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Der literarische Kreis um Maria Beatrice d’Este

I. Italienische Hofdichtung am Wiener Hof im 19. Jahrhundert:

I.5 Der literarische Kreis um Maria Beatrice d’Este

Maria Beatrice Ricciarda d’Este wurde am 7. April 1750 in Modena geboren. Man-gels männlicher Nachkommen in ihrer Familie erbte sie vier Herzogtümer: Modena und Reggio waren die Erbschaft des Vaters Ercole III. d’Este und Massa und Carrara jene der Mutter, Maria Teresa Cybo Malaspina. Im Rahmen der Heiratspolitik der Kaiserin Maria Theresia heiratete sie am 15. Oktober 1771 Erzherzog Ferdinand

101 De Gamerra, L’accademia del maestro Cisolfaut, II, 2; ebd. S. 19f.

102 Fabian Kolb, Exponent des Wandels. Joseph Weigl und die Introduktion in seinen italienischen und deutschsprachigen Opern, Münster, Lit, 2006, S. 36.

Karl in Mailand, wo der Sohn Maria Theresias ab 1780 die Funktion des Statthalters der Lombardei ausübte.

Erzherzog Ferdinand Karl wurde deshalb schon im frühesten Kindesalter mit der einzigen Tochter des Herzogs von Modena, Maria Beatrice, verlobt. Am 15. Okto-ber 1771 heiratete der junge Herzog schließlich in Mailand Maria Beatrice d’Este (auch Maria Beatrix d’Este genannt). Zur Hochzeit wurden in Mailand die Oper Il Ruggiero von Johann Adolph Hasse und die „serenata musicale“ Ascanio in Alba von Wolfgang Amadeus Mozart nach dem Text von Giuseppe Parini uraufgeführt. Diese Ehe begründete die Linie Habsburg-d’Este. Der Einmarsch der napoleonischen Truppen 1796 in Mailand zwang die Familie zur Flucht nach Österreich, und nach Aufenthalten in verschiedenen Städten nahe Wien ließ sie sich 1803 in Wien nieder.

1806 starb Ferdinand Karl in Wien, und 1808 heiratete die Tochter Maria Luigia Beatrice d’Este Kaiser Franz II. (I.) und wurde Kaiserin Österreichs. 1814 trat Maria Beatrice d’Este die Regierung der von ihrer Mutter ererbten Herzogtümer Massa und Carrara an, die nach ihrem Tod am 14. November 1829 mit Modena vereinigt wurden.

Als gebürtige Italienerin hatte sie für ihre Kinder als Lehrer in Religion und in den wissenschaftlichen Gegenständen den Gelehrten Andrea Draghetti, der früher Professor in Pavia gewesen war, und in italienischer Sprache und Litera-tur Clemente Bondi ausgesucht. Einige dieser Gelehrten, wie Bondi und Carpani, hatten die Familie auf der Flucht nach Österreich begleitet. Um Beatrice d’Este versammelte sich bald ein kleiner Kreis von Dichtern und Künstlern: Giuseppe Car-pani, Clemente Bondi und der Bildhauer Giuseppe Pisani, der 1807 in Wien eines der größten Bildhauerateliers hatte, waren gern gesehene Gäste. Insbesondere Car-pani fungierte immer wieder als Vermittler zwischen den lombardo-venezianischen Intellektuellen und Adelsfamilien und der Erzherzogin. In seinem Briefwechsel erzählt Carpani regelmäßig von seinen Aufenthalten bei der Erzherzogin und von ihren Mitteilungen an in Italien lebende Persönlichkeiten wie den Schriftsteller Giuseppe Acerbi, den Dichter Ippolito Pindemonte oder die venezianische Salo-niere Isabella Teotochi-Albrizzi103.

Sehr oft verweist Carpani auf gemeinsame Treffen von einer Gruppe, die im ge-selligen Beisammensein Maria Beatrice d’Este italienische Literatur vorliest. Oft wurde im Garten ihres Sommerpalais auf der Landstraße mit einem „gran pranzo“104

103 Vgl. „Personenverzeichnis“ in Helmut C. Jacobs, Literatur, Musik und Gesellschaft, S. 865ff.

104 Brief an Giuseppe Acerbi vom 24. Mai 1817. In: Helmut C. Jacobs, Literatur, Musik und Gesellschaft, Teil II, S. 442.

über die italienische Literatur und die politischen Ereignisse in Lombardo-Venetien diskutiert, getratscht, lamentiert. In diesem Garten fanden auch oft Theater-, Kon-zert- und Kantatenaufführungen statt. In der Handschriftensammlung der Natio-nalbibliothek ist die Handschrift der Kantate Il fiume rappacificato aufbewahrt, die Carpani 1824 zum Namenstag von Maria Beatrice d’Este schrieb und Mercadante vertonte.105 Aufgrund des umfangreichen theatralischen Aufwandes und der Feier-lichkeiten, die auch ganz genau schriftlich festgehalten wurden, ist anzunehmen, dass die Kantate im Garten der Maria Beatrice d’Este aufgeführt wurde, wie viele andere übrigens auch. Das Verzeichnis der italienischen Handschriften in der öster-reichischen Nationalbibliothek enthält zahlreiche Maria Beatrice d’Este gewidmete Kantaten, Sonette und Beschreibungen von Festen.106 Diese Beschreibungen stellten vor allem im 18. Jahrhundert eine literarische Gattung dar, wie auch ein berühmtes Beispiel von Giuseppe Parini zeigt. Für die Hochzeit von Maria Beatrice d’Este mit Erzherzog Ferdinand Karl in Mailand schrieb Giuseppe Parini das von Mozart vertonte Libretto Ascanio in Alba und darüber hinaus die Beschreibung des ganzen Hochzeitsfestes: Descrizione per le feste celebrate in Milano per le nozze delle LL. Altezze Reali l’Arciduca Ferdinando d’Austria e l’Arciduchessa Maria Beatrice d’Este (1771).

Die Österreichische Nationalbibliothek in Wien besitzt auch noch anonyme So-nette anlässlich des Namenstages von Maria Beatrice auf Italienisch und im mailän-dischen Dialekt von einem gewissen Giuseppe Macocchi verfasst, welcher das Ge-dicht Dialog de diversi bon Ambrosian che per combinazion s’incontren al Caffè del Verones in Milan nel dì 10. de Settembre 1826, dì de nomm de Soa Real Altezza Maria Beatris schrieb.

Die reiche Anzahl von verschiedenartig gedruckten Gedichten, Sonetten, „azioni drammatiche“, Kantaten, Theateraufführungen, die meistens aus der Feder unbe-kannter Dichter stammten und das Leben Maria Beatrice d’Este begleiteten und un-terhielten, legt Zeugnis ab, dass erstens Maria Beatrice auch noch in der Romantik sehr oft im Zentrum des höfischen Zeremoniells stand und zweitens, dass die Gele-genheitsdichtung auch noch dank Giuseppe Carpani lebendig war und sich teilweise mit Erfolg gegen ihren Anachronismus wehrte. In seinem Briefwechsel bezeichnet Carpani Maria Beatrice d’Este mehrmals als „la nostra arciduchessa di Milano “107,

105 Vgl. Gualtiero Boaglio, Note su «Il fiume rappacificato», cantata inedita di Giuseppe Carpani. In:

Studien zur Musikwissenschaft (Beihefte der Denkmäler der Tonkunst in Österreich), Band 38, 1987, S.103–116. Die Signatur der Handschrift ist Cod. Ser. n. 2092.

106 Vgl. Alfred Noe, Verzeichnis der italienischsprachigen Handschriften in der Österreichischen Na-tionalbibliothek (Registro dei manoscritti in lingua italiana in possesso della Biblioteca Nazionale Austriaca di Vienna) Teil II.1B (Series nova). Das Verzeichnis existiert nur online unter diesem Link:

http://www.ksbm.oeaw.ac.at/wienonb/noe/katsn1b.htm (4.02.2012).

107 Zum Beispiel: Brief an Antonio Canova vom 3. September 1805. In: Helmut C. Jacob, Literatur,

Mu-was sich durch seine langjährige Verbindung mit der Erzherzogin erklären lässt. Am 29. Dezember 1819 drückt sich Carpani in einem Brief an Giuseppe Acerbi mit fol-genden Worten aus: „Dovete considerare ch’io sono ora il più vecchio servitore della R. sua casa [di Maria Beatrice d’Este], perché il divenni all’età di ventitre anni, ed ieri compii li sessantotto pur troppo un po’ mal spesi.“108 In den Beschreibungen Car-panis erweist sie sich als Literaturliebhaberin, begeisterte Anhängerin Pindemontes, Leserin und Gönnerin der Biblioteca Italiana des Giuseppe Acerbi und neugierig auf alle literarischen Neuerscheinungen in Italien.

Die reiche literarische Produktion des gesellschaftlichen und poetischen Zirkels für Maria Beatrice lässt erahnen, dass zu diesem Zeitpunkt das Wirken der italie-nischen Hofdichter vor allem dieser italieitalie-nischen Fürstin verpflichtet war. Unter den zahlreichen der Erzherzogin gewidmeten Werken im Besitz der Nationalbibliothek in Wien sind auch Berichte von Festen zu Ehren der Erzherzogin und ihrer Familie, die jedoch Gedichte, Kantaten oder Theaterstücke enthalten. Sie sind in der alten Tradition der Lobdichtung geschrieben worden und warten noch auf eine erste Er-forschung.