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Das Denkmal für Zivilcourage in der Lutherstadt Wittenberg zur Erinnerung an die Schmiedeaktion „Schwerter zu Pflugscharen“

im Jahre 1983

Wolfgang Kristof

Erster Ausgangspunkt: 500 Jahre Reformationsjubiläum

Im vergangenen Jahr 2017 wurde das 500-jährige Jubiläum der Reformation begangen, welche an der Schwelle des ausgehenden Mittelalters zur Neuzeit von der Residenz-stadtstadt Wittenberg im damaligen Kurfürstentum Sachsen durch das Wirken Mar-tin Luthers ihren Ausgang nahm. Möglich wurde dies insbesondere durch das mutige Eintreten Martin Luthers für seine Überzeugungen sowie durch die schützende Hand, welche sein damaliger Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise, über ihn hielt.

So veröffentlichte Martin Luther im Oktober 1517 in Wittenberg die berühmten 95 The-sen zur Reformation der Kirche. Seine reformatorischen Erkenntnisse und Überzeu-gungen formulierte er unter anderem in einer seiner zentralen und berühmtesten Schriften „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Dort heißt es unter anderem:

„Der Mensch ist ein freier Herr über alle Dinge“ und weiter: „Der Mensch ist zugleich ein dienstbarer Knecht aller Dinge.“ Bei Luther bedeutet die Freiheit nicht ungebändigte Selbstverwirklichung, sondern Verantwortung für die Menschen. Freiheit verwirklicht sich in sozialer Verantwortung, im Einsatz für das Gemeinwohl. Reformation heißt Wie-derentdeckung der christlichen Freiheit.

Zweiter Ausgangspunkt: 100 Jahre Gründungsjubiläum Lions Clubs International Das Jahr 2017 steht zugleich für ein weiteres Jubiläum, nämlich für die 100-jährige Wiederkehr der Gründung einer durch Mitgliederzahl und weltweites Wirken bedeu-tenden humanitären Nichtregierungsorganisation, dem Lions Clubs International, der durch den Geschäftsmann aus Chicago, Melvin Jones, 1917 gegründet wurde. „Was wäre“, fragte er, „wenn diese Männer“ – gemeint sind Chicagoer Geschäftsleute – „die aufgrund ihres Ehrgeizes, ihrer Intelligenz und ihrer Ambitionen so erfolgreich sind, ihr Talent zum Wohle ihrer Gemeinden einsetzen würden“?

Das Denkmal für Zivilcourage im Innenhof des Lutherhauses in Wittenberg

Auf seine Einladung hin trafen sich Delegierte verschiedener Herrenclubs in Chicago, um den Grundstein für eine derartige Organisation zu legen und am 7. Juni 1917 wurde Lions Clubs International ins Leben gerufen. „We Serve“, das damals gekürte und heute noch gültige Leitmotiv, steht für uneigennütziges Eintreten für das Gemeinwohl, für Frei-heit des Denkens und Verständigung der Völker.

Hier wird eine sich über vier Jahrhunderte erstreckende thematische Verbindungslinie zwischen den Vorstellungen Martin Luthers im ausgehenden Mittelalter und dem Leit-motiv einer Nichtregierungsorganisation der heutigen Zeit, dem Lions Clubs Interna-tional, erkennbar. Die verbindenden Elemente sind das selbstlose Engagement und der Mut zum Eintreten für die eigene Überzeugung. Zusammenfassend kann man von Zivilcourage sprechen, von der Ermutigung zum aufrechten Gang.

Dritter Ausgangspunkt: Symbolische Schmiedeaktion in Wittenberg am 24. Sep-tember 1983

Ein weiterer Fixpunkt ist die symbolische Schmiedeaktion „Schwerter zu Pflugscharen“

am 24. September 1983 im Innenhof des Lutherhauses in Wittenberg. Der historische Hintergrund für dieses Ereignis war die Formierung der Friedensbewegungen zu Beginn der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts in beiden Teilen des damals geteilten Deutschlands. Während die Teilnahme an dieser oppositionellen Bewegung im Westteil Deutschlands im Hinblick auf die existierenden freiheitlich-demokratischen Rahmen-bedingungen ohne Inkaufnahme wesentlicher nachteiliger Auswirkungen möglich war, konnte davon im Ostteil nicht die Rede sein.

Die Mitglieder der Bewegung in der DDR wählten als äußeres Erkennungszeichen einen Textil-Aufnäher mit der symbolischen Darstellung der Skulptur „Schwerter zu Pflugscha-ren“ des russischen Künstlers Jewgeni Wutschetitsch. Sie wurde 1957 von der UdSSR als seinerzeitigem „Bruderstaat“ der DDR den Vereinten Nationen geschenkt und be-findet sich seitdem an deren Sitz in New York. Die Wahl dieses Erkennungszeichens verstärkte die Überzeugung der Staatssicherheit der DDR, dass es sich hierbei um eine kritische und für das Regime potentiell gefährliche Gruppierung handele und dass ge-gen sie deshalb mit Unterdrückungsmaßnahmen vorzugehen wäre.

In Folge führte das Tragen dieses Aufnähers zu Verfolgungen durch die Staatsorgane und die Träger wurden gezwungen, diesen zu entfernen. Es wurde mit Schul- oder Uni-versitätsverweis und Aussperrung aus dem Betrieb gedroht. Die Synode der

evange-lischen Landeskirche Sachsens schrieb 1982 in einem Brief an ihre Junge Gemeinde:

„Wir müssen Euch aber sagen, daß wir nicht mehr in der Lage sind, Euch vor den Konse-quenzen, die das Tragen des Aufnähers jetzt mit sich bringen kann, zu schützen.“

Im Sinne eines intelligent praktizierten, passiven Widerstandes gegen die staatliche Repression entfernten hierauf viele Jugendliche die beanstandeten Aufnäher durch He-rausschneiden aus dem Kleidungsstück. Damit war der staatlichen Forderung formal Genüge getan, der symbolische Erkennungswert hatte sich jedoch durch die unmittel-bar und plakativ erkennunmittel-bare Nichtexistenz des Aufnähers im Kleidungsstück noch wei-ter verstärkt und somit das staatliche Agieren ins Leere laufen lassen.

Vor diesem Hintergrund ist die von dem Wittenberger Pfarrer und Bürgerrechtler Fried-rich Schorlemmer initiierte, vom Kunstschmied Stefan Nau durchgeführte und mit aktiver Unterstützung durch mehrere hundert Teilnehmer am 24. September 1983 im Innenhof des historischen Lutherhauses wirkungsvoll verstärkte Umschmiedeaktion eines Schwertes zu einer Pflugschar als wirkmächtige Antwort gegenüber der Staats-macht zu werten.

Möglich war dies nur unter geschickter Ausnutzung der schützenden Präsenz westlicher Medien anlässlich des zugleich stattfindenden Kirchentages zum 500. Geburtstags Martin Luthers, bei welchem der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin und spätere Bundespräsident Richard von Weizäcker in Wittenberg als Gast anwesend war.

Vor diesem Hintergrund nahm die Staatssicherheit von einem unmittelbaren Zugriff auf die Teilnehmer der Veranstaltung Abstand.

In der zeitlichen Rückschau ist die Umschmiedeaktion als ein wesentlicher Meilen-stein auf dem Weg zu einer Bürgerrechtsbewegung in der ehemaligen DDR zu werten.

Bekanntlich mündete die von den Kirchen und von wachsenden Teilen der Zivilgesell-schaft getragene Initiative durch ihr aktives Eintreten für bürgerliche und kulturelle Be-lange in die friedliche Revolution und steht damit in direktem Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1989. Das Ereignis vom 24. September 1983 in Wittenberg mit zweifelsfrei historischer Dimension fand in der Folge bislang keinen adäquaten Ort der Erinnerung.

Das Projekt: Zeichensetzung für Zivilcourage in Wittenberg im März 2017

Im gemeinsamen Bestreben, die zuvor geschilderten Ereignisse in Wittenberg in ihrer Gesamtheit übergreifend zu thematisieren und damit zugleich einen in Gegenwart und

Einweihung des Denkmals am 17. März 2017

Zukunft reichenden Orientierungspunkt herzustellen, setzten sich die Stiftung Lutherge-denkstätten in Sachsen-Anhalt und der Lions Club Wittenberg für das doppelte Jubilä-umsjahr 2017 das faszinierende Ziel, eine dauerhafte Zeichensetzung und Würdigung vorzunehmen. Das Ergebnis dieses Findungsprozesses ist das heute an der Stätte des Weltkulturerbes im Innenhof des Lutherhauses befindliche, vom Hallenser Künstler Mi-chael Krenz geschaffene „Denkmal für Zivilcourage“.

Es handelt sich hierbei um eine zwei Meter breite und mehr als drei Meter hohe In-stallation aus Cortenstahl. Diese nimmt vordergründig unmittelbaren Bezug auf die Schmiedeaktion vom September 1983 und verweist hintergründig in künstlerischer Formensprache auf die erwähnte staatliche Unterdrückung der Friedensbewegung.

Damit wird sie zur Zeichensetzung mutigen bürgerschaftlichen Engagements, welches zugleich das Bindeglied darstellt zu Martin Luthers unerschrockenen reformatorischen Bemühungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Bei genauer Betrachtung sind in der drei Zentimeter dicken Stahlplatte Schwert, Schmiedehammer und sämtliche Einzelteile von Ausrüstungsgegenständen einer Schmiedewerkstatt dargestellt. Diese Gegen-stände werden in Erinnerung an die seinerzeit zwangsweise ausgeschnittenen

Aufnä-her an den Kleidungsstücken symbolisch als Leerstellen im Negativformat dargestellt.

Die zugehörigen Positivformen lassen bei gedanklichem Zusammenfügen ein dreidi-mensionales Modell der Werkzeuge einer Schmiedewerkstatt erstehen. Letzteres wird plastisch ersichtlich und nachprüfbar anhand eines Miniaturmodells, welches vor Ort als Bausatz erhältlich ist.

Die feierliche Einweihung des Denkmals für Zivilcourage fand statt am 5. März 2017 in Anwesenheit des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Dr. Rainer Haseloff, des Künstlers Michael Krenz, der Repräsentanten der Kunsthochschule Burg Giebi-chenstein, Friedrich Schorlemmers und zahlreicher interessierter Besucher. Gäste der Veranstaltung waren außerdem die Repräsentanten und Förderer der internationalen Lions Organisation, durch deren finanzielle Unterstützung dieses Projekt ermöglicht wurde sowie Zeitzeugen der Wittenberger Umschmiedeaktion.

Nach Ablauf des Reformationsjahres 2017, in dem zehntausende Besucher Witten-bergs im Rahmen einer Besichtigung der Weltkulturerbe-Stätten auch vom Denkmal für Zivilcourage Notiz genommen haben, hat sich bei den Projektinitiatoren Stiftung Luther-gedenkstätten in Sachsen-Anhalt und Lions Club Lutherstadt Wittenberg der Eindruck

Erläuterungen am Denkmalsockel

verfestigt, dass der Versuch gelungen ist, den bislang weitgehend reformatorisch-hi-storisch definierten Charakter der Wittenberger Lutherstätten um eine Komponente mit hochaktuellem gesellschaftlichem Bezug zu erweitern.

Ein weiterer, zunächst nicht ins Auge gefasster Aspekt ist, dass gerade viele ältere Be-sucher aus den neuen Bundesländern dieses Denkmal als ein Identifikationsobjekt wahrnehmen im Sinne eines positiv bewerteten und entsprechend honorierten Bei-trags der Bürger Ostdeutschlands zur Wiedervereinigung.

Damit verbunden ist die Hoffnung der Initiatoren, dass die Beschäftigung mit dem Denkmal, dessen Zweck und Intention sich dem Betrachter bewusst nicht von selbst und ohne eigene Anstrengung erschließen, bei möglichst vielen Menschen Denkanstö-ße setzt zur kritischen Einordnung und Orientierung der eigenen Person im Hinblick auf die elementaren Prinzipien eines menschlichen und verantwortungsbewussten Verhal-tens in einer zunehmend disruptiven Gesellschaft.