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Die Bäckeranlage als Ort der sozialen Teilhabe

Im Dokument Sozial nachhaltige Parkanlagen (Seite 79-82)

gustav-amman-Park

5 Subjektive Parkräume: die Parkanlagen aus Sicht von Nutzerinnen und Nutzern

5.1 Der öffentliche Wohngarten in der Bäckeranlage

5.1.2 Die Bäckeranlage als Ort der sozialen Teilhabe

Die Bäckeranlage ist Integrationsraum, denn hier können menschen, die vorüberge-hend (z. B. durch arbeitslosigkeit oder durch einen unfall) oder endgültig (z. B. durch das erreichen des Rentenalters) aus den gesellschaftlichen Produktionszusammenhän-gen ausgeschieden sind, an der gesellschaft teilhaben. Dieses Teilhaben an der gesell-schaft vollzieht sich unter anderem durch die Präsenz im öffentlichen Raum (mitchell, 1995). Denn der öffentliche Raum bietet die möglichkeit der niederschwelligen Partizi-pation am sozialen Leben.

Das Zitat in Kapitel 5.1.1 zeigt deutlich, dass sich die Bäckeranlage für den arbeitslosen Dave fischer in den sommermonaten zum Lebensmittelpunkt entwickelt. Die Bäckeran-lage ist der Ort, an dem er sein soziales netzwerk pflegen kann. Dave fischer ist lang-zeitarbeitslos und kann sich folglich über die erwerbsarbeit kein soziales netzwerk auf-bauen. Durch seine tägliche Präsenz im Park erwirbt und unterhält er ein alternatives soziales netzwerk. er kenne einen grossteil der ParkbesucherInnen, sagt Dave fischer.

allerdings gibt sich Dave fischer durch seine tägliche und andauernde Präsenz im Park für andere auch als aus dem Produktionsprozess ausgeschiedener erkenntlich und the-matisiert so implizit durch seine Präsenz das Thema arbeitslosigkeit.

Parks sind aber nicht nur beliebte Treffpunkte für Bekannte, sie bieten auch die mög-lichkeit, «unter die Leute zu kommen» und auf diese Weise am öffentlichen Leben teil-zunehmen. Die Bäckeranlage ist ein belebter und vielfältiger Ort, der unterhaltung und abwechslung bietet. maria agosti ist 84 Jahre alt und besucht seit über 50 Jahren regel-mässig die Bäckeranlage. früher haben sie und ihre Tochter sich hier mit den Kindern und müttern aus dem Quartier getroffen, heute kommt sie in Begleitung ihrer Tochter und manchmal auch ihrer enkelkinder oder mit Bekannten. auch für maria agosti ist also die Bäckeranlage ein Ort der Beziehungspflege. sie kommt in der Regel jeden zweiten Tag am nachmittag für ein bis zwei stunden in die Bäckeranlage. Vor kurzem ist sie in ein Pflegeheim umgezogen, sie wohnt also in einer neuen umgebung. aber weil sich das Pflegeheim ebenfalls im Langstrassenquartier befindet, kann sie an ihrer etablierten ge-wohnheit, die Bäckeranlage zu besuchen, festhalten. auf die frage, was sie hier im Park so mache, antwortete maria agosti folgendes:

«Ja hier [im gartenrestaurant, anm. d. Verf.] sitzen zum Beispiel, ich sitze einfach da und trinke etwas. und manchmal auch dort [bei der Pergola, anm. d. Verf.] und dann schaue ich den Kindern zu, wie sie spielen (...). … und ein paar stunden vergehen. Dann bin ich zufrie-den mit dem ganzen» (maria agosti, 84).

Die aufenthalte in der Bäckeranlage sind für maria agosti beschauliche und doch ab-wechslungsreiche stunden voller Zufriedenheit; sie geniesst ihre Parkbesuche sichtlich.

anders als früher, als sie mit ihrem Kind die Bäckeranlage besuchte und andere müt-ter aus dem Quartier traf, ist maria agosti nun nicht mehr im mittelpunkt des lebhaften geschehens. als seniorin ist sie nicht mehr in den gesellschaftlichen (Re-)Produktions-zusammenhang eingebunden. aber durch ihre anwesenheit, durch ihren Blick, der dem Treiben der Kinder aufmerksam folgt, ist sie als Beobachterin Teil der szenerie und hat dadurch anteil.

es ist die Vielfalt der nutzungen und nutzerInnen, welche die abwechslungsreiche und lebhafte szenerie in der Bäckeranlage ausmacht. Diese Vielfalt bedeutet auch, dass vie-le verschiedene menschen an diesem Ort eine art soziavie-les Zuhause finden können. Der arbeitslose Dave fischer etabliert im sommer hier einen Lebensmittelpunkt. Der 29-jäh-rige soziologiestudent Christian Hauser bezeichnet die Bäckeranlage als eine Institution in seinem Bekanntenkreis.

«also das ist wie ein standardisierter Begriff für uns. also ja, wir haben so viele Leute, die oft hierherkommen und dann gehen wir kurz in die Bäcki (...). Das ist ein fester Ort, an den wir oft hingehen» (Christian Hauser, 29).

ermöglicht wird die Vielfalt der nutzungen und nutzerInnen wie wir sie in der Bäcker-anlage vorfinden neben der allgemeinen nutzbarkeit, der allgemeinen Zugänglichkeit und der bewegten geschichte, auch durch die ausstattung der anlage. Denn ein Park im Wohngartenstil zeichnet sich durch eine ausstattung aus, die darauf ausgerichtet ist, eine Vielfalt an nutzungen nebeneinander und somit gleichzeitig zuzulassen (siehe Kap.

4.2.3). Die ausstattung ist darauf ausgerichtet, möglichst vielen verschiedenartigen Be-dürfnissen gerecht werden zu können: für spiel und Bewegung Raum und anregung zu bieten ebenso wie die möglichkeit zu geben, Ruhe zu finden oder sich in schöner und an-genehmer atmosphäre zu verpflegen. Die ausstattung ist derart gestaltet, dass sie be-stimmte nutzungen in bebe-stimmten Bereichen suggeriert: die Terrasse für die Verpflegung im grünen, die spielgeräte für das spiel der Kinder, die offene Wiese für freies spielen, sitzbänke, um sich hinzusetzen, etc. ein garten ist über Jahre hinweg nutzbar und – mit einschränkungen – über den ganzen jahreszeitlichen Verlauf hinweg. Die nutzungsviel-falt erlaubt es einzelnen nutzerInnen, die Befriedigung verschiedener Bedürfnissen mit-einander zu verbinden. so spielen zum Beispiel die Kinder auf der Wiese im garten und die erwachsenen lesen im schatten eines Baumes ein Buch.

Figur 5.3: Bewegung und geselligkeit in der Bäckeranlage foto: Heidi Kaspar

Die Bäckeranlage mit ihren Wegen, der grossen Wiese, den spielgeräten (spielplatz und seilzirkus, siehe figur 5.4), den Tischtennistischen, dem Wasserbecken, der Pergola und dem gartenrestaurant als Terrasse bietet die grundlage für die oben beschriebene nut-zungsvielfalt, die wir hier tatsächlich auch vorfinden (siehe Kap. 6.2). Zudem müssen sich wandelnde Bedürfnisse nicht unbedingt zum abbruch des Parkbesuches oder der gewohnheit, den Park aufzusuchen, führen. ein Wandel von Bedürfnissen kann im Ver-laufe des Parkaufenthalts eintreten, zum Beispiel, wenn Hunger aufkommt. ein Wandel der Bedürfnisse kann aber auch durch einen Wandel in der eigenen Biografie zustan-de kommen. Wenn zum Beispiel eine frau, die in zustan-der Bäckeranlage fezustan-derball zu spie-len und freundInnen zu treffen pflegte, mutter wird. Diese Durchlässigkeit für verschie-dene Bedürfnisse und nutzungen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Park als öffentlicher Wohngarten angeeignet werden kann, denn er wird dadurch nicht nur punktuell nutzbar, sondern über den tageszeitlichen und biografischen Wandel der Be-dürfnisse hinweg.

Figur 5.4: seilzirkus in der Bäckeranlage foto: Heidi Kaspar

5.1.3 Verständnisvolle Aushandlung von Nutzungsansprüchen und

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