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Der Film: Filmästhetik

Im Dokument Hollywood in Hell (Seite 36-40)

3.1 SIN CITY als getreue Comic-Adaption

Rodriguez zielte darauf ab, eine absolut werkgetreue Adaption der Comics zu verfilmen: „I don’t want to make Rodriguez’s SIN CITY, I want to make Frank Miller’s SIN CITY“ (Rodri-guez in Miller/Rodri(Rodri-guez 2005, S.21). Dass er dies ernst meint, bewies Rodri(Rodri-guez: Im Film-titel steht nicht sein Name, sondern der von Frank Miller. Miller wurde Co-Regisseur. Und letztendlich zeigt es sich in der Filmästhetik. Handke (2005) ist sogar der Meinung, SIN

CITY sei keine Comicverfilmung, sondern eine „Fortsetzung des Comics mit anderen Mitteln.“ Tableau für Tableau wurde umgesetzt und „in die Dreidimensionalität katapul-tiert“ (Merschmann 2005).

Die Reihe von Frank Miller ist geprägt durch ein extremes Schwarz-weiß. Ein Schatten kann Weiß in Schwarz und Schwarz in Weiß verwandeln – wie das Negativ und das Positiv eines Fotos (Abbildung 3). Manchmal verschwindet der Hintergrund vollständig in dem alles verschlingenden Schwarz, nur der Protagonist ist dann noch zu sehen.

Getreu der Vorlage ist SIN CITY fast ausschließlich in Schwarz-weiß gehalten. Doch Rodri-guez benutzt schwarz und weiß als Farben, wie Rüdiger Suchsland (2005a) betont.

Das Blut wird z.B. teilweise in einem regelrecht leuchtenden Weiß dargestellt – was dazu führte, dass aufgrund dieser Künstlichkeit extremere Gewaltdarstellungen möglich wur-den.54 Ursprünglich enthielt SIN CITY nur die Farben schwarz und weiß, wodurch ein stark graphischer Look erzielt wurde (Olivia in Miller/Rodriguez 2005, S.24). Um diese extremen Kontraste zu mindern und dem Film eine 3D-Perspektive zu geben, wurden später Grautö-ne beigemischt. Auffällig ist, dass dies in unterschiedlich starkem Maß bei den drei in SIN

CITY enthaltenen Geschichten geschieht. So sind HARD GOODBYE und BIG FAT KILL

fotorealistischer als YELLOW BASTARD. Grund hierfür ist, dass die Effekte für die drei Geschichten von drei unterschiedlichen Effekthäusern entwickelt wurden, weshalb jede

54 Laut Keefe Boerner, dem Post Supervisor, hätte dem MPAA zufolge der Film stark gekürzt werden müssen, wäre er in Farbe gedreht worden (Miller/Rodriguez 2005, S.28)

Abbildung 3: Das Bild wird zum Negativ (THE CUSTOMER IS ALWAYS RIGHT)

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Geschichte ihren eigenen, persönlichen Look hat. Doch auch bei den ‚fotorealistischen’

Geschichten ist der Kontrast zwischen schwarz und weiß bestimmend. Vereinzelt werden auch Farben eingesetzt, die das Bild durchbrechen.

Die Farben sind spärlich und gezielt eingesetzt und verstärken das krasse Schwarz-weiß des Films. Die Farben werden als Waffe eingesetzt, als Werkzeug, um Emotionen darzustellen.

Das Rot des Blutes zum Beispiel verstärkt den Schmerz des Protagonisten. Rot steht auch für die sexuelle Lust, so wie Gelb „ekelerregende Abscheu“ symbolisiert (Mehring 2005).

Die Hintergründe, Kostüme, Maske und Requisiten wurden originalgetreu entwickelt. Der für die visuellen Effekte verantwortliche Rodney Brunet (Miller /Rodriguez 2005, S.27) drückt sich folgendermaßen aus: „Frank Miller’s comic book was our bible and our jumping off point for every shot.“

Auch übernommen wurde die spezielle Weise des Comic-Erzählens mit seinen speziellen Dialogen und Jump-Cuts von Motiv zu Motiv. „Comichaft zu erzählen, bedeutet, mittels einer Reihung von Einzelbildern zu erzählen, die so genau komponiert sind, dass jedes für sich über sich hinausweist“, was in SIN CITY Suchsland (2005a) zufolge gelingt. Darüber hi-naus wird keine abgeschlossene Geschichte erzählt, sondern mehrere kleine, in sich ver-schachtelte Geschichten. In Referenz an Tarantinos PULP FICTION (1994) gibt es drei Handlungsstränge, die teilweise miteinander verwoben sind. Eingebettet sind diese in eine Rahmengeschichte. Somit stellt SIN CITY eine der werkgetreuesten Comic-Adaptionen dar, in der die „Essenz der Comics“ (Suchsland 2005a) enthalten ist.

3.2 Film Noir digital reloaded

„Es ist, als hätte man die Extreme des Film Noir noch einmal völlig neu ausgelotet.

So etwas hat man auf der Leinwand noch nicht gesehen.“

(Josh Hartnett, zit. nach Jasper 2005) SIN CITY greift Elemente des Film Noir auf – sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Die The-men sind Liebe und Verrat, Gier und Tod, der Schauplatz ist fast ausschließlich die Stadt.

Die Verquickung der Geschichten macht aus dem Film ein „unüberschaubares, multipers-pektivisches, durchaus achronologisches filminhärentes Zeichenuniversum“ (Heller 2005), das ganz in der Tradition des Film Noir steht. In jeder Geschichte gibt es ein Verbrechen und eine unglückliche Liebe, den einsamen Helden und die düstere Großstadt.

SIN CITY spielt mit Elementen aus dem Film Noir, überzeichnet sie oder ironisiert sie. Die Protagonisten sind „groteske Antihelden“ (Suchsland 2005b), die sich der Methoden ihrer durch Kriminalität, Bosheit und Skrupellosigkeit geprägten Umwelt bedienen. Trotzdem haben sie, ganz im Sinne des detective code, ehrbare Ziele und Wertvorstellungen. Sie entspre-chen dem typisentspre-chen Einzelgänger. Das Lebensgefühl ist „bitter, existentialistisch und me-lancholisch“ (Suchsland 2005b).

Äußerlich sind die Frauen eine Überzeichnung der Femmes Fatale des Film Noir. Jedoch ge-hören sie auf die Seite der Guten. Ein Glanz liegt auf ihren Gesichtern, ein Licht, das einst Frauen wie Barbara Stanwyik ausleuchtete und schöner „than life“ machte (Suchsland 2005a). Erzählt werden die Geschichten hauptsächlich aus der Perspektive des jeweiligen Protagonisten, welcher die Handlung kommentiert.

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Diese Kommentierung durch den „hard-boiled Loner“ (Heller 2005) ist aus dem Film Noir in Filmen wie SUNSET BOULEVARD (USA1950, R: Billy Wilder) bekannt und stammt aus den hard-boiled Romanen. Der Anteil an Off-Kommentaren in SIN CITY übersteigt bei weitem den der Dialoge. Der Rezipient erlebt die Handlung aus der Perspektive des Protagonisten.

Dazu kommt das Spiel mit filmischen Zitaten aus dem Film Noir: Der Mantel gehört zum Privatdetektiv, das ist aus Filmen wie MALTESE FALCON (USA 1941, R: John Huston), bekannt. In HARD GOODBYE trägt Marv einen solchen Mantel. Auf diesen wird auch immer wieder angespielt, so ‚tauscht’ Marv seinen Mantel zwei Mal (Sequenz 6 und 7) aus – immer dann nämlich, wenn er einen Informanten tötet („Now that’s one damn fine-looking coat you’re wearing there“; Marv 0:19:41). Die Welt von SIN CITY ist jedoch grau-samer als die des Film Noir. Es gibt fiesere Verbrechen, brutalere Methoden und dunklere Gassen. Wie im klassischen Film Noir regnet es oft in SIN CITY (Abbildung4):

„Wie weiße Blitze schneidet er [der Regen] den tiefschwarzen Nachthimmel in Streifen, trifft mit kleinen Detonationen auf menschliche Körper, trennt die Figuren voneinander wie Gitterstäbe“ (von Törne, 2005).

Spielt der Film Noir hauptsächlich bei Nacht, scheint es in SIN CITY gar keinen Tag zu ge-ben. Keine einzige Szene spielt am Tag, die Menschen scheinen nur in der Nacht zu lege-ben.

In der Tradition der Film Noir Ästhetik wird das Spiel zwischen Licht und Schatten auch in SIN CITY kunstvoll stilisiert. Es gibt grelles Licht und tiefe Schlagschatten, die Jalousien sind immer unten und werfen Schatten auf die Gesichter. Ganz im Noir-Stil verwendet SIN

CITY extreme Perspektiven. Vogelperspektive, Froschperspektive und eine schiefe Kamera zeigen Stärke und Schwäche – und dass die Welt aus den Fugen geraten ist.

3.3 Kino der Bilder – Stilisierung und Abstraktion

Doch nicht nur aus dem Film Noir schöpft SIN CITY, sondern auch, wie Suchsland (2005a) erkennt, aus einem der Ursprünge des Film Noir, dem deutschen Existentialismus:

Abbildung 4: Der alles durchdringende Regen aus AHARD GOODBYE.

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„Sein [Rodriguez’] Film ist eine Hommage an die dunklen Schattenwelten und See-lenlandschaften des Expressionismus, schwarze Depressionsphantasien, Nahaufnah-men des Schreckens.“

Es gibt starke Kontraste zwischen Licht und Schatten, die Darstellerleistung ist stilisiert, Mehring (2005) bezeichnet sie als „absurdes Overacting.“ Die Bilder sind „exaltiert und überdeutlich, überaus stilisiert und überaus deutlich“ (Suchsland 2005a). Die Gewalt wird stilisiert und oft durch Komik gebrochen.

Vorbild zu dieser Kunst zur Abstraktion und dem grotesken Humor ist Suchsland (2005a) zufolge der deutsche Expressionismus. Letztendlich lässt sich SIN CITY jedoch in keine Epoche einordnen, es ist ein „postmoderner Mix aus Straßenkreuzern der 1950er-Jahre und zeitgenössischen Mercedes oder Ferraris, aus Femmes Fatales der klassischen Tonfilm-Ära und fetischistischen Dominas der britischen Punkszene, aus Samurai-Schwertern55 und hochmodernen Handfeuerwaffen“ und wird dadurch zu einem Film, bei dem Pulp, Pop und Pop Art verwischen (Mehring 2005). Gerade dadurch, dass sich SIN CITY nicht in eine Zeit einreihen will, wird er als zeitlos und als fiktionales Werk erkannt.

Der Film spielt mit Zitaten aus der Populärkultur und es ist deshalb kein Zufall, dass ausge-rechnet Elijah Wood, der aus LORD OF THE RING (2002, R: Peter Jackson) bekannt gewordene Schauspieler, einen Kannibalen spielt: In Herr der Ringe hatte Wood die Rolle von Frodo übernommen, der kleine Hobbit, der Mittelerde vor dem Dunklen Herrscher retten muss. Bruce Willis dagegen als Hartigan spielt die Rolle, in der man ihn kennt: Den grundehrlichen Helden. Die Figuren sind künstlich, stereotyp und voller Klischees, „Pop-Archetypen“, nennt sie Behrens (2007).

3.4 Making of SIN CITY

Der Film wurde komplett digital gefilmt – 95 Prozent des Films entstanden vor Green Screen. Nur so war es möglich, die oben erwähnten Effekte zu erzielen und eine werkge-treue Adaption herzustellen. Die Hintergründe wurden im Schnitt dazugefügt, die einzige Kulisse waren Kadie’s Bar, Shelley’s Appartment und das Krankenhaus im Epilog. Diese Szenen sind fotorealistischer.

Oft waren nicht alle Schauspieler einer gemeinsamen Szene am Set, sondern wurden erst in der Nachbearbeitung zusammengefügt. Somit war ein schnelles und flexibleres Drehen möglich. Flexibilität wurde auch dadurch erzielt, dass in Farbe gedreht wurde, die erst in der Postproduction herausgenommen wurde. So konnten die Farben beliebig verändert werden. In der Green-Screen Version ist das Blut rot und der feige Bastard blau. In jeder der Geschichten wurden mehr als 600 Effekte verwendet (Jasper 2005). Viel Aufwand war es, die Schauspieler in die einzelnen Figuren zu verwandeln. Allein die Verwandlung von Mickey Rourke dauerte zweieinhalb Stunden, ihm wurden eine Perücke, eine Stirn-und-Nasen Prothese und das Kinn angepasst (Miller/Rodriguez 2005).

Das Ziel war es, „das einzufangen, was die Bücher visuell so interessant macht“ (Rodri-guez, zit. nach Jasper 2005). Visuelle Einzelheiten wurden deshalb bis zur Lichtsetzung ge-treu reproduziert.

55 Im Übrigen handelt es sich bei den Samurai-Schwertern um dieselben, mit denen Uma Thurman als ‚die Braut’ in Tarantinos KILL BILL kämpfte (Miller/Rodriguez 2005).

Die Welt vonSIN CITY und religiöse Motive

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