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2. Methodische Vorgehensweise

2.2. Die Dokumentarische Methode der Interpretation als Analysemethode

Die in den Gruppendiskussionen erhobenen Daten wurden mit Hilfe der Dokumentarischen Methode der Interpretation ausgewertet. Diese geht ursprünglich auf Mannheim zurück, der in ihr eine Möglichkeit sieht, atheoretisch bereits Erfasstes begrifflich zu explizieren und auf diesem Wege ins Theoretische übersetzen zu können.

Laut Mannheim können Weltanschauungen, die sich in der Sprache ihrer Träger nieder-schlagen, auch für Nicht-Angehörige der entsprechenden konjunktiven Erfahrungsräume zugänglich werden. Dazu unterscheidet Mannheim zwischen drei Sinnebenen, die allem kulturell Geschaffenen – vom Kunstwerk bis zum menschlichen Handeln – zu eigen sind.

Neben dem für jeden gleichermaßen zugänglichen Objektsinn, mit dem bezeichnet ist, was etwas faktisch ist, beinhalten Kulturgebilde auch einen intentionalen Ausdruckssinn, der angibt, was der Schaffende bzw. Handelnde selbst mit seinem Tun verbindet. Als

32 Dokumentsinn versteht Mannheim hingegen jenen Sinngehalt, in dem sich die mit einem praktischen Handeln einhergehende Weltanschauung manifestiert. Um Kulturgebilde vollständig erfassen zu können, plädiert er dafür, alle drei Sinnebenen gleichermaßen zu berücksichtigen (Mannheim 1964, 1980).

„Unterläßt man nämlich den objektiv vorliegenden Sinn nach den erwähnten Richtungen hin zu transzendieren, so ist der Gegenstand im Falle der Natur noch immer erfaßbar, das Kulturgebilde bleibt aber sinnentleert“ (Mannheim 1964: 114).

Dabei besteht die Schwierigkeit des Interpretierens von Kulturgebilden darin, dass sich zunächst alle drei Sinnebenen als ein ineinander verwobenes Ganzes darstellen. Während allein die objektive Sinnebene für den Beobachter, Zuhörer oder Rezipienten direkt erfassbar ist, treten die übrigen beiden lediglich vermittelt über die objektive Sinnebene in Erscheinung (Mannheim 1964, 1980). Worauf es entsprechend bei der dokumentarischen Methode zur Interpretation kulturell hervorgebrachter Objekte ankommt, verdeutlicht Mannheim bezogen auf die sprachliche Ebene in folgendem Beispiel:

„Wenn ich den Ausdruck- oder Dokumentsinn der Rede meines Freundes verstehen will, so achte ich nicht so sehr auf den theoretischen Inhalt dessen, was er sagt, auf das ,Was’, sondern von Bedeutung wird mir zunächst, daß er gerade dies sagt (und nicht etwa einen anderen theoretischen Gehalt) und wie er es sagt“ (Mannheim 1964:137 [Hervorhebungen Im Original]).

Bohnsack entwickelt Mannheims dokumentarische Methode der Interpretation weiter und macht sie für die gegenwärtige qualitative Forschung fruchtbar, indem er unter anderem unterschiedliche, aufeinander aufbauende Analyseschritte ausformuliert (Bohnsack/

Schäffer 2001: 328ff.). Laut Bohnsack treten gemeinsame Orientierungen Angehöriger derselben konjunktiven Erfahrungsgemeinschaft im kommunikativen Miteinander insbe-sondere dann in Erscheinung, sobald der Diskurs eine gewisse Selbstläufigkeit erreicht. In diesem Fall kommt es zu einem „diskursive[n] Einpendeln auf Erlebniszentren, in denen der Fokus kollektiver Orientierung gefunden werden kann“ (Bohnsack 2005: 379 [Hervorhebungen im Original]). Dabei werden kollektive Orientierungen insbesondere im Rahmen so genannter Fokussierungsmetaphern erkennbar. Hierunter sind Passagen zu verstehen, die sich zum einen durch eine vergleichsweise hohe interaktive Bezugnahme der Beteiligten aufeinander auszeichnen. Dem, in diesen Passagen Thematisierten, schenkt die Gruppe damit ihre besondere Aufmerksamkeit, was darauf hinweist, dass es sich hierbei um etwas handelt, das im Hinblick auf den gemeinsamen, existentiellen Hintergrund der Gruppe von zentraler Bedeutung ist. Zum anderen zeichnen sich Fokussierungsmetaphern durch eine hohe metaphorische Dichte aus: In vergleichsweise

33 bildhaften Erzählungen und Beschreibungen werden gemeinsame Problemlagen der Gruppe, genauer gesagt aktuelle Handlungs- und Orientierungsprobleme, zum Ausdruck gebracht (Bohnsack 2005: 374f.; ebd. 2007: 42; ebd./ Schäffer 2001: 333).

Die dokumentarische Methode der Interpretation setzt sich aus vier Analyseschritten zusammen: Der formulierenden Interpretation, der reflektierenden Interpretation, der Diskursbeschreibung und der Typenbildung. Dabei entspricht die Unterscheidung zwischen formulierender und reflektierender Interpretation Mannheims Unterscheidung zwischen Objektsinn bzw. immanenten (wörtlichen) Sinn, der sich auf das Was bezieht auf der einen Seite und dem Dokumentsinn auf der anderen Seite, der sich auf das Wie bezieht und Aufschluss über die Weltanschauung einer Gruppe gibt. Entsprechend geht es in der formulierenden Interpretation darum, über das Herausarbeiten einer thematischen Struktur des Diskurses sowie über die inhaltliche Verdichtung der einzelnen Passagen zunächst einen umfassenden Überblick über den Diskursverlauf zu gewinnen und Fokussierungsmetaphern identifizieren zu können (Bohnsack 2007: 32ff., 64f.; Bohnsack/

Schäffer 2001: 333f.). Während damit im Rahmen der formulierenden Interpretation eher deskriptiv vorgegangen wird, zielt die reflektierende Interpretation dagegen auf das ab, was bereits laut Mannheim die dokumentarischen Methode auszeichnet: Die Ebene des Impliziten, in der sich gruppenspezifische Sinnmuster und Bedeutungsgehalte dokumentieren, explizit zu machen und im Zuge dessen den übergreifenden Orientierungsrahmen, innerhalb dem sich die Gruppe in einer spezifischen Art und Weise an einer Thematik abarbeitet, herauszuarbeiten. Dabei ist erstens die Diskursorganisation, das heißt die interaktive Bezugnahme der Beteiligten aufeinander sowie der Diskurs-verlauf mit einzubeziehen. Gegenstand der reflektierenden Interpretation ist zweitens, den metaphorischen Gehalt von Erzählungen und Beschreibungen zu entschlüsseln (Schäffer 2006: 289f.; Bohnsack/ Schäffer 2001: 333f.). Damit die herauszuarbeitenden gruppenspezifischen Orientierungsmuster an Kontur gewinnen, nimmt in dieser Phase der Analyse die Kontrastierung des Falles mit anderen Fällen einen hohen Stellenwert ein. In der Diskurs- oder Fallbeschreibung werden die zuvor einzeln analysierten Aspekte in einer Gesamtcharakteristik des Falls wieder zusammengeführt, wobei es vor allem auf die Explikation der herausgearbeiteten gemeinsamen Orientierungen der Gruppe ankommt.

Die in die Analyse miteinbezogenen Fälle gilt es schließlich im Hinblick auf unter-schiedliche Bedeutungsdimensionen zueinander in Bezug zu setzen. Dazu wird ein Fall – jeweils bezogen auf bestimmte Aspekte – verschiedenen Typiken zugeordnet und dabei

34 als Dokument und Beispiel der, ihm übergeordneten, Typologie betrachtet (Bohnsack 2007: 3.1.; Schäffer 2006:289f.).