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Der ideale Parasit

Im Dokument Das Lachen und das Komische I (Seite 108-111)

B) Historische Rahmenbedingungen

VII. Der ideale Parasit

Das bedeutet aber, dass der Parasit durch Maske und Kostüm eindeutig als armer Schlucker kenntlich gemacht war, was bestimmte Vorurteile wachrufen konnte, vor allem, wenn sich andere Figuren entsprechend negativ äußerten.31 Doch gleichzeitig unterlief die Darstellung der Figur – zumindest in einer Reihe von Komödien – et-waige negative Assoziationen: Dieses Verfahren der Vergabe von Information diente nicht in erster Linie der Erzielung eines komischen Effektes,32 sondern der Bewusst-machung der Diskrepanz zwischen den gängigen Vorurteilen und dem wirklichen Charakter der Figur.

Der παράσιτος ist, so die Logik mehrerer Stücke, kein Sykophant und er ist auch kein κόλαξ im gängigen alltagssprachlichen Sinne, und wenn er als Sykophant bzw.

28 Vgl. John Oscar Lofberg: The Sycophant-Parasite. In: Classical Philology 15 (1920), S. 61–72.

29 Siehe Eckard Lefèvre: Der Phormio des Terenz und der Epidikazomenos des Apollodor von Karystos. München: Beck 1978. (= Zetemata. 74.) S. 52–54; Pernerstorfer, Menanders Kolax, S. 104.

30 In Rom war für vergleichbare Personen die Bezeichnung quadruplator üblich (vgl. Georg Danek: Parasit, Sykophant, Quadruplator. Zu Plautus, Persa 62–76. In: Wiener Studien 101 (1988), S. 223–241).

31 So verstehe ich Menander, Kolax 34–45.

32 Vielfach ist die Informationsvergabe wesentlich für die Komik eines Stückes, vgl. Gudrun Sander-Pieper: Das Komische bei Plautus. Berlin; New York: de Gruyter 2007. (= Beiträge zur Altertumswissenschaft. 244.), doch das ist hier nicht der Fall.

κόλαξ handelt, dann gezwungenermaßen, sei es aufgrund einer konkreten Dro-hung33 oder einer allgemeinen (kritikwürdigen) gesellschaftlichen Entwicklung.34 Der reine Parasit, d. h. der einzige wahre Parasit, ist den Zwängen des Alltags entho-ben: Er hat nicht die Probleme der Reichen, hat keine Verpflichtungen und nichts zu verlieren. Reichtum ist den – meisten – Parasiten nichts wert (mehrfach haben sie ihr Erbe bereits verprasst,35 oder sie kündigen an, alles Geld, das ihnen in Aussicht steht, sofort in Feste zu investieren, bis sie wieder ihr gewohntes Leben führen36).

Deshalb plagen einen Parasiten keine Sorgen und er schläft gut. Gleichzeitig kann er, obwohl er selbst nichts hat, an der Tafel anderer die Annehmlichkeiten des Le-bens in vollen Zügen genießen.37 Er lebt also ein Leben im Moment, so, wie es die

‚Freunde‘, an deren Tafel er speist, nur im Kontext eines Festes, meist eines Sympo-sions, können.38

Ein frühes Beispiel dafür, dass der Parasit gewissermaßen zu einem Ideal wird, stammt aus den Zwillingen des Antiphanes (gest. 334 / 330 v. Chr.):

„Der Parasit ist ja, wenn man es recht bedenkt,

ein Teilhaber an unserm Glück wie auch am Lebenslauf.

Kein Parasit wünscht, daß die Freunde Unglück trifft, im Gegenteil, daß alle immer glücklich sind.

Lebt einer prächtig, kennt er keinen Neid,

er wünscht nur, daran teilzuhaben, mit dabeizusein.

Er ist ein edler Freund, zugleich auch ein beständiger, er ist nicht streitsüchtig, nicht voreilig, nicht bösartig,

den Zorn zu dulden ist er gut, und spottet man, dann lacht er mit, in seiner Art ein anhänglicher, fröhlicher und heitrer Mensch

33 Vgl. Plautus, Persa I / 3. Für das Verständnis und die Beurteilung des Saturio in dieser Komödie, der sich zuerst von den Sykophanten distanziert (zur Interpretation von dessen Eingangsmonolog siehe Danek, Parasit, Sykophant, Quadruplator), um gleich darauf ge-zwungen zu werden, als ein solcher zu agieren, hat die hier vorgelegte Argumentation eben-falls Konsequenzen. Auf dieses Stück ging ich in einem Vortrag zum Thema „Ödön von Horváth und die Plautus-Übersetzung Ludwig Gurlitts: Zu Der Sklavenball und Pompeji“

im Rahmen des Symposiums „Ödön von Horváth: Edition und Interpretation“ des Litera-turarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek in Kooperation mit der Wienbibliothek im Rathaus (2. Dezember 2011) näher ein; eine Publikation dazu ist geplant.

34 Häufig wird ein Mangel an Gastfreundschaft oder ein Fehlverhalten der potenziellen Gast-geber kritisiert: Diodoros von Sinope, Die Erbin Fr. 2 K.-A.; Plautus, Captivi 88–90, Stichus 183–190; Terenz, Eunuchus 232–264.

35 Vgl. Terenz, Eunuchus 243; Horaz, Epistel I 15, 26–41; Alkiphron, Epistel III 25.

36 Vgl. Plautus, Persa 121–122; Alkiphron, Epistel III 11, 12.

37 Lukians Simon definiert überhaupt nur den erfolgreichen Parasiten als Parasiten, denn je-der, der keinen Gastgeber finde, könne die Kunst der Parasitik nicht richtig beherrschen und sei demnach kein echter Parasit (Parasitendialog 54).

38 Vgl. Lukian, Parasitendialog 15.

und wiederum ein guter Krieger – auch weit übers Maß, wenn zur Versorgung ihm ein reiches Mahl bereitet wird.“39

Dieses Zitat, in dem der Parasit als der optimale Freund dargestellt wird, spielt wie ähnliche Komödienzitate40 auf den zeitgenössischen Freundschaftsdiskurs an, in dem es um die Frage ging, was ein wahrer bzw. falscher Freund sei.41 Es ist eine doppeldeutige Stellungnahme, denn auf der einen Seite hat der Sprecher ja Recht, doch auf der anderen Seite wirkt die Aussage komisch, da der Parasit so gar nicht dem Ideal eines Hetairos entspricht.

Zudem weist dieses Zitat deutlich auf die Logik der Argumentation des Parasi-ten Simon in Lukians ParasiParasi-tendialog voraus, die ihrerseits womöglich nicht erst von dem Sophisten aus Samosata stammt, sondern bereits in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. entwickelt wurde: Lukian verwendet vielfach Werke des Kynikers Menippos von Gadara als Quelle, und es ist äußerst verlockend, den Pa-rasitendialog – zumindest in seinem Kern – ebenfalls auf Menippos zurückzuführen (für einen Kyniker lag, ebenso wie für einen Epikureer, die Auseinandersetzung mit den Parasiten nahe,42 wobei sich Lukians Simon freilich von diesen Philosophen distanziert43). In diesem Fall kann das von Simon entworfene Bild vom Parasiten als direkter Reflex auf die Mittlere und Neue Komödie gewertet werden.

39 „ὁ γὰρ παράσιτός ἐστιν, ἂν ὀρθῶς σκοπῇς, κοινωνὸς ἀμφοῖν, τῆς τύχης καὶ τοῦ βίου.

οὐδεὶς παράσιτος εὔχετ᾽ ἀτυχεῖν τοὺς φίλους, τοὐναντίον δὲ πάντας εὐτυχεῖν ἀεί.

στιν πολυτελὴς τῷ βίῳ τις· οὐ φθονεῖ, μετέχειν δὲ τούτων εὔχετ᾽ αὐτῷ συμπαρών.

κἄστιν φίλος γενναῖος ἀσφαλής θ᾽ ἅμα, οὐ μάχιμος, οὐ πάροξυς, οὐχὶ βάσκανος, ὀργὴν ἐνεγκεῖν ἀγαθός· ἂν σκώπτῃς, γελᾷ·

ἐρωτικός, γελοῖος, ἱλαρὸς τῷ τρόπῳ·

πάλιν στρατιώτης ἀγαθὸς εἰς ὑπερβολήν, ἂν ᾖ τὸ σιτάρκημα δεῖπνον εὐτρεπές.“

Antiphanes, Die Zwillinge Fr. 80 K.-A.; Übersetzung zitiert nach Athenaios: Das Gelehr-tenmahl. Buch I–VI. Zweiter Teil. Buch IV–VI. Eingeleitet und übersetzt von Claus Fried-rich, kommentiert von Thomas Nothers. Stuttgart: Hiersemann 1998, S. 467.

40 Vgl. Antiphanes, Die Frauen von Lemnos Fr. 142 K.-A.; Alexis, Der Feueranzünder Fr. 205 K.-A.; Timokles, Drakontion Fr. 8 K.-A.

41 Vgl. Theophrast, Über die Schmeichelei Fr. 83 Wimmer; Klearchos aus Soloi, Gergithios Fr. 19 Wehrli (Athenaios VI 255c–257c, 258ab). Das Thema von Plutarchs Quomodo adula-tor ab amico internoscatur wurde bereits im Peripatos diskutiert.

42 Siehe Karl Büchner: Epikur bei Menander. In: Studi italiani di filologia classica. N. S. 14 (1937), S. 151–161 (auch in: K. B.: Studien zur Römischen Literatur. Bd. 1. Wiesbaden:

Steiner 1964, S. 7–18); Fausto Montana: Menandro ‘politico’ Kolax 85–119 Sandbach (C190–D224 Arnott). In: Rivista di Filologia Classica 137 (2009), fascicolo 3–4, S. 302–

338.

43 Vgl. bes. Lukian, Parasitendialog 11–12, wo sich Simon explizit gegen Epikur wendet.

Die genannten Hinweise auf ein Konzept eines ‚idealen‘ Parasiten stammen aus einer ganzen Reihe von Werken. Ihre große Zahl spricht dafür, dass es sich dabei nicht um zufällige Gedankenblitze der einzelnen Autoren gehandelt hat, sondern dass in Athen von der Mitte des 4. bis ins frühe 3. Jahrhundert der Parasit als positive Figur diskutiert wurde – in einer Zeit, als aufgrund der immer größer werdenden Domi-nanz des ‚Realismus‘ in der Komödie mythologische Figuren wie Herakles (manche Parasiten opfern diesem44 oder leiten die Parasiten selbst von dessen Kult her45) aus dem Komödienpersonal ausgeschieden waren.46

Gut möglich, dass bereits Alexis dieser Grundgedanke dazu veranlasste, den Spitz-namen Παράσιτος zu wählen und damit die positive Bewertung dieser Figur auszu-drücken.

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