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4 Diskussion

4.2 Diskussion der Ergebnisse

4.2.2 Ätiologie von Müdigkeit

4.2.2.4 Depression Zusammenfassung

Bei der Diagnose einer gravierenden somatischen Erkrankung war die Müdigkeit in der Regel nur eines von mehreren Symptomen, bei Diabetes mellitus z.B. sind Polyurie und Polydipsie wegweisendere Erstsymptome. Dass Müdigkeit, die als isolierte Beschwerde besteht, eine ernsthafte körperliche Erkrankung zugrunde liegt, ist eine extreme Ausnahme.

Die beiden Studien, bei denen eine Kontrollgruppe eingerichtet wurde, fanden keine Unter-schiede in der Häufigkeit von gravierenden somatischen Erkrankungen zwischen unter Müdigkeit leidenden und nicht unter Müdigkeit leidenden Patienten (Kroenke (1988), Catheb-ras (1992)).

Konsequenzen

Patienten, die beim Hausarztbesuch über Müdigkeit klagen, leiden nur zu einem kleinen Teil an gravierenden somatischen Erkrankungen. Der Prozentsatz schwankt stark, je nachdem welche Erkrankungen mit einbezogen werden, welcher Referenzstandard der Diagnosestel-lung zugrunde liegt und wie Müdigkeit definiert wird. Die qualitativ hochwertigen Studien haben Häufigkeiten von maximal 18% gefunden; der Großteil dieser Studien stellte Anteile von unter 10% fest. Es muss auch immer an die Möglichkeit gedacht werden, dass es sich bei den diagnostizierten Erkrankungen um Komorbiditäten statt um die Müdigkeit verursachen-den Erkrankungen handeln könnte. Müdigkeit ist ein unspezifisches Symptom, dass bei vielen chronischen somatischen Erkrankungen auftritt. Patienten, die beim Arztbesuch Müdigkeit äußern, müssen ernst genommen werden, jedoch sollte sich der diagnostische Pfad zunächst auf eine gründliche Anamneseerhebung, eine körperliche Untersuchung und ein Basislabor beschränken. Aufwendige teure Diagnostik ist unangebracht, da es auf diese Weise zu vielen falsch positiven Untersuchungsergebnissen kommt, eine Somatisierungstendenz beim Patien-ten hervorgerufen werden kann und es keinen Nachweis dafür gibt, dass mehr Krankheitsfälle detektiert werden. Selbst wenn eine Erkrankung diagnostiziert wird, sollte der Hausarzt sich nicht vorschnell damit als Erklärung für die Müdigkeit zufrieden geben, sondern bedenken, dass es sich bei Müdigkeit um ein multifaktoriell verursachtes Symptom handelt und biologi-sche, psychische und soziale Aspekte eine Rolle spielen können.

4.2.2.4 Depression

habe ich eine Unterteilung in Subgruppen entsprechend des jeweils genutzten diagnostischen Verfahrens vorgenommen.

Die Studien, bei denen die Depression im Rahmen der ärztlichen Routine erfolgte, also im Ermessen des behandelnden Arztes lag, fanden mit Ausnahme von 3 Ausreißern Häufigkeiten von etwa 16% bis 21%.

Studien, die ein standardisiertes Screening durchgeführt haben, meist in Form eines kurzen Fragebogens, stellten wesentlich höhere Anteile an depressiven Patienten unter den müden Patienten fest. Die Häufigkeiten reichen bis fast 70%.

Der Ergebniswert bei der Durchführung eines strukturierten Interviews liegt mit 17% im Be-reich der Anteile, die im Rahmen der klinischen Routine ermittelt wurden.

Interpretation

Von einem deutlichen Zusammenhang zwischen affektiven Störungen und Müdigkeit wird in zahlreichen Arbeiten berichtet (Wessely 1995). Die große Mehrheit, schätzungsweise um die 75%, der depressiven Patienten leidet an Müdigkeitssymptomen (Brunnhuber, Frauenknecht et al. 2004). Umgekehrt erfüllen auch viele Müdigkeitspatienten die Kriterien einer depressi-ven Störung.

Wessely (Wessely 1995) beschreibt in einem Übersichtsartikel über chronische Müdigkeit, dass etwa die Hälfte der Patienten, die die CFS-Kriterien erfüllen, an einer affektiven Störung leiden und weitere 25% an einer anderen psychiatrischen Störung wie Angst- oder Somatisie-rungsstörungen leiden. Eine bevölkerungsbasierte europaweite Studie hat gezeigt, dass die Müdigkeitssymptomatik, die von vielen depressiven Patienten berichtet wird, nicht notwendi-gerweise mit Schlafstörungen verknüpft ist, sondern auch als unabhängiges Symptom auftritt (Tylee, Gastpar et al. 1999).

Die Assoziation zwischen Müdigkeit und Depression wird durch die Ergebnisse meiner sys-tematischen Übersichtsarbeit auch für Patienten in der Primärversorgung deutlich.

Besonders hohe Anteile von depressiven Patienten unter den Müdigkeitspatienten finden sich bei der Diagnosestellung anhand eines standardisierten Screenings. Es muss allerdings be-dacht werden, dass es sich bei den Fragebögen um Instrumente handelt, durch die der Ver-dacht auf eine Depression überprüft wird, nicht aber die endgültige Diagnose gestellt werden sollte. Nichtsdestotrotz ist die hohe Zahl an positiven Testungen alarmierend und zeigt, dass

vorliegt, setzen bereits depressive Symptome die Lebensqualität deutlich herab. Gerade der Hausarzt sollte bei diesen Depressionsvorstufen die Beschwerden des Patienten ernst nehmen und beratend tätig werden. In einer repräsentativen amerikanischen Studie wurden Patienten untersucht, die nur an depressiven Symptomen litten, aber im Sinne der Definition noch keine Depression hatten. Bei ihnen bestanden stärkere Beeinträchtigungen in sozialen und berufli-chen Funktionsbereiberufli-chen und bei Alltagsaktivitäten, und sie mussten durchschnittlich mehr Tage im Bett liegen (innerhalb der letzten 30 Tage) als Vergleichsgruppen mit verschiedenen chronischen Erkrankungen. Zu diesen zählten beispielsweise Diabetes mellitus, Arthritis, chronische Lungenerkrankungen und chronische gastrointestinale Erkrankungen. Nur Patien-ten mit chronischer Herzerkrankung schnitPatien-ten in mehreren Bereichen noch schlechter ab (Wells, Stewart et al. 1989). Die Studie zeigt, wie belastend und einschränkend psychische Beschwerden für die Betroffenen sind.

Vergleiche mit Kontrollgruppen in 2 Studien zeigen, dass das Depressionsscreening bei den an Müdigkeit leidenden Patienten wesentlich häufiger positiv ausfiel als bei nicht von Müdig-keit betroffenen Patienten (57,5% im Vergleich zu 36,1% und 18,2% im Vergleich zu 8,3%).

In Cathebras‘ (1992) Studie wurden klinisch-diagnostische Interviews durchgeführt und auch er stellte fest, dass ein großer Teil der Müdigkeitspatienten (17,2%) an einer Depression litt, in der Kontrollgruppe hingegen nur 8,8%. Ähnliche Diskrepanzen ergaben sich beim Ver-gleich der Lebenszeitprävalenzraten von Müdigkeit. Patienten mit der Beschwerde Müdigkeit gaben mehr als doppelt so oft wie Patienten ohne das Symptom Müdigkeit an, in ihrem Leben bereits an einer Depression oder einer Angststörung gelitten zu haben (45,2% versus 28,2%).

67,1% der Patienten mit Müdigkeit als Beratungsanlass vermuteten, dass psychosoziale Prob-leme zu der Symptomatik beitrugen. Durchschnittliche Werte des empfundenen Stresses wa-ren bei Müdigkeitspatienten signifikant höher als bei der Vergleichsgruppe.

Gerber (1992), der mit dem HSCL-90 Depressionsscore gearbeitet hat, bestimmte einen posi-tiv prädikposi-tiven Wert für das Vorliegen einer Depression bei bestehender Müdigkeitssympto-matik von 60%: Bei 53 der 88 Müdigkeitspatienten bestanden depressive Symptome.

Bei den Studien, die die Diagnosefindung dem behandelnden Allgemeinmediziner überlassen haben, ist es oft undurchsichtig, wie die Ärzte im Einzelnen vorgegangen sind. Bei diesen Studien ist es wichtig, dass die Patienten nachbeobachtet werden, um keine voreilige Diagno-se zu stellen. Um eine Stigmatisierung von Patienten als psychisch krank zu vermeiden, kam es bei Nijorlder (2009) möglicherweise zu einer Unterschätzung der Häufigkeit von Depressi-onen bei Müdigkeitspatienten. Hier sollte die eindeutige Diagnose einer Depression gestellt werden, ein Verdacht auf eine solche wurde in den Ergebnissen nicht aufgeführt. Es ist

ver-ständlich, dass Allgemeinmediziner in Bezug auf die Etikettierung mit psychischen Erkran-kungen zunächst ein vorsichtiges Vorgehen wählen. Wichtig ist natürlich, dass diese nicht übersehen werden. Gerade angesichts der starken Assoziation von Müdigkeit und psychischen Störungen sollten Hausärzte besonders auf Hinweise auf eine Depression achten. Gerade im Rahmen von „larvierten“ Depressionen kann es vorkommen, dass vom Patienten ausschließ-lich körperausschließ-liche Symptome geklagt werden. Müdigkeit kann hier ein Hinweis auf eine psychi-sche Störung sein, ohne dass der Patient von einer niedergeschlagenen Grundstimmung oder dem Verlust von Freude berichtet. Diese Form der nach der ICD-10 als „depressive Episode mit somatischem Syndrom“ (F32.x1) klassifizierten Subgruppe der Depression zu kennen ist gerade für den Hausarzt wichtig, da die betroffenen Patienten oftmals zunächst keinen Psy-chiater aufsuchen.

Konsequenzen

Müdigkeit ist häufig mit psychischen Störungen, vor allem mit einer Depression, assoziiert.

Allgemeinmediziner sollten Müdigkeitspatienten in der Anamnese unbedingt Screeningfragen stellen, um gegebenenfalls Hinweise auf eine seelische Störung zu erhalten. Als zielführend und sehr sensitiv haben sich folgende beiden Fragen erwiesen (Baum, Donner-Banzhoff et al.

2011):

- Haben Sie sich im letzten Monat oft niedergeschlagen, schwermütig oder hoffnungslos gefühlt?

- Haben Sie im letzten Monat oft wenig Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten ge-habt?

Wenn eine der Fragen bejaht wird, muss der Hausarzt eine Depression in Betracht ziehen und abklären, ob bei dem Patienten weitere Symptome wie beispielsweise Antriebsmangel, Kon-zentrationsstörungen oder vermindertes Selbstwertgefühl bestehen.

Neben depressiven Störungen sind vor allem Angststörungen eine relevante Ursache von Müdigkeit. Auch wenn noch keine psychische Erkrankung entsprechend der ICD-10-Kriterien vorliegt, können psychosoziale Belastungen eine Rolle spielen. Der behandelnde Arzt sollte sich dessen bewusst sein und Aspekte der beruflichen, familiären und sozialen Situation in der Anamnese erfragen.

4.2.2.5 Chronisches Müdigkeitssyndrom