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3. UNTERSUCHUNGSANLAGE UND -METHODE

3.1. DIE DATENBASIS: DAS BUNDESZENTRALREGISTER

Als Datenbasis für die Rückfalluntersuchungen 1994 – 1998 und 2004 – 2007 dienen die Daten des Bundeszentralregisters. Im Bundeszentralregister lassen sich u. a. alle straf-gerichtlichen Entscheidungen deutscher Gerichte finden (§ 3 BZRG). Dazu gehören alle rechtskräftigen Verurteilungen bei denen eine Strafe wie Freiheits-, Jugend- oder Geldstrafe (§ 4 Nr. 1 BZRG)92 angeordnet oder eine Verwarnung gem. § 59 StGB (gem.

§ 4 Nr. 3 BZRG) bzw. ein Schuldspruch gem. § 27 JGG (§ 4 Nr. 4 BZRG) ausgesprochen wird. Auch Fälle in denen eine Maßregel der Besserung und Sicherung93 angeordnet wurde werden im Zentralregister registriert, egal, ob der Delinquent verurteilt (Eintragung gem. § 4 Nr. 2 BZRG) oder aufgrund von Schuldunfähigkeit (Eintragung gem.

§ 11 BZRG) abgeurteilt wurde.94

Entscheidungen, die gegen Jugendliche und Heranwachsende ergehen, werden – sofern sie nicht in das Zentralregister einzutragen sind (Jugendstrafe und Schuldspruch gem.

27 JGG) – ins Erziehungsregister eingetragen95. Dazu gehören gem. § 60 BZRG:

 die Anordnung von Maßnahmen bei mangelnder Reife(§ 3 S. 2 JGG),

 Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, Nebenstrafen oder Nebenfolgen,

Schuldsprüche, die nach erfolgreicher Bewährung aus dem Zentralregister getilgt wurden oder in eine Entscheidung einbezogen wurden, die ins Erziehungsregister einzutragen ist,

 Überweisung an einen Familienrichter bzw. Anordnungen und Entscheidungen des Familien- oder Vormundschaftsgerichts (§ 3 Satz 2 JGG)

 sowie Diversionsentscheidungen96(§§ 45, 47 JGG).

Die Übermittlung der Daten kann je nach Mitteilungsart durch Verwaltungs-, Strafver-folgungs- oder Vollstreckungsbehörden bzw. Gerichte erfolgen (vgl. § 1 der allgemeinen

92 Vermögensstrafe (§ 43a StGB), Verlust der Amtsfähigkeit, Wählbarkeit und des Stimmrechts (§ 45 StGB) sowie das Fahrverbot (§ 44 StGB) sind ebenfalls einzutragen, werden aber hier nicht einzeln aufgezählt werden, denn sie können nur in Verbindung mit einer Freiheits- oder Geldstrafe verhängt werden.

93 Maßregeln der Besserung und Sicherung (gem. §§ 61 ff. StGB) umfassen die freiheitsentziehenden Maßregeln (Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus, in der Entziehungsanstalt und Sicherungsverwahrung) sowie die Führungsaufsicht, die Entziehung der Fahrerlaubnis und das Berufsverbot. Sie können isoliert oder in Verbindung mit einer Strafe angeordnet werden (§§ 71, 72 StGB).

94 Im Bundeszentralregister sind auch Suchvermerke und Entscheidungen von Verwaltungsbehörden und Gerichten (§ 10 BZRG) einzutragen. Diese sind aber für die vorliegende Untersuchung nicht relevant und nicht erfasst worden.

95 Erfolgt die Anordnung von Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln oder Nebenstrafen und Nebenfolgen des Jugendstrafrecht in Verbindung mit einem Schuldspruch, einer Jugendstrafe oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung so ist sie in das Zentralregister einzutragen (vgl. § 5 Abs. 2 BZRG).

96 Hier ergibt sich eine wichtige Differenz zwischen dem Zentralen- und dem Erziehungsregister bzw.

zwischen StGB und JGG: Während Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft (§ 45 JGG) oder den Richter (§ 47 JGG) im Erziehungsregister einzutragen sind, werden Verfahrenseinstellungen im Erwachsenenstrafrecht (§ 153 StPO) nicht im Zentralregister eingetragen.

Verwaltungsvorschrift des Bundeszentralregistergesetzes [BZRGVwV vom 16. Dezember 2008]). Gemäß § 3 BZRGVwV müssen diese Mitteilungen über Entscheidungen und andere Tatsachen elektronisch oder unter Verwendung eines Vordrucks des Bundes-zentralregisters binnen eines Monats erfolgen. Zum Zeitpunkt der ersten Erhebungswelle (1994 – 1998) erfolgten die Meldungen zum Bundeszentralregister in erster Linie schrift-lich. Mittlerweile regelt § 4 BZRGVwV, dass die Übermittlung der Daten auf elektro-nischem Wege vorgenommen werden muss und nur ausnahmsweise schriftlich erfolgen kann. Für die Mitteilung sind jeweils sogenannte (Text-)Kennziffern und normierte Texte zu verwenden97. Das Bundeszentralregister unterscheidet zwischen Erstmitteilungen und nachträglichen Mitteilungen. Auch bei nachträglichen Mitteilungen sind Personen- und Entscheidungsdaten der Erstmitteilung zu übermitteln; diese Daten gewährleisten die richtige Zuordnung von nachträglichen Entscheidungen. Wird eine neue Entscheidung zum Bundeszentralregister gemeldet, wird zunächst ihre Richtigkeit (Konsistenz) geprüft, bei korrekten Meldungen wird im zweiten Schritt ermittelt, ob für die betreffenden Per-sonen bereits Eintragungen vorliegen. Falls dies der Fall ist, wird die neue Entscheidung an den vorhandenen Personendatensatz angeknüpft. Ist dies nicht der Fall, wird ein neuer Personendatensatz erzeugt.

Folgende Daten sind gem. § 5 BZRG zur Person und zur Entscheidung selbst bei jeder Meldung anzugeben:

Daten zur Person: 98

 Name, Vorname,

 Geburtsname,

 Geburtsdatum,

 Geschlecht,

 Geburtsort,

 Nationalität,

 Anschrift.

Zur Entscheidung und zur Tat sind u.a. einzutragen:

 Entscheidende Stelle,

 Datum des 1. Urteils,

 Datum der Rechtskraft,

 Aktenzeichen,

 Art und Umfang der verhängten Strafe sowie alle Maßregeln, Maßnahmen und Nebenfolgen,

 Datum der letzten Tat,

 rechtliche Bezeichnung der Tat sowie Aufzählung der angewendeten Straftat-bestände.

97 Eine Übersicht findet sich in Uhlig (1985). Dort sind die Textkennziffern und der Inhalt der Mitteilung zum Bundeszentralregister sowie der Inhalt des normierten Textes, wie er später in den Registerauszügen erscheinen aufgeführt.

Genau Anweisungen für die Erstellung von Mitteilungen zum Bundezentralregister gibt die Richtlinie nach §§ 4 Abs. 2 und 11 Abs. 3 Satz 3 der Verwaltungsvorschrift zum Bundeszentralregister (Bundesamt der Justiz).

98 Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurden für die Legalbewährungsuntersuchung nur Geschlecht, Nationalität und Geburtsdatum (Monat, Jahr) übermittelt. Die Identität einer Person wird in einer Probandennummer abgebildet.

Als Informationen zu nachträglichen Entscheidungen und Tatsachen sind z.B.

einzutragen:

 Aussetzung der Strafe bzw. des Strafrests zur Bewährung (gem. §§ 56, 57, 57a StGB; §§ 21, 88 JGG sowie im Gnadenwege, §§ 35, 36, 38 BtMG),

 bei § 56 StGB und § 21 JGG Dauer der Bewährungszeit,

 Ende und ggf. auch Abkürzung und Verlängerung der Bewährungszeit,

 Unterstellung bzw. Aufhebung der Bewährungsaufsicht,

 ggf. Widerruf,

 Straferlass bzw. Erledigung der Vollstreckung,

 (Frist-)Änderungen zu Maßregeln der Besserung und Sicherung.

3.1.2. Tilgungsfristen

Für einen bestimmten Zeitraum werden die o.g. Entscheidungen im Zentral- oder Erzie-hungsregister gespeichert. Nach Ablauf einer gesetzlich festgelegten Tilgungsfrist (§ 46 BZRG) werden die Datensätze im Bundeszentralregister gesperrt. Sie sind damit nicht mehr für Auskünfte zugänglich, bleiben aber noch für ein Jahr (Überliegefrist) im Zentralregister gespeichert. Erst dann werden sie endgültig aus dem Register gelöscht (§ 45 BZRG).99Liegen mehrere Eintragungen für dieselbe Person vor, wird erst dann ge-tilgt, wenn alle Eintragungen Tilgungsreife erlangt haben (vgl. § 47BZRG).

Durch die Art der Strafe wird die Länge der Tilgungsfrist für eine einzelne Entscheidung im Zentralregister bestimmt. Sie beträgt je nach Schwere der Sanktion fünf, zehn, fünf-zehn oder zwanzig Jahre, wobei sich die Tilgungsfrist bei Freiheits- und Jugendstrafen jeweils um die Dauer der Strafe verlängert.

Aus Gründen der Resozialisierung hat der Gesetzgeber für das Erziehungsregister dar-über hinaus besondere Tilgungsvorschriften (vgl. § 63BZRG) geschaffen. So sind alle Ein-tragungen im Erziehungsregister zu tilgen sobald ein Heranwachsender das 24. Lebensjahr erreicht hat, wenn keine Eintragung im Zentralregister vorliegt (vgl.

genauer Kapitel 3.2.3).

3.1.3. Würdigung des Bundeszentralregister Datensatzes

Durch die bundesweite personenspezifische Dokumentation aller strafrechtlichen Ver- und Aburteilungen bietet der Bundeszentralregisterdatensatz eine einmalige Daten-grundlage für die umfangreiche Untersuchung der Rückfälligkeit nach strafrechtlichen Sanktionen. Die personenspezifische Verknüpfung der einzelnen Eintragungen macht es möglich – ausgehend von einem bestimmten Bezugspunkt – retrospektiv Vorein-tragungen und prospektiv mögliche FolgeeinVorein-tragungen eines Straftäters zu erfassen.

Trotzdem lassen sich bereits an dieser Stelle einige Defizite erkennen, die die wissenschaftlichen Auswertungsmöglichkeiten begrenzen:

 Relativ kurze Tilgungsfristen schränken den möglichen Beobachtungszeitraum ein (vgl. dazu genauer 3.2.1) und können in Fällen in denen lange Zeiträume der Legal-bewährung zwischen den einzelnen Registrierungen eines Straftäters vergehen dazu führen, dass keine Gesamtbetrachtung der kriminellen Karriere möglich ist.

99 Auf besonderen Antrag können Verurteilungen auch früher aus dem Zentralregister getilgt werden (vgl. §§ 48, 49 BZRG)

 Nicht alle strafrechtlichen Reaktionsformen werden im Bundeszentralregister auf-gezeichnet. Die Opportunitätsentscheidung bei Erwachsenen gem. §§ 153, 153a StPO werden nicht ins Zentralregister eingetragen. Ganz im Gegensatz zu den Diversionsentscheidungen gem. §§ 45, 47 JGG im Jugendstrafrecht, die im Erzie-hungsregister erfasst werden. Hieraus ergibt sich eine Ungleichbehandlung von Er-wachsenen und nach StGB verurteilten Heranwachsenden gegenüber Personen bei denen nach Jugendstrafrecht von der Verfolgung abgesehen oder das Ver-fahren eingestellt wird.

 Zudem sind anhand der erhobenen Daten über das Entscheidungs- bzw.

Rechtskraftdatum und die Entlassung in Freiheit bei stationären Sanktionsformen100 hinaus keine exakten Aussagen zur Strafvollstreckung möglich.

Es lässt sich wenig bis nichts zum tatsächlichen Vollstreckungsverlauf bzw. zu den tatsächlichen Vollstreckungsmodalitäten aussagen, da insbesondere Angaben zur Anrechnung ggf. verbüßter Untersuchungshaft, das Datum des tatsächlichen Strafantritts bei unbedingt verhängten sowie widerrufenen straf(rest)ausgesetzten Freiheits- und Jugendstrafen und ggf. verbüßte Ersatzfreiheitsstrafe oder geleistete gemeinnützige Arbeit nach Verurteilung zu Geldstrafe fehlen.

 Darüber hinaus werden bestimmte Variablen, die sich in der kriminologischen For-schung z.T. als relevant für die Rückfallprognose erwiesen haben, bei der Ein-tragung im Bundeszentralregister nicht erhoben. Hier sind sowohl soziodemographische Personenmerkmale, die über Alter, Geschlecht und Nationalität hinausgehen, wie Familienstand, Migrationshintergrund101 etc., aber auch Informationen zur Tatbegehung und Tatschwere zu nennen. So werden z.B.

keine Angaben über das Opfer oder die Schadenshöhe erhoben. Man kann also nur Näherungsweise anhand des abstrakten Strafrahmens bzw. der tatsächlichen Sanktionsanordnung auf die Schwere der begangenen Tat schließen.102 Als besonders nachteilig erweist sich die Tatsache, dass Informationen über Ausweisungen / Abschiebungen von registrierten Nichtdeutschen nicht dokumen-tiert werden. Dies führt dazu, dass die Rückfallhäufigkeiten der nichtdeutschen Straftäter deutlich unterschätzt werden (vgl. ausführlicher Abschnitt 5.1.3).

100 Selbst der Zeitpunkt für die Entlassung aufgrund eines Strafrestaussetzungsbeschlusses nach Verbüßung einer Jugend- oder Freiheitsstrafe oder stationären Maßregel der Besserung und Sicherung ist nicht exakt zu erfassen.

101 In anderen staatlichen Registern, wie z.B. in den bundeslandspezifischen Polizeiregistern werden weiterführende soziodemographische und -ökonomische Daten wie z.B. „Konsument harter Drogen“

oder „ohne festen Wohnsitz“ aufgenommen, die dann entsprechend auch in den amtlichen Statistiken der Strafrechtspflege (PKS) ausgewiesen werden. Ob sich das als Nachteil für eine Rückfalluntersuchung anhand der Bundeszentralregisterdaten erweisen muss, bleibt jedoch offen.

Einerseits liegt es nahe, dass solche Merkmale einen Einfluss auf das Rückfallrisiko haben könnten;

andererseits zeigen verschiedene Untersuchungen des Home-Office, dass die Einflüsse soziodemographischer und -ökonomischer Merkmale im Vergleich zu anderen Variablen wie Anzahl der Vorstrafen, Delikt- und Sanktionsart, als gering einzustufen sind.

102 Angaben zum Versuch, zur Teilnahme und zur Tateinheit bzw. Tatmehrheit sind zwar im Bundeszentralregister enthalten. Sie werden aber entsprechend der Richtlinie nach §§ 4 Abs. 2 und 11 Abs. 3 Satz 3 der Verwaltungsvorschrift zum Bundeszentralregistergesetz (S. 42), so eingetragen, dass eine Zuordnung der Vorschriften des allgemeinen Teils zu einzelnen Straftatbeständen nicht mehr möglich ist.