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3 Empirische Studie

3.4 Darstellung der zentralen Befunde

3.4.2 Ausführliche Analyse der Interviews

3.4.2.4 Der gemeinsame Austausch der Kooperationspartner

Im Anschluss an die ausführliche Darstellung der vielfältigen Kooperationsgewinne und berufsbezogenen Lern- und Reflexionsprozessen im Rahmen der Kooperation soll nun der Blick auf den diesbezüglichen gemeinsamen Austausch der Kooperationspartner gelenkt werden. Dieser, so ist in den vorhergehenden Kapiteln immer wieder angeklungen, kann ein zentrales Medium für die Bewusstmachung und Vertiefung von Lernerfahrungen darstellen. Aus diesem Grund ist der gemeinsame Austausch für die vorliegende Arbeit von Interesse und soll in seiner Funktion für die Unterstützung berufsbezogener Lern- und Reflexionsprozesse untersucht werden.

Der gemeinsame Austausch über berufsbezogene Unterschiede oder auch über mögliche berufsbezogene Lernprozesse in der Kooperation auf einer Metaebene scheint vor allem dann besonders intensiv zu sein, wenn eine über die Zeit gewachsene Vertrauensbasis gegeben ist und die Kooperation eine gewisse Dauer oder einen gewissen Umfang aufweist, sich also nicht nur in einem kurzen punktuellen Kontakt erschöpft. Nicht selten, so wird noch zu zeigen sein, ist der Austausch jedoch eher auf inhaltliche und organisatorische Fragen fokussiert und weniger auf tiefergehende berufsbezogenen Reflexionen. Grundsätzlich scheint häufig die Zeit zum Austausch zu fehlen, da schon die Kooperation an sich oft als Zeitproblem erlebt wird, als etwas Zusätzliches, das zwar notwendig und hilfreich ist, aber auch droht, von der jeweils „eigentlichen“ Arbeit abzuhalten. Meistens, so lässt sich aus dem Interviewmaterial erkennen, findet der Austausch anlassbezogen statt, wenn einem der beteiligten Akteure etwas Besonderes auffällt. Deutlich seltener werden regelmäßige Austausch-, Auswertungs- und Reflexionszeiten von vornherein anberaumt und einkalkuliert. Diese hier schlaglichtartig zusammengefassten Befunde gilt es im Folgenden eingehender zu betrachten.

Ein großer Teil der befragten Personen erlebt den Austausch mit den Kooperationspartnern über die Kooperation selbst sowie über Unterschiede zwischen den beteiligten Berufsgruppen und über mögliche Lernprozesse als

sehr gewinnbringend. Nicht nur in der konkreten Kooperationssituation könne man von den unterschiedlichen berufsspezifischen Vorgehensweisen und Perspektiven profitieren, gerade auch der Austausch helfe dabei, wahrgenommene Unterschiede besser einordnen zu können und einander auf diese Weise besser verstehen zu lernen. Die Erfahrung, erst im Gespräch die Möglichkeit des Voneinander-Lernens zu erschließen, schildert eine Fachkraft der kulturellen Bildung/ Kunstvermittlung mit folgenden Worten: „Also ich bin offen für Seminare, weil es einfach das Miteinander stärkt oder bei manchen sogar erst möglich macht, also ich denke, dass es schon nicht schlecht wäre, es kommt natürlich darauf an, was es für ein Seminar ist und wer das leitet, was für eine Zielsetzung das hat, aber ich bin eigentlich sicher, dass das schon helfen würde. Weil dieses es muss auch erst einmal bewusst werden, dieses voneinander Lernen und auch diese Hemmungen abzulegen, ‚ich bin besser wie der andere‘, lächerlich.“381

Auf die Frage, welche Bedeutung für sie der Austausch über berufskulturelle Unterschiede auf einer Metaebene hat, äußert eine Fachkraft der außerschulischen Jugendarbeit: „Doch, also ich finde das ganz ganz wichtig, weil ich glaube, das könnte noch mal Augen öffnen für und Toleranz fördern wahrscheinlich auch nochmal, wenn man sich vielleicht vieles gar nicht bewusst sind über die Unterschiedlichkeit oder die Andersartigkeit, aber vielleicht wenn man es mal thematisiert, ist es ja oft so, wenn man mal so eine Runde darüber dreht, dann sieht man danach Vieles mit anderen Augen und ich könnte mir gut vorstellen, dass das schon auch helfen würde ja.“

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382

Der Austausch über wahrgenommene Unterschiede und mögliche berufsbezogene Lernprozesse scheint in vielen Fällen ein sensibles Unterfangen zu sein, das eines besonderen Vertrauensverhältnisses bedarf.

In vielen Interviewpassagen wird deutlich, dass die Wahrnehmung berufskultureller Unterschiedlichkeiten häufig auch emotional besetzt ist beziehungsweise teilweise relativ starke Emotionen hervorrufen kann und nicht selten im Kontext von Vorerfahrungen und in der beruflichen Sozialisation entwickelten Bildern und Einstellungen steht. Es handelt sich folglich um eine Thematik, die man nicht mit jedem Kooperationspartner und in jedem Rahmen besprechen würde. Als Vorbedingungen müssen, so wird

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381 Interview 17, #00:28:38-3#.

382 Interview 20, #00:09:50-7#.

deutlich, ein verlässliches Vertrauensverhältnis und eine grundsätzliche Wertschätzung gegeben sein. Ebenso scheint die Dauer einer Kooperation eine Rolle zu spielen: Gespräche über berufskulturelle Unterschiede und mögliche Lernprozesse finden eher in länger andauernden Kooperationen statt, während die befragten Personen zu erkennen geben, in Kurzprojekten mit nur punktuellem Kontakt hätten diese Gespräche eher keinen Platz beziehungsweise seien nicht wirklich nötig.383 Das folgende Zitat aus einem Interview mit einer Fachkraft der außerschulischen Jugendarbeit unterstreicht den Beziehungsaspekt: „Das kommt, also das kommt sehr darauf an, also wenn ich jetzt z. B. wenn dann mit den Leitungen also mit den Schulleitungen, wenn es da eine gewisse Vertrauensbasis oder eine längere Kooperation gibt, dann kann man sowas schon auch mal ansprechen, oder auch sagen wir mal belächeln oder man kann dann einen gemeinsamen Humor darüber finden, das ist aber erst nach längerer vertrauensvoller Zusammenarbeit möglich. […] ich sage jetzt mal ein Beispiel mit dem Konrektor […] da konnte man schon mal so blöken, was ist mit einem Kollegen von mir gut gelaufen, mit dem anderen nicht und warum. Und da kann ich dann der sagt dann irgendwie da haben wir dann das Vertrauensverhältnis dann sagt er dann so "ja ihr Sozialarbeiter müsst uns auch immer belehren", dann kriege ich das auch erst mit, aber da ist ein großes da ist ein großes Vertrauensverhältnis schon da, dass man sich auch sowas mal sagen kann, häufig passiert das im Unausgesprochenen, wir haben einen anderen Kreis wo wir uns eben […] mit Lehrern treffen, wo wir uns jedes Mal blutige Finger jedes Mal blutige Finger holen, weil wir immer etwas zur Unzufriedenheit der Lehrer machen, die müssen dahin, wollen nicht, das ist ein Nachmittag, das ist mal schlecht. Wir sollen sie qualifizieren, das ist auch schon mal schlecht, weil da fühlen sie sich schon a) belehrt und b) haben wir dann meistens auch nicht so viel zu bieten, wo die dann Lehrer sagen können "ja das ist uns jetzt aber neu", ja.“384

Die Regelmäßigkeit und Organisationsform des Austauschs ist in den einzelnen Kooperationsbeziehungen sehr unterschiedlich ausgestaltet. Die Bandbreite reicht von regelmäßigen gemeinsamen Klausurtagen

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385

383 Vergl. Interview 12 und 23.

über fest

384 Interview 10, #00:16:54-3# und #00:32:32-1#.

385 Vergl. Interview 15, #00:06:08-2#.

vereinbarte Vor- und Nachbesprechungen einer Kooperationseinheit386 bis hin zu nur gelegentlichen anlassbezogenen Gesprächen, geboren aus dem Interesse an beobachteten Unterschieden oder aus daraus resultierenden Konflikten.387 In Einzelfällen geben Interviewpartner an, bislang noch gar nicht gemeinsam auf einer Metaebene über die Kooperation zu reflektieren bzw. dies auch nicht zu suchen.388 Die Bewertung einer gemeinsamen Reflexion scheint stark von persönlichen Vorlieben und Gewohnheiten beeinflusst zu sein. So äußert beispielsweise eine Fachkraft der außerschulischen Jugendarbeit, er sehe die Sinnhaftigkeit eines Austauschs zwischen den Bildungsberufen, ihm selbst liege dieses reflektorische Element in Gruppen jedoch weniger, er reflektiere wahrgenommene Unterschiede und berufsbezogene Lernprozesse eher für sich selbst.389 Eine Leitungskraft aus dem Hauptschulbereich stellt die Sinnhaftigkeit eines Austauschs im Rahmen der Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen generell in Frage, ein solches Unterfangen scheine ihr eher ein Um-Verständnis-Buhlen zu sein und für die Kooperation als solche nicht erforderlich.390 Hingegen ist etwa von einer Fachkraft der außerschulischen Jugendarbeit über die Kooperation mit Schulen zu hören, sie selbst sei sehr interessiert an einer Reflexion, die schulischen Kooperationspartner lehnten dies aber mangels Interesse ab.391

In den meisten Fällen werden Unterschiede und gegenseitige berufsbezogene Lernmöglichkeiten anlassbezogen thematisiert. Gerade auch informelle Pausen- und Randzeiten erweisen sich oftmals als Gelegenheiten, miteinander ins Gespräch zu kommen, meint eine Fachkraft der außerschulischen Jugendarbeit in diesem Zusammenhang.

392 Es brauche die persönliche Begegnung, das gehe nicht per E-Mail, so eine Gymnasialehrkraft dazu.393 Teilweise treffe man sich auch privat und es entwickelten sich intensivere Freundschaften, in denen über die unterschiedlichen Berufskulturen gesprochen werden könne.394

386 Vergl. Interview 38, #00:31:46-1#.

387 Vergl. Interview 20, #00:22:40-5#.

388 Vergl. Interview 42, #00:12:49-8# bis #00:13:27-2#.

389 Vergl. Interview 14, #00:26:44-9# und #00:25:37-8#.

390 Vergl. Interview 42, #00:13:27-2#.

391 Vergl. Interview 39, #00:30:17-4#.

392 Vergl. Interview 25, #00:14:23-4#..

393 Vergl. Interview 19, #00:37:53-6#.

394 Vergl. Interview 16, #00:17:48-3#.

Gesprächsanlässe sind meistens Beobachtungen einer ungewohnten oder unerwarteten Vorgehensweise der Kooperationspartner sowie Situationen, in denen einer der beteiligten Personen etwas besonders positiv oder negativ auffällt.395 Derartige Gespräche ergeben sich eher auf einer persönlichen Ebene, wenn sich Kooperationspartner besonders gut verstehen, sind jedoch in den seltensten Fällen strukturell in der Kooperation verankert.

Insbesondere schulische Lehr- und Leitungskräfte äußern sich auf die Frage nach Gesprächsanlässen in dieser Weise und beziehen Gespräche mit den Kooperationspartnern weniger auf eine gemeinsame Reflexion als vielmehr auf eine inhaltliche Rückmeldung an die Kooperationspartner beziehungsweise einen Hinweis auf durch den Kooperationspartner nicht erfüllte eigene Erwartungen.396 Insgesamt scheinen sich die Gespräche in vielen Kooperationsbeziehungen häufig auf der inhaltlich-organisatorischen Ebene zu bewegen oder sich auf Beobachtungen zum Verhalten der Kinder und Jugendlichen zu beziehen. Schulische Lehr- und Leitungskräfte geben ihren Kooperationspartnern häufig inhaltliche und organisatorische Rückmeldung, beispielsweise wenn Fachkräfte der betrieblichen Weiterbildung zu sehr auf Frontalvorträge setzten. Ebenso berichten Fachkräfte der betrieblichen Ausbildung, sie bewerteten auf Bitten der Schulen die Präsentationsvorträge der Jugendlichen. Gespräche über berufliche Selbstverständnisse, Unterschiede zwischen den Bildungsberufen und gegenseitige Lernmöglichkeiten finden im Vergleich dazu wesentlich seltener statt.397 In eher reflexiv angelegten Gesprächen hingegen berichten beispielsweise Lehrkräfte weiterführender Schulen ihren Partnern aus Wirtschaftsunternehmen, wie hilfreich dieser Praxiseinblick über den eigenen Tellerrand hinaus für sie sei, man spreche auch über die unterschiedlichen strukturellen Rahmenbedingungen und disziplinarischen Möglichkeiten der verschiedenen Bildungsberufe oder auch über den Erfolg oder Misserfolg unterschiedlicher pädagogischer Vorgehensweisen.398

Die Fokussierung auf Fachinhalte und organisatorische Fragen begründen die interviewten Personen in der Regel mit einem Mangel an Zeit: Eine systematischere Reflexion sei im Grunde schon wünschenswert, man habe

395 Vergl. Interview 39, #00:32:05-8#.

396 Vergl. Interview 40, #00:26:25-9#.

397 Vergl. Interview 43, #00:37:15-1#.

398 Vergl. Interview 43, #00:37:15-1# und Interview 46, #00:37:14-4# und #00:38:09-0#.

jedoch so viele verschiedene Kooperationspartner und die Kooperationen müssten immer zusätzlich zum „eigentlichen“ Alltagsgeschäft bewältigt werden, sodass man sich in Gesprächen auf das sachlich-fachlich Nötigste beschränken müsse. Kooperation sowie deren Reflexion scheinen also im beruflichen Selbstbild nicht unbedingt zum „eigentlichen“ Auftrag zu gehören.399 Dies spiegelt sich auch in Aussagen wieder, die deutlich machen, dass die für Kooperation aufgewendete Zeit häufig als zusätzliche Zeit empfunden wird, die zur eigentlichen Arbeit noch hinzukommt. Eine Fachkraft der außerschulischen Jugendarbeit beschreibt diesen Umstand mit folgenden Worten: „Also solche Dinge sind natürlich immer hilfreich und weiterführend, man muss sie nur in der Realität irgendwie einbetten können und wenn man da alles macht, was an Reflexionsgesprächen notwendig wäre, können wir glaube ich eine Lehrkraft ein ganzes Jahr Reflexionsgespräche führen ohne zu unterrichten. Es wäre schon wünschenswert, dass es sowas gäbe, keine Frage, aber wir müssen dann die Voraussetzungen auf beiden Seiten dafür schaffen.“400. In diesem Zusammenhang äußert beispielsweise eine Lehrkraft aus dem Hauptschulbereich, man müsse ja bei all den Kooperationen auch noch zum eigentlichen Kerngeschäft, dem Unterricht, kommen, deshalb spreche man vor allem dann mit den Partnern, wenn diese eine Rückmeldung wünschten, wenn Absprachen nicht eingehalten oder die eigenen Vorstellungen von Bildung und Betreuung nicht entsprechend umgesetzt würden.401 Eine Realschulleitungskraft merkt in diesem Zusammenhang an, Lehrkräfte seien pädagogische Profis genug, man könne durchaus einmal externe Personen dazu holen und sich auch miteinander besprechen, dürfe jedoch auf keinen Fall weitere Gesprächsgremien schaffen, das sei in jedem Falle unnötig.402 Eine weitere Realschulleitungskraft und eine Sonderschullehrkraft bemerken dazu, wenn eine grundsätzliche Wertschätzung vorhanden sei und die Kooperationsprojekte gut liefen, brauche man eigentlich auch gar nicht so viel miteinander zu sprechen.403

399 Vergl. Interview 40, #00:55:44-9#.

Wohingegen eine Sonderschulleitungskraft gerade den Austausch auch über die persönlichen und bisweilen

400 Interview 25, #00:40:03-3#.

401 Vergl. Interview 41, #00:26:25-0#.

402 Vergl. Interview 33, #00:12:47#.

403 Vergl. Interview 22, #00:23:50-8# und Interview 26, #00:27:59-1#.

emotionalen Anteile in der Kooperation für besonders wichtig hält, und meint, man müsse regelmäßig darauf sehen, ob es den beteiligten Kooperationspartnern noch gut gehe mit der Zusammenarbeit.404

Für einen nicht geringen Anteil der interviewten Personen ist insbesondere zu Beginn einer Kooperationsbeziehung der Abstimmungsbedarf besonders hoch, es gilt sich über Inhalte, Organisation, Rollen, Erwartungshaltungen und Ziele zu verständigen. Auch am Ende einer Kooperationseinheit, beispielsweise zum Schuljahresende, scheint eine gemeinsame Auswertung der Kooperation wichtig zu sein, wobei auch hier wieder eher inhaltliche und organisatorische Aspekte dominieren. Interessanterweise weisen einige wenige der befragten Personen darauf hin, eine gezielte Evaluation sei besonders wichtig, um die Kooperation weiterzuentwickeln, jedoch dürfe sie auch nicht zu wissenschaftlich oder zu intensiv sein, sonst überfordere man sich und die Kooperationspartner.

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Insgesamt zeigt sich also ein differenziertes und vielfältiges Bild hinsichtlich des gemeinsamen Austauschs über berufskulturelle Unterschiede und mögliche berufsbezogene Lernprozesse. Die Frage nach der gemeinsamen Reflexion als Medium der Bewusstmachung und Vertiefung von Lernprozessen wird an anderer Stelle mit Blick auf die flankierenden Unterstützungsleistungen regionaler Bildungslandschaften noch einmal aufzugreifen sein.

404 Vergl. Interview 34, #00:44:26-4#.

405 Vergl. Interview 38, #00:31:46-1#.