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II. EMPIRISCHER TEIL

8. DISKUSSION

8.2 Der Effekt des Erkrankungsalters in den morphometrischen Analysen

8.2 Der Effekt des Erkrankungsalters in den

Ergebnissen konnte jedoch keine Assoziation zwischen einem früheren Erkrankungsbeginn und kleineren ipsilateralen Hippocampi beobachtet werden.

Dies spricht gegen die Annahme, dass die Epilepsiedauer einen dramatischen Einfluss im Sinne einer Progredienz auf die Morphologie der mesio-temporalen Strukturen hat.

Die Ergebnisse der vorliegenden volumetrischen Analyse reihen sich damit in die kontroverse Datenlage ein. In einigen Studien wurde eine Assoziation mit dem Erkrankungsalter gefunden (Kalviainen & Salmenpera, 2002; Trenerry et al., 1993), in anderen mit der Epilepsiedauer (Jokeit et al., 1999; Seeck et al., 1999), wieder andere konnten diesen Zusammenhang nicht finden (Cendes, Andermann, Gloor et al., 1993; Spanaki et al., 2000). Die heterogene Befundlage ist wohl auch durch Unterschiede in den verwendeten Methoden bedingt (heterogene TLE-Stichproben, unterschiedliche Stichprobengrößen, die verwendeten Volumetrie-Protokolle, Schichtdicke der Datensätze, etc.). Im Gegensatz zu automatisierten Methoden sind gerade die Ergebnisse der manuellen Volumetrie u.a. abhängig von der Qualität der gewählten Methoden.

Das manuell-volumetrische Vorgehen in dieser Studie erfüllt in dieser Hinsicht die von Geuze und Kollegen (2005) vorgeschlagenen Qualitätsstandards: So wurden zum einen dünnschichtige Datensätze verwendet (1mm Schichtdicke).

Das Programm „AnalyzeTM“ erlaubt weiterhin die dreidimensionale Darstellung aller drei orthogonalen Schnittebenen und somit eine optimale visuelle Überprüfung der eingezeichneten Volumina. Amygdala und Hippocampus wurden separat vermessen und die Bilder entlang der Hippocampus-Längsachse ausgerichtet (Geuze, Vermetten, & Bremner, 2005). Zudem ist die volumetrisch analysierte Stichprobe deutlich größer als die üblicherweise in der Literatur berichteten Zahlen. Dies ist vor allem auf den hohen zeitlichen Aufwand, welcher mit der manuellen Volumetrie verbunden ist, zurückzuführen.

Die manuelle Volumetrie gilt bis zur Etablierung reliabler und valider automatisierter Methoden als „Goldstandard“ für die Morphometrie der temporo-mesialen Strukturen bei TLE (Geuze et al., 2005; Pardoe et al., 2009). Die vorliegenden Ergebnisse stützen in dieser Hinsicht die positive Sichtweise der manuellen Volumetrie bei Patienten mit TLE.

8.2.2 Voxel-basierte Morphometrie

Der zunächst als Plausibilitätsprüfung erfolgte Vergleich der Hirnmorphologie der Patienten mit den Gesunden erbringt in Konkordanz mit anderen Befunden für Patienten mit linkstemporalen Läsionen ein größeres Ausmaß der Pathologie als für Patienten mit rechtstemporalen Läsionen (Bonilha et al., 2004; Riederer et al., 2008). Weiterhin zeigen die gefundenen morphologischen Auffälligkeiten eine Mitbeteiligung extra-temporaler Regionen an. Die Ergebnisse stützen somit die Sichtweise eines affektierten Netzwerks bei Patienten mit TLE (Bernasconi et al., 2004; Bonilha & Halford, 2009; Lin et al., 2007; S. G. Mueller et al., 2004; Riederer et al., 2008)

Das Hauptergebnis der voxel-basierten Analysen bezieht sich jedoch auf die Hypothese, dass es ein morphologisches Korrelat für die beobachteten kognitiven Defizite geben sollte. Der Vergleich der beiden Patientengruppen zeigt einen deutlichen Effekt des Erkrankungsalters. Er wird in der Gruppe mit dem frühen Erkrankungsalter als eine Volumenzunahme der grauen Substanz über große Bereiche des Gehirnes, mit einem Schwerpunkt in den frontalen Regionen deutlich und bestätigt damit Hypothese 4. Es gibt hingegen keine Bereiche mit einer Volumenzunahme in der Gruppe mit dem späteren Erkrankungsalter.

Auf den ersten Blick mutet das Ergebnis einer Volumenzunahme bei einem Krankheitsbild, welches sich vor allem durch Reduktionen der grauen Substanz gegenüber Gesunden auszeichnet, überraschend an. Die Mehrzahl der VBM-Studien findet, wie in einem Übersichtsartikel beschrieben, Verminderungen der grauen Substanz im Vergleich zu Gesunden (S.S. Keller & Roberts, 2008). In diesem Artikel wird diskutiert, dass die Beobachtungen einer Zunahme jedoch zumeist im Temporallappen gemacht werden und daher wahrscheinlich Abbild der Atrophie und des verminderten Grau-/Weiß-Kontrastes darstellen. Weiterhin beziehen sich diese Befunde auf die Dichte der grauen Substanz und nicht das Volumen (S.S. Keller & Roberts, 2008). Keines der angegebenen Argumente kann jedoch die vorliegenden Ergebnisse erklären: Zum einen sind die in der vorliegenden Studie beobachteten Volumenzunahmen hauptsächlich in Regionen außerhalb des Temporallappens lokalisiert, zum anderen beziehen

sich die Ergebnisse auf tatsächliche Volumenzunahmen (und nicht das abstraktere Konstrukt der „Dichte“). Außerdem ist in diesem Zusammenhang wichtig und darauf wird in dem Übersichtsartikel explizit hingewiesen, dass es bei TLE immer sinnvoll ist, die Daten sowohl auf eine Zu- als auch Abnahme des Volumens grauer Substanz zu untersuchen. Viel zu oft wurde in der Vergangenheit TLE als eine Erkrankung der grauen Substanz vorrangig mit einer Reduktion, vor allem der mesio-temporalen Strukturen, assoziiert (S.S.

Keller & Roberts, 2008). Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass vorrangig Berichte über Reduktionen existieren. Hervorzuheben ist jedoch, dass die in der Literatur beschriebenen Reduktionen sich immer auf den Vergleich zwischen Gesunden und TLE-Patienten beziehen. Die vorliegende VBM-Studie ist die erste, in welcher der direkte Vergleich der Gruppen mit unterschiedlichem Erkrankungsalter adressiert wurde. So ist es durchaus denkbar, dass sich die Gruppen mit dem frühen und späten Erkrankungsalter durch eine regionale Volumenzunahme unterscheiden, während für die Gesamtgruppe- wie auch bei den vorliegenden Ergebnissen der Fall- eine Reduktion der grauen Substanz im Vergleich zu den Gesunden feststellbar ist.

Weiterhin folgt aus den Ergebnissen der VBM-Analysen, dass Hypothese 5 angenommen werden kann, da in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Cormack und Kollegen an Kindern mit TLE besonders Strukturen betroffen sind, die in funktioneller oder struktureller Beziehung zum limbischen System stehen (Cormack et al., 2005). Die Tatsache, dass diese Defizite schon bei Kindern vorhanden sind, die sich im Gegensatz zu Erwachsenen durch eine kurze Epilepsiedauer auszeichnen, ist einmal mehr ein Argument gegen eine längere Krankheitsdauer als adverse Variable im Gesamtgeschehen (Cormack et al., 2005). Viel mehr sprechen die Befunde dafür, dass diese Veränderungen schon relativ früh im Krankheitsverlauf existent sind. Zum einen könnte dies bedeuten, dass diese Veränderungen schon zu Beginn der Epilepsie vorhanden und vielleicht sogar ursächlich für ihre Genese sind. Andererseits könnte es aber auch sein, dass in diesen Befunden der adverse Einfluss der TLE auf das reifende Gehirn (im Sinne einer Entwicklungsbehinderung) zum Ausdruck kommt.

Im Rahmen dieser Arbeit hat die Anwendung der zwei unterschiedlichen morphometrischen Methoden zum Erkenntnisgewinn beigetragen. Während in den voxel-basierten Analysen die extra-temporalen Regionen im Fokus standen, weil die Anwendung von VBM in atrophierten Hirnstrukturen problembehaftet ist, bot die volumetrische Analyse die Möglichkeit, auch die temporo-mesialen Strukturen zu analysieren.

In Hypothese 6 wurde postuliert, dass sich der Einfluss des Erkrankungsalters eher in den mittels VBM untersuchten extra-temporalen Regionen abbilden sollte als in den volumetrisch analysierten temporo-mesialen Strukturen. Die zugrundeliegende Rationale für diese Annahme war, dass in einer früheren Studie kein Einfluss des Erkrankungsalters bezüglich der mit den temporo-mesialen Strukturen assoziierten Verbalgedächtnisleistungen beobachtet wurde. Dahingegen zeigte sich ein Einfluss eines frühen Erkrankungsalters auf die Intelligenzleistungen, die mit neokortikalen Strukturen in Verbindung gebracht werden (Helmstaedter, 2005). Die Tatsache, dass die temporo-mesialen Volumina nicht mit dem Alter zum Erkrankungszeitpunkt assoziiert sind, spricht gegen einen adversen, progressiven Einfluss einer längeren Dauer auf die mesialen Strukturen und bestätigt damit Hypothese 6. Es zeigte sich also weder ein Einfluss des Erkrankungsbeginns auf die Struktur, noch auf die Funktion (Verbalgedächtnis) der temporo-mesialen Regionen.

Im Gegensatz zu morphometrischen Befunden bei Gesunden (Shaw, 2007;

Shaw et al., 2006; Wilke et al., 2003) konnte allerdings in der vorliegenden Studie kein direkter Zusammenhang zwischen dem HAWIE-IQ und dem regionalen Volumen grauer Substanz beobachtet werden. In Bezug auf die kristalline Intelligenz, operationalisiert über einen Wortschatztest, zeigten sich hingegen Hinweise auf eine negative Korrelation mit dem frontalen Volumen grauer Substanz. Es bleibt unklar, warum dieser letzte Beweis für den HAWIE-IQ nicht gelingt. Andererseits muss eine bei Gesunden gefundene Korrelation nicht zwingend auch im pathologischen Gehirn existieren. In Studien an gesunden Probanden konnte gezeigt werden, dass es sich bei der Korrelation zwischen IQ und Morphologie um einen dynamischen, nicht-linearen Prozess handelt. Die positiven Korrelationen zwischen Hirnstruktur und Intelligenz sind auch bei Gesunden moderat (r=.33) und werden generell mit zunehmendem Alter stärker. Weiterhin hat wahrscheinlich die Heterogenität hinsichtlich der

Intelligenzleistungen in den Gruppen dazu beigetragen, dass sich diese Beziehung nicht statistisch signifikant und linear abbildet. Dennoch ist auffällig, dass die Veränderungen der grauen Substanz vorrangig in frontalen Strukturen beobachtet wurden, die immer wieder mit Intelligenz in Verbindung gebracht werden (Jung & Haier, 2007).

Zusammenfassend konnten alle Hypothesen angenommen werden. Es findet sich ein niedrigeres Ausbildungsniveau (Hypothese 1) und eine signifikant schlechtere Intelligenzleistung (Hypothese 2) in der Gruppe mit dem frühen Erkrankungsalter. Hinsichtlich der Gedächtnisparameter zeigen sich die Intelligenz-abhängigen Gedächtnisparameter eher vom Erkrankungsalter affektiert als die von Intelligenz unabhängigeren Parameter wie der verbale Verlust (Hypothese 3). Wie in Hypothese 4 postuliert, bildet sich in den voxel-basierten Analysen der negative Einfluss eines frühen Erkrankungsalters in der Hirnmorphologie ab. Es lässt sich jedoch auf Basis dieser Daten nicht endgültig bestimmten, ob dies das Resultat einer Entwicklungsbehinderung ist oder das frühe Erkrankungsalter und die niedrigere Intelligenz Folge einer gestörten Hirnentwicklung sind. Auch die Annahme aus Hypothese 5, dass besonders Strukturen affektiert sind, die mit dem Hippocampus in struktureller und funktioneller Verbindung stehen, hat sich bestätigt. Hypothese 6 in welcher formuliert wurde, dass sich der Einfluss des Erkrankungsalters eher in den extra-temporalen Strukturen als in den temporo-mesialen Regionen zeigt, wird ebenfalls angenommen.

8.3 Übergreifende Interpretation aller Ergebnisse und