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Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates

Im Dokument Heimatrecht und (Seite 142-147)

Wie weit verbreitet nicht nur antisemitisches Gedankengut, sondern auch antisemi-tische Handlungen, d. h. physische Übergriffe auf Juden, während der Dreißiger-jahre, besonders aber seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1931 waren, belegen die ständigen Protestresolutionen vor allem der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde.

Jahr für Jahr beobachtete und reklamierte die Kultusgemeinde Fälle schwerer Be-einträchtigungen und Verletzungen der Rechte von Juden, sodass sich Bundeskanz-ler Vaugoin und Außerminister Ignaz Seipel sogar gezwungen sahen, öffentlich zu erklären, »dass die Regierung selbstverständlich für die volle Wahrung der gesetz-lichen Gleichberechtigung der Staatsbürger jüdischen Glaubens mit den anderen Staatsbürgern eintrete und dass sie Äußerungen, die das religiöse Empfinden oder das Ehrgefühl der Juden verletzen könnten, missbillige.«505 Zu heftigen antisemiti-schen Attacken und Ausschreitungen kam es, als im Mai 1931 die Creditanstalt – sie galt wegen ihrer früheren Verbundenheit mit dem Haus Rothschild als »jüdische Bank« – zusammenbrach und die Weltwirtschaftskrise Österreich mit voller Härte traf. Die Creditanstalt war keine gewöhnliche Großbank, sondern kontrollierte, wie David Landes bemerkt, »unmittelbar oder mittelbar zwei Drittel der österreichi-schen Industrie« ; sie galt als Verkörperung eines »soliden Unternehmens«.506 Eine Folge dieses Zusammenbruchs war u. a. der Anstieg der Arbeitslosigkeit von etwa 190 000 auf 360 000 Menschen innerhalb eines halben Jahres. Zum besonderen Pro-blem wurden die ständigen Übergriffe seitens deutschnationaler Burschenschaftler oder illegaler Nationalsozialisten auf jüdische Studenten an den österreichischen Universitäten. Bereits im Juni 1931 hatte der Vorstand der Wiener Kultusgemeinde festgestellt, dass »die jüdische Studentenschaft auf akademischem Boden den orga-nisierten, brutalen Gewaltakten einer rohen Übermacht wehrlos preisgegeben« sei, und »nirgends, insbesondere nicht bei den hiezu berufenen akademischen Behörden, Schutz« finde. In einer Resolution vom 18. November 1931 heißt es dann, dass »an der Schwelle eines Winters, der durch die zunehmende Arbeitslosigkeit und Hunger die schrecklichsten Schatten voraus wirft, in einer Zeit, in der alle maßgebenden Stellen bemüht sind (…), sich zu vereinter Hilfeleistung für die Unglücklichsten

505 Abgedruckt ebenda, S. 15.

506 David S. Landes : Der entfesselte Prometheus (Köln 1973), S. 347.

und zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft zusammenzuschließen«, die Wiener Uni-versität »der Schauplatz von kulturwidrigen Vorgängen, von wüsten Hetzen und von brutalen Gewaltanwendungen gegen jüdische Studierende« sei.507 Ein Jahr später, im Oktober 1932, intervenierte das Präsidium der Kultusgemeinde, Dr. Alois Pick, Dr. Josef Löwenherz und Dr. Jakob Ornstein, durch persönliche Vorsprache bei Un-terrichtsminister Dr. Anton Rintelen gegen die täglich an den Wiener Hochschulen begangenen Gewaltakte »hakenkreuzlerischer Massen gegen einzelne, wehrlose jüdi-sche Studenten«. Der Minister missbilligte die »höchst bedauerlichen Vorfälle« und betonte, »dass er mit dem Rektor der Universität eingehend die nötigen Sicherheits-maßnahmen« besprochen habe.508

Nach der Machtergreifung Hitlers im Deutschen Reich kam es im März 1933 in Österreich zur Auflösung des Parlaments und zur Bildung eines autoritären Regi-mes faschistischer Prägung unter Engelbert Dollfuß. Dieses richtete sich zunächst gegen die nationalsozialistische Bedrohung von außen wie innen – nicht gegen Ju-den. Die Verfassung vom 1. Mai 1934, die allerdings weder demokratisch legiti-miert war, noch überhaupt jemals vollständig in Kraft trat509, versprach durchaus die Gleichberechtigung der Konfessionen, und die Vertreter der israelitischen Kul-tusgemeinde fanden dann auch in den korporatistischen Ständerepräsentationen ihren Platz.510 Jüdische Einrichtungen blieben unangetastet, auch die »Vaterländi-sche Front« erlaubte Juden grundsätzlich den Beitritt. Doch die Zerschlagung der österreichischen Linken nach dem Februaraufstand 1934, das Verbot der Heimwehr und der sozialdemokratischen Partei, traf (da die sozialdemokratische Partei wegen des in allen anderen Parteien herrschenden Antisemitismus für Juden praktisch zur einzigen politischen Heimat geworden war) besonders viele Juden. Viele jüdische Sozialdemokraten und Kommunisten verloren ihren Arbeitsplatz und/oder wurden des Landes verwiesen. Doch es handelte sich um politische Ausschließungen, nicht um rassisch begründete. Im Gegenteil wurden gar nicht wenige der über 2000 jüdi-schen Flüchtlinge, die nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland nach Öster-reich geströmt waren – darunter zahlÖster-reiche Prominente jüdischer Abstammung wie Max Reinhardt, Bruno Walter, Franz Mehring, Alfred Polgar, Hermynia zur Mühlen oder Oskar Maria Graf – später durch die Regierung Schuschnigg eingebürgert oder

507 Bericht des Präsidiums und des Vorstandes der Israelitischen Kultusgemeinde Wien über die Tätig-keit in den Jahren 1933–1936 (Wien 1936), S. 12.

508 Ebenda, S. 13.

509 Helmut Wohnout : Die Verfassung 1934 im Widerstreit der unterschiedlichen Kräfte im Regie-rungslager, in : Ilse Reiter-Zatloukal et al. (Hg.) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annähe-rungen an das Dollfuß-/Schuschnigg-Regime (Wien/Köln/Weimar 2012), S. 17–30, hier : S. 30.

510 Vgl. Sylvia Maderegger : Die Juden im österreichischen Ständestaat 1934–1938. Veröffentlichun-gen des Historischen Instituts der Universität Salzburg (Wien 1973).

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wiedereingebürgert. Einige waren im Staatsgebiet der Monarchie geboren oder mit Österreicherinnen verheiratet, so etwa Carl Zuckmayer, der zusammen mit seiner österreichischen Frau Alice seinen Wohnsitz bei Salzburg nahm und noch knapp vor dem »Anschluss« österreichischer Staatsbürger wurde.511 Die »Deutschlandemig-ranten«, von denen die meisten in bitterer Not lebten, wurden von der israelitischen Kultusgemeinde, die ihren Wohlfahrtsaufgaben durch Stiftungen und besondere Hilfsaktionen nachkam, tatkräftig unterstützt.512 Selbstbewusst verabschiedete die Kultusgemeinde nach dem Nürnberger Reichsparteitag und der Erlassung der Ras-sengesetze im Deutschen Reich in einer Plenarsitzung vom 24. September 1935 eine

»Protestresolution gegen die Bedrückung und Entrechtung der Juden in Deutsch-land«. Darin hieß es :

511 Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft und Vertreibung, S. 277. Alle diese Einbürgerungen wurden nach dem »Anschluss« vom nationalsozialistischen Regime mit der ersten »Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Lande Österreich« vom 3. Juli 1938, GBlÖ 1938/236, zurückge-nomen.

512 Zwischen April 1933 und Juli 1936 beliefen sich die Ausgaben für die jüdischen Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich auf rund 365 000 Schilling. Bericht des Präsidiums, S. 25.

Abb. 14 : Antisemitische Ausschreitungen an der Universität Wien 1931 ; Quelle : ÖNB/Wien, Bildarchiv

»Die schwere Bedrückung und die unmenschliche, an das tiefste Mittelalter erin-nernde Behandlung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland, ihre soziale und politische Ächtung, der gegen sie systematisch geführte wirtschaftliche Vernich-tungskampf und die Sanktionierung ihrer Entrechtung durch die Gesetzesbe-schlüsse des Nürnberger Reichstages haben in der Wiener jüdischen Bevölkerung Mitgefühl und tiefste Entrüstung ausgelöst. Die Wiener Judenschaft protestiert gegen die zur Begründung der judenfeindlichen Maßnahmen vorgeschützten unwahren und böswilligen Anklagen. Sie richtet an das durch den Völkerbund repräsentierte Weltgewissen, an alle an der Spitze der Staaten stehenden verant-wortlichen Männer den Appell, die gegen die Juden gerichteten deutschen Ge-setze (…) zu verurteilen, und erklärt sich feierlich mit allen Bestrebungen soli-darisch, die eine Beseitigung der der gesamten Judenschaft angetanen Schmach herbeiführen wollen.«513

Noch – so beweist diese Resolution – existierte unter den Vertretern der österreichi-schen Juden ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens in die eigenen staatlichen Institutionen, vor allem aber die große Sorge über die zunehmende Entrechtung der Juden im Deutschen Reich. Ein Jahr später kam es zu heftigen Zwistigkeiten zwischen der »jüdischnationalen« (zionistischen) Fraktion und den »vaterländisch fühlenden« Angehörigen der Wiener israelitischen Kultusgemeinde (zionistische Gruppierungen hatten bei den Wahlen 1932 die Mehrheit innerhalb der Kultus-gemeinde erlangt).514 In einer Beschwerdeschrift vom 5. Februar 1936 hatten sich die »Vaterländischen« über den zunehmenden Einfluss »ausländischer Juden« (Juden ohne Heimatrecht in Wien) auf die Gebarungen der Kultusgemeinde beklagt und deren aktives Stimmrecht bestritten. Die Beschwerde, in der die »Zurückdrängung des Einflusses des in Österreich beheimateten positiv-religiös und vaterländisch füh-lenden Teiles der Angehörigen der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde« beklagt wurde, wurde jedoch mit einem Bescheid des Wiener Magistrats vom 12. Juni 1936 mit dem Verweis auf § 2 des Statuts zurückgewiesen, wonach »jeder Israelit, der in Wien seinen ordentlichen Wohnsitz hat, ohne Rücksicht auf seine Heimatberechti-gung und Staatsbürgerschaft der Wiener Kultusgemeinde« angehöre und »das aktive Wahlrecht« besitze.515

513 Bericht des Präsidiums, S. 16.

514 Vgl. Gerald Stourzh : An Apogee of Conversions : Gustav Mahler, Karl Kraus, and fin de siècle Vi-enna, in : From Vienna to Chicago and back. Essays on Intellectual History and Political Thought in Europe and America (Chicago/London 2007), S. 224–247, hier : S. 225.

515 Bericht des Präsidiums, S. 19f. Bei den Wahlen von 1936 zur Wiener Kultusgemeinde machten erst-mals über die Hälfte der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Vgl. Harriet Pass Freiden-reich : Jewish Politics in Vienna 1918–1938 (Bloomington/Indianapolis 1991), S. VII und 272.

Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 145 Auch die zahlreichen Ausbürgerungen, die die Regierung Dollfuß aufgrund einer zum geltenden Bundesbürgerschaftsgesetz von 1925 erlassenen Verordnung tätigte, wonach der Verlust der Bundes- und Landesbürgerschaft dann eintreten sollte, »wenn ein Landesbürger im Ausland österreichfeindliche Handlungen unterstützt«516, betrafen nicht etwa Juden, sondern zunächst rund 1000 nach der Machtergreifung Hitlers ins Deutsche Reich geflohene illegale Nationalsozialisten.

Nach der gleichen Verordnung, die zuerst gegen Nationalsozialisten gerichtet war, wurden allerdings nach dem Bürgerkrieg vom Februar 1934 fast 12 000 politische Gegner des Austrofaschismus, vor allem Schutzbündler und Kommunisten, ausge-bürgert. Unter diesen befanden sich auch zahlreiche Juden – wie etwa der Theore-tiker des Austromarxismus Otto Bauer, der seine Wiener Landesbürgerschaft (und damit seine österreichische Bundesbürgerschaft) am 3. April 1934 verlor. Diese Aus-bürgerungen erfolgten allerdings nicht aus rassistischen Gründen, sondern wegen der Gegnerschaft der Betroffenen zum autoritären Ständestaat.517 So blieb das Ver-hältnis vieler Juden zu den Regierungen des österreichischen Ständestaates ambiva-lent. Dass jedoch nicht alle mehr diesem letzten österreichischen Staat vertrauten, belegt die nüchterne Statistik. Während es in den 1890er-Jahren einen stetigen An-stieg des Nettozuwachses der Wiener Kultusgemeinde (Summe der Geburten und Eintritte minus Summe der Sterbefälle und Austritte) gegeben hatte, mit einem Hö-hepunkt im Jahr 1896 (ein Zuwachs von 999 Personen), wird die Negativbilanz seit 1921 immer größer und erreicht mit 2183 Personen im Jahr 1935 ihren höchsten Stand.518 Dieser Abgang ist aber nicht mehr nur in den natürlichen Sterbefällen, den Konversionen und Austritten (wobei etwa drei Viertel jener, die die Kultusgemeinde verließen, der katholischen oder protestantischen Kirche beitraten und ein Viertel konfessionslos blieb519) begründet, sondern in einer bereits beginnenden Auswan-derungswelle, nicht zuletzt nach Palästina, welche von der zionistischen Fraktion innerhalb der Kultusgemeinde organisatorisch und finanziell unterstützt wurde.

516 Art. 1 der Verordnung vom 16. August 1933, BGBl 1933/369.

517 Vgl. Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft und Vertreibung, S. 274f.

518 Bericht des Präsidiums, Tabelle XIIIf.

519 Stourzh, Apogee of Conversions, S. 226. Siehe dazu auch : Philomena Leiter, Assimilation, Anti-semitismus und NS-Verfolgung. Austritte aus der jüdischen Gemeinde in Wien 1900–1944, phil.

Diss. (Wien 2003), S. 282ff.

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