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David als biblische Schlüsselfigur

Leichen. Er tötet Davids Sohn Abschalom und seinen Konkurrenten um den Heerführerposten Amasa. Die Frage, ob er allerdings diese politischen Morde im Auftrage Davids begeht, ist mit textimmanenten Argumenten nicht ein-deutig zu beantworten.155 Es fällt in diesem Zusammenhang allerdings auf, dass David seinen Heerführer für dessen Morde nicht bestraft. Befürwortet David die Morde?156 Will er Joab als getreuen Gefolgsmann nicht verlieren?

Weiß er um die Tatsache, dass hauptsächlich Joab mit seiner militärischen Stärke die Stabilität seines Königtums garantiert?

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Verhältnis von David zu Joab im Text ambivalent dargestellt wird. Einerseits erscheint Joab als ein dem König treu ergebenen Heerführer, andererseits als skrupelloser Machtmensch, der zur Sicherung der eigenen Machtposition gewissenlos tötet. Es wird deutlich, dass König David auf Joabs Unterstützung angewiesen ist, um seine Herr-schaft erhalten zu können.

Dietrich weist darauf hin, dass König David vor 3000 Jahren in Israel ganz wesentlich zur Staatenbildung beigetragen hat. David hat den gesellschaftli-chen Umbruch von der tribal organisierten, vorstaatligesellschaftli-chen Epoche zur frühen Königszeit abgeschlossen. Er gilt als der Begründer des dynastischen König-tums in Israel.

Außerdem wird seine facettenreiche Persönlichkeit in der Erinnerungskultur dreier Weltreligionen (Judentum, Islam, Christentum) lebendig gehalten.

Unzählige Bilder von Davids Leben und Taten sind auf der Grundlage der biblischen Erzählungen über ihn entstanden.

Der biblische David hinterließ in Literatur, Kunst und Musik des gesamten europäischen Kulturraumes und weit darüber hinaus unauslöschliche Spuren.158

Seine ambivalente Darstellung fordert auch den heutigen Leser der biblischen Texte auf, sich mit dieser zentralen israelitischen Königsgestalt auseinan-derzusetzen.

David ist eine differenzierte Figur und keinem bestimmten Typus („Held“,

„Bösewicht“) eindeutig zuzuordnen.159 Er ist in erster Linie ein Mensch. Der Leser von II Sam 9–20; I Kön 1+2 lernt David in seinen verschiedenen sozialen Rollen kennen. Die zwiespältige, ambivalente Darstellung seines Wesens ermöglicht dem Leser – zumindest teilweise – eine Identifikation mit dem biblischen Protagonisten. Auch der große König David wird in der Batseba-Episode in II Sam 11 als fehlbarer Mensch dargestellt. Kein Mensch ist unfehlbar. Selbst David – als Erwählter Gottes – muss sich dem prophe-tischen Urteil Natans beugen und seine Schuld gegenüber Adonai abbüßen.

Indem David das tut, wird er selbst im tiefsten Fall zum Vorbild aller Men-schen, da er Verantwortung für seine Verfehlungen übernimmt. Er wird in II Sam 12 zum vorbildlichen menschlichen Büßer.160

Dietrich deutet an, dass beim biblischen David nicht nur das Handeln als König, sondern auch seine Menschlichkeit bei der Gesamtbeurteilung seiner

158 Dietrich hebt diese herausragende Bedeutung Davids für die Geistes- und Kulturgeschichte Europas in seinem Vorwort zur oben genannten Herausgeberschrift explizit hervor. Das David-Bild in den verschiedenen Religionen (vgl. S. 213–484) sowie das ambivalente Bild Davids in der europäischen Kulturgeschichte (vgl. S. 487–830) werden in diesem Sammel-band von verschiedenen Autoren diskutiert.

159 Vgl. Seiler, Die Geschichte von der Thronfolge Davids, S. 309.

160 Vgl. McKenzie, König David, S. 227.

Persönlichkeit wichtig sind. Er bezeichnet David einerseits als „Urbild des gottwohlgefälligen Herrschers“ und andererseits als einen „tief Gefallenen und doch von Gott nicht Fallengelassenen“.161

Der in II Sam 9–20; I Kön 1+2 dargestellte David ist allerdings „keineswegs nur Paradigma im Negativen, sondern viel mehr noch im Positiven.“162 Dietrich betont, dass sich David – außer bei der Affäre um Batseba und Urija – trotz aller innen- und außenpolitischen Anfeindungen vorbildlich verhalte.

Die politisch-militärischen Anschläge auf sein Reich wehrt er mit Klugheit und strategischem Geschick ab.163 Den skrupellosen Söhnen der Zeruja – Abischai und besonders Joab – begegnet er kritisch, auch wenn er ihren Gewalttaten letztlich machtlos gegenübersteht. Im Gegensatz zu diesen

„Gewaltmenschen“ (vgl. Dietrich, Die frühe Königszeit, S. 298) wird David in II Sam 9–20; I Kön 1+2 als der auf Gewalt Verzichtende beschrieben.164 Gegenüber seinen Söhnen wird er in erster Linie als liebender Vater darge-stellt.165

Ark Nitsche beschreibt David „als eine Gestalt, in der eine Epoche sichtbar wird, in welcher sich das Individuum Handlungsspielräume erkämpfte“ (vgl.

Ark Nitsche, König David, S. 283). David erscheint demnach als Mensch, der relativ autonom politische Entscheidungen treffen muss, da er sich vom

„Korsett der alten kultischen Weltdeutung“ ein Stück weit befreit hat.166 Er muss aber als Mensch – und als mächtiger Monarch über Israel und Juda in besonderer Weise – die Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Gerade im Kampf um die Macht (vgl. II Sam 9–20; I Kön 1+2) wird der biblische David eben nicht als „reiner Machtmensch“, sondern auch „als Vorbild an Edelmut und Demut, an Nachdenklichkeit und Bußfertigkeit“ dargestellt.167

161 Vgl. Dietrich, Die frühe Königszeit in Israel, S. 299. In diesem Kontext des gottgefälligen Idealherrschers sei darauf verwiesen, dass sich beispielsweise die Stauferkaiser im Mittel-alter in der unmittelbaren Nachfolge Davids gesehen haben. Vgl. Dietrich, Grundfragen und Grundlinien der David-Rezeption, S. 838.

162 Ebd., S. 269.

163 Ebd., S. 269.

164 Der „Urija-Brief“ in der Batseba-Urija-Episode in II Sam 14f ist die einzige Ausnahme.

Allerdings wird im Text deutlich betont, dass David zuvor alles versucht habe, um den Ehe-bruch ohne Gewaltanwendung zu vertuschen (vgl. II Sam 11, 6–13).

165 Ebd., S. 269f. Gerade in seiner Vaterrolle erscheint er aber dem Leser wieder besonders menschlich, da seine väterlichen Gefühle gegenüber den Söhnen stärker sind als seine poli-tischen Erwägungen.

166 Vgl. Ark Nitsche, König David, S. 282.

167 Vgl. Dietrich, Grundfragen und Grundlinien der David-Rezeption, S. 838.

David bleibt aber letztendlich Adonais richterlicher Autorität unterworfen und muss sich dem Urteil Gottes beugen. Er nimmt das Urteil an und bereut seine Verfehlungen gegenüber Adonai.

Der Deuteronomist erhebt David sogar zum Maßstab der Treue, an dem alle späteren Könige Israels und Judas zu messen sind.168

Abschließend bleibt festzuhalten, dass wohl kaum eine andere Gestalt der Bibel eine derartige Schlüsselrolle einnimmt. Der biblische David hat beson-ders über die jüdisch-christliche Tradition die Geistes- und Kulturgeschichte Europas entscheidend mitgeprägt. Die Bezeichnung Davids als biblische Schlüsselfigur ist meiner Ansicht nach absolut gerechtfertigt und legitim. Ich schließe mich Dietrich an, der in einer Gestalt wie dem biblischen David Spuren einer allgemeinen Menschheitskultur abgebildet sieht.169