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Die Deutsche Reichskrone, Schatzkammer Wien

2004-02-10 16-42-30 --- Projekt: T174.kum.klein.expositum / Dokument: FAX ID 016744562496596|(S. 177-203) T09_01 klein.kap8.p 44562497796

➔ EXPOSITUM – bebilderter Anhang 1 9 1

Beleg, Beleg des Symbols und Symbol

Die Krone ist nicht nur bildhaft, weil sie ein Exponat ist. Sie ist als Bild über-liefert worden, als konzentrierte, von ihren Urhebern bewusst geschaffene Darstellung hochmittelalterlichen Herrschaftsverständnisses. Die Wiener Schatzkammer zeigt also mit der Krone etwas, das immer schon zeigen sollte.

Vermutlich in den letzten Jahrzehnten des 10. Jahrhunderts wurde sie in verschiedenen Werkstätten angefertigt, wobei ein Einfluss byzantinischen Kunsthandwerks wahrscheinlich ist. Die oktogonale Form des Kronenkörpers ist einzigartig und spielt möglicherweise auf den Topos des Himmlischen Je-rusalems an. Darüber hinaus war die Zahl Acht ein Symbol für die Auferste-hung Christi und den Anbruch der Endzeit. Die Edelsteinplatten betonten den priesterlichen Charakter des Kaisertums. Die Krone belegt die Fertigkeit der Kunsthandwerker im 10. und 11. Jahrhundert, die Gültigkeit bestimmter For-men und Bilder, aber auch ein Denken, das weltliche und geistliche Herr-schaft, Reich und Kirche als zusammen gehörig begriff. Als Reichsinsignie wurde die Krone schon im Mittelalter als besonders bedeutungsreiches Ob-jekt aufgehoben und gezeigt. Sie ist daher ein Exponat, das seine eigene Ge-schichte als Exponat bezeugt. Erst 1806, mit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, verlor die Krone ihre kultische Funk-tion.

Adolf Hitler ließ die Krone 1938 in die Katharinenkirche zu Nürnberg brin-gen. Dadurch wollte er seine Herrschaft im Glanz des idealisierten, mittelal-terlichen Reiches erstrahlen lassen. Heute ist die Krone eine der Attraktionen Wiens. Neben ihre mittelalterlichen Bedeutungen sind moderne Bedeutun-gen getreten. Die Krone steht für die Macht der Tradition, die Kontinuität der Geschichte, die Touristenstadt Wien, die Faszination des Werkstoffs Gold und vieles andere mehr.

2004-02-10 16-42-30 --- Projekt: T174.kum.klein.expositum / Dokument: FAX ID 016744562496596|(S. 177-203) T09_01 klein.kap8.p 44562497796

A l e x a n d e r K l e i n Expositum 1 9 2

Der Zug der Tiere, La Grande Galerie de l’Evolution, Paris

2004-02-10 16-42-31 --- Projekt: T174.kum.klein.expositum / Dokument: FAX ID 016744562496596|(S. 177-203) T09_01 klein.kap8.p 44562497796

➔ EXPOSITUM – bebilderter Anhang 1 9 3

Inszenierung über Exponate

Beim Zug der Tiere handelt es sich um die zentrale Inszenierung der Grande Galérie de l’Evolution, der traditionsreichen, auf das 17. Jahrhundert zurück-gehenden zoologischen Sammlung der Bourbonen, die 1994 in völlig neuer Architektur und Gestaltung wiedereröffnet wurde. Die Inszenierung kommt ganz ohne Kulissen aus; sie entsteht durch Auswahl und Arrangement der Exponate selbst. Licht- und Audioeffekte dramatisieren die Erschließung des Ausgestellten durch den Besucher. Dicht gedrängt scheinen die Tiere einem gemeinsamen Ziel zuzulaufen. Auf eine unaufdringliche Weise stellt sich die Assoziation der Arche Noah ein. Dieser vorwissenschaftliche Topos verbindet sich mit der Vorstellung vom Zug des Lebens, der die Darwinsche Evolutions-theorie poetisch illustriert, auch wenn der Fortgang der Evolution gar nicht dargestellt ist, sondern nur die Vielfalt des Lebendigen gezeigt werden soll.

Die Zusammenballung der Tiere widerspricht dem Verhalten der Tiere in der Natur. Andererseits wirkt der Zug natürlich, weil er ein notwendiges Na-turgeschehen, die Auffaltung des Lebendigen in unzählige Varianten, in eine räumliche Symbolik umsetzt.

2004-02-10 16-42-31 --- Projekt: T174.kum.klein.expositum / Dokument: FAX ID 016744562496596|(S. 177-203) T09_01 klein.kap8.p 44562497796

A l e x a n d e r K l e i n Expositum 1 9 4

Bisonjagd in den Great Plains, Übersee-Museum, Bremen

Der dramatische Moment

Dieses Großdiorama hält einen dramatischen Moment fest: Ein berittener In-dianer hält inne und konzentriert sich, bevor er seine Lanze in die Seite eines Bisons stößt. Die bemalten Wände fügen die Szene in die Prärielandschaft ein und verleihen der Szene räumliche Tiefe.

Großdioramen dieser Art sind vor allem in amerikanischen Natur- und Völkerkundemuseen häufig anzutreffen. Ihr besonderer Reiz besteht darin, dass sie nicht nur das Leben in einer versunkenen Welt veranschaulichen, sondern auch eine Situation, eben einen dramatischen Moment abbilden. Sie sind ein Stück gestellte Wirklichkeit, von dem man annimmt, es sei einer ech-ten, Vorbild gebenden Situation ähnlich. Die Situation wird quasi eingefroren und verewigt. Etwas von Natur aus Flüchtiges, sich selbst Vorantreibendes wird permanent beobachtbar und – indem es dem Blick preisgegeben wird – auch partiell beherrschbar.

Dafür wird aber auch ein hoher Preis gezahlt: Die Wirklichkeit wird in das Format einer Bühne gepresst und dadurch festgestellt. Diese Zeigetechnik ist dem Aufspießen von Schmetterlingen nicht unähnlich. Jede Art von Exponat verlangt nach einer Rahmung von Wirklichkeit, das heißt einer geistigen Ein-grenzung von Wirklichkeit. In diesem Fall fällt der geistige Rahmen mit einem sichtbaren Rahmen zusammen. Das Bild der Vergangenheit wird tatsächlich durch ein Bild vermittelt.

2004-02-10 16-42-31 --- Projekt: T174.kum.klein.expositum / Dokument: FAX ID 016744562496596|(S. 177-203) T09_01 klein.kap8.p 44562497796

➔ EXPOSITUM – bebilderter Anhang 1 9 5

Sauriergelege, Naturmuseum Senckenberg, Frankfurt a.M.

Naturgeschichtliches

Streng genommen handelt es sich bei diesen Exponaten nicht um Eier, son-dern um Steine. Freilich, die Form der Steine lässt erkennen, dass sie einst aus zerbrechlichen Eiern hervorgegangen sind. Aber was vor Urzeiten einmal zerbrechliches Ei war, ist zu festem Stein geworden.

Das zu Stein gewordene Gelege von Dinosaurier-Eiern wurde in China ge-funden. Man weiß nicht, von welcher Dinosaurierart es stammt. Ohne den menschlichen Betrachter wären die steinernen Eier nur Material. Der Natur war es gleichgültig, was sie hervor brachte und was da unter die Erde kam.

Erst der Mensch hat aus versteinerten Spuren eine Geschichte herausgele-sen. Insofern ist das Exponat ein sehr menschliches Exponat. Es lässt an Friedrich Schellings Ausspruch denken, dass die Natur im Menschen die Au-gen aufschlägt und sich selbst erblickt. Der Mensch ist das Resultat einer na-türlichen Entwicklung. Umgekehrt ist der denkende Mensch aber auch Vor-aussetzung der Natur, insofern diese Begriff und Vorstellung ist. Dies begreif-lich zu machen, ist ein besonderes Potenzial naturhistorischer Exponate.

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A l e x a n d e r K l e i n Expositum 1 9 6

Der Rodeo-Kreisel, Technorama, Winterthur (Schweiz)

Exponat hinter den Exponaten

Der Besucher kann auf diesem Kreisel wie auf einem Rodeo-Pferd reiten. Er erfährt am eigenen Leib die Wirkung dieses Exponates und macht eine para-doxe Erfahrung: ein toter Gegenstand benimmt sich so, als wäre er lebendig, er scheint bockig und unberechenbar zu sein. Gerade diese paradoxe Erfah-rung sensibilisiert für zwei Bauprinzipien unserer Welt, die Zentrifugalkraft und die Schwerkraft, welche die eigentlichen, freilich unsichtbaren Exponate

»hinter« dem Rodeo-Kreisel sind. Die Geltung dieser Naturgesetze kann an ihrem Vollzug demonstriert und begreiflich gemacht werden. Dadurch wer-den die Grenzen von Ausstellung und Wirklichkeit relativiert. Denn die De-monstration der Naturgesetze verweist ja nicht auf die Welt außerhalb der Ausstellung, sondern macht deutlich, dass auch die Ausstellung ein Teil der Welt ist.

Die intensive körperliche Erfahrung des Besuchers bildet Anknüpfungs-punkte für die Aufnahme von Wissen. Das Selbstverständliche der physikali-schen Kräfte wird unselbstverständlich und macht dadurch neugierig. In gu-ten Science Centres wird die Begegnung mit dem Exponat zur persönlichen und körperlichen Erfahrung und schließlich auch zum Nährboden für neues Wissen.

2004-02-10 16-42-33 --- Projekt: T174.kum.klein.expositum / Dokument: FAX ID 016744562496596|(S. 177-203) T09_01 klein.kap8.p 44562497796

➔ EXPOSITUM – bebilderter Anhang 1 9 7

Camera Virtuosa, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe

Persönlichkeitsspaltung

Bruno Cohens Medieninstallation lässt den Besucher für sich selbst zum Fremden werden – zu einem Fremden, mit dem er Experimente macht. Die Er-scheinung des eigenen Körpers wird in »Echtzeit« auf eine miniaturisierte Theaterbühne projiziert. Das gleichfalls miniaturisierte Alter Ego auf der Büh-ne bewegt sich synchron mit dem Besucher selbst. Dieser kann seiBüh-ne eigeBüh-ne Repräsentation durch die Bühne bewegen, indem er sich selbst bewegt, wo-bei er zunächst nicht merkt, wie er anfängt, in »seiner« Wirklichkeit lächerlich und deplatziert zu wirken, während er die Steuerung seines Bildes durch die synthetische Wirklichkeit der Bühne immer besser beherrscht.

Die Installation führt zu einer sehr weit gehenden Integration des Besu-chers in die synthetische Welt des Ausgestellten. Zum anderen vermittelt sie eine paradoxe, tendenziell schizoide Erfahrung. Die epische und die dramati-sche Perspektive fallen zusammen: Man ist nicht nur agierender Teil eines Ganzen – des Bühnenstücks –, sondern sieht sich auch als Teil dieses Gan-zen, was aber voraussetzt, dass man nicht restlos in diesem Ganzen aufge-gangen ist. Die Tendenz der Hypermedien, die Grenze zwischen Benutzer und Medium aufzuheben und ihn zu integrieren, wird hier ironisch gebrochen.

2004-02-10 16-42-34 --- Projekt: T174.kum.klein.expositum / Dokument: FAX ID 016744562496596|(S. 177-203) T09_01 klein.kap8.p 44562497796

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