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Das Experimentieren mit der solipsistischen Sprech- und Schreibweise

3. Die „despotische“ Sprachform

Kurze Zeit nach der Rückkehr zur Philosophie entwickelt Wittgenstein, parallel zu seinen Überlegungen zum Gesichtsfeld, eine sogenannte „despotische“ Sprachform, die ursprünglich ebenfalls solipsistischen Zwecken dient. Diese Sprachform bleibt Thema während der ganzen Zwischenphase und soll die Sonderstellung des in der normalen Sprache nicht fassbaren Ichs in anderer Form zum Ausdruck zu bringen.

Wittgensteins Gedankengang verläuft dabei ähnlich wie im Falle des Gesichtsfeldes, er führt von der Phänomenologie zur Grammatik. Am phänomenologischen Anfang stehen Überlegungen zum Aufbau einer dem Einheitserlebnis von Ich und Welt adäquaten, solipsistischen Sprache.

Einschlägiges dazu findet sich in einigen Manuskripteintragungen von 1930, als bereits klar ist, dass die Sprache des Gesichtsfeldes den Anforderungen des Solipsisten nicht gerecht werden kann. Später wird die „despotische“ Sprachform einer grammatischen Korrektur unterzogen, und zwar dahingehend, dass die Termini dieses spezifischen Bezeichnungssystems aus ihrem ursprünglich metaphysischen Kontext herausgenommen und in den Rahmen der gewöhnlichen Sprache gestellt werden. Diese Bereinigung von Metaphysischem liegt in ihrer wohl ausgereiftesten Form im Big Typescript vor. Dort erfolgt ebenso wie schon im Falle des Gesichtsfeldes - eine Trennung der „despotischen“ Sprachform vom Solipsismus; danach dient die Sprachform selbst weiterhin als Erklärung, allerdings nicht mehr für eine philosophische Position, sondern für grammatische Besonderheiten, die die Verwendung des Wortes „ich“ charakterisieren. Wieder ist mit der Trennung der beiden ursprünglich zusammenhängenden Themenbereiche die Abwendung vom Solipsismus verbunden. Erneut distanziert sich Wittgenstein damit jedoch lediglich vom erkenntnistheoretischen Solipsismus, an dem ihm nie vorher gelegen war; auch verliert er dabei wieder die kontemplative Variante aus den Augen. Offensichtlich bemerkt er dies in der Folgezeit. Nachdem er sich entschlossen hat, von der Veröffentlichung des Big Typescript abzusehen, denkt er über die „despotische“ Sprachform noch einmal ebenso gründlich nach wie über alles andere. Im Blauen Buch, dem ersten Skript, das nach dem Big Typescript entsteht, nimmt er das Thema wieder auf, stellt er in seinen ursprünglichen Kontext, den des kontemplativen Solipsismus, zurück und zieht dessen mögliche Berechtigung erneut in Erwägung.

Diese Wiederaufnahme des alten Themas am Ende der Zwischenphase erlaubt es, die Brücke zu schlagen zu den Philosophischen Untersuchungen, in denen Wittgenstein - so lautet eine der Grundthesen der vorliegenden Arbeit - die Form des Solipsismus, die er im Tractatus als richtig bezeichnet, mit einigen Einschränkungen wieder gelten lässt. Denn im Blauen Buch, dem Werk, das gerne als Prototyp für das Spätwerk angesehen wird,107 finden sich speziell zum Thema Solipsismus entscheidende Vorüberlegungen für Gedanken, die Wittgenstein in seine sogenannte „zweite“ Philosophie aufnimmt, aufarbeitet und ausformuliert.

3.1 Die Entwicklung der „despotischen“ Sprachform im Jahr 1930:

Ausgangspunkt der Überlegungen zur „despotischen“ Sprachform ist das bereits 1929 entstandene Sprachproblem, bestehend darin, dass der Solipsist, das, was er meint, nicht sagen kann und insbesondere für sich selbst in der physikalischen, sekundären Sprache keine adäquate Ausdrucksform zur Verfügung hat. In Anspielung auf diese bereits im Zusammenhang mit dem Gesichtsfeld diskutierten Schwierigkeiten leitet Wittgenstein seine Untersuchung mit folgenden Worten ein:

Eine der am meisten irreführenden Darstellungsweisen unserer Sprache ist der Gebrauch des Wortes „Ich“ besonders dort, wo sie damit das unmittelbare Erlebnis darstellt wie in „Ich sehe einen roten Fleck“. (WA, Bd. 2, S. 135; PB 57, S. 88).

Wittgenstein spricht in diesen Zeilen von „unserer Sprache“ und meint damit wohl, wie meist in seiner phänomenologischen Zeit, die physikalische bzw. die normale Sprache, die, wie schon im Rahmen der Überlegungen zum Gesichtsfeld gezeigt, für solipsistische Zwecke insofern nicht geeignet ist, als sie das unmittelbare Erlebnis in seiner Ichbezogenheit nicht zum Ausdruck bringen kann. Sie setzt dem Personalpronomen „ich“ stets ein prinzipiell gleichgestelltes „du“ entgegen, so dass mein Gesichtsfeld nicht in dem Sinne als „meines“ ausgezeichnet werden kann, in dem im Tractatus die Welt „meine Welt“ genannt wird. Für dieses Problem, so wurde im vorhergehenden Kapitel zum Gesichtsfeld ausgeführt, bietet auch eine spezifisch phänomenologische Sprache keine Lösung, da in ihr nur die unmittelbar wahrgenommenen Phänomene, nicht aber das wahrnehmende Ich erfasst werden können.

107 Vgl. hierzu die recht ausführliche Darstellung von R. Monk (a. a. O., S. 360 ff.).

Wittgenstein zieht daher eine andere Möglichkeit in Betracht, um dem phänomenologischen Solipsismus, wenn nicht durch eine phänomengerechte, so doch durch eine solipsismusgerechte Sprache beizukommen, eine Sprache also, in der die Sonderstellung des Ichs erfasst wird. Er schreibt:

Man könnte folgende Sprachform adoptieren / annehmen /: Wenn ich L. W.

Zahnschmerzen habe so wird das durch den Satz „Es gibt Zahnschmerzen“

ausgedrückt. Ist aber das der Fall was jetzt durch „A hat Zahnschmerzen“

ausgedrückt wird so wird gesagt: „A benimmt sich wie L. W. wenn es Zahnschmerzen gibt.“ Analog wird gesagt „Es denkt“ und „A benimmt sich wie L. W. wenn es denkt“. (Man könne sich eine orientalische Despotie denken in der die Sprache so gebildet ist daß der Despot ihr Zentrum ist und sein Name an Stelle des L. W. steht.) Es ist klar daß diese Ausdrucksweise was ihre Eindeutigkeit und Verständlichkeit anbelangt mit der unseren gleichwertig ist. Es ist aber ebenso klar daß diese Sprache jeden Beliebigen als Zentrum haben kann. (WA, Bd. 2, S. 136; PB 58, S. 88 f.).

In diesen Zeilen beschreibt Wittgenstein zum ersten Mal die „despotische“

Sprachform, die ihn von nun an immer wieder beschäftigen wird. Knapp zusammengefasst bestehen die Veränderungen gegenüber der normalen Sprache darin, dass das, was bisher „mein Schmerz“ genannt wurde, als „Schmerz“

bezeichnet wird, während die Schmerzen der anderen in Bezug auf mein Schmerzverhalten beschrieben werden. Nur in Abhängigkeit von den Schmerzen, die ich fühle, kann ich dann die Schmerzen der anderen zum Ausdruck bringen, in Bezug auf meine Empfindungen ist es mir möglich, die Empfindungen der anderen zu erfassen, über mein eigenes Denken wird mir ihr Denken zugänglich.108 Dies macht mich als Sprecher zum Zentrum der Sprache und auch zum Zentrum der

108 Dass Wittgenstein mit der Entwicklung der „despotischen“ Sprachform solipsistische Zwecke verfolgt, ist nicht unbedingt ersichtlich, wenn man als Textgrundlage nur die Philosophischen Bemerkungen zur Verfügung hat. Der Herausgeber des Buches, Rhus Rhees, stellt dieses Gedankenexperiment Wittgensteins in den Kontext von allgemeinen Bemerkungen zur Grammatik, in der es ursprünglich in den Manuskripten nicht steht. Dort findet es sich am Ende einer Reihe von Bemerkungen zum phänomenologischen Solipsismus, die die Redeweise von der „gegenwärtigen Erfahrung“ zum Thema haben; die grammatischen Analysen zum Thema „Schmerzen haben“ in der normalen Sprache stehen an anderer Stelle. Wenn Rhees also Wittgensteins Überlegung zur „despotischen Sprachform“

im Zusammenhang von Untersuchungen zur normalen Sprachverwendung stellt, so nimmt er damit die erst später erfolgende grammatische Wende vorweg, zumal er bei der Anordnung der einzelnen Bemerkungen die Reihenfolge wählt, die Wittgenstein ihnen im Big Typescript dann selbst gibt. ( PB 62-64 entspricht fast genau BT 2.116.1.1-2.194.8.1; WA, Bd. 11, S.

337 f.; PB 65-66 entspricht fast genau 2.195.3.1-2.196.4.1; WA, Bd. 11; S. 338 f.). Leider könnten dadurch auch leicht Missverständnisse betreff Wittgensteins Einschätzung des Solipsismus entstehen, die sich im Rahmen der grammatischen Wende entscheidend ändert.

Welt, die ich mit der „despotischen“ Sprache beschreibe. Aus dieser solipsisischen Sonderstellung heraus verstehe ich dann die Welt als meine Welt, sehe sie nun allerdings phänomenologisch als unmittelbares Erlebnis und nicht mehr wie einst im Tractatus als (erste und allgemeinste) logische Struktur der Abbildung.

Wesentlich an dieser Überlegung ist, dass meine solipsistische Sprache

„gleichwertig“ sein soll mit der normalen Sprache, dass sie also Unterscheidungen des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, insbesondere die zwischen „ich“ und „du“, beibehält und damit die Existenz des anderen nicht in Frage stellt. Überlegungen wie die des klassischen, erkenntnistheoretischen Solipsisten, der behauptet, nur er existiere, sind dem „despotischen“ Solipsisten, der sich der despotischen Sprachform bedient, fremd. Er versucht das normale Weltverständnis nicht zu korrigieren, nicht zu verbessern, sondern lässt alles wie es ist, bezeichnet nur die alten Dinge und Personen auf eine neue, für andere vielleicht merkwürdige Weise, weil er eben Altes, Alltägliches neu und anders als die anderen sieht.109

Die damit skizzierte „despotische“ Sprachform ist jedoch nicht nur mit der normalen Sprache gleichwertig, sondern auch mit all den Sprachen, in denen L.W.

durch den Namen von anderen Personen ersetzt wird. An dieser Stelle kommt Wittgenstein auf einen Gedanken zurück, der sich bereits in der Frühphilosophie findet: Der phänomenologische Solipsist ähnelt dem metaphysischen Solipsisten des Tractatus unter anderem deshalb, weil er eine intersubjektive Form von Subjektbezogenheit repräsentiert, da es ihm um eine Sichtweise, besser um eine Beschreibungsform geht, die prinzipiell jeder benutzen kann, indem er sich zum Zentrum macht und dadurch eine solipsistische Sonderperspektive einnimmt.

Obwohl hinter dem zweiten Versuch Wittgensteins, den phänomenologischen Solipsismus durch eine adäquate Sprachform zu erfassen, die Hoffnung steckt, Sprachprobleme vermeiden zu können, entstehen diese sofort wieder, wie sich in folgender Notiz zeigt:

Von allen den Sprachen nun die verschiedene Menschen zum Zentrum haben und die ich alle verstehe, hat die welche mich zum Zentrum hat eine Sonderstellung. Sie ist besonders adäquat. Wie kann ich das ausdrücken? D. h.

109 Auch W. Vossenkuhl vertritt die Ansicht, dass Wittgenstein nach der Wiederaufnahme des Philosophierens eine Form des Solipsismus vertrete, die sich dadurch auszeichne, dass der Solipsist nicht über Tatsachenfragen streite, sondern lediglich die Dinge auf ungewöhnliche Weise bezeichne. Da Vossenkuhl jedoch die Zeit nach 1929 als eine Art Einheit behandelt, dabei in den Textbelegen vorwiegend das Blaue Buch heranzieht, gelingt es ihm zwar einen wesentlichen Gedanken Wittgensteins aufzugreifen, nicht jedoch diesen in seiner gesamten Entwicklung darzulegen. (a. a. O., 1995, S. 183 ff.).

wie kann ich ihren Vorzug correkt in Worten darstellen / beschreiben / ? Das ist nicht möglich. Denn tu ichs in der Sprache die mich zum Zentrum hat dann ist die Ausnahmestellung der Beschreibung dieser Sprache in ihren eigenen Termini kein Wunder, und in / der Ausdrucksweise / einer anderen Sprache nimmt meine Sprache durchaus keine Sonderstellung ein. (WA Bd. 2, S. 136;

PB 58, S. 88f.).

Die Situation des phänomenologischen Solipsisten, der sich - wie im Rahmen der Erörterungen zum Gesichtsfeld ausgeführt wurde - zwischen zwei Sprachen befindet, ändert sich auch dann nicht wesentlich, wenn eine dritte, eine solipsismusgerechte Sprache eingeführt wird. Wieder steht der Solipsist dazwischen, diesmal zwischen der normalen und der solipsistischen Sprache. Weder in der einen noch in der anderen kann er seine Perspektive angemessen zum Ausdruck bringen. In keiner von beiden gelingt es ihm, sein Bezeichnungssystem auszuzeichnen als adäquate Darstellungsform. Bedient er sich der solipsistischen Sprache, so ist seine Perspektive eine Voraussetzung von dieser Sprache, die nicht nachträglich in dieser Sprache als verwunderliche Entdeckung gewertet werden kann. In jeder anderen Sprache aber ist er einer unter vielen; er und seine Sprache nehmen keine Sonderstellung ein, sondern existieren, wie die Augen im physikalischen Raum, gleichwertig neben anderen Subjekten und spezifischen Ausdrucksweisen.

Dennoch bietet die „despotische“ Sprachform, im Gegensatz zur primären Sprache der Phänomene, dem Solipsisten eine Möglichkeit, sich als ganz besonderes Ich bemerkbar zu machen. Während er in der phänomengerechten Sprache hinter die Beschreibung der Phänomene zurücktritt und dabei vollständig verschwindet, spielt er in der solipsismusgerechten Sprache die Rolle des alleinigen, weil solipsistischen Protagonisten: Nur er kann diese Sprache sprechen. Obwohl das Ich nicht beschrieben werden kann, wird jeder, der die solipsismusgerechte Sprache benutzt, zum Solipsisten. Wittgenstein erläutert dies wie folgt:

Die Sonderstellung liegt in der Anwendung und wenn ich diese Anwendung beschreibe so kommt dadurch die Sonderstellung wieder nicht zum Ausdruck weil die Beschreibung von der Sprache abhängt in der sie gegeben wird. Und welche Beschreibung nun das meint was ich im Sinne habe hängt wieder von ihrer Anwendung ab. Nur die Anwendung unterscheidet wirklich zwischen den Sprachen, aber von ihr abgesehen sind alle Sprachen gleichwertig. (WA, Bd. 2, S. 136; PB 58, S. 88f.).

In diesen Zeilen will Wittgenstein hervorheben, dass zwar keine Beschreibung des Solipsismus, wohl aber ein Solipsismus der Beschreibung möglich ist. Die Sprache, die im Tractatus „meine Sprache“ genannt wurde, gibt es, auch wenn sie, wie Wittgenstein noch einmal betont, gleichwertig neben anderen Beschreibungsformen, insbesondere der normalen Sprache existiert.

Auf diese Weise gelingt es schließlich, den Solipsismus trotz des Verzichts auf die indirekte Ausdrucksform des Zeigens - zumindest fürs Erste - zu retten, allerdings nur unter entscheidender Einschränkung seiner Bedeutung bzw. seines Wertes.

Denn „gleich-wertig“ mit anderen Sprachen zu sein, bedeutet dass die solipsistische Sprache nicht mehr Wert haben kann als andere, dass die in ihr mögliche Beschreibung und die darin zum Ausdruck kommende Sicht der Welt ethisch nicht richtiger ist als die normale Weltauffassung. Im engeren, und wohl auch im weiteren Sinne des Wortes ist der Solipsist daher heruntergekommen - von den Höhen der kontemplativen Weltsicht, die er im Tractatus über eine aus unsinnigen Sätzen bestehende Leiter erreicht hat. Er hat seine Einzigartigkeit verloren, ist einer von vielen geworden, denn sein Weltbild ist nicht besser, richtiger, wertvoller, sondern eben nur anders ist als das der anderen. Er ist ein „linguistischer Sonderling“ 110, der die Welt auf seine Weise sieht und sie deshalb in seiner Sprache beschreibt.

3.2 Die Auseinandersetzung mit der Rede über Schmerzempfindungen im Big Typescript:

Die grammatischen Untersuchungen, durch die Wittgenstein in der Zeit nach 1930 seinen phänomenologischen Ansatz kritisiert, führen auch zu einer veränderten Sicht der „despotischen“ Ausdrucksweise der Schmerzempfindung. In konzentrierter Form ist diese niedergelegt im Big Typescript; dort folgt auf das Kapitel Idealismus (vgl. II. Teil, 2.3.2) ein Abschnitt mit dem Titel Schmerzen haben, in dem thematisch eine für das Big Typescript typische Akzentverschiebung zu vermerken ist weg von der Entwicklung einer solipsismusgerechten Sprache am Beispiel von Schmerzempfindungen hin zur grammatischen Analyse unterschiedlichster Ausdrucksweisen zum Thema „Schmerzen“ unter gleichzeitiger Bereinigung derselben von metaphysischem Gedankengut. Die „despotische“

110 W. Vossenkuhl, a. a. O., S. 188.

Sprache erhält dabei eine neue Funktion: Sie, die ursprünglich eigens zu solipsistischen Zwecken entwickelt wurde, wird nun in den Dienst der Grammatik gestellt und als besonders adäquate Ausdrucksform von Schmerzerfahrungen ausgezeichnet.

Im Mittelpunkt der Analyse steht die Funktion des Wortes „ich“ in der normalen Sprache, das auf seine grammatische Besonderheit hin untersucht wird. Eventuelle metaphysische Gefahren im Auge, behandelt Wittgenstein die Frage, ob das Personalpronomen „ich“ im Zusammenhang mit Schmerzäußerungen nicht doch so verwendet wird, dass es dafür geeignet ist, die solipsistische Sonderperspektive zum Ausdruck zu bringen. Diesen Gedanken wendet er negativ und schreibt:

Der Solipsismus könnte durch die Tatsache widerlegt werden, daß das Wort

„ich“ in der Grammatik keine zentrale Stellung hat, sondern ein Wort ist, wie jedes andre Wort. (WA, Bd. 11, S. 340).

Doch gerade dies - das zeigen die Untersuchungen zum Thema „Schmerzen haben“

- ist nicht der Fall; das Wort „ich“ nimmt in der normalen, alltäglichen Grammatik eine besondere Stellung ein. Um so mehr ist Wittgenstein in seiner Analyse der unterschiedlichen Schmerzäußerungen mit dem Problem konfrontiert, ob diese Besonderheit nicht doch solipsistisch verstanden werden kann. Eine neue, sozusagen in der alltäglichen Erfahrung und Sprache verankerte Variante extremster Subjektivität wäre dann möglich, die allerdings, ebenso wie der im Kapitel Idealismus besprochene Solipsismus, gerade weil sie in der gewöhnlichen Sprache sagbar wäre, wieder in der erkenntnistheoretischen Tradition stünde und nichts mehr mit dem kontemplativen Heraustreten aus den Lebenszusammenhängen zu tun haben könnte.

Wittgenstein argumentiert im Kapitel Schmerzen haben gegen ein solch solipsistisches Verständnis der mit dem Personalpronomen „ich“ verbundenen Besonderheiten. Seine Untersuchungen beginnen mit der Erörterung der Verwendung des Terminus „haben“ im Zusammenhang mit Schmerzäußerungen.

Anfangs wiederholt er dabei einen Gedanken, den er schon im Rahmen seiner Untersuchungen zum Gesichtsfeld dargelegt hat: Bei dem Satz „Ich habe Zahnschmerzen“ handele es sich, ebenso wenig wie bei dem Haben von Gesichtseindrücken, um eine Relation zwischen mir und der Empfindung im Sinne eines Besitzes, der von mir aus der Innen- und von anderen aus der Außenperspektive wahrgenommen wird. Die Erläuterung dazu lautet so:

Zur Erklärung des Satzes „er hat Zahnschmerzen“ sagt man etwa: „ganz einfach ich weiß, was es heißt, daß ich Zahnschmerzen habe, und wenn ich sage, daß er Zahnschmerzen hat, so meine ich, daß er jetzt das hat, was ich damals hatte“. Aber was bedeutet „er“ und was bedeutet „Zahnschmerzen haben“. Ist das eine Relation, die die Zahnschmerzen damals zu mir hatten und jetzt zu ihm. Dann wäre ich mir also jetzt auch der Zahnschmerzen bewußt, und dessen daß er sie jetzt hat, wie ich eine Geldbörse jetzt in seiner Hand sehen kann, die ich früher in meiner gesehen habe. (WA, Bd. 11, S.

337).

Ein Schmerzgefühl zum Ausdruck zu bringen, hat laut Wittgenstein eine ganz andere sprachliche Struktur als die Rede über den Besitz von Geldbörsen. In beiden Fällen mögen wir zwar den Terminus „haben“ verwenden, er funktioniert jedoch jeweils sehr verschieden. In der verifikationistischen Phase, in der Wittgenstein sich während der Niederschrift des Big Typescript gerade befindet, wird der Unterschied an der Verifikation festgemacht. Die Sätze „Ich habe eine Geldbörse in meiner Hand“ und „ Er hat eine Geldbörse in seiner Hand“ können auf gleiche Weise, etwa durch einen Blick auf meine bzw. seine Hand, verifiziert werden. Dagegen weisen die Sätze „Ich habe Zahnschmerzen“ und „Er hat Zahnschmerzen“ diesbezüglich sehr große Unterschiede auf, die man so beschreiben könnte: Zahnschmerzen, die ich habe, fühle ich, dagegen sind mir Zahnschmerzen, die er hat, über sein Verhalten zugänglich oder darüber, dass er mir seine Befindlichkeit mitteilt.

Diese Asymmetrie zwischen den beiden Sätzen legt eine idealistische Auffassung der Sätze fast nahe. Denn es scheint so, als ob ich von meinen Schmerzen, da ich sie in gewisser Weise direkt fühle und bemerke, unmittelbar wisse, während ich von seinen Schmerzen anders, indirekt, etwa über sein Verhalten wisse - und dies entspricht der idealistischen Grundüberzeugung, nach der das erkennende Subjekt zu seiner Innenwelt, seinen Gefühlen und Empfindungen also, einen unmittelbaren, privilegierten Zugang hat, während ihm die Außenwelt nur mittelbar, eben über die Wahrnehmung zugänglich ist. Weiter auf die idealistische Auffassung der Schmerzäußerungen anspielend, fragt Wittgenstein dann:

Hat es Sinn zu sagen „ich habe Schmerzen, ich merke sie aber nicht“? Denn in diesem Satz könnte ich dann allerdings statt „ich habe“ „er hat“ einsetzen.

Und umgekehrt, wenn die Sätze „er hat Schmerzen“ und „ich habe Schmerzen“ auf der gleichen logischen Stufe stehen, so muß ich im Satz „er hat Schmerzen, die ich nicht fühle“ statt „er hat“ „ich habe“ setzen können. - Ich könnte auch so sagen: Nur insofern ich Schmerzen haben kann, die ich

nicht fühle, kann er Schmerzen haben, die ich nicht fühle. Es könnte dann noch immer der Fall sein, daß ich tatsächlich die Schmerzen, die ich habe, immer fühle, aber es muß Sinn haben, das zu verneinen. (WA, Bd. 11, S. 337).

Die Sätze, mit denen das idealistische Verständnis von Schmerzäußerungen erfasst werden soll, kann den grammatischen Analysen nicht standhalten, die Wittgenstein nach der Abwendung von seinem phänomenologischen Programm durchführt.

Wenn ich sage, dass ich - und nicht etwa ein anderer - meine Schmerzen fühle, und damit im Sinne des Idealismus meinen privilegierten Zugang zu meinen Schmerzen darlegen möchte, so muss sich dies auf semantischer Ebene darin zeigen, dass das

Wenn ich sage, dass ich - und nicht etwa ein anderer - meine Schmerzen fühle, und damit im Sinne des Idealismus meinen privilegierten Zugang zu meinen Schmerzen darlegen möchte, so muss sich dies auf semantischer Ebene darin zeigen, dass das