick ist die städtebauliche Entwicklung Berlins jedoch nicht so spezifisch, wie man zunächst glauben mag, schließlich sind die Grundlagen für diese Entwicklung hier wie in anderen Städten gleich und basieren auf dem sehr schnellen Wachstum in Zeiten der Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Jedoch vollzieht sich die Ausdehnung der Stadt hier in einer besonders rasanten Geschwindigkeit, denn es fallen die Folgen der Industrialisierung mit denen der Zentralisierung und der Gründung des Deutschen Reichs 1871

76Hugo Licht: Architektur Berlins, Sammlung hervorragender Bauausführungen der letzten Jahre, Berlin 1882, Einleitung

zusammen. Der hastige Bau der Groß- und Hauptstadt zum Ende des 19. Jahrhunderts führt zur Errichtung der „größten Mietskasernenstadt der Welt“, wie Werner Hegemann schlussfolgert.77 Das Stadtgebiet wird annähernd flächendeckend mit ein und demselben Gebäudetyp bebaut, dessen gestalterischer Hauptparameter sich nicht an den Interessen der Bewohner orientiert, sondern an der spekulativen Erwirtschaftung eines besonders hohen Gewinns. Die Gestaltform dieses Wohn- und Geschäftshaustypus wird zum Sinnbild des sozialpolitischen Debakels um die Bebauung von Berlin. Sie offenbart ein gesellschaftliches Ständeprinzip, nach dem sich nur der besser Gestellte eine gut belichtete Wohnung im Vorderhaus leisten kann, welches dann auch dementsprechend für die wohlhabende Bewohnerschaft auf der Fassade dekoriert wird.

Die Ornamentierung des schlichten Bautyps der Mietskaserne ist den besser gestellten Bewohnern der Häuser vorbehalten, die Gestaltung der übrigen Hoffassaden ist völlig zweitrangig. Das Prinzip der sozialen Ungleichheit, das in der Mietskaserne einen baulichen Ausdruck findet, wird schon zur Erbauungszeit kritisiert und führt zu einer starken Polemisierung und Ideologisierung des Wohnungsbaus bis über die 1920er Jahre hinaus. Die einseitigen Regelungen der Bauordnung und der Bebauungspläne führten zu einem innerstädtischen Bautyp, der gestalterisch keinen Spielraum zulässt und zugleich die Spekulation auf Wohnraum nach sich zieht. Die Verelendung der Stadtbevölkerung wird in der Folge von Kritikern mit der gestalterischen Armut der Stadt des 19. Jahrhunderts parallelisiert und angeprangert. Wie systematisch beispielsweise Hegemann in „Das steinerne Berlin“ die planungsrechtlichen und baulichen Defizite erläutert, zeigt sich im Subtext der Fotografien des Berlins des 19. Jahrhunderts mit seinen verschmutzten Hinterhoffassaden oder dem übertriebenen Prunk der Straßenfassaden als Sinnbild baulicher Verwahrlosung. Neben den Fakten über Bevölkerungsdichte und die Anzahl von Tuberkulosefällen in der Innenstadt setzen in Hegemanns Publikationen die Fassaden des Historismus das städtebauliche Elend in Szene und verfehlten ihre Wirkung nicht.78

Die systematische Demontage des baulichen Ornaments als Relikt einer fehlerhaften Stadtentwicklungspolitik und ihrer gesellschaftlichen Folgen vollzieht sich nach 1918 in einer ungeheuren Geschwindigkeit, indem vor allem historistische Fassadenansichten zur argumentativen Untermauerung herangezogen werden. Die Abneigung richtete sich dabei nicht unbedingt auf das Ornament als solches, schließlich wurden auch bei den Neugestaltungen der 1920er Jahre abstrakte Schmuckformen wie Bänderungen, Rahmungen und ähnliches entwickelt. Tatsächlich richtet sich die Abneigung besonders gegen die täuschende Instrumentalisierung von Gipsstuck als ein Mittel, Klassenunterschiede durch die hierarchische

77 Der zuvor genannte Titel des 1930 von Werner Hegemann veröffentlichten Buchs zur Stadtbaugeschichte Berlins weist im Untertitel auf „die Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt“ hin. Vgl. Werner Hegemann: Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt, Berlin 1930, 4. Auflage, geringfügig gekürzt, Braunschweig 1988

78 Beispielsweise in der Gegenüberstellung von Fassaden der Straßenseite und des dritten Hinterhofs in: Werner Hegemann: Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt, Berlin 1930, 4. Auflage, geringfügig gekürzt, Braunschweig 1988, S. 208

Bebauungsstruktur der Mietshäuser zum Ausdruck zu bringen. Dass aus einem einfachen Mietzinshaus durch den Fassadendekor ein vermeintlicher Palast werden konnte, wurde in der Folge von Kritikern wie Hegemann als ein schwerwiegender Schwindel angesehen.79 Die Verwendung von bestimmten Stilmitteln wurde mit Beginn der 1920er Jahre zunehmend als Versinnbildlichung eines defizitären Gesellschaftssystems verstanden, das sich in Teilen auch an der Entwicklung der Fassade des Berliner Mietshauses ablesen lässt. So gilt es an dieser Stelle zu beschreiben, warum die historistische Fassade sich in Berlin in der Form entwickelte, dass sie zum Inbegriff eines menschenunwürdigen Bauens werden konnte, als was sie spätestens seit Beginn der 1920er Jahre in der Kritik angesehen wurde.80 Dabei wird es zum einen von Interesse sein, die Entwicklung der Fassade im Kontext der Entstehung des Berliner Mietshauses zu betrachten. Zum anderen soll auch eingehender auf die konstruktiven Prinzipien des Fassadenbaus des 19. Jahrhunderts eingegangen werden.

2.2.1 Das Berliner Wohn- und Geschäftshaus und seine Fassade

Die großmaßstäbliche Bebauungsstruktur außerhalb der ehemaligen Festungsanlage Berlins geht im Wesentlichen auf königliche Bebauungspläne von J. C. Selter 1845, Planungen von Peter Josef Lenné und den „Bebauungsplan der Umgebungen Berlins“ von James Hobrecht aus dem Jahr 1862 zurück.81 Diese Bebauungspläne strukturieren die zu erschließenden Baugebiete vor, indem sie die Lage der Straßen vorzeichnen.82 Eine tatsächliche Aussage über die Art und Beschaffenheit der zu errichtenden Bebauung findet man in diesen Bebauungsplänen jedoch nicht. So werden denn auch die von den angelegten Straßen umschlossenen Blöcke nach den jeweiligen Besitzverhältnissen in Parzellen aufgeteilt und von Baugesellschaften, sogenannten Terraingesellschaften, spekulativ bebaut.

Während im 19. Jahrhundert also die Bebauungsstruktur größtenteils vorgegeben war, blieb die eigentliche Durchführung der Bebauung der Privatinitiative von Bauunternehmen und Grundstücksspekulanten überlassen, was zur Folge hatte, dass die vorhandenen Grundstücke maximal überbaut wurden, um möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften. Eine gewisse Regulierung der Bebauungsdichte wurde durch die Vorgaben der Baupolizeiordnung gegeben, welche eine Mindestgröße für Innenhöfe vorschrieb, damit die Spritzenwagen der Feuerwehr darin wenden konnten (vgl. Abb. 24). An wohnungshygienischen Maßgaben wie Belichtung

79 Der Begriff des „Schwindelhauses“ für ein reich ornamentiertes Haus des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird bereits von Paul Schultze-Naumburg verwendet, vgl. Paul Schultze-Naumburg: Kulturarbeiten, Bd. 1 Hausbau, München 1902, S. 18

80 Vgl. hierzu die Untersuchungen zur Stadthygiene, in denen der Bautyp zum sozialen Rang ins Verhältnis gesetzt wird, wie in Bruno Schwan: Die Wohnungsnot und das Wohnungselend in Deutschland, Berlin 1929

81 Wolf-Dieter Heilmeyer, Hartwig Schmidt: Berliner Hausfassaden, Berlin 1981, S. 6-7

82 Werner Hegemann bezeichnet die Bebauungspläne auch abschätzig als „Straßenpläne“, da sie über die Bebauung selbst keine Aussage treffen. Vgl. Werner Hegemann: Das steinerne Berlin. Geschichte der größten

Mietskasernenstadt der Welt, Berlin 1930, 4. Auflage, geringfügig gekürzt, Braunschweig 1988, S. 220

und Belüftung orientierten sich die Gesetzesvorgaben zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht, sie finden erst sehr allmählich Eingang in die Bauordnungsgesetzgebung. Als zuständige Behörde kontrolliert die Baupolizei die Einhaltung der Gesetzesvorschriften, die in erster Linie die Verträglichkeit der Bebauungen untereinander regulieren und die technischen und statischen Belange überprüfen. Diese Ordnungen, die im Abstand weniger Jahre novelliert werden und in Ausgaben von 1853, 1887 und 1897 existieren, regeln die Baufluchten zum öffentlichen Straßenland, die Abstandsflächen und Bauhöhen zur Nachbarbebauung hin und vor allem die Vorschriften des Brandschutzes. Sie greifen dagegen nicht aktiv in die individuelle Gestaltung der Grundrisse oder in die Gestaltung der Fassade ein.

S t r a ß e

24: Die Gestaltparameter des Berliner Mietshauses, die durch brandschutztechnische Anforderungen definiert werden. Die Mindestgröße eines Innenhofs wird mit 5,34m nach dem Wendekreis des Wagens der Feuerwehr bemessen. 83

Im Allgemeinen wird also der Fassadengestaltung von gesetzlicher Seite für das Bauvorhaben so gut wie keine Bedeutung beigemessen. Im Antragsverfahren der Bauvorhaben zu den meisten Häusern, die zum Ende des 19. Jahrhunderts entstehen, existiert außer einer skizzenhaften Andeutung der Fassadengestalt kein detailliert ausgearbeiteter Fassadenentwurf, wie zuvor bereits beschrieben. Nicht selten wird während der Bauarbeiten auch noch ein völlig neuer Stil für die Fassade vorgeschlagen und ausgeführt, je nachdem ob Barock, Renaissance oder Gotik gerade mehr auf dem Wohnungsmarkt gefragt sind und wie die Taxierung des Gebäudes durch die gesetzlich vorgeschriebene Feuerversicherung ausfällt. Denn das spezielle Vorgehen einer solchen Taxierung, bei der die Beleihung eines Hauses an den Gebäudewert nach Beendigung der Baumaßnahmen gekoppelt wird, führte dazu, dass die Fassaden besonders

83 Die Abbildung zeigt Grundriss und Querschnitt eines typischen Berliner Hauses, in: Werner Hegemann: Das steinerne Berlin, Nachdruck der Originalausgabe von 1930, Braunschweig 1979, S. 213: In der Erläuterung heißt es:

„Grundriss und Querschnitt eines typischen Berliner Hauses (mit 20 m Straßenfront und 3 Höfen von je 5,34 m im Quadrat), wie es nach der von 1853 bis 1887 geltenden, vom preußischen Staat verfassten Berliner Bauordnung gebaut wurde. In sieben bewohnbaren Geschossen konnten (bei 1,5 bis 3 Personen in jedem Zimmer von 15 bis 30 qm und ohne Belegung der Küchen) 325 bis 650 Menschen untergebracht werden. Die beiden 56 m langen

Seitenwände sind natürlich fensterlose Brandmauern. (In der Ackerstraße 132 wohnten lange über 1000 Menschen.)“

prunkvoll ausformuliert wurden, um einen möglichst hohen Wert zu erzielen.84 Auf diese Weise kommt es dazu, dass „der Wunsch der Bauherren, den für die Beleihung ihres Hauses maassgebenden Feuerkassenwerth desselben möglichst hoch zu treiben, sie demzufolge vielfach verleitet, die Tiefe des Vorderhauses über das Bedürfnis hinaus zu steigern und im Ausbau des Hauses einen an sich überflüssigen Luxus zur Schau zu stellen.“85

Das Verfahren der Taxierung verdeutlicht, welche recht banalen Gründe teilweise für die Gestaltung von Fassaden im 19. Jahrhundert ausschlaggebend waren und in welcher relativen Beliebigkeit die Fassadengestaltungen entwickelt wurden. Auch im Bauablauf ist die Entkoppelung von Fassade und Baukörper schon durch die Regelungen der Baupolizei vorgegeben, schließlich setzt sie den Beginn der Putzarbeiten an der Fassade erst nach der Abnahme des Rohbaus an, so dass für eine gestalterische Umentscheidung bis zu diesem Termin durchaus genügend Zeit vergeht. Im Genehmigungsverfahren musste lediglich die Zeichnung einer Fassadenachse vorgelegt werden, die häufig nur die ungefähre Dekorgestaltung zeigte. Um einen Bau genehmigen zu lassen, genügte die Vorlage von Grundrissen, einer schematischen – mehr konstruktiven - Ansichtszeichng und konstruktiver Schnitte, so dass die Baugenehmigung vielfach nach einer Art Rohbauzeichnung erteilt wurde. Dieses mangelhafte Antragsverfahren wurde erst mit der neuen Bauordnung von 1925 aufgehoben, nach der es Pflicht wurde, „Ansichten der Gebäudeseiten, die von der Straße, Plätzen oder anderen öffentlichen Verkehrsflächen sichtbar werden nebst den Anschlüssen der benachbarten Gebäude...“ darzustellen.86

Die bis in die 1920er Jahre für Baugenehmigungsverfahren recht unbedeutende Fassadengestaltung nimmt mit ca. 0,5% an der Gesamtkostenbilanz eines Bauvorhabens eine sehr untergeordnete Stellung ein.87 Ihre Bedeutung liegt für den Bauunternehmer und Eigentümer einzig in der Zurschaustellung oberflächlichen Prunks für eine höhere Rendite.

Trotzdem ist die Fassade des Wohn- und Geschäftshauses auch Gestaltungsprinzipien unterworfen, die sich zum einen aus den Fakten des Rohbaus, seinen Maßen und Proportionen ergeben, die zum anderen auch einen Zeitgeschmack für bestimmte Stilelemente und Formen widerspiegeln. Bei Betrachtung der Grundrisse typischer Wohnhäuser des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird deutlich, dass aufgrund der festgelegten Bebauungsstruktur mit immer wiederkehrenden Maßverhältnissen der gestalterische Spielraum für eine Fassadengestaltung sehr begrenzt ist (vgl. Abb. 24). Die Abmessungen der Fassadenmaße ergeben sich aus der Parzellenstruktur und der vorgegebenen Bebauungshöhe von maximal 22 Metern, welche durch

84 Architekten- und Ingeniuerverein zu Berlin (Hg.): Berlin und seine Bauten, Berlin 1896, S. 448, nach: Wolf-Dieter Heilmeyer, Hartwig Schmidt: Berliner Hausfassaden, Berlin 1981, S. 8

85 Vereinigung Berliner Architekten (Hg.): Verhandlungen über die Frage der Arbeiterwohnungen in Berlin, 1891, S.

37; zit. nach: Robert Pick: Das Berliner Massenmiethaus, Diss. TU Berlin, 1993, S. 62

86 Walter Koeppen: Bauordnung für die Stadt Berlin vom 3. Nov. 1925, für den Handgebrauch, Berlin 1927, §2b, Bauzeichnungen, S. 4

87 Die Kosten-Nutzen-Relation der Fassaden gegenüber dem Gesamtbau hat Robert Pick sehr präzise aufgeschlüsselt:

Robert Pick: Das Berliner Massenmiethaus, Diss. TU Berlin, 1993, S. 67-70

die längste Feuerwehrleiter markiert wird. Die kleinteilige Parzellierungsstruktur, die sich zum Ende des 19. Jahrhunderts in fast allen Bebauungsgebieten Berlins findet, geht auf die spekulative Landaufteilung von ehemals meist landwirtschaftlichen Flächen zurück.

25: Typengrundrisse Berliner Mietshausbauten, die den eingeschränkten Gestaltspielraum sowohl des Grundrisses wie auch des Aufrisses und der Fassade verdeutlichen.88

Ähnlich wie auf dem Kapitalmarkt, bedeutet die Realisierung einer geschlossenen Wohnbebauung auf der Grundlage von Spekulation, dass für einen anonymen Markt projektiert wird. Das Ergebnis manifestiert sich in der Architektur durch Flexibilität und Durchschnittlichkeit im Inneren bei gleichzeitig maximaler Ausnutzung des Bauterrains. So entstehen ganze Viertel binnen weniger Jahre und ihre Grundrisstypen lassen sich trotz der quantitativ hohen Zahl von Neubauten auf vier oder fünf Varianten eingrenzen. Die Grundrisse sind in einem Mittelgangprinzip entwickelt, wobei die Repräsentationszimmer zur Straße groß und variabel nutzbar sind, während die Zimmer zur Rückseite in den Hof gerichtet und damit meist nur schlecht belichtet sind.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass trotz der Monotonie im Inneren und dem geringen Handlungsspielraum für eine Fassadengestaltung die architektonische Entwurfsleistung in der zeitgenössischen Betrachtung zwar nicht als eigenständige schöpferische Leistung, wohl aber als eine handwerklich solide Arbeit eingeschätzt wird, wie der Architekt Hugo Licht 1882 die Baupraxis seiner Zeit charakterisiert.

88 Abb. aus: Architektenverein zu Berlin und Vereinigung Berliner Architekten (Hg.): Berlin und seine Bauten, Bd. 2 und 3, Hochbau, Berlin 1877; Abb. 650-652

„Wie unsere Kunst, unsere Wissenschaft, unsere Kultur im Allgemeinen keine bestimmt ausgeprägte Physiognomie besitzt, so hat sich auch unsere Architektur, die doch zumeist das Spiegelbild des öffentlichen Lebens ist, nicht an eine bestimmte Stilrichtung binden mögen. Wir leben – dafür sprechen so viele Anzeichen, dass auch der Zeitgenosse sich ein Urtheil darüber bilden darf – in einer Epoche der Gärung, des Übergangs, die zur Zeit wohl noch nicht einmal in der Klärung begriffen ist. Eine solche Zeit zersplittert erfahrungsgemäß ihre Kräfte allzu sehr, um sich zu einer charakteristischen Schöpfung, beziehungsweise zu einem individuellen Ausdruck ihrer Kunstthätigkeit, einem Kunststil, aufzuraffen. Alle Rufe nach einem solchen sind denn auch ungehört verhallt, etwaige Programme, die aufgestellt worden sind, ohne Nachfolge geblieben.

Nur das eine charakteristische Merkmal zeigt die neue Periode der Berliner Architektur, dass sich das Gros der jüngeren Architekten an die Renaissance in ihren drei hauptsächlichen Erscheinungsformen lehnt. Neben vielen anderen Berührungspunkten, die sich zwischen unserer Zeit und dem 16. Jahrhundert ergeben, ist diese ausgesprochene Vorliebe für die Renaissance einer der bedeutsamsten. Die Versuche, den gothischen Stil nach den Bedürfnissen der Neuzeit wiederzubeleben, die in anderen Städten gemacht worden, haben in Berlin keinen Boden gefunden.

Dem Zuge der Zeit entsprechend huldigen unsere Architekten einem ausgesprochenen Eklekticismus. Die verschiedenartigsten Renaissancemotive, wie sie die Baudenkmäler der italienischen Städte in lokaler Eigenthümlichkeit bieten, werden verwerthet und geschickt verwebt, so dass in den seltensten Fällen von einer direkten Nachahmung die Rede sein kann.

Es ist nicht zu leugnen, dass diese Art des künstlerischen Schaffens nicht von spontaner Inspiration getragen wird, dass vielmehr durch sie ein archäologischer, gelehrter Zug geht.“89

Neben den bautechnischen und wirtschaftlichen Gründen für die Fassadengestalt war – wenn es um die stilistische Ausformulierung der Fassade ging – offensichtlich der persönliche Geschmack des Auftraggebers oder Architekten ausschlaggebend. Die oben erwähnte Vorliebe für den Stil der Renaissance ist dabei deutlich auf die Jahre bis 1880 eingrenzbar und wandelt sich bis 1900 in eine Anwendung fast aller architektonischen Stile der mitteleuropäischen Baugeschichte.

Wie bereits angedeutet, wurde um die Verwendung eines Baustils spätestens seit Mitte des 19.

Jahrhunderts leidenschaftlich gerungen, wobei in all diesen Debatten auch stets sehr persönliche Vorlieben eine Rolle zu spielen scheinen, je nachdem, ob der Verfasser eher einem klassisch-antiken und damit auch einem Renaissancestil zugewandt ist, oder ob man sich eher mit vermeintlich deutschen Bautraditionen der Gotik oder des imperialen Barock identifiziert.

Betrachtet man den Zeitraum von 1860 bis 1900 als Periode der größten Bautätigkeiten, so

89 Hugo Licht: Architektur Berlins, Sammlung hervorragender Bauausführungen der letzten Jahre, Berlin 1882, Einleitung